Der Begriff als „Grund der Welt“ und dies mit Bewusstsein hat sein eigenes Objekt und seinen eigenen Selbstzweck, d. h. die sittliche Liebe in der Gemeinde (als interpersonale Liebe) sichtbar zu machen.
Eine Sittenlehre ist deshalb stets anwendungsbezogen eine Seinslehre, bezogen auf das Sein einer „Gemeinde von Ichen“ (siehe Ende 17. Vorlesung S 340 Z 5).
Die SL-1812 ist im 1. Hauptteil (1. – 17. Vorlesung) deduktive Darstellung und Phänomenologie der Erscheinung des Absoluten als idealer Begriff der Sittlichkeit, als interpersonale Sittlichkeit und Liebe. 1 Konkret hier im 1. Teil: Die Sittenlehre führt zu einem Begriff des Selbstzwecks (10. Vorlesung, S 312 Z 8)2 und führt zum Begriff der „Pflicht“ und zu einer „Pflichtenlehre“ (ebd. 10. Vorlesung S 313 Z 16).
Bei Kant evtl. ähnlich auffindbar im Begriff des sich-selbst-verpflichtenden Wollens gegenüber einer interpersonalen Allgemeinheit und gegenüber einem „Reich von Zwecken“, aber nicht spekulativ abgeleitet aus der „Erscheinung des absoluten Lebens“ (S 314, Z 21).
Der spekulative Begriff geht im Wollen über zu einer praktischen und pragmatischen „Kunstlehre der Sittlichkeit.“ (11. Vorlesung, ebd. S 315 Z 12ff) und soll sichtbar werden als „das göttliche Bild“ (12. Vorlesung, S 320 Z 20ff).
In und durch die Ichform wird der Begriff ein „zeitschaffendes Prinzip aus sich selbst“ (13. Vorlesung S 324 Z 19).
Es gibt dabei eine substantielle Zeit und ein akzidentielle Zeiterscheinung. Das Bewusstsein soll gebildet werden zu einem „für immer gefassten Willen“ (14. Vorlesung S 328 Z 11). Das wahre Ich soll erscheinen;
es gibt eine Neugeburt aus dem Begriff (16. Vorlesung); das Wollen des absoluten Begriffes bedeutet Unsterblichkeit.
Der Begriff wird durch das Ich ein Abbild, wird Leben, „ein unendlich sich forterkennendes“ (17. Vorlesung S 337 Z 26) Bilden des Ichs nach dem reinen Bild des Begriffes; so werden sinnliches und übersinnliches Vermögen verbunden. 3
Die Sichtbarkeit des idealen Begriffes (von Gemeinschaft, sittlicher Liebe, Interpersonalität) als Faktum in der Erscheinung und für die Erscheinung ist schlechhin faktisch im faktischen Sehen, das ohne alles Zuthun der Freiheit jedem wird, u, keiner ändern kann! (17. Vorlesung S 339 Z 31). Der Begriff ist eine „Gemeinde von Ichen“ (17. Vorlesung S 340 Z 5).
—————-
9. Vorlesung (in Stichworten)
S 304 Das Einzige, was wahrhaft ist, ist der Begriff, das reine und geistige Sein.
Es ist falsche Duplizität, dass ein Wissen sei zufolge des Seins und das Sein zufolge des Wissens in einem objektiven Denkverhältnis.
S 305 Geist und „Natur“ sind durchaus nicht zu vereinen.
Das erste wirkliche, wahre Sein ist die Sittenlehre
S 306 – Der Begriff ist kräftiges, äußerndes Leben, er ist sich bewusst seiner als Leben (vgl. ebd. Z 22), als eines freien Lebens;
das Bewusstsein der Freiheit ist Bedingung des Bewusstseins einer Kausalität seines Produktes. (vgl. ebd. Anm. Z 28)
S 307 Beschreibung der objektiven Welt durch den Begriff.
