Es sei hier schon entschieden einer Meinung vorgebeugt, dass transzendentales Wissen nichts mit der sinnlichen Materie und den Empfindungen und den anderen Momenten auf der Erscheinungsebene der Dinge zu tun hätte. Im Gegenteil weist gerade FICHTE nach, dass die Intentionalität und intelligible Seite des Wissens schon im sinnlichen Gefühl beginnt und dort als intelligible Wertmaterie erkannt werden kann. Die Erkenntnis ist auf der eine Seite Gefühl/Empfindung, weil das Gefühl/die Empfindung auf der anderen Seite gerade in und aus der Geschlossenheit der universellen Vernunft als Vorstufe einer intelligiblen Wertmaterie wahrgenommen wird. Das basalste Gefühl wäre ohne Geschlossenheit eines transzendentalen Wissens und eines wertsetzenden Erkenntnisaktes als solches nicht zu verstehen und zu wissen. 1
Gehen wir vorerst davon aus, was aber noch zu rechtfertigen wäre, dass es in der Philosophie in erster Linie um Erkenntnis gehen soll, Erkenntnis der Wirklichkeit im Ganzen in und aus Prinzipien und deren Darstellung (Vollziehung), ferner um vollkommene Erkenntnis, weil Erkenntnis ja wesentlich eine werthafte Erkenntnis einschließt (R. LAUTH).2
Die Erkenntnis muss aus einer unmittelbaren Evidenz hervorgehen, wobei allerdings nicht bei einer bloßen Intuition stehen geblieben werden darf, sondern die Intuition selber im Denken intelligiert und gerechtfertigt sein muss! Es ist die Evidenz einer zeitlosen, unwandelbaren, materialen Wertfülle, deren Realisierung aber durch die Wahrnehmung und Reproduktionsanschauung in die Zweiheit einer reflexiven Subjekt-Objekt-Einheit (Bewusst-Sein) zerfällt – und so in einer zeitlich-geschichtlichen Realisierung im Bildsein sich bewähren muss können.
Eine Definition der Erkenntnis, wo wir nichts haben und nichts voraussetzen dürfen – auch nicht den Begriff Gottes oder des Menschen – ist am Anfang der philosophischen Reduktion nicht möglich, ist aber auch nicht das Problem. Denn gemäß der Voraussetzung des transzendentalen Wissens ist das im Wissensbild vorausgesetzte Sein erkennbares Sein, d. h. in Differenz und Nichtdifferenz zwischen Seinsbild und Wissensbild (Erkenntnisbild) erkennbares Sein, sofern in und aus dem Grund der Einheit (dem Geltungsgrund) das faktische Sein genetisiert ist. Die philosophische Aufgabe ist, die Differenz wie Nichtdifferenz der Erkennbarkeit ohne sekundärreflexive Verfälschung im Rahmen des philosophischen Vollzugs in ihrer Gültigkeit herauszustellen und zu bewähren.
FICHTE ging aus logisch-synthetischen und didaktischen Gründen zumeist den reduktiven Weg der Analyse, ähnlich wie PLATON, um aber letztlich die Selbst-Bewährung des Wissens genetisch und deduktiv einsichtig zu machen, d. h. in Synthesen zu bewähren.
Anders gesagt: Das reduktive Vorgehen und die begriffliche Analyse der Faktizität kann bestenfalls die Bedingungen für das Sich-Erzeugen der genetischen Einsicht vorbereiten. Die genetische Einsicht selbst muss theoretisch und praktisch vollzogen werden.
(c) Franz Strasser, 29. 10. 2015
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1Hier finde ich im Buch von S. RÖDL, Selbstbewusstsein, 2011, das rätselhaft, wenn er plötzlich von einem „wahren Materialismus“ (ebd., S 30) oder von einem „materiellen Substanzbegriff“ für das Subjekt ausgeht (ebd. S 169 – 177), sich berufend auf die Kategorien des Zeitlichen bei ARISTOTELES oder KANT. So klar und verständlich RÖDL in seinen Definitionen und Beschreibungen ist, so wunderbar das Buch „Kategorien des Zeitlichen“ zu lesen, so absolut unverständlich sind mir solche Aussagen und Folgerungen „vom wahren Materialismus“. DIe Bezugsart auf den Gegenstand, reflexiv oder rezeptiv genannt, ist doch nicht selbsterklärend ein „Materialismus“?
2Ich verweise hier auf R. LAUTH, Begriff, Begründung und Rechtfertigung der Philosophie, München 1967, S 37ff.