Was heißt Denken?

Die WL 1804/2 ist ein dialektischer Aufstieg zu einer absoluten Einheit und Wahrheit, die aber kaum beschrieben werden kann. Sie wird „esse in mero actu“ genannt (15. Vorlesung).

Realistische Positionen des Denkens vom Sein wechseln in diesem Aufstieg mit idealistischen ab, und auf verschiedenen Stufen  werden synthetische Begriffe einer vorläufigen Einheit von Denken und Sein erreicht, bis die höchste Einheit erreicht ist, das „esse in mero actu“ – und von dort aus wird wieder herabgestiegen und die notwendige Applikation und Konkretion der Erkenntnis der Erkenntnis (Erscheinungslehre) geleistet.   

J. Widmann hat diese transzendentale Grundstruktur, die im Wissen und bei jedem Denkakt vor sich geht, wunderbar analysiert und in Stufen der Phänomenologie herausgestellt.  1

Was ist der  Bedingung der Wissbarkeit nach vorausgesetzt, damit Denken und Sein in genetischer Einheit  gefasst werden können, oder was das Gleiche besagt, damit ein Selbstbewusstsein überhaupt möglich ist, d. h. Erkenntnis der Wahrheit in einem wahren Erkennen.

Das Tun und die Praxis zu dieser Theorie des Wissens – das kann natürlich die Philosophie nicht mehr leisten, sie spendet aber das Licht und die Freiheit, den Weg zu finden.

Ich möchte diese Wegweisung der Philosophie der Theorie nach auch so benennen: Die WL hilft mir, richtig zu denken und ein Erkanntes richtig einzuordnen. Das ist ja ein Hauptproblem bis heute, dass uns zwar von allen möglichen Kognitionswissenschaften und sonstigen Stimmen mit höchstem Rationalitätsanspruch etwas eingeredet wird, was heißt z. B. „Hören“, „Sehen“, „Fühlen“ etc….. und das Vernunftwesen Mensch wird zerlegt in naturalistische Funktionen, aber sind diese Messungen und angeblichen Ergebnisse erkenntniskritisch ausgewiesen?   

Die WL Fichtes ist von Anfang an angetreten, die Denk- und Handlungsweisen unseres Bewusst-Seins zu analysieren und zu durchschauen.

Zufällig las ich in „Einleitung zur Wissenschaftslehre“ des Jahres 1813 sehr prägnante und explizite Darlegungen Fichtes zum Begriff „Denken“. Was ist Denken, was heißt Denken?

Ich vermag diesen starken Sätze der WL 1813 nur zu paraphrasieren, weil sie immer wieder das ganze System der WL und den ganzen Standpunkt des transzendentalen Denkens voraussetzen – und ich immer wieder in realistische oder idealistische Einseitigkeiten  verfalle und das ganze System nicht habe. 

Die Ausführungen Fichtes können auf die diversen Wissenschaften und deren oft unausgewiesenen  Begriffe kritisch angewandt werden. Was heißt z. B. „Rezeptivität“ in den Kognitionswissenschaften? Oder was heißt „Werden“ in der sogenannten Evolutionstheorie? Was heißt „Repräsentation“ in den Bewusstseins-Philosophien? 

Mir scheint: Etwas wird in den empirischen Wissenschaften bis zu einer gewissen gedachten Form und Gestalt getrieben – und dann objektivistisch  vom eigentlichen lebendigen Strom des Denkens und der Evidenz abgeschnitten. und abgetrennt.  Das ist m. E. ein Abbruch des Denkens oder gewaltsamer Machtentscheid oder irgendeine Ideologie. Jeder Begriff ist erkenntniskritisch gesehen ein genetisch gewordener und entworfener Begriff, die Frage ist nur, ob er realen inneren Gesetzen des Denkens und des inneren Sinnes folgt, oder bloß Anschauung, Welt-Anschauung ist, Dichtung und Lückenbüßer?! 

Was heißt Denken in der Sinneserfahrung, in den logischen Wissenschaften, in den gesellschaftlichen Wissenschaften des Zusammenlebens, im Rechtsdenken, moralischen Denken, in der Religion?

Vieles wird von Fichte berührt, aber meistens nur kurz angeschnitten. Da und dort müsste jetzt weitergefragt und weitergedacht werden.

Das Wesen des Denkens, kann das gefasst werden?

Ich fand, wie gesagt,  eher zufällig in der „Einleitung zur WL 1813“ (abk. WL 1813; GA II, 17) einige explizite Bemerkungen, wie Fichte das „Denken“ gesehen hat: (Ich kommentiere aus einigen  Vorlesungen  bis zur 18. Vorlesung – siehe ebd. S.  253 – 293.)

1) Gleich zu Beginn dieser „Einleitung“ in die WL 1813 (GA II, 17)2 gibt der Herausgeber der späteren Werke Fichtes, sein Sohn Immanuel Hermann eine freie Interpretation des Begriffes „Denken“ wider, weil anscheinend – die GA ist hier anderer Meinung – eine Manuskriptseite für ihn fehlte, die m. E. aber die Grundanschauung, was Fichte unter „Denken“ später ausführt, gut trifft: Denken ist ein schöpferischer Prozess, ein freies Konstruieren. (Hervorhebungen im Fichtetext nur von mir, im Hinblick auf den Begriff „Denken“ hervorgehoben; genaue Orthographie siehe GA):

„Daß dieser neue Sinn auf dem Standpunkte der Wissenschaftslehre zugleich der transscendentale sei, indem er insbesondere das Wissen oder Denken selbst zum Objekt seines Denkens und Construirens macht, wird nachher näher ausgeführt. Hier wird zunächst nur das Wesen dieses freien Denkens selbst dargestellt: wie es sei ein schöpferisches Bilden und Vorstellen des zu Construirenden in der Einbildungskraft, worin uns plötzlich die Evidenz ergreift und alle fernere Freiheit und Willkühr des Denkens absolut beschränkt: daß allein so der construirte Gegenstand zu denken, daß dies sein Gesetz, sein allgemeingültiger Begriff sei. Hierin sei zugleich die berühmte Kantische Frage gelöst: wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?“ (1. Vorlesung, Anmerkung GA II, 17, S. 252)

Denken als schöpferischer Prozess kann aber nicht durch ein Nichts hervorgerufen oder ermöglicht sein, sondern verläuft nach einem realen Gesetz des inneren Sinns, das sich als Evidenz zeigt. Das im Denken präsente reale Gesetz lenkt, bei entsprechender Aufmerksamkeit und Scharfsinnigkeit, die Abstraktion und erfüllt den Allgemeinbegriff des Seins und in weiterer Folge der Seinsbestimmung und Gegenstandsbestimmung in der Faktizität und in ihrer Konkretheit mit einer qualitativen Fülle.

Anders gesagt: Die Evidenz, die letztlich von der Genesis eines Geltungsgrundes in der Geltungsform eines „Ich“/einer Ichheit“ herkommt, deshalb präzise „genetische Evidenz“ benennbar, gründet in einer selbst unerklärlichen Positivität von Wahrheit und Sinn – und liegt nicht im Denken selbst. Das Denken spielt aber insofern eine große Rolle, als sie Verstand und Vernunft leitet, die genetische Evidenz in ihren verschiedenen Stufen von Natur, Logos, Geschichte, Sinn mit ihren je vollgültigen Evidenz-Qualitäten zu erreichen.

J. Widmann spricht von einer „Evidenzgliederung“ des Sinns als  „Ich“, „Wesen“, „Liebe“, „Du“3.

Die Evidenz selbst legt die Grenze der Allgemein-Begriffe des Seins in ihrer je faktischen und konkreten Erscheinung fest – und daraus werden dann die Synthesen von Denken und Anschauung geschaffen, immer gleichzeitig, in synthetischer Einheit und Produktion (von Denken und Sein).

Das Begreifen oder der Begriff kann sich da und dort versuchen und muss trotzdem am höchsten, qualitativen Wissen, dem Wissen des Absoluten scheitern, weil nur in der Faktizität und Konkretheit die Sich-Erscheinung des Absoluten das Denkbild einer qualitativen Selbst-Erfahrung und Existenz-Erfahrung möglich ist. Zum Begriff der Existenz – siehe dann unten nach J. Widmann.

Anders gesagt: Ein Begriff oder Denken ist für sich alleine noch nicht die Evidenz aber sie kann im Denk-Bild und der dazugehörigen Anschauung und den weiteren Folgebestimmungen dieser synthetischen Einheit zur Klarheit und qualitativen Fülle sichtbar werden. Sie kann sichtbar werden, muss nicht, vor allem dann nicht, wenn das Denken gerade nicht nach dem inneren Sinn und seinen Gesetzen handeln und einen Schein-Begriff oder eine Lüge generiert.

Evidenz dem Begriffe nach, das ist das Denken eines wahren  Bildes dem Ideale nach und zugleich ein Anschauen dem Realen nach. Das Bilden ist ein vermittelter Setzungsakt der Abstraktion, der der Faktizität und Konkretheit eines Du oder einer Hemmung bedarf, auf der Grundlage einer unmittelbaren Positivität der Erscheinung des Absoluten.

Anders gesagt: In der Faktizität und Konkretheit wird der vermittelte Setzungsakt des Sehens zu einer durchsichtigen Objektivationsform, d. h. Im Denken wird eine Objektivitätsform in der Abstraktion der Natur oder des Logos oder der Geschichte oder des Sinns gebildet – und natürlich indirekt, d. h. oft nicht bewusst, gesteuert durch die Praxis – zum Wahren oder zum Falschen hin. 4

2) Jetzt Fichte im Text, der sich inhaltlich aber anschließt an die vermeintlich notwendigen Ergänzungen seines Sohnes Immanuel Hermann – Denken heißt ein freies Konstruieren, aber nach einem realen, inneren Gesetz:

Denken, construiren. Gestalt: was uns die Einsicht [gibt]: so: in ihr [wird] das erst unbestimmte beschränkt. erfaßt uns: wir [sind] zwar das erste, aber [machen] nicht diese pp[,] sondern sie uns.“ (7. Vorlesung, GA II, 17, S. 257)

Philosophiegeschichtlich entgeht hier wohl nicht: Es ist das platonische Vor-Wissen (pro-eidenai), das im Denken und im Begreifen aufgerufen und wachgerufen und erinnert wird. Wir erzeugen das Wissen nicht, es macht uns.

Fichte bringt ein Stück weiter das Beispiel eines Triangels: Die Konstruktion desselben ist mit dem Begriff und Wesen desselben vollkommen mitgegeben und vorbestimmt. Das Konstruieren desselben nach dem wahren Begriff ist ein genetisches Werden. Nur achtet man beim Konstruieren nicht auf das Verfahren. In der Philosophie soll aber das Verfahren des Denkens selbst Gegenstand sein – deshalb ist ein genetisches Erkennen gefragt.

Wir aber, darüber schwebend, bilden es selbst, d.i. das Verfahren darin ab, wie jener nicht den ▲, sondern dessen mögliches Werden / das Verfahren, sage ich, [/] nicht denken, sondern das Denken selbst denken, nicht begreifen irgend etwas, sondern das Begreifen selbst, das unendliche, ewige, in allen unendlichen Abstufungen sich gleich bleibende, so wie wie eben den einen gesetzmäßigen, in aller Unendlichkeit sich gleichbleibenden Triangel. (7. Vorlesung, GA II, 17, 257.258)

Sc: eine Triangel vom Begriff her ganz bewusst denken, dass zwei Winkel kleiner sein müssen und nicht zwei rechte ausmachen können usw…, das konstruiert die Triangel; ihr Werden kann dann beim Zeichnen beobachtet werden, aber im Grunde ist es ein gesetzmäßiges Denken, wonach konstruiert werden muss, was der Begriff sagt und die Triangel im Geist vorzeichnet. Was später noch besser begründet wird, ist hier schon vorweggenommen: Denken ist ein synthetischer Vorgang des Bildens von Denken und Anschauung gleichzeitig, gemäß genetischen Bildungs-Gesetzen der Evidenz.

Es sind starke Sätze, dem Naturalismus der äußeren Sinne und der heutige Zeit total widersprechend:

Dies[,] die freie Konstruktion: das denken, begreifen, wissen überhaupt, objektiv darüber schwebend in seiner Möglichkeit, sich bilden. – Mehr nicht. Gebend das ein- zige Element für unsere Anschauung, wer dies nicht pp[,] hat dieses Element nicht: Aus nichts aber wird nichts. – . In diesem Construiren, nach einer Regel angestellt, wie oben, werde Sie die Einsicht ergreifen<> nur so ists. Also durch die hinzukommende Einsicht werde der erst unbestimmt vorgelegene Konstruktionsstoff sich beschränken, bestimmen, und dadurch gestalten, zum so und durchaus nicht anders seyn. / können, falls es denken seyn solle. Gestalt, Form, nur nicht aus dem materiellen Stoffe des äußern Sinnes, sondern dem innern der freien Konstruktion. Eben den Geist darstellen in bestimmter Form, und Gestalt: dem Gesichte. Allerdings nur nicht aus dem [/] Stoffe des äußern, sondern dem des innern Sinnes, der da ist nur durch freie Konstruktion, indem dieser Sinn überhaupt nur Sinn der Freiheit ist. (Wie wäre es Geist, wenn es materiell wäre. [Jene sind] Geisterseher die den Sitz der Seele suchen.) Du bist selbst Geist; Rege dich und bewege dich, so regt sich Geist, und da du siehst, was du thust, wirst du sein Regen sehen. Dieses anfangs formlos[,] wird sich dir auch bei fortgesetztem Anblick ganz von selbst formen. (7. Vorlesung, GA II, 17, S. 258)

3) Scheint es, als ob Denken – sicherlich gebunden an Regeln eines Gesetzes – doch von der Evidenz abweichen könnte?

Ich überspringe jetzt einige Seiten und komme auf die Fragen: In welcher Richtung der Evidenz kann das Denken führen? Entweder in Richtung eines wirklichen erkannten Seins mit jeweils qualitativem Inhalt, gegliedert nach Natur, Logos, Geschichte, Sinn – oder doch in Richtung einer toten Objektivation, in Richtung eines Nichtseins? 5

Selbst das unbegreifliche Absolute kann in Richtung einer toten Objektivation gedrängt werden. Der Grundfehler ist, dass das eigene Tun im Reflektieren und Bilden nicht in einer genetischen Erkenntnis einer selbst unwandelbaren Einheit gefasst und begriffen wird  – und von dort aus  die sich wandelnden und werdenden Vorstellungen gebildet werden. Das wäre aber das richtige Denken! Warum dieser Hang dazu?

Fichte thematisiert das öfter anhand des Widerspruchs von Sagen und Tun; indem etwas gesagt wird, wird es objektiviert und man vergisst das Tun.6

Zur Hinleitung. Gott ein durch sich von sich aus sich. – . Doppelt zu denken [möglich]: 1. gewöhnlich wohl so. er ist.. Nun frage man nach dem Grunde. – Er ist durch keinen andern, sondern durch sich. Also [er wird] hier erst durch die Frage nach dem Grunde zum Leben erwekt; aus dem Tode. Hier erst zu einer Thätigkeit die da erschlossen ist. 2). innerlich: ein durch sich aus sich von sich. ein ewig reges, nie still- stehendes Leben / wie in der Linie kein Stük ist, das nicht Linie wäre, ein Anhalten gar nicht statt findet. Hier keine Ruhe, Anhalten, Todtseyn.

Das leztere [ist] ohne Zweifel richtiger. Ich habe den Inhalt der Vorschrift gleich in meine Konstruktion aufgenommen; dagegen ich dort in der That ganz etwas anderes thue, u. das Gegentheil, ein nicht durch sich, Nichtleben [ansetze]: u. die Vorschrift nur nachhole. Woher nun dieses, mich eben ohne Vorschrift, u. gegen die Vorschrift beschleichende Versehen überhaupt; – u. dieser Tod, dieser Punkt überhaupt? Woher, daß es natürlich ist, u. den eben nicht auf sich Acht habenden, und den Gegensatz nicht kennenden, überschleicht, k‹ö›nnte man fragen? oder – wie und wodurch wird denn das absolute Leben, Gottes, zu einem Seyn, Ruhe, Erstorbenheit gebracht? Wenn wir so fragten, hätten wir schon entdekt, (….) (11. Vorlesung, GL II, 17, S. 269)

4) Fichte kommt wieder auf den Grund der Epistemologie der Bildung des Begriffes, d. h. der Bildung eines Bildes vom Sein, oder Denken benennbar, zurück. Denken bildet zwar eine Einheit nach inneren Regeln, ist aber ebenso mit  Freiheit, Scharfsinnigkeit, Kreativität verbunden. Eine Anschauung muss nämlich gedacht und im inneren Sinn erzeugt werden, nicht einfach erschlossen.

Fichte wird in der Möglichkeit der Erklärung des Denkens immer tiefer vordringen:

Offensichtlich geschieht das freie Denken im Befolgen eines inneren Gesetzes, das als „absolute Form“  dem Denken und Sein vorausgeht und beides  in Evidenz verknüpft.

„Nun haben wir schon oben erklärt, daß diese Behauptung: das Seyn überhaupt in seiner Form sey nicht absolut, sondern Produkt, u. abgestammtes, die der W. L. ist. Wie nachzuweisen? Nicht durch Schlüsse, sondern unmittelbar für den innern Sinn. Wir müssen es werden sehen. Sehen wirs werden; [/] ‹nur› so ist sicher, daß es wird, sinnlich sicher; wir haben ja zugesehen. Ferner; wie u. auf welche Weise es wird, die Gesetze seines Werdens.

Wie zu diesem Sehen kommen? Frei construiren, in der Einbildungskraft erzeugen wie den A. In diesem [wird] uns ja eine Evidenz ergreifen, daß es nur so möglich ist: wie beim A.[,] ein Gesez drum u. Kraft [wird] unser freies Konstruiren gestalten.

– Dabei nun anheben: Genesis des Seyns selbst, oder was ist an sich, schlechtweg – das Seyn? [-] wie der Triangel. So für ein höheres in ihm verkleidetes genommen? – Dabei; ist sicher: gelingt dies, so vergeht die Welt des alten Sinnes in seiner Grundform: u. geht über in eine neue. Gelingt es nicht, so <weiß er dann woran er ist› Ob es nun gelinge oder nicht[,] ist leicht zu entscheiden, u. dabei ein Misverständniß nicht wohl möglich. [Nötig ist] volle Gegenwart des Geistes, Aufmerksamkeit, u. Lebhaftigkeit der Einbildungskraft. – Das beste, die eigene Konstruktion.

1.) Erklärung des vorgelegten. Seyn in seiner absoluten Form, wie Sie es durch dies ganze Verfahren Ihres Lebens kennen, mit völliger Abstraktion vom Gehalte.-“ (11. Vorlesung; GA II, 17, S. 269)

Ich umschreibe das hier nur: Fichte kommt also zu einer letzten Einheit, zu einem gemeinsamen Disjunktionsgrund von Denken und Sein durch ein absolutes Durch (des Begriffes) in Verknüpfung mit der Evidenz im Schweben der ursprünglich produzierenden Einbildungskraft.

Anders gesagt: Es geht um die Frage einer Möglichkeit des Denkens von Genesis, d. h. ein Werden zu denken, wie Denken und Sein verbunden und  gebildet werden.

5) Es werden einige Vorarbeiten zu einem immer besseren Begreifen, was Denken heißen kann, geleistet, die ich hier wieder überspringe, um dann in der 14. Vorlesung, sozusagen als Zusammenfassung der vorherigen Fragen, zu lesen, das Sein ist ein „Durch“, ist eine Genesis je nach Betrachtungsart und Gebilde.  

„Aufgabe: ein Seyn, das schlechthin als solches ein Durch ist, u. nicht mehr.[„] Seyn eines absoluten Durch. – . Etwa, ein solches, das gelegentlich ein Durch werden könnte, in sich ein Vermögen hätte? – Dies ist das ertödtende denken, nicht das frei construiren. Nein, es ist gar nichts andres, denn Durch, Leben. / W. D. E. Soll [s]ich nun dies ins unendliche fortziehen; Leben eben? Nein, ein Durch irgend eines etwas, eines festen Produkts, ein Resultat, also in sich nothwendig ein Ende, u. eine Ruhe [habend]. W. D. Z. W.P (14. Vorlesung, GA II, 17, S. 278)

Die Einheit von Sehen und Gesehenes wird zwar gemeinhin gern zugestanden (ebd. S 278), aber begründet als genetisches Werden von Anschauung und Denken wird es nicht. 

(….) Damit verhält es sich so: das reine Sehen, das Sehen in seiner absol. Form: ohne alle Fortbestimmung durch irgend ein Ges. So kommt es nun nie vor, drum [ist es] nicht das wirkl* Sehen. Dies nicht wieder erkannt[,] sondern nur seine Grundform. Wenn wir das Ges. welches das allergemeinste und gewöhnlichste Sehen allemal bestimmt, aufweisen werden; dann dieß Ingrediens(sc. des wirklichen Sehens). (Wer schon [damit] bekannt ist; ist es Anschauung oder Denken? Keines von beiden, außerdem wäre es nicht Grundform, – sondern es ist das[,] aus welchem durch Fortbestimmung durch das Gesetz beides wird.(14. Vorlesung, GA II, 17, S. 279)

Anschauung und Denken sind von einem genus. 

In der Transzendentalphilosophie wird dieser eine genus des transzendentalen Voraussetzens herausgearbeitet (der transzendentalen Erkenntnisart), das nochmals in bestimmte genera von Evidenzen gegliedert sein  kann – wie oben angegeben gegliedert in die Evidenzformen von Natur, Logos, Geschichte oder Sinn.

Diese Evidenzformen können wiederum modifiziert angeschaut werden – von Seiten des Betrachters und vom actus des Sehens aus, oder von Seiten des Gebildes her. Immer ist darin eine Tätigkeit des Sehens verborgen. Will man diese Tätigkeit in Funktionen aufteilen, so ergeben sich diese vier primären Evidenzformen.

Anders gesagt: Das Denken legt eine absolute Form des Sehens, das für sich noch nicht erkennbar und sichtbar ist, frei und objektiviert es nach einem realen Gesetz. Es vermag – kraft Freiheit –  eine Genesis des Sich-Wissens und Sich-Bildens aufzubauen und ein Wissen bzw. einen Begriff genetisch zu vollenden, indem die qualitative  Seinsfülle, die in den jeweiligen Erkenntnissen (es gibt dafür 16 Grundtermini) und in den  Anwendungsbereichen Natur, Logos, Geschichte, Sinn liegt, zugleich in ihrer Vollendung und Seinsfülle vorgestellt und innerlich angeschaut wird.  

Wohlgemerkt gibt Fichte auch wieder den Hinweis, durch das Denken oder absolute Durch des Begriffes kann die Evidenz alleine nicht erzeugt werden, „bitte sich zu halten an die Anschauung“.

4.). Hat die Sprache für diese leztere Funktion des Sehens, <als> bestimmens, beilegens eines Charakter, ein[en] Ausdruk? Für die absolute Funktion freilich nicht, die wir hier nachgewiesen haben, denn diese ist allen Sprechenden bis auf <Auffin>dung der TransscendentalPh.‘ gänzlich verborgen geblieben: wohl aber für Arten, u. entferntere Anwendungen jener Funktion, die ihnen offenbar wurden. Es ist drum ganz recht diese Benennung der Arten u. Ableitungen für das entdekte Genus zu nehmen. Denken nemlich. – . Man freut sich allemal, wenn man nu‹r> auf ein bekanntes Wort stößt. Man glaubt die Last der Konstruktion sich von dem Halse gewälzt; u. das Geschäft dadurch in Erinnerung verwandelt zu sehen.“ Auch ich freue mich. Doch muß ich wie überall, so auch hier, bitten, sich ja doch das Wort durch die Anschauung, nicht umgekehrt[,] zu erklären: Denn was jeder ohne Ausnahme aus seiner bisherigen Praxis als Denken kennen möchte, u. unter diesem Worte sich reproduciren, könnte mehr verwirren, als erläutern.“ (16. Vorlesung, GA II, 17, S. 285)

6) Fichte fügt an, dass in der Philosophie diese lebendige Einheit von Anschauung und Begriff, Sein und Denken, diese Objektivation einer wahren Einheit, leider kaum erkannt worden ist  – natürlich finden sich Ausnahmen  – und leider auch bei Kant kaum herausgelesen worden ist.  

5.). Beides in dem Zustande, den wir construirt haben, [ist] innigst u. unabtrennlich vereinigt, u. nicht zwei Zustände, sondern ein Zustand. Wie aber hier, wo wir das Gesez auf ursprünglicher That ergreifen, so [ist es], wie sich versteht[,] durchweg durchs ganze Wissen. Es ist also durchaus verkehrt von bisheriger Philosophie, u. dadurch unter andern bringt sie ihre große Seichtigkeit, u ihre Irrthümer zuwege, wenn sie meint, einiges Sehen sey Anschauung, nicht Denken, anderes pp. Der Boden [ist] Anschauung: der Begriff des Bodens überhaupt Denken. Durch Misverständniß Kants, dessen wahre Meinung hierüber troz häufiger ungeschikter Ausdrüke, sich den Lesern im Geiste doch nicht hätte verbergen sollen, ist dieser Verkehrtheit erst recht auf die Sprünge geholfen worden.“ (16. Vorlesung, GA II, 17, S. 286)

Die Objektivation einer transzendentalen Einheit von Denken und Sein, kraft absoluter Form des Sehens, ist eine lebendige Einheit im Werden, ist genetisches Werden in Vollendung vorgestellt.  

Sie sagen: Im Sehen (das genus) schlec[h]tweg als solchen, u. dessen Einheit sind zwei Funktionen: ein hin, u. herausschauen aus dem Sehen. – eines blossen rohen unbestimmten Stoffs; u. bestimmen durch Gegensatz, charak[/]terisiren, zu einem> etwas, das nicht ist ein anderes etwas, machen dieses Stoffs. Beides geschieden nur durch unsre freie Konstruktion; <für sich [ist es]* eins: das hinsetzen ist zugleich das bestimmen, u. umgekehrt. Wollte man ja an eins der beiden das Ganze knüpfen, so könnte es an das Denken geknüpft werden. Die Weise u. der Beweiß hat schon eben erhellet. Ein denken oder bestimmen sezt durchaus ein zu bestimmendes, rohen Stoff voraus. Willst du nun schlechthin ein Denken haben, so must du wohl das wodurch dasselbe bedingt ist, das setzen jenes pp[,] mit setzen; gehst du von demselben als dem was absolut ist, aus, so must du ihm jene Funktion mit übertragen: nicht, als ob es selbst ein Denken wäre, sondern durch u. für die Möglichkeit, und mit der Geseztheit des Denkens, mitgesezt.“ (16. Vorlesung, GA II, 17, S. 286)

7) In der Grundstruktur dieser Evidenz von Denken und Sein, in diesem einen „genus“ des absoluten Sehens, liegt jetzt a) die Voraussetzung der Applikation der wahren Einheitserkenntnis auf die Mannigfaltigkeit des Seienden, und b) die Erkenntnis in der Konkretion von „Ich“, „Wesen“, „Liebe“ und „Du“ und c) die Ordination von „Gefühl“ „Urteil“, „Relation“, „Wir“ – nach J. Widmann. 7

Fichte untersucht jetzt nochmals in der 17. u. 18. Vorlesung genauer das Denken, wie es in diesem synthetischen Akt einer absoluten Form  weiter bestimmt werden kann. Dies scheint mir interessant zu sein, weil ich ja eingangs fragte: Was heißt richtiges Denken? Es wird sich von selbst einstellen, wenn es nach dem realen Gesetz einer genetischen Bildung sich vollzieht und die wahren Eigenschaften des Seins sich herausstellen. d.h. die Eigenschaften, die das Denken in ihrer spezifischen Seinsqualität erfüllen. 

Fichte begibt sich deshalb jetzt in eine Analyse des „Seynsetzens“ (17. Vorlesung, GA II, 17, S 287).

Wir wollen, um der Einheit, u. leichten Begreiflichkeit des Mannigfaltigen in unsrer Synthesis [willen] so zu Werke gehen: -. Wir werden darum, wie bisher das Sehen unbestimmt zur Einheit pp[,] jezt belehrt, das Denken [bestimmen]; u. sagen können: das Seyn setzen ist ein Denken. – Sollte etwas, das kein Denken pp sich darin verbergen, so wird das uns nicht entgehen; denn indem wir das Denken nur ordentlich denken, werden wir schon genöthigt werden, dasjenige, ohne welches dieses nicht zu denken ist, mitzudenken. Mit diesem Einheitsbegriffe nun an das Werk.“ [ noch 16. Vorlesung, GA II, 17, S. 287)

(Sc. das absolute Sehen oder das seinssetzende Denken in den Regeln der Einbildungskraft wird weiter angekündigt und beschrieben: „ 1.). indem ich hier in eine Untersuchung Sie hineinführe, die – ich hoffe zwar nicht außerordentlich schwierig, aber ängstlich, grübelnd, haarspaltend erscheinen möchte, merke ich an, daß, wenn es bloß um den polemischen Zwek zu thun wäre, recht zu behalten gegen den Gegner, zu erweisen was hier erwiesen werden soll, daß das Seyn durchaus nicht durch die Sinne wahrgenommen, sondern in einem reinen, u. absoluten Denken erschlossen würde, es dazu dieser Mühsamkeit garnicht bedürfte. Dieser abweisende, den Gegner zum Verstummen bringende Beweiß läßt sich leicht, überraschend, u. selbst auf eine den gemeinen Verstand überzeugende Weise führen, u. wir werden an seiner Stelle pp. Unsre Absicht aber ist nicht jene negative, sondern die positive zu belehren, durchaus aufzuklären, u. die innern Gesetze, u. Verhältnisse des Wissens in klarer, u. bestimmter Anschauung vor das innere [/] Auge eines Jeden zu führen. In dieser Hinsicht müssen wir anmerken, daß die Punkte, auf die wir kommen, die wichtigsten sind, von denen alles künftige Verständniß abhängt: auch die bedingenden Grundkenntnisse und fortbestimmenden Anschauungen.“ (17. Vorlesung, GA II, 17, S. 287.288)

Das Sehen des Sehens war das Durch eines Denken, so oben dargestellt, jetzt ähnlich: 

3) Eine Hauptbemerkung, die durch das Vorausgeschickte allein verständlich ist, wird uns dieses erleichtern; ich sage nämlich: das Sehen des Sehens als solches ist ein Denken, keineswegs etwa ein bloßes Anschauen, in dem Sinne, den wir in der vorausgeschickten Construction diesen beiden Worten gegeben haben. Zuvörderst ist zu zeigen, daß es sich so verhält. Das Sehen werde gesehen, haben wir gesagt: so gewiß wir uns nun mit Besonnenheit ausdrückten, haben wir nicht gesagt, es werde ein vorher unbestimmter Stoff, oder ein Etwas überhaupt, sondern dasjenige Etwas, das nicht sei alles Nichtsehen, gesehen. Wir haben darum allerdings dieses zweite Sehen, von dem wir reden, ausgesprochen, als ein bestimmtes und bestimmendes Sehen; darum, mit dem gewöhnlichen Worte, als ein Denken. Resultat: das Sehen selbst wird nicht etwa angeschaut, sondern nur gedacht. – Dies möchte ein Mittel sein, den behaupteten Widerspruch aufzuheben. Es sieht sich schlechthin nicht: anschauend; es sieht sich doch: denkend. Dieser Satz möchte zugleich, richtig verstanden, die allertiefsten Widersprüche lösen, und unter andern auch die Möglichkeit und das innerste Wesen der Wissenschaftslehre aufdecken; indem es zugleich angiebt, wie es zu keiner kommen konnte, und wie sie vor der Idee derselben sogar sich entsetzten, weil sie wohl Anschauung, aber das Denken gar nicht kannten. [/] (17. Vorlesung, GA II, 17, S. 288)

Sodann, was daraus folgte: Alles Denken führt bei sich und setzt voraus in unmittelbarer Einsicht die Anschauung: ein Hinschauen des bleibenden und dauernden Etwas, das durch das in sich wandelnde, und von einem Gegensatze zum andern fließende Leben des Denkens eben bestimmt wird. (sc. eine unwandelbare Einheit im ablaufenden Bewusstsein) So in dem Falle, an welchem wir in der vorigen [/] Stunde das Denken konstruirten: ein unbestimmtes a, das im bestimmenden Denken erst angesehen werden wollte als Produkt, und daraufhin, und mit der Tendenz es in dieser Klasse unterzubringen[,] angesehen wurde, welches nicht ging, sondern die Ansicht desselben durch das eigne innere Leben des Denkens in die eines NichtProdukt verwandelte.(sc. sodass es den Anschein bekommt einer real vorgegebenen Anschauung; es ist aber nur Erscheinung) Eben so hier, das Denken, erkennen und verstehen als Sehen, und mit diesem Charakter, setzt voraus, und wie es schlechthin gesetzt wird, bringt mit sich, die Hinschauung eines (hierinn, in der Anschauung) unbestimmten Stoffes, der im Denken angesehen werden will als Nichtsehen, welches aber nicht geht, sondern die Ansicht sich innerl. durch ihr eignes Leben verwandelt in die eines Sehens. (17. Vorlesung, GA II, 17, S. 289)

Es ist ein sehr scharfsinnig gefasster doppelter Widerspruch: Das Denken will einem realistischen Zweifel entgehen, indem es einen sich selbst widersprechenden Widerspruch ansetzt: es setzt keinen nur  idealistischen  Stoff an,  der Stoff kommt von außen, von anderswoher; es setzt (trotz Sehen des Sehens) den Widerspruch eines real motivierten Nichtsehens an; das kann es aber wieder nicht durchhalten,nur sehen ohne zu denken, also setzt es zur realistischen Voraussetzung ebenso den idealistischen Zweifel und den Widerspruch wieder an, dass das Sehen doch ein produziertes, gedachtes Sehen des Sehens sei. 

Die Fortführung der Analyse für morgen, auf frische Kräfte. Hier nur noch zwei Bemerkungen. 1.) So jemand das Wesen des Denkens, und seine absol. organische Verschmelzung noch nicht ganz klar geworden – hier zur Stelle: Denken ein inneres Leben, Wandel, Fortgehen durch, im Sehen, welches Sehen drum nicht zerreißt, sondern Eins bleibt, als Sehen, An und Hinschauung des Einen, in Beziehung auf welches es wandelt, das drum wandelt in ihm seine Ansicht: x -x (sc. x und non-x, d. h. Eröffnung des genetischen Grundes, einer absoluten Form der Synthesis und Genesis, in der der Gehalt als wahre Erkenntnis erscheint, je nach Seinsfülle dieser Erscheinung.) Durch von beiden, – zerrissen; Nein, in der Anschauung des Einen, und Eins bleibenden a, zu welchem x und -x nur als Bestimmungen hinzugefügt werden. [/] (17. Vorlesung, GA II, 17, S. 289)

In dieser absoluten Form des Sehens und der Synthesis eines genetischen Sehens besteht die Schwierigkeit, ein Fortgehen der Bestimmungen zu denken, stets höhere Synthesen und Widersprüche zu suchen, bis von selbst aus der mehr oder minder nur angedeuteten Disjunktionseinheit des lebendigen „esse in mero actu“, die Bildformeln des Erkennens und primäre und sekundäre Evidenzformen, preisgeben.  (Die Resultate und Ergebnisse der Erkenntnisprinzipien und die Ergebnisse in der Anwendung der Erkenntnisbegriffe auf die WIrklichkeit sind  dabei noch gar nicht geschildert. Sie kommen z. B. in der WL 1804/2 ebenfalls nur noch kurz hingestreut im 28. Vortrag vor.)

Fichte bringt als Negativbeispiel Schelling, der für seine Naturphilosophie einen grundlegenden Begriff bringt wie „Rezeptivität“, ihn aber gerade so nicht erklären kann, weil ihm die synthetische Mitte und unmittelbare Positivität fehlt, wie Denken im Sehen und Sehen im Denken liegt bzw. Denken in Sein und Sein in Denken übergehen. Das Denken wird dort beendet und die reine Anschauung wird z. B. als „Rezeptivität“ tot hingestellt und vorausgesetzt. 

2.) Alle andere Philosophie des Wissens, als ein todtes, durchaus leidendes, empfangendes; Receptivität – der gewichtige Ausdruck, denn nu so konnten sie die Realität und das Leben an den Gegensatz bringen. Was kannten sie: die blosse Anschauung.
Aber wie mit dem Denken? Konnte sich denn da, wie sie z. B. erschlossen, das Leben verbergen? Ja, – das thaten sie mechanisch; ohne jemals ihrer bewußt zu werden, daß sie es thaten; welcher Stumpfsinn! Jetzt sind sie erinnert worden; Was nun? Sie erklären, daß sie nicht wollen. Daraus ein Reflektirsystem, bei welchem freilich aus dem Seyn die Realität pp und in das Wissen. Dieß aber wollten sie nicht: Drum sey es falsch, drum wollten sie auch nicht, was dahin führe, und sey dieß auch falsch, denn Falschheit des Resultats müsse sicher auf Falschheit der Prämisse schließen [lassen]. (17. Vorlesung, GA II, 17, S. 289

8) Es kommt nochmals zu Zusammenfassungen, um das Denken zu begreifen. Der Grundfehler der anderen Philosophen ist, dass die Anschauung bereits als das Dauernde vorausgesetzt wird – und darauf wird dann z. B. der Begriff der „Rezeptivität“ gepflanzt. Das Dauernde hat aber die Form absoluten Sehens, ist „absolutes Denken“, ist unwandelbare Ur-Erscheinung der Sich-Erscheinung des Absoluten. Dieses „absolute Denken“ kann aber jeweils nur in der Faktizität und Konkretheit einer Erfahrung eingeholt und bewusst gemacht werden, also entsteht das analytisch-synthetische Denken. Die unmittelbare Positivität dieser analytische synthetischen Einheit von Denken und Sein liegt dabei im absoluten Geltungsgrund aller Evidenz begründet, ist die Sich-Erscheinung des Absoluten in der Erscheinung eines  wahren Denk-Bildes, oder, was das Gleiche besagen soll,  des wahren Seins-Bildes. Das wahre Denk-Bild de facto und konkret  ist dabei gestuft und als höchstes Wissen der Begriff der eigenen Existenz.8

Fichtes Zusammenfassungen nochmals zum Denken:

Achtzehnte Vorlesung.

Sehen des Sehens = Denken. Denken führt bei sich Anschauung als das setzende für die Bestimmung, das Dauernde im Wandel des Gegensatzes. Wir [erkennen es] beim Setzen als das absol. Denken, wie wir schon früher pp. Aber wir sind genöthigt dadurch noch etwas anderes zu setzen, das da nicht ist ein Denken. Ein x das, da es im Denken erst zu einem Sehen wird, nothwendig in derselben einen und untheilbaren Synthesis noch eine andere und die entgegenges. Gestalt haben möge. [18. Vorlesung GA II, 17, S. 290)

Denken  ist nicht ein  rationalistisches Erdenken oder Erdichten, sondern  sich einstellende  Geltungsform „Ich“/“Ichheit“, in der das übergehende Licht einer  real und ideal sich bildenden Einheit von Denken und Sein gesetzt wird, weil  von einem „terminus a quo“ ausgegangen wird, d. h. von einem absoluten Soll und Geltungsgrund:

Da auf diesem Punkte hier die Einsicht, auf die es uns ankommt, eines Seyns an sich, unabhängig vom Sehen, beruht und überhaupt daß unser Idealismus nicht formal und leer werde, noch diese Bemerkung. Das Sehen wird gesehen, als Sehen eben, sagen wir, heißt das dasjenige, was wir von unserm Standpunkte aus als Sehen kennen? Das erst beschriebene Sehen, und überhaupt, kennen wir hier gar nichts anderes denn ein absol. Sehen: – wohl kaum, denn das Denken, als ein sichtbares Machen, läßt in der ganzen Synthesis des Sehens wohl nothwendig etwas übrig[,] einen terminus a quo. (18. Vorlesung, GA II, 17, S. 290)

J. Widmann zum höchsten Wissen: „Das gilt auch für die besondere Bestimmung eines ,,absoluten“ Seins. Das Absolute ist nicht da außer in seiner Erscheinung denn sie ist sein konkretes Dasein. Die WL geht nicht von einem absoluten Sein unmittelbar aus, sondern von der Form, wie es dem Wissen faktisch erscheint. Die höchste qualitative Erfahrung konkreten Seins ist keineswegs als unmittelbare Erfahrung des (im faktischen Bewußtsein anfänglich nur konstruktiv gedanklich gesetzten) Seinsabsoluten möglich, sondern nur als (Sich-) Erfahrung der absoluten Sicherscheinung. Die konkrete Kenntnis von Sein ist vermittelt durch die allein unmittelbar in und an sich geschehende Selbsterfahrung der Existenz. Unmittelbar bestimmt erfahren wird das Seinsquale der Existenz.“9

In der Synthesis ist mehr, als das blosse Denkprodukt. Stimmt ganz damit überein, daß [es] bei dem Sich nicht sehen des absol. Sehens bleiben müsse. (Sc.: Der oben angesprochene doppelte Widerspruch, dass das Denken sein Sehen des Sehens nicht sieht, dann doch wieder ideal sieht, liegt in der absoluten Disjunktionseinheit selbst begründet, dass es nur durch Freiheit am einzelnen exemplarischen Sein die absolute Synthesis einer  Evidenz in Natur und Logos und in  Geschichte und als Sinnerfahrung erreichen soll und erreichen kann. Das Denken kann der Theorie nach das höchste Wissen erreichen, im Setzen und Gegensetzen, sukzessive und diskursive, im jeweiligen Widerspruch und Auflösung des Widerspruchs. Die Praxis kann die Theorie nicht ersetzen. Dies führt von der qualitativen Erfahrung der Existenzerfahrung zur Abgrenzung der qualitativen Erfahrungen voneinander, mithin zur Quantitabilität.) Daß das Sich sehen drum so genommen werden m‹üst›e, daß das erstere dadurch nicht aufgehoben: welches auf Quantität und Theilung in jenem ersten Sehen deutet.“ (18. Vorlesung, GA II, 17, S. 291)

Fichte beschreibt nochmals anschaulich den Weg einer synthetischen Erkenntnis, vom Begriff und Denkbild zur Hinschauung und Anschauung und der sich darin zeigenden Evidenz. Es wird nochmals angespielt auf das Beispiel der Konstruktion der Triangel.

Etwas des vorliegenden, was und wie wenig es auch seyn möge, wird der Voraussetung nach gesehen, gedacht, erkannt und verstanden, als ein Sehen. Was heißt das? Analysiren und construiren wir fürs erste diesen Punkt; Ich sage, versuchen Sie dieẞ mit mir durchzugehen, und es eben so zu finden.

1.) überhaupt – die reine Form des Vorganges beschreibend, mit Abstraktion von dem vorliegenden Falle; etwas, ein factum, [/] will ich sagen, erkennen für das und das, tragend diesen Character, zu subsumiren unter diese Klasse – setzt zuförderst ein Bild dieses Charakters, und dieser Klasse überhaupt, in welchem durchaus nicht aus- gesagt wird, ob so etwas sey, sondern nur wie es sey. (Bild eines Triangels überh.[,] ob nun einer sey pp)[,] Bild einer Beschränkung und Fortbestimmung des Lebens überhaupt mit ausdrückl. Abstraktion von dem Seyn oder Nichtseyn, diese Frage gar nicht berührend. Denkbild, Begriff. (bringt das Denken, schlechthin durch sich, mit.) Sodann die Ansicht eines vorliegenden und gegebenen, das da eben ist, factisch ist, durch die mit dem Denken organisch vereinigte Hinschauung (z. B. eine gegebene Figur) Endlich die schlechthin ergreifende Einsicht, daß beide Bilder, das Denkbild und das Bild des Hingeschauten, durchaus mit einander übereinstimmen, und in Absicht des Inhaltes nur sind dasselbe Eine Bild. Das gegebene ist ein Triangel übereinstimmend mit dem Grund- und Charakterbild eines Triangels überhaupt.“ (18. Vorlesung, GA II, 17, S. 291)

Der Begriff der Triangel war durch sich schon vorgegeben (im platonischen Vorwissen) und die freie Konstruktion war somit nicht Willkür, sondern Anschauung nach einem realen Gesetze, das im Denken und im Begriff lag. Das Wesensbild war vorgegeben und die Beschreibung der Konstruktion und Beobachtung des Verfahrens ist Nach-Betrachtung, ist Genesis des Gewordenen.

9) Das genetische Werden eines gegenständlichen Begriffes könnte aber ebenso auf das Denken des Strebens übertragen werden? Es würde auf einer anderen Ordinationsebene begonnen und auf ein anderes Gebilde hingearbeitet: Beim Trieb und Gefühl. Die exemplarisch qualitative Fülle des Seins erfüllt sich genetisch für das Denken im Begriff des „Anfangs“, der „Liebe“ und eines höchsten Wertes.  

Ich beende hier meine Paraphrase zum Begriff des „Denkens“.

Fichte wendet jetzt die Funktion des absoluten Sehens in Richtung des Linienziehens und Denken des Raumes an. Man könnte so sagen: Die Form der Anschauung im Denken, als genetisches Erkennen und genetisches Werden eines synthetischen Begriffes von Denken und Sein herausgearbeitet, wird eingeschränkt und weiterbestimmt zur Anschauungsform des Raumes – womit  Kant seine transzendentale Ästhetik begonnen  hat. Fichte setzt ihn dort ab. 

© Franz Strasser, 16. 9. 2024

1J. Widmann, „Die Grundstruktur transzendentalen Wissens nach Joh. Gottl. Fichtes Wissenschaftslehre 18042, Hamburg 1977.

Er gliedert die Erkenntnis der Prinzipien der Wirklichkeit und ihre Darstellung in fünf Phänomenologiebereiche. Sie zeigen jeweils höherstufig vier Grunddisjunktionen an, wie das Verhältnis Denken und Sein verstanden werden kann. Der fünfte Phänomenologiebereich fasst seinerseits die bisherigen 16 Grunddisjunktionen in vier primären Evidenzbegriffen zusammen: Natur, Logos, Geschichte Sinn.

Die ersten 16 Begriffe sind: Bewusstsein, Faktum, Licht, Begriff, Freiheit, Dialektik, Objekt, Subjekt, Soll, Selbst, Wille, Leben, Genesis, Energie, Gesetz, Bild.

2 Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Johann Gottlieb Fichte: Nachgelassene Schriften 1813–1814. Nachtrag. Mit einem Gesamtinhaltsverzeichnis aller Bände. (Band II/17). (Stuttgart- Bad Cannstatt: frommann-holzboog, 2012). Herausgegeben von Erich Fuchs, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider und Günter Zöller. Unter Mitwirkung von Erich Ruff, Anna Maria Schurr-Lorusso und David W. Wood.

3Vgl. bei J. Widmann, ebd., S 270.

4Die Objektivationen des Denkens gliedern sich in vier Grundevidenzen – und selbst diese Grundevidenzen können nochmals modifiziert gesehen werden, vom actus des Betrachtens her, oder vom Gegenstand des Gebildeten her. Siehe ebenfalls J. Widmann, Abschnitt Phänomenologie V, S 182ff.

5Das Nichtsein zu denken ist eine schwierige Frage – siehe dazu ebenfalls J. Widmann, Die Grundstruktur, ebd. S. 303-307.

6 Die Sprachphilosophie kann m. E. das Problem nicht lösen: sie beharrt auf der Abbildlichkeit der Sprache zum Gedachten und substantialisiert das Verhältnis als solches. Der Begriff des Performativen in der Sprache hilft uns m. E. ebenfalls nicht weiter, weil wiederum dieser Begriff zuerst eine unwandelbare Einheit des Denkens voraussetzt, der in der performativen Sprechakttheorie aber nicht vorkommen darf.

7Vgl. J. Widmann, Die Grundstruktur, S. 202 ff.Es ginge nach noch weiter, dass diese ganze Konkretions- und Ordinationsordnung in verschiedenen modi betrachtet werden kann, was „genetische Bildformeln der Evidenz“ ergibt. Und nochmals kann alles in numerische Zahlenordination gebracht werden.

8 J. Widmann, Die Grundstruktur, ebd. S. 305: „Der mittelbar objektivierte Begriff eines absoluten Seins entläßt aus sich keineswegs zugleich das Quale dieses Seins er ist an sich selbst,,ein gehaltloser Schattenbegriff“, und auch,,der einzig mögliche Zusatz, daß [es] absolut sei von sich, durch sich, in sich, ist selbst nur die an ihm dargestellte Grundform unseres Verstandes, und sagt nichts weiter aus, als unsere Denkweise desselben“. Der Begriff des „,absoluten Seins“ transzendiert nicht schon konkret das Begriffsquale der ,,Existenz“, sondern setzt nur dem dem Bild ihrer Realität – bildlich einen Grund Begriff der Existenz voraus. Jede qualitative Konsequenz, die wir aus dem Begriff des absoluten Seins zu ziehen suchen, hat ihren wahren Grund im Quale unserer konkreten Existenz.

Die bloße Begriffsobjektivation des rein lebendigen Seins (als prattein bzw. esse in mero actu) zeigt sich als für sich allein unfähig, Auskunft über den absoluten genetischen Grund und der aus ihm hervorgehenden und möglichen qualitativen Fülle zu geben. Der Seinsbegriff ist Form qualitativer Erscheinung, wächst oder schwindet in seinem Inhalt mit deren Fülle. Grund des seienden Quale und all seiner Fülle ist aber nicht die reine Anfangsform des Konkreten, sondern die wesentliche Einheit der sich vollziehenden Genesis. So ist auch alle qualitative Erkenntnis über das Sein und seine möglichen Erscheinungsformen funktionell abhängig vom realen Vorgang der Genesis, ihrer Erkenntnis und dem in dieser Erkenntnis erscheinenden Mannigfaltigen.“ (Hervorhebung von mir). 

9J. Widmann, Die Grundstruktur, ebd. S. 306.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser