Entweder gibt es einen Standpunkt des Sich-selbst-Wissens des Selbstbewusstseins, mithin einen reflektierten Standpunkt, oder ich kann ein außerhalb der Reflexion angesiedeltes, „vorreflexives“ Bewusstsein nicht annehmen, also eine reflexionsexterne Realität! Letzteres scheint mir bei M. FRANK der Fall zu sein.
Ich möchte auf eine 1. Vorlesung von MANFRED FRANK, Präreflexives Selbstbewusstsein. Vier Vorlesungen, Reclam Verlag Stuttgart, 2015, eingehen, ebenfalls wieder zur Schulung des eigenen transzendentalen Denkens.
Laut obigem Buch möchte M. Frank eine Art vorreflexives (Selbst-)Bewusstsein behaupten, das als transzendentale Bedingung der Möglichkeit des Wissens allem Wissen vorausgeht.
Nun bin ich für das Fragen nach den transzendental notwendigen Bedingungen bzw. Prinzipien von allem Erkennen und Wollen und Handeln durchaus aufgeschlossen, und letztlich müsste alles prinzipielle Wissen für die theoretische wie praktische Bestimmung der Erfahrung aus dem Selbstbewusstsein abgeleitet werden können, aber warum soll ich dieses Wissen im Selbstbewusstsein „prä-reflexiv“ bezeichnen? Und warum sollte das „Subjekt“ genannt werden? Wie kann etwas „Subjektives“ vorausgehen, wenn es reflexiv gar nicht bestimmt werden kann – wie M. Frank behauptet?
Für‘s erste würde ich ja ebenfalls von einer nicht hintergehbaren, individuellen, substantiellen Wissenseinheit ausgehen, aber, so bei meiner Lektüre bei M. Frank, soll diese individuelle Wissenseinheit bloß subjektivistisch und idealistisch/realistisch gemeint sein? Es zeigt sich eine, und ich tue mich schwer das zu charakterisieren, eigenartige „Präsenz“ im Selbstbewusstsein? Was soll sich hier präsentieren oder soll repräsentiert werden im Selbstbewusstsein?
M. Frank ist absolut bewandert in der Analytischen Philosophie und ich kann ihm hier nicht folgen. Wahrscheinlich liegt aber hier seine Skepsis gegen ein substantielles Sich-Wissen?1
In dieser Tradition gibt es – ich folge hier C. Lotz,2 – die folgende bedenkliche Unterscheidung, die mir aber typisch scheint für dieses Denken von M. Frank (und der Analytischen Philosophie.) Es gibt ein „Wissen, wie“ und ein„Wissen, dass“, das die Breite des „prä-propositionalen“ und „propositionalen“ Wissens abdecken kann.3
Ein propositionales Wissen ist ein Sachverhalt, der auf ein begründbares Wissen zurückgeführt werden kann. d. h. ein Wissen, das sich a) in Propositionen ausdrückt, und b) aus einem vorgängigem Prinzip gesehen wird. 4Das vorgängige Prinzip für propositionales Wissen ist ein „prä-positionales“ Prinzip.
Führt das letztlich auf eine naturalistische Basisannahme zurück d. h.: es soll sich zeigen an und in „mentalen“ – was immer das heißen mag? – , psychischen oder kognitiven Akten und Bezügen? Sind es Zustände, Eigenschaften eines vorausgesetzten Subjektes, das sich in diesen merkwürdigen Ich-Entitäten verobjektiviert ansieht? Ein Ich-Bewusstsein wäre (in diesem Modell der analytischen Unterscheidung) ein „Wissen, dass“, somit eine naturale, psychische oder physikalische Entität von Zuständen oder ein Gegenstand mit Eigenschaften, gleich einem anderen Gegenstand der Natur?
Die Höhe der fichteschen Transzendentalphilosophie, worin „Wissen, wie“ und „Wissen, dass“ aus einem einzigen, theoretisch praktischen Vollzug hervorgehen, diese transzendental-reflexive Mitte der Einheit von reflektierendem und reflektiertem Wissen, wird aber damit, so mein Resümee, nicht erreicht – obwohl M. Frank eingangs Fichte über alles positiv hervorheben will.
Es bleibt bei M. Frank die Behauptung eines „präreflexiven Selbstbewusstsein“ logisch vorgeordnet („vielleicht ontologisch“ sagt er, ebd. S 43) und faktisch stehen, das sich ständig gegenüber dem Gewussten eines propositionales Wissens durchhält – aber wie diese Selbsthabe vollzogen wird und wie es genetisch zu diesem „Wissen, dass“ kommt, wird nicht gesagt!?
Als faktisches, definiertes Selbstbewusstsein, ist es aber propositional genauso strukturiert wie anderes, propositional Gewusstes: Es soll ausdrücklich
a) nicht in reflexiven Begriffen gefasst werden (siehe dann die Verurteilung der „Reflexionsphilosophie“) und
b) kein propositionales Verhältnis zum Gewussten haben (fragt sich nur, was ist es dann?) und
c) es soll keine bloß logisch erschlossene Bedingung sein, als wäre es nur begrifflich erschlossen.
Was ist dieses „präreflexive“, faktische Selbstbewusstsein?
Natürlich in Inkonsequenz seiner Theorie (und gelegentlich entgegen seinen Behauptungen) muss M. Frank bei einem propositionalem Gewussten der Subjektivität bleiben. Er will und kann die Ableitung des „Wissens, wie“ d. h. wie es zu einem Selbstbewusstsein kommen kann, nicht angeben, um nicht in reflexive Beweisgänge zu verfallen, d. h. er bleibt bei einem „Wissen, dass“ notgedrungen stehen. Das ist aber alte Seins-Philosophie, Paralogismus eines vorausgesetzten Seelen-Seins, aus dem das propositionale Wissen emanatistisch hervorgeht.
Wenn ein „Wissen, wie“ des Selbstbewusstseins reflexiv nicht dargelegt werden kann (mit Frank gesprochen, ein „prä-reflexives“ Wissen), wie weiß ich dann überhaupt noch, dass ich weiß? Wenn es nur mehr faktisches Dass-Wissen gibt, faktisch propositionales Wissen (Einzahl oder Mehrzahl von Wissens-Zuständen?), wie sollte das Selbstbewusstsein davon ausgenommen sein? Es ist mithin genauso ein Gegenstand der Natur mit naturalen Basiselementen wie Zuständen, Stimmungen, Gefühlen, aber bei weitem nicht eine Selbsthabe mit eigener Präsenz. Wenn das „Wissen, wie“ nicht geklärt werden kann, kann auch von keinem „Wissen, dass“ gesprochen werden.
Es bleibt dann weiterhin offen, was in der 2. Vorlesung des angegebenen Buches nach J. P. Sartre geklärt werden soll, wie wir von diesem prä-reflexivem Selbstbewusstsein Kenntnis haben können: Dieses „prä-reflexive“ Wissen oder Selbstbewusstsein wird (ab den Seiten 43 – 52) zusammengefasst als „primäres“ Bewusstsein (ebd. S 43), „Bewusstsein erster Ordnung“ (ebd.), als Bewusstsein „sui generis“ (ebd.).
Wenn es aber nicht reflexiv Erkanntes ist, wie wird dessen Dass-Sein erkannt? Die „transzendentale“ Argumentation des Zurückgehens auf die Bedingungen der Möglichkeit der Wissbarkeit ist m. E. von vornherein viel zu theoretisch ohne qualitativen und praktischen Setzungsakt verstanden. Da eine bloße theoretische Reflexion aber nicht genügen kann – so die einsichtige und richtige Vorgabe von M. Frank und seiner Kritik am Reflexionsmodell – welcher Zugang bleibt dann noch zu seiner Theorie von Subjektivität und vor-reflexivem Zustand?
Faktisch vollzieht M. FRANK ständig eine Reflexion auf prä-reflexives und reflexives Bewusstsein, aber er will ausdrücklich nicht eine genetische Erkenntnis der Erkenntnis eines längst gelösten Problems bei. J. G. FICHTE zugeben.
So hält er sich an die Sekundärliteratur eines sehr mehrdeutigen Aufsatzes von D. Henrich 1966.
Anders gesagt: Die Einführung eines „propositionalen Wissen“ nach analytischem Vorbild ist irreführend und ein Schein-Problem. Und wenn man schon damit operiert, so ist das transzendentallogisch leicht zu durchschauen und zu beurteilen. C. Lotz hat das bei M. Frank so ausgedrückt: „Eine Differenz tritt erst mit der Tätigkeit der Reflexion auf. Jedes „Wissen, dass“ hat mit seinem Auftreten sein Wie, weil Wissen nicht anders ist als im tätigen Vollzug.“ 5
Die „philosophy of mind“, die M. Frank hinreichend kennt, scheint mir übermächtig durchzuschlagen, aber das schwache Licht einer „Präsenz“ im Selbstbewusstsein, die Theorie einer Subjektivität und eines „Selbstrepräsentationalimus“, muss letztlich dem Naturalismus weichen. Inwiefern im Naturalismus und in der Analytischen Philosophie die Rede von den Zuständen, Eigenschaften, Kognitionen, Vorstellungen etc. überhaupt noch einen Sinn hat, diese Frage sei aufgeworfen. Eine Rede und eine Semantik von „Propositionen“ eines begründeten Sachverhaltes hebt sich letztlich auf, wenn es kein Selbstwissen eines sich begründenden Grundes und keine geistige Einheit gibt.
Warum gibt M. Frank einer letzten, substantiell begreifbaren Wissenseinheit, einem durch das göttliche ICH geschaffenen personalen und interpersonalen Ich-Einheit nicht die Ehre?6 Nur die genetische Einheit von Denken und Sein, die durch intelligierende Einsicht legitimierte Erkenntnis des Bildseins, kann das Phänomen des Selbstbewusstseins hinlänglich begründen. (Ich muss hier im Rahmen eines kurzen Blogs diese Begründung selbst weglassen; das wäre ein eigenes Thema).
Das Bildsein des Seins, der substantielle Denk- und Selbstbestimmungsakt im Selbstbewusstseins, abgeleitet legitimiert in und aus einer transzendentalen Genesis der Erscheinung des Absoluten, das spricht M. FRANK leider nie an.
Mir scheint, M. FRANK flüchtet geradezu in der 1. Vorlesung dieses Buches in eine weitschweifige Historie des Denkens. Historie kann sehr nützlich sein, aber deshalb, weil sie selbst zum transzendentalen Standpunkt führt. Entweder können wir wissen, was wir tun, und das müsste eigentlich M. FRANK offen zugeben, weil er ja davon spricht oder sprechen will, aber er meint im selben Moment, sich das verbieten zu müssen – weil er von vornherein von einem engen, faktischen Reflexionsbegriff ausgeht, den er zwar einerseits ablehnt, aber andererseits gerade beibehält, indem er selbst keine Legitimation für seine Reflexion vorweisen kann.7
M. Frank, soweit ich diese 1. Vorlesung deute, möchte von einem begrifflichen Wissen des Selbstbewusstseins wegkommen, aber doch an einer reflexiven Einheit festhalten. Das kann er natürlich nicht durchhalten, denn die mentalen Zustände und naturalistischen Vorgaben der „philosophy of mind“ bleiben propositional als Negativfolie der Definition des „präreflexiven“ Selbstbewusstseins notwendig erhalten, also müsste er, wenn er konsequent wäre, das Selbstbewusstsein naturalistisch erklären, d. h. durch irgendwelche empirische Ursachen. Die Reflexion selbst als theoretischer und praktischer Existentialakt zu denken, als Einheit von Denken und Sein, als eine genetische Einheit des Sich-Wissens aus einem vorgängigen Soll einer aufgeforderten Freiheit, das will er nicht mehr reflektieren, sondern bleibt bei einer Trennung von mentalen, sinnlichen Zuständen einerseits und und folgenden „geistigen“ Vollzügen des „präreflexiven“ Bewusstseins andererseits. Dies bewirkt eine unklare Verschmelzung von seelischen und geistigen Zuständen, als auch eine unklare Trennung zwischen diesen beiden Phänomenen. Der Existentialakt des tätigen Lebens, wenn ich es transzendental so nennen will, zerfällt in seelische (mentale) Zustände und geistiges Tun (Reflexion), ohne dass sie im Akt des Wissen selbst erst genetisiert und unterschieden und wieder bezogen werden könnten, wie es zu diesem „Dass-Wissen“ und „Wie-Wissen“ kommen kann.
1) Anfangs wird die Problematizität eines bloßen Reflexionsmodell des Selbstbewusstsein aufgeworfen: Erst im Exkurs zur 1. Vorlesung (ebd. S 41 – 52) wird es mir aber klarer, dass er mit der ganzen Kritik eines „Reflexionsmodells“ von Bewusstsein eigentlich darauf abzielen will, ein neues Modell eines „präreflexiven“ Selbstbewusstseins herauszuarbeiten. Es werden dafür Merian, Fichte und Brentano zitiert und das „primäre“ Bewusstsein erster Stufe behauptet. (ebd. S 43.44) M. Frank schließt sich hier Sartre und Dretskes an. (ebd. S 43).
Es werden die zwei Richtungen eines egologischen Selbstbewusstseins und einer nicht-egologischen Selbsterkenntnis unterschieden, letztere oft auch als „philosophy of mind“ bezeichnet (ebd. S 25).
So heißt es dann z. B., dass ein Descartes oder Leibniz unter die Rubrik Reflexionsmodell egologischer Art/begriffliches Bewusstsein/ fallen, während die andere Partei anscheinend bei Fichte, Schleiermacher, Brentano, Schmalenbach, Sartre, Henrich und einigen neueren „philosophers of mind“ zu suchen ist. (Ebd. S 35, zu Descartes und Leibniz S 35 – 40). Die erstere Partei vertritt ein nicht gegenständliches Bewusstsein, letztere die Richtung gegenständlich-intentionales, phänomenales Bewusstsein, ein Access-Bewusstsein (ebd.S 17), großteils nicht-begrifflich. (ebd. S 43) (Wer auch nur ein bisschen sich mit FICHTE beschäftigt hat, wird bei FICHTE selbst unterscheiden können zwischen der egologischen Darstellung einer „GRUNDLAGE“ von 1794/95 und einer phänomenologischen Darstellung der WL in der WLnm von 1796-1799; aber deshalb sind es nicht zwei vollkommen verschiedene WLn).
2) M. Frank beginnt mit „Ein Ausgangspunkt bei Johann Gottlieb Fichte“ (ebd. S 14). Dieser deckte das Reflexionsmodell des Selbstbewusstseins schonungslos auf – und ist für M. Frank deshalb der zweiten Rubrik zuzurechnen, dem nicht-egologischen/nicht begrifflichen, gegenständlich/intentionalem Lager.
Auch Kant vertritt ein gegenständliches/intentionales Modell des Erkennens. Alles muss der Rationalität des „ich denke“ untergeordnet werden. (ebd. S 20f)
Entscheidend ist in dieser Selbsterkenntnis, dass mentale Zustände und motivierende Kräfte damit verbunden sind (ebd. S 22). Dies reicht zurück bis zum antiken Chrysippos. Auch ein Heidegger spricht von einem seelischen Zustand, einer existentiellen Betroffenheit (ebd. S 22.23)8
Fichte deckt anscheinend ein bloße Reflexionsmodell des Bewusstseins schonungslos auf. M. Frank beruft sich dabei auf den „bahnbrechenden“ Aufsatz (ebd. S 27) von D. Henrich über Fichte aus dem Jahre 1996. Fichte habe das Selbstbewusstseins als Reflexionsmodell zu Ende gedacht – und ein, ja was? kompliziertes Selbstsetzungsmodell hinterlassen? (Es wird auf Fichte dann nicht mehr eingegangen, sondern er dient nur zum Einstieg, als sei nach ihm Besseres gekommen.)
Ich möchte diese Schrift von D. Henrich nicht mehr lesen müssen! Das Reflektierende kann sein Reflektiertes nicht fassen, ohne sich wieder in einem vergegenständlichenden Akt zu fassen. Ergo kommt das Wissen aus seinem Zirkel nicht heraus bzw. bleibt das Selbstbewusstsein unbekannt. Dank sei Gott, dass Henrich diesen Zirkel, den Fichte zuerst aufgedeckt hat, wieder entdeckt hat! Es ist aber ein absolutes Zerrbild von Fichte, geschweige davon, dass irgendwelche breite Lektüre von Fichte (von D. Henrich) herangezogen worden wäre. Natürlich hat Fichte weder ein leeres Reflexionsmodell von Selbstbewusstsein vertreten, wie D. Henrich bei Fichte meint positiv (im Sinne der Aufdeckung) erkennen zu können, noch ist er aber in einen Dogmatismus eines anscheinende höherwertigen, „prä-reflexiven“ Selbstrepräsentationalismus des Selbstbewusstsein hineingeschlittert, wie es dann M. Frank will.
3) D. Henrich baut zuerst ein Zerrbild einer Nicht-Philosophie auf, um Fichte im Gegensatz dafür zu würdigen, dass er diese leere Reflexionsphilosphie aufgedeckt habe, verliert sich aber selbst wieder in eine alte dogmatische Philosophie der bloßen Begrifflichkeit. Er erreicht eigentlich nie die Absicht Fichtes, Denken und Sein in transzendentaler Einheit des Wissens zu fassen, worin der Subjekt-Objekt-Trennung erst eine untergeordnete, notwendige Position darstellt. Dass Fichte eine bloße Reflexionsphilosophie entschieden abgelehnt, ist keine besondere Erkenntnis von D. Henrich, aber damit Fichte notwendig zu Hegel weitergehen zu lassen, ist altes Plagiat und Klischee. Zur ausdrücklichen Zurückweisung jedes Dogmatismus in den WLn Fichtes – dazu kein Wort bei D. Henrich oder M. Frank. 9
In der Interpretation von D. Henrich ist der Reflexionsszirkel des Erkennens und Verstehens von Fichte aufgedeckt worden – und somit kann es kein inneres Zeigen auf mentale Zustände, keine zweistellige Relation, keine Repräsentation eines Gehaltes geben. Die transzendental-begriffliche Erkenntnistheorie ist beendet, es bleibt nur mehr eine transzendental-phänomenologische Beobachtung der Erscheinungen der Wirklichkeit übrig. Ein Reflexionsmodell eines genetisch Repräsentierten gilt nicht mehr, statt dessen muss zu phänomenologischen Reflexionen und Tatsachen übergegangen werden. So die Meinung von D. Henrich. Fichte hat aber wohl mehr gesagt als die Pseudo-Phänomenologie eines Schelling und Hegels!
4) Es folgt bei M. Frank die anscheinende Klugheit eines Novalis, der den Zirkel durchschaute (ebd. S 29) – wieder so klischeehaft –10 , und dann natürlich Husserl (ebd. S 29f) Bezeichnenderweise gibt aber Husserl nicht viel her, denn seine intentionale Gegenständlichkeit ist wahrlich bloß faktisch und empirisch und kommt leider ohne praktische Intentionalität aus (soweit ihn spärlich gelesen habe. Siehe Blog von mir).
Es werden dann Vertreter der Analytischen Philosophie aufgezählt (Kripke, Pothast) – und wiederum Fichte zitiert, der aber seine Entdeckung eines unzulässigen, bloß reflexologischen Standpunktes nicht recht auf mentale Zustände übertragen und verwerten konnte (Es wird Bezug genommen auf den „Versuch“ von 1797) (ebd. S 33.34)
P. S. kurz gesagt: Fichte wollte nicht mentale Zustände beschreiben, sondern transzendental-konstitutiv und transzendental-deduktiv die Erkenntnisprinzipien der Wirklichkeit im Ganzen ableiten und aufstellen!
Sartre u. a. „Philosophers of Mind“ (ebd. S 34) hätten dieses, NB in der Bewertung Franks, leere, reflexologische Modell des Bewusstseins, wodurch eine sophistische zweistellige Relation eines gegenständlichen Bewusstseins aufgebaut worden ist, berechtigt! kritisiert. (D. M. Rosenthal erstellte hierfür die „Higher-order-Theorie“; ebd. S 35.) Es werden dann die rationalistischen Ausweglosigkeiten anhand dreier Gestalten angerissen: Descartes, Leibniz und Locke (Letzterer v. J. Sergeant analysiert) und natürlich auch Spinoza. (ebd. S 35 – 40)
5) Im „Exkurs zur ersten Vorlesung“ S 41 – 52 erklärt M. Frank dann näher sein „prä-reflexives“ Selbstbewusstsein, indem er philosophiegeschichtlich sich absichern will durch Merian, Fichte und Brentano.
Es kommt eine selektive Würdigung: Fichte wird in seinem reflexologischen Argument (oder egologischen Argument) hervorgehoben (nach „Versuch“ von 1797), aber mit einer eigenartigen Beweisführung ebd. S 47!
Brentano wird ebenfalls mit seinen nicht-egologischen, dafür gegenständlich-intentionalen Argumenten gewürdigt.
Von beiden wird etwas genommen.
Es folgt, wie oben schon gesagt, eine erste Erklärung des eigenen Standpunktes von M. Frank (ebd. S 43 – 44), dann wird Fichte zur Bestätigung dieses „primäre Bewusstseins“ (ebd. S 45 – 47) herangezogen, schließlich Brentano (ebd. S 47 u -49) mit seiner inneren Wahrnehmungstheorie zum Selbstbewusstsein und einem logischen Argument (ebd. S 49.50), Schließlich nochmals Brentano (ebd. S 50.51). Locke wird nur kurz zitiert (ebd. S 49).
Gott sei dank gibt es englischsprachige Literatur wie Shoemaker, die sowohl Brentanos Perzeptionsmodell wie bei Fichtes Reflexologie auf ihre Zirkelhaftigkeit durchschauten (ebd. S 51. 52)! Wie zirkelhaft ein Shoemaker ist, fällt ihm aber nicht auf?! 11
6) Was ich hier zur eigenen Übung bei M.Frank las und zur eigenen Übung des transzendentalen Denkens formulierte, möge nie eine Kritik ad personam sein. Ich tat es eigentlich deshalb, weil ich im gleichen Anliegen unterwegs bin: Von einem substantiellen Selbstbewusstsein möchte ich ausgehen, freilich ganz anders begründet.
© Franz Strasser
7. 12. 2017
1Vertreter eines unmittelbaren Wissens vom psychischen Zustand werden zitiert wie Terry Horgan oder Uriah Kriegel; Vertreter eines Selbstrepräsentationalismus sind D. Henrich, U. Pothast, K. Cramer, Michael Tye, Kripke u. a.; generell ist M. Frank weltweit bewandert in der analytischen Philosophie und in der „philosophy of mind“. Zitiert werden Castañeda, J. Hart, T. Kapitan, Dan Zahavi. Ferner kommen vor: Tyle Burger, Chalmers, J. Sergeant, Ned Block, T. Nagel, Shoemaker, Chisholm, Lewis, Charles Siewert.
2Christian Lotz, Wissen wir, was wir tun?, in: Philosophie als Denkwerkzeug, hrsg. v. M. Götze, C. Lotz, K. Pollok, D. Wildenburg, Würzburg 1998, ebd. S 212.
3Im weiteren Sinn kann man zur alten Unterscheidung greifen, die in der Transzendentalphilosophie aber schon oft durchreflektiert wurde: das reflektierende Wissen weiß um das Wie, das reflektierte Wissen um das Dass.
4C. Lotz, Wissen wir, was wir tun?, ebd. S 209.
5C. Lotz, ebd. S 215.
6Wenn es eine Selbstbewusstsein geben soll, wie ich mit M. Frank völlig d‘accord gehe, so muss doch ein notwendig zu postulierendes absolutes Wissen vorausgesetzt werden, sprich, eine göttliche Wahrheit, die sich im Selbstbewusstsein und in der Individualität, vermittelt durch Interpersonalität, kundtut. Natürlich erfasse ich dieses zu intelligierende Wissen nicht durch bloße Reflexion, gegen die M. Frank zuerst mit Fichte anschreibt, aber dann, abgekehrt von ihm, doch wieder voraussetzt mit seinem „prä-reflexiven“ Selbstbewusstsein. Ich bedauere immer diese nicht explizite Nennung einer göttlichen Wahrheit in der Bildwahrheit des Bildes vom Sein.
7Auch so ein Dilemma der Analytischen Philosophie. Ein Teilbereich der Analyse wird generalisiert für die ganze Wirklichkeit. Wenn seelische Zustände auf Sachverhalte zurückgeführt werden können, die mittels Aussagelogik gebildet werden, warum brauche ich noch eine übergeordnete transzendentale Logik, die diese Aussagelogik begründet? Sie endet wiederum in Aussagelogik zur Aussagelogik ad infinitum.
8Das ist natürlich das Fatale bei Heidegger, dass die Existenz selbst nicht in einem positiven, unwandelbaren, wahren Sein begründet und gerechtfertigt wird, sondern durch Zeit sich wandelnd und veränderbar darstellt.
9 Fichte hat immer wieder die bloße Begriffs- und Reflexionsphilosophie schärfstens hinterfragt – in allen WLn! Oder man lese z. B. „Bestimmung des Menschen“, 2. Teil, worin die Reflexion auf schwindelerregende Höhen getrieben wird, um gerade so entlarvt und in ihrer Gültigkeit vernichtet zu werden. Diese fragliche Würdigung von der Seite herein wie bei D. Henrich, das ist völlig unnötig und rekonstruiert und dekonstruiert Fichte gerade nicht.
10Ich zitiere beispielhaft das Problem an höchster Stelle der Wlnm (1796/97): „Reelle Wirksamkeit ist nur möglich nach einem Zweckbegriff, u[nd] ein Zweckbegriff ist nur unter Bedingung einer Erkenntniß [der Objekte für den Zweckbegriff] – diese Erkenntnisß [der Objekte] nur unter Bedingung einer REELLEN Wirksamkeit möglich; und das [empirische] Bewußtseyn würde durch einen Zirkel [,] sonach gar nicht erklärt. Es muß daher etwas geben, das Objekt der Erkenntniß und Wirksamkeit [a priori] zugleich sey. – Aber diese Merkmale sind nur in einem – allem EMPIRISCHEN Wollne u[n] aller EMPIRISCHEN Erkenntniß vorauszusetzenden – REINEN WILLEN vereinigt. Dieser Wille ist etwas blos [=ausschließlich] intelligibles.“ [WLnm § 13 IV, 2, 145].