Transzendentalkritische Lektüre – Ignatius von Antiochien, oder die Priesterweihe von Frauen; 3. Teil

Ich sehe hinter den Begriffen „Bischof“, „Priester“, „Diakon“ zwar nicht reine Vernunftbegriffe, sie sind historisch einmal eingeführt worden,  deshalb auch historisch relativierbar, aber einen Wesenszug der Vernunft tragen sie an sich, d. h. dass sie auf ein qualitatives Wesen eines Wertes  hinweisen sollen im Sinne einer Zweckmäßigkeitsordnung:  Sie legen Zeugnis ab a) für eine Erinnerungs- und Gedächtniskultur der positiven Offenbarung und b) Zeugnis einer möglichen,  faktischen, sakramentalen Heils- und Sinnordnung.  

Anders gesagt: Sakramentale  Ämte, von einem Mann oder einer Frau ausgeübt, haben einen a)  konstitutiven Sinn und b) einen regulativ-praktischen Zweck, nämlich beide Male die  Erinnerung und die pertinente Sinnidee der Erlösung/Vergebung zu verzeitlichen und zu vergeschichtlichen. Es soll eine genetische Heils- und Sinnordnung bis in unendlich ferne Zeiten bezeugt werden, eine Heilsordnung der Rettung und Erlösung für alle von allen zu jeder Zeit.

Der „Traditionsbeweis“, wie das oft genannt wird,  ist von seinem Wesen  her deshalb von hohem Geltungsanspruch, weil material etwas weitergegeben werden soll, das selbst ungeschichtlich ist, letztlich hier der höchste Wert, Liebe, die um ihrer selbst willen bejaht werden will. Ein höchster Wert, der in seiner Hoheit und unbedingten Selbstrechtfertigung ineins seine vollkommene Erfüllung und Herrlichkeit bedeutet.1

Durch unser reflexives Wesen und Denken wird dieser höchste, ergreifende Wert in eine Zweckmäßigkeitserwägung aufgenommen. Der sittliche Wert bestimmt sich so nicht nur in sich, sondern ebenso in einer Relation, insofern das sittliche Behaupten nicht nur den Wert umfasst, sondern auch das freie Wollen.2 

Die Zweckmäßigkeit ist für uns reflektierende Vernunftwesen konstitutiv und notwendig anzunehmen – so nach Fichte.

Ich verweise hier zuerst auf Kant: Kant hat in der KdU (1790) den Zweckbegriff in einem regulativen Sinne verstanden. Er meint, wir wissen ihn nicht genau herzuleiten, er ist eine subjektive Maxime, weder Naturbegriff noch Freiheitsbegriff, „weil er gar nichts dem Objecte (der Natur) beilegt (…)“ 

Dieser transscendentale Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur ist nun weder ein Naturbegriff, noch ein Freiheitsbegriff, weil er gar nichts dem Objecte (der Natur) beilegt, sondern nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen, vorstellt, folglich ein subjectives Princip (Maxime) der Urtheilskraft; daher wir auch, gleich als ob es ein glücklicher unsre Absicht begünstigender Zufall wäre, erfreuet (eigentlich eines Bedürfnisses entledigt) werden, wenn wir eine solche systematische Einheit unter bloß empirischen Gesetzen antreffen: ob wir gleich nothwendig annehmen mußten, es sei eine solche Einheit, ohne daß wir sie doch einzusehen und zu beweisen vermochten.“ KdU, Einleitung, Bd V, 184.

Anders dann FICHTE: Er verwendet den Zweckbegriff konstitutiv: Z. B. in der Wlnm (1796-1799) wird von einer Synthesis des Lebens ausgegangen, das im aufsteigenden Sinne  analysiert wird, d. h. es wird von einem Zwangs- und Kraftgefühl auf der realen Seite  und einem Streben und einem Trieb der Selbstbestimmung auf der idealen Seiten ausgegangen, bis die durch den Zweckbegriff distributiv zu denkende Einheit des Lebens erreicht ist. Ohne Zweckbegriff könnte ein Begriff des Lebens, der Bewegung, der Artikulation, der Organisation, nicht erkannt oder bestimmt werden.

Das kann jetzt analog auf alles theoretische wir praktische Denken übertragen werden, auf das Denken von Natur, Recht, Moralität und Religion und Geschichte. So wird z. B. eine rechtlich-materiale Qualität zu einem Rechtssystem ausgebaut – oder, wie hier,  der Wertgehalt und die genetische Erkenntnis einer positiven Offenbarung zu einem Zweck- und Systemgedanken interpersonaler Erfüllung mediatisiert und konkretisiert.

KANT verwunderte sich noch über die Notwendigkeit, eine Maxime der Zweckgerichtetheit in die lebendige Natur (siehe Zitat oben aus der Einleitung der KdU) hineinlegen zu müssen, deren Rechtsgrund er aber nicht angegeben konnte. Von Fichte her muss umgekehrt gesagt werden, dass ohne konstitutiven Zweckbegriff  z. B. weder eine Einheit des Begriffes Leben im Bereich Natur,  noch eine Einheit einer intelligiblen, interpersonalen Welt im Bereich Recht oder Moral, noch ein Endzweck bzw. Vernunftplan im Bereich der Religion und Geschichte. 

Die  apriorische Vernunftoffenbarung und die positive Offenbarung, die im Grunde eins sind und ihren  Rechtsgrund in sich haben, insofern sie eine Helligkeit des Guten und des Wahren, der Rettung und Erlösung (Satisfaktion und Restitution) darstellen, sind ein in einem Grundwillen gewähltes Wertsystem mit einer spezifizierenden Beziehung des sittlichen Sollens auf die gegebene Realität und wollen in interpersonaler und geschichtlicher Realisierung verwirklicht werden. Das geht nicht ohne Zweckbegriff.3

Mit PAULUS gesagt und analog zur begrifflichen Idee einer distributiven Zweckeinheit: die prinzipielle Bejahung einer genetischen Erkenntnis von Liebe und höchstem Wert führt zu einer in sich zusammenhängenden Heils- und Sinnordnung in einem figuralen „Leib“, zu einem „Leib Christi“.

Das sei noch näher skizziert: 4
Es kann eine elementare Begriffsstruktur von
Zeit (=Z), Begriff (=B),  Topos (=T)  und allgemeines  Ordinationsgefüge (=O)  aufgestellt werden, um eine  Heils- und Sinnordnung in allen ihren Begriffsfolgen (z. B. von sakramentalen Ämtern) rational zu begründen und  sichtbar zu machen. 

Ad Zeit: Es muss immer (jetzt speziell für diese Frage kirchlicher, sakramentaler Ämter) eine zeitlich-geschichtliche Begründung und Rückführung der Heils- und Sinnordnung (der kirchlichen Gemeinschaft) auf die apriorische wie positive Offenbarung in der Person JESU CHRISTI – von allen für alle zu jeder Zeit – möglich sein, sprich eine Gedächtnis- und Erinnerungskultur, die sich in  vielen Praktiken und Riten und Geschichten und Gebeten und Gesängen manifestiert.

Ad Begriff: Unter „geschichtlichen“ Rückbezug verstehe ich wesentlich  mehr als eine bloß historisierende oder sonst wie religionshistorische, psychologische oder  kulturwissenschaftliche  Vermittlung. Die Erinnerung und das Gedächtnis an JESU heilsvermittelnden Tod und seine Auferstehung, Geistsendung, Himmelfahrt, sowie der Ausblick auf seine Wiederkunft, ist eine geschichtliche, pertinente, uns konkret bestimmende Sinnidee, ein Wert, eine Liebe,  die als ideelles Sein schöpferisch allen weiteren geistigen Akten zugrunde liegt.

Ad Topos: Die pertinente Sinnidee des Begriffes von Erlösung und Vergebung gilt  für alle von allen zu jeder Zeit innerhalb eines Topos von synchroner wie diachroner Geschichtsbetrachtung.

Ad Ordinationsgefüge: Die  Sichtbarmachung der geschenkten Erlösung und Vergebung, sprich die ganze ekklesiologische Umsetzung, vollzieht sich im Rahmen des „Grundsakramentes“ einer universalen interpersonalen Gemeinschaft und im Rahmen von Liturgie, Verkündigung, Caritas  – gemeinhin vom 2. Vatikanum als „Grundsakrament“ „Kirche“ zusammengefasst. 

Nur „konservativ“ (im schlechten Sinne) auf alte Formen  zu vertrauen, würde einem diachronen Sinn der pertinenten Sinnidee widersprechen, wie umgekehrt bloße andere, „neue“ Formen, noch nicht synchron zum absoluten Geltungsgrund sein müssen.

© Franz Strasser, 29. 9. 2019

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1Ich beziehe mich in den Grundlinien meiner Argumentation auf R. Lauth, Ethik in ihrer Grundlage aus Prinzipien entfaltet. 1969, S. 36.37.

2Siehe R. Lauth, ebd., S 39ff.

3Dadurch, dass R. Lauth die Zeit und Geschichte im Bewusstsein konstituiert sein lässt, umgeht er die Zirkel der hermeneutischen Geschichtsdeutungen: der Begriff setzt das Sein voraus und das Sein den Begriff. Er kann durch die transzendentale Wissensform und die transzendentale Grundstruktur des Wissens von der Unbedingtheit eines Solls zu einer Applikation des sittlichen Wertes in Zeit und Geschichte kommen. Siehe dazu auch: R. Lauth, Die Konstitution der Zeit im Bewusstsein, Hamburg 1981.

4Ich kann hier ebenfalls nicht auf genauere Ableitungen eingehen, doch die Begriffstruktur entnehme ich der transzendentalen Wissensstruktur, wie sie J. Widmann in seinem Werk, Hamburg 1977, ausgeführt hat.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser