Zur Lebendigkeit der Ideen – Platon, Sophistes 248a-e

Es ist ja völlig verkehrte Meinung, dass Ideen frei erfundene, bloß logische „Abbilder“ ohne Bezug zur Realität seien. Das ist primitiver Chorismos-Vorwurf. Nur ein kleiner Beleg aus dem „Sophistes“ möge diesem Missverständnis entgegentreten –  siehe pdf-download – Sophistes 248

Die Ideen sind bewegend und lebendig, sie sind das Maß lebendiger Erkenntnis und Begrifflichkeit, das Maß der durch die Begriffe anvisierten Evidenz in der  faktischen Verwirklichung.

Es gilt sowohl a) eine Stasis im Hinblick auf das Unwandelbarer in aller (theoretischen) Erkenntnis festzuhalten, als auch b) eine Kinesis, eine Bewegung im Hin- und Hergehen des Erkennens, was wohl nur heißen kann, im bewährenden Tun und Handeln die Wahrheit und Evidenz der Idee festzuhalten und zu realisieren.  Es gibt weder eine  Trennung der Ideen vom Nous, noch eine Trennung von den sinnlichen Dingen, weil nur durch Ideen etwas begriffen, d. h. realisiert werden kann. Alles ist reflexiv gesetzt, realer Teil des Lebens wie idealer Teil der Vorstellung.

Natürlich ist jetzt bei PLATON nicht alles so systematisiert wie von der späteren Transzendentalphilosophie dargelegt, aber manche Einsichten sind schlechthin genial. Wie wollte man PLATON sonst lesen und verstehen, wenn nicht prospektiv auf die spätere Transzendentalphilosophie hin wie sie  bei  DESCARTES, KANT, FICHTE zu finden ist?

Was möchte ich damit sagen? Die begriffliche Analyse der einzelnen Momente der Erkenntnis können von der Philosophie zwar per abstractionem als unselbstständige Momente stets hingestellt werden, als Anschauungsformen, Verstandesbegriffe, Reflexionsideen (die Grundsätze des Verstandes durch die reflektierende Urteilskraft gesetzt), schließlich die höchsten Vernunftideen wie das Schöne, das Gute, aber alle diese theoretischen Erkenntnisleistungen können nicht für sich isoliert bleiben,  sondern müssen ineinander greifen und in  einem systematischen Ganzen des (praktischen) Lebens und Strebens zusammenwirken. Das geschieht durch eine Einheit, wie wir sie in die lebendigen Einheit eines Organismus hineinlegen: Das  Teil ist für das Ganze und das Ganze für den Teil da. Es herrscht distributive Wechselwirkung mit zweckhaftem Charakter, eben „lebendige“ Einheit, gehalten und getragen durch einen praktischen Trieb. So aber interpretiere ich die lebendigen Ideen bei PLATON. 

Nur durch die einheitliche Funktion eines lebendigen, substantiellen Wissens, letztlich durch ein apriorisches und qualitatives Totalitätsallgemeines, wird der „Gliederbau“ (KANT) der Vernunft zusammengehalten. Die Ideen PLATONS stehen für diesen Bild-Raum der Vernunft und des Verstandes – und sind nicht bloß faktisch behauptet, sondern in jedem Denk- und Selbstbestimmungsakt der Seele sind sie genetisch wirksam, lebendig und präsent.  Die Existenzsphäre dieser durch die Ideen ermöglichten Form der Denkbarkeit oder Bildbarkeit von etwas – Wissen, Seele, Vernunft, logos, nous, genannt – vollzieht sich stets in der Behauptung von Wahrheit und und letztlich in einem Rekurs auf eine höchste, praktische Idee des Guten. (Siehe Blog zur Idee des Guten).

Der Weg des analytischen Aufstieges zu den platonischen Ideen und letztlich zur platonischen Idee des Guten ist zugleich immer ein synthetischer Abstieg in die Begrifflichkeit der Seele, die wahrhaft erkennen kann durch den lebendigen Rückbezug auf die Ideen.  Die Evidenz theoretischer Aussagen, besonders aber sittlich-praktischer Aussagen, ist zugleich ein Weg der Bewährung der eingesehenen Wahrheit in der Bildform der Seele.  

(c) 11. 7. 2015 Franz Strasser

 

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser