Der Begriff „Repräsentation“ wird gerne hergenommen zur Charakterisierung der sakramentalen Handlungsweise eines Priesters, der „in persona Christi“ handelt. Ebenso gilt für einen weltlichen Regierungsabgeordnetem, dass er in einer „repräsentativen“ Demokratie das allgemeine Grundrecht des einzelnen wie eines Volkes „repräsentiert“.
In der WL 1804/4, die FICHTE 1805 in Erlangen gehalten hat, 1 kommt sehr oft das Verhältnis Absolutes und Wissen, Absolutes und Existentialform, Absolutes und Ich-Form zur Sprache. Hochinteressant! Ich suche jetzt in diesem Zusammenhang nach dem Gebrauch des Wortes „Repräsentation“, ob dieser Begriff tauglich wäre, ein Verhältnis Gott und Mensch auszudrücken – sei es in einem säkularen oder kirchlichen Amt.
Mein Ergebnis wird sein: Bildhaft kann und muss sogar von „Repräsentation“ gesprochen werden, weil a) anders ein Verhältnis zwischen dem Dasein eines geistigen Gehaltes und seines Begriffs in einer projizierten Form nicht ausgedrückt werden kann und b) natürlich das Verhältnis einer Erscheinung und Äußerung Gottes in apriorischer wie positiven Weise gegenüber dem Vernunftwesen „Mensch“ vorausgesetzt wird – aber nicht kausal, emanatistisch oder sonstwie relational formuliert, als faktische „Selbstmitteilung“ Gottes, wie die Theologen gerne sagen, sondern ebenfalls nur bildhaft kann das Verhältnis sein.
Anders gesagt: Durch ein Zeichen, ein Symbol, oder, weil wir hier ebenfalls in der religiösen Sphäre bleiben möchten, durch ein Sakrament, kann der Begriff der „Repräsentation“ sinnvoll verwendet werden, aber nie in einem ontologischen oder ontischen Abhängigkeitsverhältnis, als könne das repräsentative Amt direkt von Gottes Gnaden und Wirken abgeleitet werden. Alle emanantischen oder kausalen oder relationalen Abhängigkeitverhältnisse sind auszuschließen. Trotzdem soll aber ein Bild/Abbildverhältnis bleiben. Wie verhalten sich dann Transzendenz und Immanenz?
Der Begriff „Repräsentation“ ist einerseits sehr wertvoll, wie sich zeigen wird, aber andererseits höchst anfällig für Machtmissbrauch und illegitime Anmaßung in einem säkularen oder kirchlichen Amt.2
1) Für das Verhältnis Gott/Mensch kann ganz allgemein nach biblischer Redeweise und ebenso philosophischer Begründung vorausgeschickt werden: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!“ (Gen 1, 26a.)
Für eine vernünftige Durchdringung dieses Begriffes „Bild“ (oder „Abbild“) – und ebenso für eine transzendentale Kritik! desselben – eignet sich eine platonische oder fichtesche Bildlehre.(Die unendlich komparativen, historischen Vergleiche der Bibelwissenschaft, wo und wie wurde „Bild“, „Abbild“, „Statue“, „eikon“, „imago“ gebraucht….. das überspringe ich hier. Siehe diverse lexikalische Auskünfte.)
Es geht um eine apriorische Wesensgesetzlichkeit, wie kann das Vernunftwesen „Mensch“ Bild des Bildes vom wahren Sein des Absoluten sein, d. h. hier in Konzilssprache, Christus repräsentieren – oder in einer repräsentativen Demokratie, wie kann ein Abgeordneter/eine Abgeordnete Bild eines allgemeinen Rechtswillens sein?
Lassen wir das einmal als Faktum gelten, die Aussage, das Vernunftwesen „Mensch“ sei „Bild Gottes“! Wie kann ich das verstehen?
Fichte lehnt – dafür können viele WLn herangezogen werden – scharfsinnig jedes reduktiv-begriffliche Erreichen des Wissens von Gott (des Absoluten) ab.3 Trotzdem muss der Begriff des „Absoluten“ vorausgesetzt werden. So z. B. einmal in einer Stelle der WL 1804/2: Der Begriff scheitert zwar am Absoluten, aber zu sagen, das Absolute sei deshalb an sich unbegreiflich, wäre ebenfalls falsch. „Es, das Absolute, ist nicht an sich unbegreiflich, denn dies hat keinen Sinn“ (4. Vortrag, ebd. S 58, Z 16).
Wir erkennen nicht aus Gott selber den Grund des Vernunftdaseins, aber wir erkennen – in analoger Weise zum lebendigen Denkakt ANSELMS und zur „idea“ der Vollkommenheit Gottes bei DESCARTES gesprochen – das Dasein Gottes aus dem notwendigen Sehen und der damit einhergehenden Vernunfterkenntnis (und Freiheit).
Fichte hat überaus mehr als alle andere Philosophen seiner Zeit a) die Wissensbegründung gerade nur in und aus dem Absoluten gerechtfertigt und b) darüber hinaus explizit den Begriff der Religion als eine materiale Form der Wissens deklariert und c) ausdrücklich die positive Offenbarung in JESUS CHRISTUS immer wieder thematisiert. (Die Ausführungen Hegels oder Schellings zu Jesus Christus sind geradezu beschämend!)4
2) Ich möchte fünf Passagen (beispielhaft) aus der WL 1804/4, gehalten 1805 in Erlangen, beleuchten, in der das reflektierende Wissen auf eine Negationsdialektik der Einsicht in das Wesen Gottes hinausläuft. Was wir von Gott wissen können, ist nur der Begriff eines ausgeschlossenen Negativen, das, was Gott nicht ist. (Viele Anschlussstellen zu PLOTIN oder DIONYSIOS AREOGPAGITA ließen sich hier bringen!)
Ergo, so jetzt meine Schlussfolgerung, kann und muss sehr differenziert, in bestimmter!, nicht willkürlicher Differenz, von einer „Repräsentation“ Gottes gesprochen werden, weil es ja doch zu einer Verzeitlichung und Inkarnation Gottes (mittels Sittengesetz) kommen soll. Die durch das Sittengesetz apriorisch und positiv vermittelte Offenbarungsweise erlaubt, ja verlangt, deduktiv von „Repräsentation“ in bestimmter Differenz zu sprechen – sei es im kirchlichen Bereich oder im säkularen Bereich der Repräsentation eines allgemeinen Rechtswillens und einer „repräsentativen“ Demokratie – unter dem sittlichen und wertsetzenden Vorbehalt, dass a) die sittliche Freiheit (und Wille) zum Sollen gewahrt wird und b) nur zu Bedingungen der Freiheit und durch Freiheit eine berechtigte, repräsentative Herrschaft möglich sein kann.
Die genetisch zu erreichende Einsicht in diese Repräsentation – sei es im kirchlichen oder weltlichen Bereich – wird im Bildungs- und Denkprozess notwendig übertragen auf einen Träger/Trägerin der Repräsentation – Bischof/Priester/Diakon oder Abgeordneter/Abgeordnete, Richter/Richterin, Polizist/Polizistin – ohne aber reell die bildliche Einsicht mit dem Träger/der Trägerin selbst zu verwechseln oder zu identifizieren.
Die transzendentale Differenz muss bleiben – und doch wird oft die ratio cognoscendi einer Repräsentation (des Sollens, eines Gesetze) mit der ratio essendi des Trägers vorschnell identifiziert?
(Eine Ausnahme in der Übertragung gäbe es allerdings, wenn der Offenbarungsträger unmittelbar den heiligen Willen selbst repräsentiert. Siehe dann 13. Stunde.)5
2.) Aus einem nur reflexiven, begrifflichen Wissen heraus kann eine Erkenntnis Gottes nicht erreicht werden – das ist sozusagen Negativbefund dieser WL 1804/4 (So meine Sicht; ganz sicher bin ich mir hier nicht!)
Inwiefern es aber eine positive Einsicht in die Äußerung Gottes und in eine Verknüpfung von intelligibler und sinnlicher Welt ebenfalls geben muss, wie die WLn ab 1801/02 unisono ausführen und der christliche Glaube bekennt, so wird die Frage aktuell, wie sollte ein kirchliche oder säkular-politische Repräsentation aussehen, ohne ins Gegenteil einer illegitimen, despotischen Machtausübung oder despotischen Repräsentationsausübung zu verfallen?
2. 1) In der 11. Stunde der WL 1804/4 GA II, 9, ebd., S 228 ff beschäftigt sich Fichte mit dieser Frage, ob das Licht und die Existenz und das Wesen des Wissens Ausdrucksweisen, oder anders gesagt, „Repräsentationen“ des Absoluten sein können. (Der Text der WL ist rot hervorgehoben).
„ Das Licht ist die göttliche Existenz selbst, – wie wir vom Lichte aufsteigend <erkennen»; vielmehr aber, wie wir nun einsehen: die göttliche Existenz ist das Licht: und dies zwar also: das Licht ist nicht an sich, die «göttl».” Existenz selber, insofern wir eine solche Existenz noch späterhin zugeben werden; sondern es ist nur die Form, deri absolut nothwendige modus existendi der göttl. Existenz: erwiesen aus dem als. Eine Theorie des Wissens oder des Lichts wäre daher, dak hier die Folge eintritt[,] möglich, u. sie enthielte 1.). was aus dem Lichte als solchem folge 2) was daraus, daß es <nicht‘ an> sich Licht, sondern die göttliche Existenzfolge. 3.). da im wirklichen Seyn beides schlechthin unabtrennlich ist, in einer organischen Einheit des Daseyns, müste das wirkl. Seyn aus dem Begriffe dieser organischen Einheit beider abgeleitet werden. – . Beides daher zu vereinen“, beides auch rein abzusondern. Da standen wir: ich erkläre jetzo bestimmt, wie ich in der lezten Stunde schon andeutete, daß wir noch immer nicht bei’m reinen Grundbegriffe des Wissens angekommen sind; noch aufzusteigen haben. Dies zeigte sich in der lezten Stunde also: Das absolute war selbst Glied einer Relation, mithin gar nicht absolutes: —
„ (…) für eine Ergründung des Wissens in seinem wahren Wesen muß das Licht nicht in sich selber bleiben, sondern es muß ein Mittel finden aus sich selbst herauszugehen. — . Wir unseres Ortes wollen zunächst sehen, ob wir dieses Herausgehen faktisch vollziehen können, (….) das absolute als absolutes (nicht freilich material, sondern formal zu verstehen,) wollen wir ergreifen: u. zwar keinesweges in seinem innern Seyn, was uns wohl durchaus unmöglich seyn dürfte ohne es selbst zu werden“, sondern in seiner Existenz. Nun ist es offenbar also nur anzutreffen unmittelbar im Existiren, als kräftigem Leben, denn nur in dem ist es noch selber; in der Existenz, als abgeschloßenem Akte, ist es schon erloschen und lediglich noch in seinem Repräsentanten; es selber [-] u. in“ seiner unmittelbaren Anwesenheit“ [-] ist ruhend, u. tod – .(…)“(Alle Hervorhebungen hier und in folgenden Passagen von mir.) (Ebd. S 229.230
„(….) Sonach ist das unmittelbare Existiren Gottes, in welchem allein wir ihn erfassen können, keinesweges das Licht in seinem Seyn; (…) denn in dieser Wechselbestimmung hört das Existiren auf Existiren zu seyn, und wird Existenz – sondern Gott existirt als Licht; u. Zwar als absolutes, sich selbst schlechthin erzeugendes Licht. . Nicht in, sondern als — Sein Existiren ist erzeugen des Lichtes. — . Absolute, sage ich; nicht in ihm selber, welche[s] ja das Licht? voraussezt. Bisher, vernichtet sich, erzeugt sich; ja oben drüber stehend, u. unvermerkt aus sich selbst das Gesez welches es ausspricht, hergebend, z. B. die Relation, das durch, wodurch uns eben, als ein nicht aufgegebnes Gesez, über dessen Nichtaufgeben wir uns hinterher historisch ergriffen, das absolute seine Absolutheit verlohr: – Daß wir sagten, wir könnten nicht anders sehen, kam in der That daher, daß wir eben nichts andres sahen, Drum war die Folge klar. — . Dort war Täuschung mit der Genesis.
(Ebd. S 230-231)
„(…) Einsehen wollen wir ja das Absolute, schlechthin als solches; dies aber können wir nicht ohne zu sehen;“ ohne sehend zu seyn, u ohne eben daß wir Sehen seyen: Sehen aber bleibt absolut sehen, bestimmt durch seines Wesens Gesetze, welche eben geben, was sich soeben ergeben hat. — So verhält es sich hier. Wir kommen auf diese Weise schlechthin zu keinem absoluten.“
2.2) In der 12. Stunde wird dieses Verhältnis Absolutes/Wissen weitergeführt – und vernunftkritisch, nicht fideistisch! uneinsichtig, muss der Glauben hinzukommen. Ebd. S 233
„(…) damit mir fernerhin die Sprache nicht ausgehe, lassen Sie die aufgezeigte absoute Reflektirbarkeit des Lichtes gelten als bloß faktisches Licht, d. h. welches wirklich ist, aber in Beziehung auf Wahrheit und Wesen durchaus Nichtig ist und nichts> gilt, – [/] u. setzen Sie dieses rein faktische Licht als Mittelpunkt zwischen der Anfoderung des Scheines, zu gelten, gegen die Wahrheit, u. der Wahrheit, zu gelten gegen den Schein; so wäre die Bestimmung dieses faktischen Lichts dem Schein zuwider die Wahrheit gelten zu lassen, ein absolutes, u reines Machen seines innern Wesens, schlechthin aus nichts, von nichts, und seinem eignen Wesen zuwider. Ein rein praktisches, reelles Machen, u anfangen aller Wahrheit durchaus per hiatum. Schlechthin frei,Ansicht nehmen, u Maxime machen, sich machen zu einem so sehen: aus keinem Sehen: indem alles andere Sehen das Gegentheil <aus> sagt“ – Nicht‘ gelten lassen: Wie nennen wirs? Glaube: sezt faktisches Licht durchaus leer», u. <nichtig: absolut aus u. von sich selber machend, das formale Quale (nicht das materiale, denn darüber wäre wohl noch mehr zu sprechen) (…)
Der Glaubes erschafft nicht das absolute: wäre wieder der erste Irrthum, dereinen neuen Glauben vernichtet werden müste, daß daher der erste Glaube nicht der absolute Glaube gewesen wäre ; sondern ihm, als dem lezten u. absoluten Fakto giebt sich das absolute: Er hebt in sich an vom Unglauben an sich selber; diese<m> giebt sich das Absolute, u. so erst wird er positiver Glaube. 2.). Der Glaube“ ist Unglaube an die absolute Reflektirbarkeit: er ist daher bedingt dadurch daß man diese, als absolut faktisch, erkenne, und als solche sie gelten lasse. (…)
2. 3) In der 13. Stunde kommt dann explizit der Begriff der „Repräsentation“ vor. Es hat zuerst den Anschein, als ob das Absolute im Als-Begriff zu fassen wäre. Dies wird aber abgewiesen.
Eine Bemerkung aber fällt mir auf: Interessant ist, dass der Begriff der „Genesis“ eine „Repräsentation in ihm selber“ erlaubt. Ist nicht das das Urbekenntnis des christlichen Glaubens, dass a) sowohl der „Sohn“ ungetrennt vom „Vater“ ist, als auch, dass b) die Gottesidee in sich selbst Beziehung und Repräsentation ist im „Heiligen Geist“? Die Formen der „Repräsentation“ lassen sich nur durch und aus einer Beziehungs- und Begründungsform der göttlichen Einheit selbst, somit aus einer Ur-Repräsentation Gottes, ableiten, mithin aus einem trinitarischen Gottesbild?
Ebd. S 240, 241.„(….) also in absoluter Einheit des Intuirens, u Intelligirens, welche hier erst erzeugt werden; drum objectiv, u. eben drum in der Form des als; oder in der Form des als, u. drum objectiv. Das hier erscheinende Absolute, ist daher wirklich nicht unmittelbar das absolute, sondern es ist nur in seiner Repräsentation; u. es ist wirklich objektivirt; u. wir bedürfen es nicht weiter, die Gültigkeit” davon durch einen Glauben niederzuschlagen, sondern wir können es gestehen, u. anerkennen, denn wir haben es erklärt: – es ist repräsentirt, u. objectivirt, nicht weil das absolute repräsentirt pp sondern weil das Licht sich selber repräsentirt u. objektivirt werden muß, u. vermittelst pp. Das wahre Absolute <in seiner Unmittelbarkeit haben wir jezt wo anders, in A. – u. zwar in der reinen absoluten Genesis, Genesis sage ich von A. –. Wie nun* aber A. zu einem selbst ständigen Seyn in sich selber komme, aus welchem doch allein erst seine Repräsentation in ihm selber, u. aus dieser die des Absoluten folgt, wissen wir dermalen selbst noch nicht. — Es ist hier noch eine Lüke zu deren Anerkenntniß ich Ihnen oben, durch die Nachweisung einer unvermerkten Erschleichung geholfen habe. (….)
Vorbereitende Aussichten, damit ich Sie doch nicht ohne neues entlasse: Das Selbständige Seyn des A. giebt ihm offenbar die objective ExistentialForm in die es aufgenommen ist. Wie ist es denn zu dieser Form gekommen? Ist wohl einerlei mit der Frage: wie sind wir denn zu demselben gekommen; denn so wir zu demselben kommen, kommt es eben‘ Uns gegenüber in diese Form. Antw.: Durch den Glauben. Er giebt diese Form, unmittelbar durch sein faktisches seyn, durch sich selber, als Faktum; ohnerachtet er freilich an das Produkt“ dieser Form als solcher nicht glaubt, weil er sodann eben nicht Glaube wäre, u. das Absolute gar nicht hätte. Er giebt diese Form, diese Form aber giebt selbstständiges Seyn, mithin ist er es der pp. Er hält sich,‘ nicht glaubend an das wirkl.” Seyn dieser Form, an das Resultat seines Formgebens, und giebt über demselben sich selbst sein Seyn, als das wahre, u. höchste Seyn; wovon das andere nur das vermittelte, an welches er daher ohne Zweifel nicht glaubt, da er an den Grund desselben, die Form, nicht glaubt: Ferner: was ist, das dieses Formgeben unabtrennlich, als sein Neben, u. Wechselglied mitbringt, oder von ihm mitgebracht wird? Antw. Die absolute Reflektirbarkeit, das Wir, oder Ich: und so würde denn das Ich, u. zwar das absolute des Glaubens, oder der [/]” W. L. zum unmittelbaren Repräsentanten des Absoluten werden; u. die Anschauung u. das Intelligiren des Absoluten als Absoluten nur zu seinem, des Ich, Repräsentanten, freilich in Beziehung auf ihn zum absoluten Repräsentanten. Gegen diese glänzende Aussicht kann bloß folgender Umstand uns verdächtig machen. Bis jezt erscheint der Glaube noch immer als etwas, das seyn kann, oder auch nicht: mithin auch das Ich, <in> soferne: Zwischen ihm, u. dem absoluten ist selber noch eine Lüke. (….)
Es ist m. E. bemerkenswert, dass FICHTE die Geltungsform des „Ich/der Ichheit“ zuerst
a) als Wir-Reflektierbarkeit einer universellen Vernunft sieht. Die Frage der Repräsentationsmöglichkeit des Absoluten kann erst in einem Interpersonalverhältnis auftauchen!
Es kommen ihm aber gleich wieder realistische Zweifel an dieser idealistischen und vernünftigen und glaubensmäßigen Objektivation: Denn selbst bei dieser „glänzende(n) Aussicht“ bleibt eine Form des Reflektierens bestehen. Es kann nur in Begrifflichkeit, und sei es in der Begrifflichkeit des Glaubens, die bloße Möglichkeit und das conditionale Objektivationsgefüge vorkonstruiert werden, dass das Absolute sich in seiner Inhaltlichkeit zeigt.
Von anderen Passagen dieser WL oder der WL 1804/2 möchte ich hier aber ergänzen, dass die reellen Bedingungen, die einen idealistischen Selbstzweifel (von realistischer Seite) beheben könnten, klar als Anfang, Liebe, Wert eingebracht werden können.6 Der Glaubensschritt selbst von der Theorie der WL zur Praxis – das ist Thema in allen WLn – heißt Anfang, Liebe, Wert, und kann nur existentiell und praktisch gegangen werden. Es endet hier (berechtigt) die Evidenz eines bloßen vernünftigen oder wissensmäßigen oder glaubensmäßigen Begreifens.
Aber immerhin, es ist die Form des Interpersonalität durch den Glauben weitergeführt: Die mögliche Bildform der Repräsentation des Absoluten kann nur Anerkennung und Liebe in einem vollen Sinne der Interpersonalität sein – und weiter ausschematisiert ins Individuelle und Sinnliche herab .7
b) Wenn, wie aus positiven Gründen ebenfalls erweisbar wäre, eine Äußerung und Erscheinung und Inkarnation Gottes trotzdem angenommen werden muss, wenn auch nicht reduktiv und reflexiv durch Begriffe erreichbar, so kann diese universale und individuelle Repräsentation nur zu Bedingungen der Freiheit vermittelt werden. Das wäre dann die umgekehrte Bezugsrichtung des Denkens vom Absoluten. In den Objektivationen der Vernunft (des Denkens, des Reflektierens) – und nicht anders – geschehen ja alle Vermittlung von Anfang, Liebe, Wert. Repräsentation ist möglich darstellbar und sichtbar in der Geltungsform eines freien Wollens, dass sich als „Bild Gottes“ versteht, und material sich als Synthesis von vorgegebenem Anfang, Wert, Liebe und den daraus folgenden Formen des Setzens von Anfang, Liebe, Wert in der Wirklichkeit zeigt. (Das wäre die ganze Erscheinungslehre des Wahren, wie die WL immer dieser zwei Teile hat: Aufstieg zur Wahrheitslehre – und erneuter Aufstieg in der Synthesis das konkreten und faktischen Lebens.
c) Einem einzelnen, für sich stehenden Individuum, das angeblich prophetisch das Wort Gottes empfängt und dann weitergibt (z. B. wie bei Mohammed), kann für sich selbst nur die Funktion (die Tätigkeit) zukommen, ein „repräsentatives“ Wort weitergeben zu wollen. Das „repräsentative“ WORT schlechthin, es selbst – wie es das JOHANNES-Evangelium beschreibt bzw. Fichte hier in der WL bemerkenswert für den Begriff der Genesis reserviert, müsste von sich her die Erkennbarkeit (Perzeption) eines freien Vernunftsollens eröffnen, d. h. letztlich die höchste Wertsetzung zeigen (Vergebung).
d) Die Form der Öffnung auf interpersonale Liebe hin – und zu anderen Formen der Synthesis von Vernunft und Wirklichkeit – wäre dabei von einer eigenen Kreationskraft getragen und ermöglicht und fortgesetzt. Das Christentum kennt dafür die Kraft und das Wirken des HEILIGEN GEISTES in Zeit und Geschichte.
Die Perzeption eines reinen, heiligen Willens wäre als Einheit von Intuieren und Intelligieren näher hin zu beschreiben; hier in der WL 1804/4 herrlich ausgedrückt durch die Lichtform „Glauben„. Der Glauben ist als notwendige Ergänzung zum Wissen gefasst. (Sonst ja gerne als Nicht-Wissen gefasst, abschätzig behandelt oder oberflächlich wie bei Hegel.)
Aber natürlich bleibt jetzt auch der lichtvolle Glaube in der WL eine verstandliche, reflexive und relationale Bestimmung von Seiten des Denkenden – und passt insofern in das negative Verfahren der WL 1804/4. Deshalb hier die paradoxe Formulierung: Der Glaube „(…) giebt diese Form (sc. des Wissens vom Absoluten), unmittelbar durch sein faktisches seyn, durch sich selber, als Faktum; ohnerachtet er freilich an das Produkt“ dieser Form als solcher nicht glaubt, weil er sodann eben nicht Glaube wäre, (…)“.
Es bleibt bei einer, wenn ich so sagen will, Negationsdialektik des Wissens. Bleibt es dabei? Fichte strebt immer wieder zum höchsten Begriff des Wissens:
2. 4) Der 14. Vortrag steigert das Problem einer Repräsentierbarkeit des Absoluten im Ich-Begriff. Die Geltungsform „Ich“ , die als aussichtsreichster Kandidatin übrig geblieben ist, erreicht nicht die Repräsentation des Absoluten. Die Geltungsform zeigt sich aber, das ist jetzt neu und deutlicher zu sehen, als Leben, als Tätigkeit. Das Absolute IST und „es lebt in uns“ – aber es ist nicht Begriff.
Ebd. S 243:
„Unsere überhaupt höchste, u. dermalen uns auch am nächsten liegende Aufgabe ist so gefaßt: den unmittelbaren Repräsentanten des Absoluten, eben als Absolut, in seiner wahren, nie sich wieder auflösenden Absolutheit zu finden: – auch, den unmittelbaren Berührungspunkt des absolut existirenden, mit der Existenz, in der Existenz selber. Das Ich, das durch Glauben vermittelst des Nichtglaubens an seine Form, das absolute ergreift. — . Erfodert nur noch den Beweiß, daß das absolute als absolutes, schlechthin nothwendig in dem göttlichen Exisieren vorkommen müsse. (…)“
Ebd. S 244[* am Seitenende unter einem durchgehenden Strich:] NB. E«r» existiret nicht ei[nmal] alsLicht, sondern er existiret als Ich, u. erst vermittelst des Ich im Lichte. Das Ich erst, als absolut u. rein praktisches Princip projiciret alles Licht. Das Ich ist der <unmittelbare Repräsentant der Urrealität, u. selbst die absolute Realität. – . Selbst unser dermaliges Absolutes wird als ein Begriff anerkannt wer den; denn das absolute ist nicht als Begriff, sondern als unmittelbare Realität im Ich, als seiner Form: Es lebt in uns.
Ebd. S 245 -. Kommt (sc. das Wesen des Wissens, eine dem Intelligieren mögliche Intuition) als solches schlechthin in keinem anderen Wissen, Repräsentation, intelligirendem Bilde vor: = unbegreiflich, unerforschlich: real, oder praktisch. . . Sich Projektion, absolute in seinem Wesen = Ich: also, ein absolut unerforschliches, reales Ich. -. Sie sehen wohl, daß hier, wo die Sprache sehr zu Rathe gehalten werden muß, die treffenden Ausdrüke die nicht treffenden corrigiren sollen: reales, die Sich Projection, nicht «etwa> Akt, den eben die Repräsentation sezt, u. nur in ihr ist, sondern Stand, u. Seyn: projicirtseyn, u. nur in diesem Projicirtseyn seyn. – . Helfen Sie mit einem andern.: absolute Inversion, Rükkehr; auch nicht <als Akt, oder Veränderung von einem terminus a quo: Sondern seyn, nur in diesem Gekehrtseyn in sich selber, u. ausserdem gar nicht. in diesem formalen Wohnen in sich selber; nicht etwa daß es nur kein Ausserhalb seiner selbst, negative, sondern daß es durchaus u. energisch gefaßt sein> In[n]er halb seiner selbst sey – u, ausserdem ganz u. gar nichts.“ Der Begriff, u. seine nervi sind scharf ausgedrükt u. er ist zu fassen„: reales, reines Ich. (…)“
Es folgt der Begriff der Existenz, der notwendig aus dem Sein des Absoluten hervorgeht (ebd. S 246), aber sobald die Existenz in der Reflexionsform gefasst ist, ist es nicht mehr die Existenz des Absoluten, folglich kann „Existenz“ als solche nicht bloß theoretisch gefasst werden, sondern beruht auf ihrem praktischen Bezogensein zum Absoluten.
2. 5) In der 15. Stunde (ebd. S 248 – 250) wird der enge Zusammenhang zwischen Existenz und deren Abhängigkeit vom Absoluten nochmals tiefer reflektiert.
Für den Begriff der „Repräsentation“ bleibt nur die Negation einer Erkenntnis Gottes bzw. nur die differenzierte Bildform des reflektierenden Wissens (als Glauben, als Existenzialform, als Geltungsform, als Lichtform) übrig. Das Wissen selbst oder die Ich-Form kann als solches nicht das Absolute ontologisch oder gar ontisch repräsentieren. Es verweist nur kraft bejahendem Vollzug zurück auf die Voraussetzung einer ideellen Wahrheit und auf ein ideelles Soll des Absoluten.
Es sind sehr schöne Stellen, wenn FICHTE von der Existenz spricht, vom Licht – aber der Begriff des Absoluten bleibt jenseits davon.
Ebd. S 248.249
„(…) Anders: das Existiren ist nothwendig Existenz, hat seinen geschloßnen Modus; u. dies zwar ist es absolut durch sich selbst: ohne Vermittelung irgend eines andern Gliedes. – Dies ist dies an sich, selbst gebunden durch sich selbst. Existenz, nude et simpliciter ohne als. — . Jenseits tritt nun die Existenz, als solche, in der Relation ihres qualitativen Seyn, mit der Absolutheit, die dadurch selbst ein qualitatives Seyn bekommt, unter das Gesez des als überhaupt, das wir oben bewiesen haben. Diese Form ist nun die der Inversion, also des «o>ben beschrieben[en] reinen, u. realen Ich. Das göttliche Existiren, schlechthin unmittelbar, ohne als, ist zugleich Existenz; u. diese Existenz ist das absolut reale, unsichtbare, über alles Licht hinaus liegende, u. zwar in der Form des Ich: Das als ist die Exposition des innern Wesens durch das Ich, d«e>s in sich wohnen selber; hier erst beginnt das Licht, u. die Sichtbarkeit. —..
Oder fassen Sie dies von einer anderen, manchem vielleicht deutlicheren Seite, weil sie weniger unmittelbar ist, was aber hier nichts verschlägt: 1.). Durch das Existiren (welches gar kein anderes als das des absoluten seyn kann) ist das als desselben gesezt; u. dieses ist der Ursprung des Lichts; dieses als sezt voraus das sich fassen, u. da als selbst Ursprung des Lichts ist, ausserhalb allem Licht. Dies sezt nun freilich das stehende Seyn des Existirens voraus, u. damit nicht, wie vorher, nach dem Grunde dieses wieder gefragt werde, setze ich hinzu: dieses Seyn ist durch das schlechthin nothwendige als gleichfals nothwendig (Nachconstruktion, Vorconstruktion) <u zwar vor dem Lichte, u. ausserhalb alles Lichtes, nothwendig. Nun treten Sie in den Mittelpunkt dieses Processes, der von der Nothwendigkeit des als ausgeht: ich frage[:] ist das seyn durch das intelligiren, oder das intelligiren durch das Seyn? Offenbar keins von beiden, sondern das Ich ist das erste, u. dies ist selbst das erste Produkt des Als, in freier Realisation gefaßt. Die Form des unmittelbaren göttlichen Existirens ist die Existenz, u. diese ist Ich. Das reine praktische Ich. Scharf gefaßt, (ebd. S 249) wie die Worte lauten. — . Es existiret <also nur in der Existenz[.] Sein (mittel bares[)] Existiren“ wird, als Existenz zu einem Faktum.
Es ist entscheidend für das Künftige, daß dieser Satz richtig gefaßt wird‘. Ich bediene mich darum aller Mittel, ihn auseinander [zu] setzen. Gehen Sie jezt also mit mir zu Werke: Unterscheiden Sie im göttlichen Existiren die innere bloße Form das <von>, daß er existire, u. damit gut: von dem Wesen des Existirens”, daß es eben ein Existiren ist, also ein quale, welches es ist nur im Gegensatze mit dem NichtExistiren, dem innern Seyn, und drum in Relation damit. Aus dem erstern folgt nichts, u. es läßt damit sich nichts machen. Aus dem zweiten folgt das als, als die innere u. absolute Relation selbst, absolute in sich selbst, Intelligiren des absoluten Seyns, absoluten Existirens, im stehenden Verhältnisse beider. . Aus der Beziehung nun jenes Existirens, schlechthin: u. dieses seines Wesens aufeinander folgt das Ich, als rein” reales, schlechthin unerforschliches u, in keinem Lichte eintretendes; die Rükkehr in sich selber zuförderst des Existirens. – es ist ein. Ich dieses Existirens; sodann die Rükkehr des Absoluten selbst, unabhängig von seinem Existiren, in sich selber; es [/] ist ein Ich des absoluten. Dies leztere aber folgt aus dem erst«er»n dadurch, daß durch die erste Rükkehr, dem stehenden terminus a quo zur zweiten, das Existiren selbst ein stehender terminus a quo, also Existenz wird.
Was ist diesem zufolge das Ich, an u. für sich, in seinem innern Wesen? es ist die Rükkehr des göttlichen Existirens in sich selber, rein u. allein. Vermittelst dieses seines Seyns, unmittelbar, u. ohne daß noch irgend ein Mittelglied dazwischen ein treten könne, ist es das als Gottes, u. seiner Existenz, ist Intelligiren: also im eigent lichen Sinne d<a>s unmittelbare repraesentans, u. die Repräsentation Gottes. Wiederum ist es nur diese Repräsentation Gottes, keinesweges aber Gott selbst.
Es kann in ihm schlechthin weder das Existiren, noch das Existirende, sondern nur die Repräsentation vorkommen; u. was in ihm vorkommt, ist bloße Repräsentation, eben darum, weil es in ihm vorkommt. Es ist der selbstständige Grund der Repräsen tation [-] So ist es an u. für sich in seinem innern Wesen[,] seine«r> Qualität: u. es ist Qualität, denn es ist selber die Qualität des Existirens‘. Seinem eignen Seyn! nach aber ist es das göttliche Existiren selbst, als quale: u“ es ist in dieser Rüksicht nicht der selb<stständiges Grund seiner selber, sondern Gott ist sein Grund: u es läßt sich drum nun auch sagen; Gott ist in ihm, vermittelst seines Seyns, dessen absoluter Grund er ist, <mi>ttelbar Grund des Repräsentirens: nicht, wie vorher, das Ich repräsentirt ihn, sondern er selber repräsentirt sich im Ich. In Summa: Gott
3) Es ließen sich jetzt noch mehr schöne Passagen der WL 1804/4 bringen, in denen der Begriff der „Repräsentation“ vorkommt, aber nie als Begründungsform einer Begriffsfolge aus dem Absoluten in eine Verstandesform hinein. Das würde auf eine zirkelhafte Begründung und auf eine Anthropomorphisierung des Gottesbegriffes hinauslaufen.
Meine Schlussfolgerung heißt deshalb: Die einzige „Repräsentation“ Gottes ist sein Existieren selbst, sein „Leben“ aufzufinden und zu suchen im real-praktischen Leben, oder in einem unmittelbaren Offenbarungsträger, in einem durch sich selbst sich legitimierenden Guten und Wahren seiner Tätigkeit.
Der Begriff „Repräsentation“ ist so einerseits Negationsdialektik, theoretische Abweisung Gottes, andererseits aber als praktische Voraussetzung möglich, sofern an eine ausdrückliche apriorische und positive Offenbarung Gottes angeknüpft werden soll, wie im christlichen Glauben – bzw. im säkularen Sinne, sofern an einen allgemeinen Rechtswillen angeknüpft wird.
Anders gesagt: Durch den wertvollen Begriff „Repräsentation“ wird ein ausdrücklicher Verweis, eine ausdrückliche Erinnerung eingebracht, dass es eine ideelle Einheit zwischen Absolutem und universaler und individueller Vernunft geben kann, eine kirchliche Repräsentation, aber auch in einem gewissen Sinne eine säkulare „Repräsentation“ eines allgemeinen Rechtswillens.
Ein Amt in einem Staate oder in einer Kirche legitimiert sich nicht von selbst dem faktischen Sein nach, durch bloße Begrifflichkeit, legitimiert sich schon gar nicht durch machtpolitischen Spruch, auch nicht durch einen bloß administrativen Akt wie z. B. einer Wahl, der für sich noch kein erkennbares Kriterium der Wahrheit an sich trägt, (evtl. ein Losentscheid?), legitimiert sich nicht durch irgendwelche systemtheoretische oder soziologische Notwendigkeiten, ferner nicht durch biologische Abstammung und Erbschaft, sondern einzig und allein durch eine genetische Geltungsbegründung a) in und aus einer allgemeinen Rechts- und Willensordnung der Vernunft für den staatlichen Bereich bzw. b) in und aus einer apriorischen und möglichen positiven Offenbarung für den kirchlichen Bereich.
4) Meine kritische Frage jetzt: Wie könnte ein absoluter, pertinenter Bestimmungsgrund einer ideellen Heils- und Sinnordnung, die ja alle Menschen einschließt, plötzlich exklusiv nur durch das männliche Geschlecht repräsentiert und realisiert werden? Würde eine Priesterin nicht „in persona Christi“ handeln? Es wäre eine alte, emanatistische Form der Machtbegründung und würde allein auf historische und irgendwelche systemtheoretische (patriarchale) und biologische Geltungsgründe hinauslaufen, wäre „Repräsentation“ ontisch vom Geschlecht her gesehen.
Dem Hl. Ignatius oder dem anonymen Autor/der damaligen christlichen Gemeinde – ihnen ist wegen der männerspezifischen Intallation und Hierarchie (nicht Hierokratie) kein Vorwurf zu machen. Er und die kirchliche Gemeinschaft überlegten wohl sehr gut, wie eine überirdische Sinnidee mit der damaligen Gegenwart und Situation zu vereinbaren wäre. Sie entschieden sich für diese männliche Erscheinungsform in Anbetracht der Sinnidee und der geforderten Aufgabe, nicht in Anbetracht des Geschlechtes. Der Bischof, die Priester, die Diakone, sie sollten bildhaft, existentiell, symbolisch, nicht emanatistisch, nicht maskulin, eine sakramentale Heils- und Sinnordnung widerspiegeln – und wohl zusätzlich noch durch ein authentisches Leben. Überzeugend war der dahinterliegende Geltungsgrund, der in ihrem ganzen Dasein zum Ausdruck kommen sollte, nicht das Äußere.
5) Die Intention der zu realisierenden Sinnidee von Erlösung (Vergebung) bietet im religiösen Bereich zugleich die Leistung, weil Intention und Leistung von Gott kommen und in Gott garantiert sind. Das unterscheidet eine kirchliche Repräsentation wohltuend von der säkularen, staatlichen Repräsentation in einer Demokratie – wiewohl natürlich die Vermittlung der göttlichen Botschaft im kirchlichen Bereich genauso an schwache, sündige Menschen gebunden ist und defizitär sein kann.
Anders gesagt: der Geltungsgrund der intendierten Hoffnung und die Erfüllung dieser Geltung sind in Gott eins. Es kann von einer Rückbezüglichkeit des intentionalen Zweckbegriffes auf die Leistung ausgegangen werden, sprich, von der Erfüllung der Erlösung in Glaube, Hoffnung und Liebe – wenn auch die eschatologische Vollendung und Vollkommenheit noch ausstehen.
Gerade diese geschenkte, genetisch abgeschlossene Sinn-Idee einer Erlösung muss dem Heiligen/dem anonymen Autor/der christlichen Gemeinde besonders vorgeschwebt sein, weil er/sie immer wieder von geschenkter, vergangener wie gegenwärtiger Rettung und Erlösung, von Einheit und Eintracht, spricht – und vor der Gefahr abstrakter Heilslehren z. B. der elitären Gnostiker warnt.
Anders gesagt: Die Vernunft vergleicht im notwendigen Bezug auf die transzendentale Sinnidee jede Gefühls- und Werterfahrung in concreto nach einem sinnkritischen Maßstab, vergleicht jede Hemmung und Aufforderung auf ihre Qualität und Gewissheit und auf ihre bestimmte Wahrheit hin. Nur theoretisch eine Sinnidee zu entwerfen ist zwar unabsehbar möglich, aber damit ist noch keine praktische Bewährung geliefert. Es wüchse die Einseitigkeit einer bloß theoretischen Behauptung und Ideologisierung von Meinung. (Das wäre eine Art existentialistische Theorie.) Der Autor der IGNATIANEN hat aber nicht bloß theoretisch-ideologisch gedacht, sondern sinn-praktisch und in concreto. Durch das Werkzeug einer kirchlichen Hierarchie meinte er (und inklusiv seine ganze christliche Umgebung) einem religiösen Machtmissbrauch und einer Ideologisierung einer Weltanschauung jeder Art entgegensteuern zu können. Er lobte die Ämter „Bischof“, „Priester“, „Diakon“ überschwenglich, weil sie gerade nicht irdische Legitimation widerspiegelten, sondern eine repräsentative Funktion darstellten. Sie schienen ihm das beste Mittel, die neue Heils- und Sinnordnung universal für alle von allen zu jeder Zeit, „katholisch“, zu etablieren, nicht nur für einen elitären Kreis und nicht anfällig für gnostische Einflüsse. Die Genese und notwendige Einführung von kirchlichen Ämter – aus der apriorischen und positiven Offenbarung heraus – stand für ihn fest, d. h. die Begründung in und aus Vernunft und aus einer lebendigen Erinnerung an Jesus Christus, gebunden an die Schrift und an die Inspiration durch den Heiligen Geist.
Der Begriff der „Repräsentation“ (im bildlichen Sinne) war sehr brauchbar (in platonischer Tradition) und hilfreich – und die hohen Metaphern vom Bischof als Repräsentant des Vaters im Himmel, von den Priestern als Repräsentanten der Aposteln, von den Diakonen als Repräsentanten Jesu Christi, wurden als das verstanden, was sie sind, als Metaphern, nicht in einem hierokratischen Sinne.
6) Noch eine Bemerkung: Es besteht auch in einer „repräsentative Demokratie“ ein verborgener Transzendenzbezug und eine genetische Erkenntnis, andernfalls wäre sie unbegründet. Die juridisch angestrebte Idee eines Freiheitsrechtes jedes Bürgers („Urrecht“), weiters eines Eigentumsrechts, eines Schutzrechtes, eines Vereinigungsrechtes, kann vertraglich nur insoweit gesichert werden, als zugleich auch ein transzendenter, beständiger Wille vorausgesetzt wird, der das alles garantiert, welche Garantie aber die säkulare Rechtsordnung selber nicht bieten kann. Die „Repräsentanten“ in der Demokratie stehen nicht direkt für eine positive Gottesoffenbarung, stehen aber für ein Freiheitsgesetz, das letztlich transzendent geschützt und garantiert ist – vorausgesetzt, die weltliche Gesetzgebung stimmt mit dem unwandelbaren göttlichen Freiheitsgesetz zusammen. Ein Diktator ist nicht Repräsentant eines allgemeinen Rechtswillen, oder ein abhängiger Abgeordneter des Despoten oder ein religiöser Ayatollah, sie sind keine Repräsentanten eines allgemeinen Rechtswillens. Sie sind ein lebendiger Widerspruch.
Ein säkulares Amt kann eine allgemeine Willens- und Rechtsordnung – mit dahinterliegendem transzendenten Willen Gottes – „repräsentieren“. Ein kirchliches Amt repräsentiert darüber hinaus eine personale, göttliche Sinn- und Heilsordnung, sofern der Bezug zu einer allgemeinen und positiven Offenbarung evident aufleuchtet und in concreto gelebt wird.
Nur vom reflexiven Wissen her gesehen, oder durch einen administrativen Wahlakt (und den dazugehörigen medialen Vermittlungen), ist eine „Repräsentation“ nicht zu erreichen. Das wäre eine vorschnelle ideelle Übertragung auf eine reelle Gestalt oder überhaupt eine Vereinnahmung Gottes.
Das kirchliche Amt vom Geschlecht her zu legitimieren, mit historischen Argumenten, rein theoretisch, und deshalb schon als repräsentativ anzusehen, das widerspricht m. E. nochmals dem reinen Gottesbegriff und der Heils- und Sinnordnung, die Jesus Christus gebracht hat. JESUS CHRISTUS ist konkret als Mann erschienen, wie ich irgendwo las, um in Demut die alte patriarchale Ordnung aufzuheben.
© Franz Strasser 28. 1. 2022
1In: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Nachgelassene Schriften 1805-1807, Band 9. (abk.=GA II, 9)
Hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Josef Beeler, Erich Fuchs, Ives Radrizzani und Peter K. Schneider. Stuttgart-Bad Cannstatt 1993.
2Ich las bei Johannes Ludwig, System Kirche, Basel 2022, S 147 – dort als Zitat aus einer Presseerklärung zum synodalen Weg: „Macht wird missbraucht, wenn sie zwar zum Dienst (ministerium) erklärt wird, den Dienst aber in einer Form geistlicher Herrschaft (sacra potestas) ausübt, die sich verabsolutiert. Sie scheint dann zwar spirituell entmachtet, hat sich aber in Wahrheit selbst ermächtigt, um sich gegen Kritik und Kontrolle zu immunisieren. Sie beansprucht eine göttlich verliehene Vollmacht, übergeht aber, dass zwischen der Macht Gottes und ihrer menschlichen Bezeugung deutlich zu unterscheiden ist. Wenn die sakralisierte Macht aus dem Kontext der ganzen Kirche gelöst wird, tritt sie mit dem Anspruch einer reinen Macht auf. Auf diese Weise wird die Macht der Kirche idealisiert, aber auch ideologisierbar. Sie droht sich zu verselbständigen, wenn sich in der Repräsentation Christi als Haupt der Kirche (repraesentatio Christi capitis) Funktion und Person wechselseitig sakralisieren.“ Dies trifft natürlich auf die kurz-geschlossene Begründung zu, die gerne vom „dogmatischen Weg“ vorgebracht wird: Der Priester repräsentiere in der Eucharistie die Person Jesu Christi, handle „in persona Christi“ – und da Christus ein Mann war, könne nur ein Mann Christus repräsentieren. Es wäre die Debatte der Bischöfe in LG 10 um die differenzierte Unterscheidung zwischen „gemeinsame Priestertum“ und hierarchisches Priestertum sehr lohnenswert zu verfolgen, warum es überhaupt zu dieser platonisch angehauchten Terminologie der „repräsentatio“ und zum Begriff „in persona Christi“ gekommen ist. Die Gefahren eines Machtmissbrauchs sind aber ipso facto in dieser Folgerung „in persona Christi“ vorprogrammiert. Siehe z. B. die Diskussion bei J. Ludwig, System Kirche, Basel 2022, S 98ff.
3Eine Theorie des Absoluten finden sich in späteren WLn Fichtes häufig, siehe z. B. WL-1812. Dort wird differenziert zwischen der Erscheinung des Absoluten als Urbild und Urerscheinung, weiters wird reflexiv abgeleitet die Erscheinung in Schema 2 und Schema 3 bis Schema 5. Da die transzendentalphilosophische Begründungsform eine ausdrückliche Bildtheorie ist, muss prinzipientheoretisch das Verhältnis des Ich-Begriffes zum Absoluten mitlaufend stets gesetzt sein. Siehe dazu z. B. zwei neuere Bände der Fichte-Studien Bd. 47 und Bd. 48: Fichtes Bildtheorie im Kontext. Systematische Funktionen des Bildbegriffes. Hg. v. Christian Klotz und Matteo Vincenzo d’Alfonso. (Fichte-Tagung 2015 in Madrid), Amsterdam-New York, Bd. 47 2019, Bd. 48 2020.
4Fichte spricht z. B. in der WL 1804/2 vom einmal so: „(…) Daß das Absolute nicht außer dem Absoluten gesucht werden müsse, und insbesondere, daß wir das Absolute wohl nie erfassen werden, wenn wir es nicht einmal leben und treiben, ist von Zeit zu Zeit zur Genüge erinnert und deutlich gemacht worden“ (27. Vortrag, ebd. S 404, Z 11f)
5In der WL 1804/2, noch nicht 1804/4 oder AzsL 1806, wird die wahrhafte Stellvertretung im Begriff des „Lichtes“ vielleicht schon vorweggenommen, die Perzeption des reinen, heiligen Willens: „[als Licht, das] nur mittelbar in seinem Stellvertreter oder Abbilde seiner selber [konkretisiert da ist].“ (4. Vortrag, ebd. S. 63, Z 35)
6Siehe dazu die sehr prägnanten Schilderungen zum ganzen Status einer WL bei J. Widmann, Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens, Hamburg 1977, Abschnitt „Die Wahrheit der Vernunft“, S. 292- 298.
7 Wiederum in der Begrifflichkeit der Trinitätslehre: Wir beschreiben die Beziehung VATER-SOHN bildlich als Liebe des HEILIGEN GEISTES, und so wird es oft in den neutestamentlichen Schriften entfaltet – siehe z. B. Aussagen wie in 1 Joh 4 u. a.