In einer ersten Analyse des Daseins wurde aus der Bewusstseinsstruktur das einheitlich unterscheidende Geschehen eines Sich-Wissens und Sich-Wollens analysiert und herausgestellt. Will das Bewusstsein sich selbst wissen und begründen, so verweist es aus sich und in sich auf einen trans-immanenten Grund seiner selbst. Diese Struktur lässt sich aus der Selbstaufgabe des reinen Willens dahingehend aber erst begründen und aufklären, dass dieses einheitliche Beziehungs – und Unterscheidungsgeschehen wesentlich ein personal – und interpersonal verlaufendes Geschehen ist. Die interpersonale und wir können in weitere Folge sagen, gesellschaftliche und geschichtliche und mediale Verfasstheit des Menschen ist keine nachträgliche, akzidentielle Bestimmung des Vernunftwesens, sondern deren primäre Bestimmung der Reflexionsnatur nach. Wie das Bewusstsein in seiner Reflexion auf einen Gehalt hingerichtet ist, so muss dem Ich ein Du und beiden ein Wir in einem trans-immanenten Grund von Wahrheit und Gutsein, d. h. in einem personalen Sinn, gegeben werden. Das einheitliche Sich-Unterscheiden und Sich-Aufeinander-Beziehen des Bewusstseins, wie im 1. Teil ausgeführt, offenbart sich als freies, trans-immanentes Geschehen eines personalen Ereignisses. Diese Eigenart soll nach E. SIMONS noch näher analysiert werden. 1
Im Aufruf-Geschehen können drei Momente unterschieden werden: a] Die gegenseitige Freigabe im Aufruf-Antwort-Verhältnis, b] die darin wechselweise übertragene Gabe und c] die daraus folgende Aufgabe. Alles ist dabei in einem freien, gegenseitigen Verstehen [selbstbezüglich] gesetzt. Das Ereignis dieses Verstehens sieht sich auch so. Es ist gegenseitiges Sicherscheinen von Ich und Du in einem gemeinsamen Gegebensein und gemeinsamen Freisein. Das Sich-Wissen und Sich-Wollen ist wesentlich Ich-Du-Erkenntnis, gegenseitige Freigabe, Gabe und Aufgabe eines Wir. Der trans-immanente Grund ist der Materialität nach ein „Freisein der Ich-Du-Genesis“.2 Indem das Ich ein Du aufruft, es selbst sein lässt, will das Ich vom Du auch gewollt und bejaht werden und weiß dies reflexiv. Wie das Ich sich ursprünglich als substantieller Denk- und Selbstbestimmungsakt erkennt, so will es sich ursprünglich auch als gewollt erkennen, ermöglicht und wirklich durch die Selbstaufgabe des reinen Willens gegenüber einem Ich. Es will sich darin zugleich vom Du her als Ich erkennen und gewollt erkennen, also auch als Du des anderen Ichs erkennen. Dies ist ermöglicht und wirklich durch die Selbstaufgabe des reinen Willens gegenüber einem Du. Da in der Aufgabe an den anderen der Selbstvollzug nicht alleine geleistet werden kann, weil der Zweck der angehobenen Aufgabe eine eigenständige Setzung ist und vom anderen her vollendet werden soll, bleibt diese Form des anderen Du dem reflexiven Sich-Erkennen und Sich-Wollen des Ichs entzogen und es transzendierend. Das Ich kann sich nicht selbst erkennen und wollen, ohne sich von sich zu unterscheiden; es unterscheidet sich vom anderen seiner selbst, welches gleichfalls anderes, wirkliches Ich ist. Damit aber Ich und Du als solche einander erkennen und gewollt erkennen, darf das Du dem Ich und das Ich dem Du nicht rein transzendent gegenüberliegen, sondern Ich und Du sollen sich ja immanent, in einer reflexiven Beziehung erkennen können. In einem trans-immanenten Grund sollen Ich und Du einander erkennen und darin miteinander verbunden sein. Archetypisch ist dies ermöglicht durch den reinen Willen in seiner Selbstaufgabe. Selbsterkenntnis ist schon vom anderen her erkannte Erkenntnis, und dies wiederum ereignet sich ursprünglich.
Das ganze Erkennen der Tathandlung, das in einer ersten Daseinsanalyse als Sich-Wissen und Sich-Wollen beschrieben wurde, ist nicht eine leere Reflexion oder ein formales Anerkennen des anderen, sondern ein theoretischer wie praktischer Akt in einem. Es fließt eine unmittelbare spontane Beurteilung, Bejahung oder Verneinung, Zustimmung oder Ablehnung, ein grundsätzliches Verstehen, ein Sinn und ein sittlicher Wert in den wechselseitigen Erkenntnis-Prozess der personalen Anschauung bereits mit ein. Wenn das Ich sich erkennen will, so will es sich auch zugleich ursprünglich; will es sich aber ursprünglich, so will es sich erkennen.
Diese Selbstbegründung und Selbsterkenntnis ist aber nur vom Du her ermöglicht: Das Ich, wenn es sich in seinem trans-immanenten Grund als Freiheit anschauen will, kann sich nur als das Du anschauend und als vom Du angeschaut werdend verstehen. Auge in Auge von Ich und Du ist eine Materialität des Seins der Freiheit schon eröffnet, die in ihrem Sinn- und Sittlichkeitscharakter eine spezifische Qualität hat. Die unmittelbare Selbstanschauung, die in der intellektuellen Anschauung vorausgesetzt wird, nimmt theoretisch und praktisch immer Bezug auf diese spezifische Qualität. Das dem Ich entgegengesetzte Du, das immer auch ein das Ich transzendierendes Du ist und bleiben soll, ist somit durch den trans-immanenten Grund ein reflexiv in Beziehung gesetztes, vermitteltes Du. Diese Vermittlung ist nicht willkürlich ohne Rechtsgrund angesetzt, sondern ist eine auf den freien Willen gerichtete spezifische Evidenz, die in ihrer Unmittelbarkeit der Qualität und des Sollseins eine gemeinsame Form des Lichtseins und der Verbundenheit von Ich und Du in einer unerschöpflichen Quelle der Reflexivität und der Beziehung hat.
Der Grund der Vermittlung ist der schon angesprochene trans-immanenten Grund der Wahrheit und des Gutseins bzw. ein personaler Grund der vergebenden Liebe. E. SIMONS spricht hier davon, dass die geistige Anschauung dieser Einheit und der Vermittlung nicht statisch gegenständlich und immer verfügbar ist, sondern die Helligkeit des Ereignisses von Ich und Du ist bildlich gesprochen Atmosphäre, Einschauung und Intuitus.3 Die Einheit ist ein qualitatives Licht, nicht etwas Beleuchtetes; ein lebendiger Intuitus vom Ich zum Du und dessen, was sich darin begibt. Es ist ein unsichtbares Übertragungsgeschehen zwischen Ich und Du in einem Wir und nur unter Mitvollzug und Miterleben dieses geistigen, lebendigen Intuierens erleben und erkennen wir dieses Licht und diese Helligkeit der Wahrheit und des guten Willens. Das Gegenteil wäre, dass sich das Ich dem Du nicht öffnen will; dann wäre dieser Unwille als Unfreiheit zugleich ein Verlust an Bewusstheit des geistigen Intuitus.
Was in der Schau eines Intuitus und der Helligkeit des Lichtes an Materialität aufleuchtet, bleibt in seiner Offenbarkeit zwar unverfügbar und gnadenhaft, trotzdem muss im Miteinander und in der geschichtlichen Seins- und Erkenntnisweise dieser Gehalt als einheitsbegründendes Prinzip alles Sich-Erkennens und Sich-Wollens vorausgesetzt werden. Das Prinzip des trans-immanenten Grundes ist nicht bloß eine formale Vermittlung, sondern ebenso für das ganze Verhältnis von Ich und Du eine unerschöpfliche Quelle des Sinns und der Bejahung.
Ich habe jetzt anhand der Wlnm schön öfter auf die Versinnlichungsform des reinen Willens hingewiesen, auf Leiblichkeit, Versinnlichung, Vergeschichtlichung, generell auf Inkarnation und notwendiger Verzeitlichung und Mediatisierung. Das überspringe ich hier, erwähne es aber trotzdem, weil dieses Mittelglied zwischen personalem Dasein und göttlichem WORT keineswegs fehlt, aber für sich sehr lange Ableitungen jetzt verlangen täte.
Die Genesis personalen und interpersonalen Daseins möchte ich aber in einem 3. Teil noch genauer – mit Hilfe von E. Simons – ansprechen:
Der ganze personale und interpersonale Erkenntnisprozess lebt nur, wenn die Ansprüche und Rechtfertigungen dieser Ansprüche aus der Wahrheit kommen und darin begründet sind. Damit ist wesentlich festzuhalten: Personsein und damit zugleich verbunden Miteinandersein lebt als Selbstbehauptung aus der Wahrheit und ist somit, als Dialog geführt, ein Dialog von besonderer Art und Weise.
© Franz Strasser, Dez. 2010
1 Eberhard Simons, Philosophie der Offenbarung. Auseinandersetzung mit Karl Rahner. Kohlhammer Verlag Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1966.
2 E. SIMONS, Philosophie der Offenbarung, 115.
3 E. SIMONS, Philosophie der Offenbarung, ebd. 118.