S 308 – Fichte gibt selber eine Zusammenfassung:
„Schluß. Durch diese Ansicht verwandelt sich nun dasjenige, was man bisher Sittenlehre genannt hat, in eine Seyns lehre (Lehre von dem wahren Seyn, der eigentlichen Realität.) Der Unterschied ist der: Eine Sittenlehre sezt die Freiheit als Möglichkeit des Seyns oder auch Nichtseyns, drum als ein beides vereinigende[s] Glied, als eine unmittelbar erkannte, und wahre Realität voraus, u. bringt dieselbe unter Gesetze. Ihr ist eben diese Freiheit das wahre erste, u. ursprüngliche Seyn.(….) Unsre hier aufgestellte Lehre sezt die Freiheit nicht voraus, sondern leitet sie ab, als eine blosse Form der Erscheinung: nicht als im Seyn unmittelbar liegend, sondern nur in der Sichtbarkeit des Seyns; als synthetisches Glied eines Verhältnisses: des Verhältnisses dessen, was in der That nicht ist, der Aeusserung des Lebens in einem Bilde, zu dem <was allein ist schlechthin, zum Leben des Begriffes selbst.“
/ Wenn man die Aufstellung jenes blossen u. reinen Scheinlebens Physik nennt, [kann man die Lehre vom wahren Leben nennen:] Metaphysik. W[as]. d[as]. E[rste], W[äre]. (ebd. Z 1ff)
10. Vorlesung – es folgt eine Gesamteinschätzung des Standpunktes einer Sittenlehre
„Will‘ man nun doch, um fürs erste die Rede an die gewöhnliche Ansicht anzuknüpfen, und | [für] pragmatische Zweke der Menschenbildung das Wort Sittlich, Sittenlehre, u. dergl[eichen]. behalten, wie veränderte[n] diese Ausdrüke dadurch ihre Bedeutung.
Zuförderst versteht es sich, daß man sich sodann in den Standpunkt des Zusammenhanges u. Verhältnisses des wahren Seyns mit dem bildlichen setzen müsse, denn der Begriff Sittlichkeit sezt Freiheit, in dem angegebnen Sinn, Indifferenz in Beziehung aufs Wollen, u. so erst ein Wollen überhaupt. Man muß drum ein Ich annehmen, vor seiner Bestimmung durch den Begriff, als selbstständig, u. indifferent gegen diese Bestimmung. Dies [ist] die absolute Voraussetzung, einer Sittenlehre im eigentl[ichen]. Sinne. Die Sittenlehre steht [also] nicht im Standpunkte der Wahrheit, sondern in dem der Erscheinung. ([und] wenn sie wirklich wissenschaftl[ich]. seyn soll, in der Absicht, um die Erscheinung aufzulösen in Wahrheit, u. sie in derselben zu vernichten.(ebd. S 308 Z 18ff u. S 309)
S 309 Der Begriff des Ich wird somit in der Sich-Erscheinung situiert und dort gebildet.
Es geht um kein „sich machen, dergl[eichen]“ (ebd. Z 22), es ist das Ich notwendig im Bewusstsein erscheinend, denn es ist „Reflex des wirklichen Seyns“ (ebd Z 25)
„Nicht das Ich, das erscheinende, macht das Seyn: sondern das Seyn macht die Erscheinung des Ich“ (ebd. Z 28; Hervorhebung von mir)
S 310 Wenn das Sein die Erscheinung des Ich macht, so wird bereits die Wahlfreiheit im Ich vorausgesetzt, ebenso „Unsittlichkeit“ (ebd. Z 10);
Eine objektivierte Sittenlehre entspricht analog dem Geist des Christentums.
S 311 Wenn das Ich sich erscheinen soll als durch den absoluten Begriff gebildet, könnte es auch ausgedrückt werden, es wird durch den „durch sich bestimmten Begriff“ der „Vernunft“ (ebd. Z 11) bestimmt.
S 312 – Das Kriterium und Äußere des absoluten Begriffes ist dann die äußere Welt als eine Äußerung der Freiheit. (ebd. Z 1) Damit ist das Objektive, als der Gegensatz zum Begriffe und zur Freiheit, Mittel zu einem Zweck, Mittel nur für einen anderen Zweck , „SelbstZwek“ (ebd. Z 8)
„Das Ich muß erscheinen, als schlechthin erschaffend, das was Zwek an sich ist, was schlechthin seyn soll, was außer sich gar keinen Zwek hat: denn nur so ist es Leben des absoluten Begriffs. * (ebd Z 14)
Es wird nochmals rekurriert auf den Begriff des Wollens und des Solls – und das dies alles bereits auf der objektiv-gesetzten Ebene der Erscheinung sich abspielt:
Von einem zweiten äussern Kriterium des absoluten Begriffs ist schon oben ausführlich gesprochen worden. Weil das Leben des Begriffs erscheint als formales Leben durch sich, als Vermögen, u. so als frei, zu wollen oder nicht, so erscheint der Begriff als ein Postulat eines Wollens, als ein formales Gesez, oder als ein Soll. Es leuchtet ein, daß dies die eigenste Ansicht der Sittenlehre vom Begriffe seyn muß, in dem diese eben Freiheit voraussezt, u. diese unter ein Gesez bringt. Es ist gezeigt, daß diese Ansicht nicht die der Wahrheit, sondern bloß der Erscheinung ist; (ebd. Z 14ff)
S 313 Das in der WL deduzierte Prinzip des Soll ist auf der Ebene der Erscheinung unabtrennlich mit dem Willen verbunden – und muss hier notwendig erscheinen als Motiv des Wollens, d. h. „als das Ideale des Ich, das unmittelbar übergeht in objektive Realität.“ (ebd. Z 9)
Es offenbart sich dem Ich ein Begriff der „Pflicht“. „Sittenlehre enthält unter sich eine Pflichtenlehre“ (ebd. Z 16); damit ist aber jetzt nicht eine willkürliche Lehre zu sittlichen Inhalten gemeint, – vorausblickend auf Seite 314: „(….) daß es drum kein Pflichtenlehre a priori giebt, (…“) (ebd. Z 5) sondern die Freiheit des Wollens soll den idealen Begriff verwirklichen:
„Was sich dem Ich offenbart, als das was es schlechthin soll, heißt seine Pflicht. Sittenlehre enthält unter sich eine Pflichtenlehre. –. Unter sich, sage ich: denn dieser Begriff drükt nur das Was, die Qualität aus. Ein Wille, der dies eben wollte, wäre pflichtmäßig. Sittlich wäre er dadurch allein noch nicht, denn dazu gehört, daß er es um der Pflicht u. des Soll willen thäte; [daß] dies, wie gezeigt ist, Motiv wäre seines Willens.
– [Es ergibt sich also eine] Andere Formel: das Ich muß erscheinen, als seine Pflicht wollend, schlechthin um der Pflicht willen, denn diese, mit dem Merkmale daß das Ich schlechthin sie wollen solle, ist der Absolute Begriff, u. nur wenn es sie aus diesem Grunde will, ist es Leben des absoluten Begriffs. -.
Ich habe hinzugesezt: das schlechthin als Pflicht sich offenbarende; denn diese Pf[licht]. ist ja der absolute Begriff selbst, der absolut ist, nur inwiefern er aus nichts anderm folgt;“ (ebd. Z 15ff)
S 314 Die Sittenlehre nach den Prinzipien der WL ist eine Wissenschaft a priori, die Inhalte des idealen Begriffes allerdings müssen aus der Sich-Erscheinung des Absoluten selbst stammen, „offenbaren“ sich als „Erscheinung des absoluten Lebens“ (ebd. Z 21) und das Kriterium der Wahrheit der Sittlichkeit ist, ob das Wollen das im Erscheinen liegenden Solls um seiner selbst willen will, oder nur aus eigennützigem Vorteil, geschieht.
Die Sittenlehre als philosophische Disziplin muss jetzt die Pflichten, die begründet sind im erscheinenden Soll und im idealen Begriff, den man aus Pflicht um seiner selbst willen wollen soll, in einen systematischen Zusammenhang bringen, ein „vollständiges Bild des Phänomens des wahren Ich, bis herunter in die KörperWelt aufstellen. – Eben [eine] vollständige Erscheinungslehre“ (ebd. Z 20f)
S 315 Es können in einer Sittenlehre nicht die Ableitungen von Erscheinung des Absoluten, wie in der WL getätigt und wiederholt werden, sie werden aber als „Lehrsätze“ (ebd. Z 10) eingeflochten;
Es kann nicht bei einer Sittenlehre des Seins verblieben werden, sondern soll aus Gründen der Konstitution des Bewusstseins und der Selbstbestimmung zu einer Sittenlehre des Werdens kommen.
„[Unsere Aufgabe ist die] Erscheinungslehre des wahrhaftigen, u. realen Ich., Ichlehre u. so Phänomenologie, da es vorher Seynslehre war., jedoch absolute Phänomenologie, nicht eben wieder des Phänomens von dem Phänomen, was etwa die Physik seyn mag.
2.). [Die Sittenlehre also sucht] Eine andere Ansicht im Sinne des Werdens. Wie wird das bloß scheinbare Ich zum wahrhaftigen: u. wenn die Untersuchung von Nutzen seyn soll, wie läßt es sich dazu machen.[?] Dieses gäbe eine eigentlich praktische, u. pragmatische Kunstlehre der Sittlichkeit.“ (ebd. Z 12ff)
Diese „praktische u. pragmatische Kunstlehre der Sittlichkeit“ (ebd. Z 21) setzt aber schon einen sittlichen Willen voraus.
Man kann nur sittlich werden, d. h. den vorhandenen guten Willen kräftigen und befestigen, d. h. durch Aszetik lehren. (ebd. S 316 Z 3)
S 316 – und durch Erziehung und Pädagogik „das große allgemeine Ich“, das gesamte Menschengeschlecht, zur Sittlichkeit bringen; diese ausgedehnten und mannigfaltigen Prinzipien sollen aber hier nicht in extenso vorgetragen werden, sie werden nur beiläufig berührt;
bis jetzt erzog Gott den Menschen – S 317 in der Form der Naturentwicklung; jetzt muss der Mensch sich selber erziehen;
S 317 d. h. der Mensch soll sich als Werkzeug des Begriffes sehen; das Ziel der Sittlichkeit soll durch Lehre und Erziehung klar werden;
12. Vorlesung
S 317 „Meine [Auffassung der Sittenlehre als] Seynslehre“ (ed. Z 18)
S 318 Anspielung auf Platon und die Platoniker mit ihren Ideen/Gesichten als Abbilder des Empirischen; – „Ich glaube wohl mehr zu seyn“ (ebd. Z 3)
Der Standpunkt a) der Wahrheit und b) der Erscheinung wird beschrieben;
ad a): die wirkliche Erscheinung muss gleich sein der aus dem Begriffe möglichen, dann ist die Erscheinung sittlich; ein individuelles Ich ist eine beschränkende Regel des absoluten Begriffs; es erscheint nur innerhalb dieser Schranken als sittlich; der Begriff lebt und erscheint.
S 319 Ad b): der Begriff der Freiheit wird in der bloßen Scheinlehre bloßes formales Leben, getrennt vom Inhalt; wäre unsittliches Leben;
„Um dies scharf zu bezeichnen: Der Grundsatz der Sittenlehre läßt sich auch so fassen: das Ich muß sich erscheinen, nur als Erscheinung; denn es soll ja nicht sein [eigenes] Leben seyn, sondern Leben eines fremden u. andern, des Begriffs. Ein eigener Wille, oder Leben nie: sondern nur die Erscheinung, die Sichtbarkeit des Begriffs, die eben von jenem sich ablöst, wo das Ich nur das leidende Zusehen seiner Entstehung u. seines Seyns hat.
Also- bleibt es freilich bei dem auch sonst häufig ausgesprochnen Satze: durch sich kann der Mensch nichts thun: sich nicht sittlich machen, sondern er muß es erwarten daß das göttl[iche]. Bild in ihm herausbreche. Dieser Glaube [an eigenes Vermögen] u. diese Meinung [, daß der Mensch durch sich sittlich werde,] ist vielmehr das sichere Zeichen, daß es noch nicht herausgekommen sey, u. das gröste Hinderniß dagegen: denn es ist Widersezlichkeit [gegen das wahre Leben]. (ebd. S 320 Z 20ff)
S 321 Warum dann diese ganze Belehrung?
„Der Begriff muß eben erst im Bilde erscheinen,“ (ebd Z. 10); man hilft vielleicht dadurch der „Kraft des Begriffes“ auf (ebd. Z 12)
13. Vorlesung
Das Leben des Begriffs ist das Ich, hier: unmittelbares Leben des Begriffes als Eintreten ins Bild; sonst wäre es nur Bild des Bildes; hier ist gefragt der Begriff, wie er unmittelbar! Bild wird und wie sich dieses unmittelbare Bild weiter gestaltet in einem System der ganzen Bildmäßigkeit;
S 322 der Gegensatz zwischen Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit des Begriffes im Bild ist zu sehen; der Begriff bloß als mittelbares Bild erschiene nicht als solcher, wäre noch nicht sittlich;
der Begriff unmittelbar nimmt die Form der Erscheinung an; er reflektiert sich dabei notwendig in einer systematischen Form der Erscheinung; Reflexionspunkt ist das Ich;
S 323 der Begriff wird durch das Ich reflektiert, (B/I und a, b, c…..); die Grundform des Ich bleibt, modern ausgedrückt, Geltungsform für alle formalen Bestimmungen;
S 324 Das Leben des Ich ist Freiheit; Indifferenz gegenüber dem Begriff; dieser trägt nur ideale Form, ein Soll; das Leben des Ich und das Leben des Begriffs; die Kausalität des Begriffes erscheint durch das Ich; der Begriff tritt dadurch ein in eine bildliche Form;
S 324 Das Ich ist real (in Voraussetzung des Realitätsbegriffes überhaupt, gegenüber dem Absoluten); es ist ein „zeitschaffendes Prinzip aus sich selbst“ (vgl. ebd. Z 19); das Ich kann sich gegenüber dem Leben des Begriffes noch indifferent verhalten bei ablaufender Zeit;
14. Vorlesung
S 324; es muss zur Sittlichkeit erst kommen; „Das Ich muss erscheinen als unmittelbar wollend, wie der Begriff nur bis zum Wollen klar geworden ist; seine praktische Klarheit, u. das Wollen [müssen sein] Ein Schlag. Wenn zwischen beide Zeit fällt, so ist das Ich nicht sittlich.“ (ebd. S 325 Z 30 u. S 326)
S 326 Die Zeit soll durch den Begriff ausgefüllt werden;
S 327 „Das Ich, als erscheinendes Leben des Begriffs, ist Princip der Zeit“ (ebd. Z. 6)
Das Ich kann sittlich erscheinen in seiner Zeitfüllung, oder dessen Zeit läuft in einem leeren Bewusstsein des Begriffes ab.
Es gibt dann zwei Arten von Zeit im faktischen Bewusstsein, die substantielle Zeit nach dem Begriffe des Wollens, und die akzidentielle Zeit im besonderen Wollen.
„Nun, zum Schluße. Nun soll das Ich erscheinen als Leben des Begriffs, d.h. wie wir es jezt ansehen, es, als absolutes Princip aller für dasselbe möglichen Zeit, nicht aber etwa in besondern einzelnen Zeiten, soll also erscheinen. Ob es in einem gegebnen Falle will, liegt in dem faktischen Bewußtseyn seiner selbst: u. dies ist ein Bewußtseyn seines Accidens, nicht seines Substans, u. seines stehenden Charakters: es soll wissen, daß es in aller Zeit wollen werde; daß alle seine Zeit seyn werde nicht seine sondern des in ihm sich entwikelnden Lebens, u. daß niemals eine wirkl[iche]. Indifferenz gegen den Begriff in dasselbe eintreten werde!“ (ebd. Z 24ff)
S 328: Das Ich soll erscheinen als Leben des Begriffs; das Ich ist Prinzip der Zeit; ergo der Begriff soll erscheinen als Prinzip aller Zeit im Ich;
Das Bewusstsein wird gebildet zu einem “für immer gefaßten Wille(n)” (ebd. Z 11)
Ich will schlechthin meine Pflicht;
das besondere Wollen ist Teil und Akzidens des unwandelbaren Willens;
wie etwas als Pflilcht sich zeigt, ist aller Willkür ausgeschlossen; “aufgehoben ist alle leere Zeit, klare Erkenntnis u. Handeln ist immer Ein Schlag, mit Notwendigkeit.” (ebd. Z 26)
Jener auf die substantielle und formale Pflicht gehende Wille ist nicht Produkt des Ich, sondern ist Erscheinung des Begriffes und sein Sich-Machen zu einem Ich. (vgl. ebd. Z 30)
Der Wille des Ich könnte sich ändern, es ist aber dann nicht der Wille des Begriffes, des absolute Einen, ewig sich gleichbleibenden Willens, „der in gar keiner Zeit ist“ (ebd. S 329 Z 1)
15. Vorlesung
S 329 Das wahre Ich soll erscheinen mit seinem absoluten Willen, der Pflicht, der alles besondere Wollen schlechthin aufhebt. (vgl. ebd. Z 5)
Es könnte, in einem Beispiel erzählt, im bildlichen Bewusstsein der Begriff in einer Begebenheit durchbrechen oder erschaut werden in einem Gesicht; dieser Begriff entspricht dann nicht dem Charakter des vormaligen leeren Bewusstseins, sonder kann mit seinem substantiellen Leben durchbrechen und dauernd das Ich verändern; oder das Ich fällt wieder in die alte Indifferenz gegenüber dem absoluten Willen zurück, es kann sich den absoluten Willen gar nicht zuschreiben bzw. war die Erscheinung des Gesichtes (des Begriffes) gar nicht als eine substantielle Erscheinung der Pflicht und des Willens ansehen.
S 330
„Sittlichkeit [muß] ewiger, unaustilgbarer Charakter [sein], außerdem giebt es keine. [Es gibt also] Keine [einzelne] sittl[lichte] Handlungen oder dergleichen .- [sondern] nur ein sitt[liches] Leben.“ (ebd. Z 5f)
Das Leben des absoluten Begriffes bedeutet für ein Wollen Unsterblichkeit;
S 331 Allgemeine Beweise für die Unsterblichkeit gibt es nicht, das muss jeder in seinem Selbstbewusstsein selbst wissen: „Absoluter Wille oder nicht.“ (ebd. Z 26)
S 332 – die Religion bestreitet oft dieses Wollen der Sittlichkeit a priori, dass diese Heiligkeit nicht möglich sei, sie gibt sich demütig und bescheiden, aber nimmt so dem Menschen die Möglichkeit des absoluten Begriffes;
16. Vorlesung
S 333 Allein durch die Kraft des Begriffes oder Gottes soll/kann der Mensch neu geboren werden; „Gott aber wirkt gemäß den Gesetzen der Erscheinung eines Ich, denn nur im Begriffe tritt er ein, nicht als ein unbegreifliches, mechanisch wirkendes Ding, welches zu denken wäre Abgötterei ist, u. Lästerung. Das Grundgesez aber eines Ich ist Freiheit. Was Gott wirkt, oder der Begriff, muss drum unmittelbar erschienen, als gewirkt durch eigne Freiheit (…)“ (ebd. Z 23)
S 334 – eine von außen kommende, „geheimnißvolle“ Heiligung ist unverständlich, und gegen die Freiheit;
man kann tolerant sein gegenüber einem Aberglauben, wenn er leere Spekulation bleibt, aber wenn er praktisch wird, ist er abzulehnen;
es braucht den Verstand;
S 335 – Es gibt allerdings die Trägheit der menschlichen Natur;
Der Begriff kann sich allerdings im Widerstand dann melden (sc. als Gewissen);
S 336 – Es gibt eine Unterscheidung eines besonderen Solls und das Soll als allgemeine Regel, als Begriff; im ersteren Fall wird der Wille in der Zeit zwar gebildet; aber es fehlte noch die durchgängige Bestimmtheit durch den Begriff; es bleibt bei einer Indifferenz seitens des Ich; es verlangt ein ständiges „vernichten“ des Ich (ebd Z 19); Kant hat so die Sittlichkeit beschrieben, als ständiges Streben und Dagegenstreben, wodurch ihm allerdings die Lehre von der Unsterblichkeit dunkel blieb; das Soll ist nur einmal Motiv gewesen, „u. wird es in Ewigkeit nicht wieder.“ (ebd. Z 27)
17. Vorlesung
S 337 Es folgt eine kurze prägnante Passage zum Verhältnis Begriff/Ich – und warum es überhaupt zur Reflexion kommen soll:
„Das Ich ist, als Leben des Begriffs nicht nur Grund einer formalen Zeit, eines Ablaufs von Successionen, sondern es füllt auch die Zeit aus mit einem Produkte aus sich selbst, eben dem Abbilde des Begriffs in der objektiven Welt.ich Ich will] Scharf jezt diesen Unterschied [fassen]. Der Begriff [ist] an sich reines Bild, in sich geschlossen, u. vollendet: nur da- durch daß er im Bewußtseyn ein Leben bekommt, ein Ich wird, erhält er ein Abbild: Seine IchForm drum ist der Grund→→ daß er bekommen muß eine Objektivität, Abbild: u. man kann drum überhaupt sagen: das Ich ist der Grund einer objektiven Welt, und einer Zeiterfüllung durch sie.
(Ich habe oben gesagt: der Begriff ist in sich vollendet, ein klar bestimt ausgesprochnes, geschlossenes, dem nichts zuzusetzen ist, u. das keines andern außer sich bedarf. Woher denn nun die Foderung eines ihm entsprechenden Objekts, u. wozu dieses? Warum> [ist es] nicht genug, durch Erkenntniß das übersinnliche begriffen, u. dadurch allerdings zu seinem Bilde gemacht zu haben, warum nun auch noch thun? Das Leben des Begriffs, dies daß er ein absolutes Leben ist, bringt dieses mit sich: Leben aber ist er nur in der Form des Ich, des Selbstbewußtseyns (Reflexion, wie ich sie gestern in der Logik geschildert habe.
2). Er ist Leben, durchaus nicht Tod, nie abzusetzen in einer geschloßnen Form – drum ein unendliches, eben sich forterkennendes. Drum muß sein Objekt ihm gegeben werden, weil nur dadurch das Leben zum Stillstande gebracht wird, um in einer neuen Form wieder als Leben einzutreten. Nur nach Vollendung der nächsten Aufgabe stellt sich die neue.) (ebd. Z 14ff)
S 338 Der Begriff soll im Ich genetisch werden, es soll zu objektiven Schöpfungen kommen; das Ich soll nicht als bloßes Bild erschienen, tot und träge und indifferent, sondern in der Tat, „frei, im eigentlichen Sinne, aus sich, von sich durch sich. Frei, absolutes Prinzip. Durch sich.“ (ebd. Z 9f)
„Freilich ist, wie sich versteht, auch ein solches Ich Bild des Begriffes, nur nicht des Lebens, sondern eben ein Bild der Form seines eigenthümlichen Lebens überhaupt.“ (ebd. Z 11f)
Es folgt eine nächste Analyse, wie sinnliches und übersinnliches Vermögen in einer Synthese von Begriff und Ich gebildet werden. Es muss ein „schlechthin gesetzte(s) Sehvermögen“ (Z 31) geben,
S 339 dass auch den Grundcharakter der Empirie trägt, aber gleichfalls das jenseits der Empirie liegende Sichtbare; es muss „unabhängig von alle Erscheinung des Begriffs“ (ebd. Z 6) seine Sichtbarkeit und Begreiflichkeit“ (ebd. Z 7) gesetzt sein;
Alles Sehen ist Sehen des Sich-Sehens; ist Reflexibilität, die sich sehen können muss; wie tritt dieses absolute Sichtbarkeit des Nichtempirischen ins wirkliche, empirische und faktische Sehen ein?
Es ist dies m. E. eine entscheidende Stelle in der SL-1812; die Sichtbarkeit und Begreiflichkeit ist die transzendentale Bedingung der Möglichkeit der Empirie. Dazu würde aber eine einfache, allgemeine Subjektivität hinreichen; aber es muss dafür ein Vielheit geben; für sich selbst ist die Sichtbarkeit/Begreiflichkeit/Darstellung der Bildlichkeit ermöglicht durch eine „Summe von Subjekten“ (Z 29) , faktisch.
„Historisch. Empirie [ist] Darstellung der Bildlichkeit, der Sehform überhaupt rein an einem Objekte überhaupt, aus einem Subjekte überhaupt. Damit [wäre die Sache] geendet. Dazu bedarf es nun nur Eines Subjekts. Wie findet sich denn das in der Empirie? Es findet sich eine Summe von Subjekten, Ichen, eine Gemeinde derselben; eben empirisch, schlechthin faktisch im faktischen Sehen, das ohne alles Zuthun der Freiheit jedem wird, u. keiner ändern kann!. (ebd. Z 24f)
S 340 Die Gemeinde von Ichen ist ein schlechthin „sichtbares“ (ebd. Z 3), eine „Gemeinde von Ichen“ (ebd. Z 5)
Jedes Individuum erhält ein „doppelte Bedeutung“ (ebd Z 11), a) Darstellung der leeren Form eines Sehens, Sehen eines jeden/jeder, und b) „etwas an sich“, Teil der Gemeinde zu sein (ebd Z 15).
Bis jetzt ist aber nur ein leeres, formales Sein der Gemeinde bekannt; ihr Inneres und Qualitatives müsste im Leben jetzt sichtbar werden;
anders gesagt: Die Gemeinde ist ein organisches Ganzes von Individuen, darin jedes Individuum seinen Anteil an Sein und Leben hat.
(c) Franz Strasser
————-
1 12. Vorlesung, S 320: „(…) das Ich muß sich erscheinen, nur als Erscheinung; denn es soll ja nicht sein [eigenes] Leben seyn, sondern Leben eines fremden u. andern, des Begriffs. Ein eigener Wille, oder Leben nie: sondern nur die Erscheinung, die Sichtbarkeit des Begriffs, (…)“
2 10. Vorlesung: S 311 Wenn das Ich sich erscheinen soll als durch den absoluten Begriff gebildet, könnte es auch ausgedrückt werden, es wird durch den „durch sich bestimmten Begriff“ der „Vernunft“ (ebd. Z 11) bestimmt.
S 312 – Das Kriterium und Äußere des absoluten Begriffes ist dann die äußere Welt als eine Äußerung der Freiheit. (ebd. Z 1)
3Ich möchte die Frage anhand der WL-1811 lösen: Es geht um die Frage und die Lösung des Problems, wie im Schematisieren ideales Sein (an Gott) und reales Erscheinen verbunden werden können kraft Selbstbestimmung durch Freiheit. Anders gesagt: Es geht a) um eine nähere Analyse des Schematisieren der transzendentalen Möglichkeit nach, wie zwar einerseits schematisiertes Sein nur durch freien Vollzug sein kann, andererseits die Freiheit des Schematisierens („Handlung nach innen“) nur einem realen, vorgegebenen Gesetz der Selbstbestimmung folgen kann (als innere Freiheit); das führt weiters b) zu einem einsichtigen Grund des mannigfaltigen Sehens, zur Dreifachheit oder Fünffachheit und Unendlichkeit des Schematisieren-Könnens bei bleibender Einheit im Bewusstsein und weiters c) zu einer faktischen und zeitlichen Synthesis der Reflexion und Reflexibilität. („Daher, weil die Freiheit dem Soll nicht mit Einem Schlage genügen kann, indem sie nothwendig aufgeht in einem bestimmten Zustande der Anschauung, der den entgegengesezten ausschließt; darum verwandelt sich das Soll, nicht an sich, sondern in seiner Anwendung im Fakto, in ein mehrfaches. (…)“ ( WL-1811; 22. Vorlesung, ebd. S 135 Z 8f)