SL-1812: 1. – 8. Vorlesung. Kommentar in Stichworten.

Sittenlehre 1812, StA-III, (fhS 3)1

Wiederum zwecks eigener Übung im transzendentalen Denken einige Stichworte zur SL-1812. (Fortsetungen folgen) 

Verwendete Sekundärliteratur: Giovanni Cogliandro, „Der Begriff sey Grund der Welt“. Die Sittenlehre 1812 und die letzten Darstellungen der Wissenschaftslehre. In: Fichte-Studien Bd. 29., 165-176, Editions Rodopi, 2006.

G. Cogliandro unterteilt die SL-1812 in zwei Teile: „Der erste Teil geht bis zur 17. Vorlesung und schließt mit der Behandlung der Gemeinschaft.

Von der Gemeinschaft steigt die Erörterung in einer analytischen Bewegung bis zur vollständigen Darstellung der Pflicht der Gemeinschaft selbst auf, der Gemeinschaft, die durch das Mittel des Symbols charakterisiert wird.

In dem absteigend-genetischen Vorgehen des ersten Teils (sc. 1.-17. Vorlesung) war die Vielheit als von dem einen Anfangspunkt des Begriffs, der der Grund der Welt ist, ausgehend identifiziert worden.
In der aufsteigenden Analyse des zweiten Teils wird die Vielheit ursprünglich als Summe von Subjekten bestimmt. Diese Summe von Subjekten ist die Gemeinschaft als der neue Ausgangspunkt der Erörterung.“2

Dieser Gesamtüberblick erlaubt mir, eine Unterteilung in vier Teile zu machen, wobei ich mich an diese treffliche Gesamterklärung halten will. Ich übernehme deshalb die Gesamtperspektive von G. Cogliandro.

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Die phänomenologische Analyse des Bewussteins, d. h. die vernünftige Analyse und Begründung des Bewusstseins (der Wirklichkeit) hier in der Sittenlehre geschieht durch den Begriff, der a) ein praktischer ist der Sittlichkeit und b) das Ich konstituiert als sittliches Ich einer faktischen Gemeinde und in Interpersonalität. Wenn ich willkürlich eine WL Fichtes dieser Zeit nehme, würde ich sagen: Der Begriff der SL-1812 ist das reflektierte Schema 3 der Ich-Einheit der WL 1811, die bildliche, schematische und ichliche Wert-Setzung eines Vermögens – Schema 1 und Schema 2 in der WL 1811 genannt – , die genetisch in und aus der Erscheinung Gottes hervorgeht. Anders gesagt: Der Begriff der SL-1812 ist das reflektierte Schema 3 der Ich-Einheit der WL 1811, die bildliche, schematische und ichliche Setzung des Vermögens von Schema 1 und Schema 2, das genetisch in der Erscheinung Gottes als Bild Gottes begründet liegt.

Der Begriff als ideale Wertsetzung einer sittlichen Liebe und Gemeinschaft, d. h. der Wille zur Sittlichkeit ist bereits als faktische Erscheinung gesetzt, in der Form eines Sittengesetzes und eines Kategorischen Imperativs, als Sein der Sich-Erscheinung des Absoluten.3

Die reflexiven Einheit des Sich-Wissens und Sich-Bildens der WL 1811 ist hier in der SL-1812 konkrete Wertsetzung geworden, liebende Vernunft in Interpersonalität.
Der 1. Hauptteil des synthetischen Aufstiegs zu dieser sittlichen Wertwirklichkeit in der 17. Vorlesung mit dem Ergebnis des Faktums der Gemeinde – das ist wohl eine wesentliche Erweiterung der kantischen Moralphilosophie.

Das Ich ist das stehende und feste Leben des Begriffes, der Einheitspunkt seines Lebens.“ (5. Vorlesung, S 287)

Das Ich ist nicht frei, den Begriff zu haben; es ist bloß dessen ideales Leben; es ist aber frei, was seine absolute Selbstbestimmung innerhalb seines schon gegebenen Seins betrifft; die Hinzufügung dieser Selbstbestimmung heißt dann Wollen. (vgl. 5. Vorlesung, S 291, ebd. Z 17f)

Das Ich mit seinem idealen Leben und seiner realen objektiven Kraft ist nichts anderes als das Leben des begründenden Begriffs. (6. Vorlesung, S 291)

Der Begriff ist die Sichtbarkeit eines Ichs in praktischer Hinsicht, ein interpersonal verfasstes Ich, ein geistiger Akt, durch den der sittliche Wert auf eine konkrete Interperson bezogen wird – im 2. Hauptteil einer allgemeinen und besonderen Pflichtenlehre (18. – 29. Vorlesung). 

Die Reflexivität des Begriffes in der Faktizität ist Wollen und Motiv (7. Vorlesung), ist Sittengesetz und Kategorischer Imperativ (8. Vorlesung).

Sicherlich müssten viele Gedanken, die von Fichte hier so originell, neu geschaffen worden sind, noch ausführlicher dargelegt und systematisiert werden. Ich verweise hier nur auf R. LAUTH, Ethik, 1969, worin die Wertlehre und Interpersonalitätslehre einmalig dargelegt sind – wie wir sie kaum in anderen Wertlehren finden. 

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1. Vorlesung

S 269

Faktum der Sittenlehre. Der Begriff sey Grund der Welt mit dem absoluten Bewußtseyn, dass er es sey.“ (ebd. S 269, Z 16)

S 269 – Der Begriff ist reines, selbständiges Bild. Nicht Abbild oder Nachbild“. (ebd. Z 25)

S 270 Der Begriff ist Grund des Seins der Welt. Außer ihm gibt es kein Sein.

S 271 Es ist der Begriff in einem möglichen Bewusstsein, der Begriff eines Bildes überhaupt, eine bestimmtes, qualitatives Bild, reines und absolutes Bild, Gesicht.

II.) [Der]Begriff [als] Grund der Welt oder des Seyns.“ (ebd. Z 18) Welt oder Sein wäre dann das Gegenüberliegende, das Abgebildete in einem Bilde.

S 272 Es gibt den reinen Begriff und den objektiven Begriff. Der reine Begriff wird Grund des objektiven Begriffes.

Die Welt des Begriffs und des Geistes ist das Erste, das Wahre; das Sein ist das Zweite.

S 273 In der Naturphilosophie ist der Begriff nur Nachbild.

2. Vorlesung

S 274: Die Analyse des Bewusstseins mit dem Begriff als Grund der Welt ist die Aufgabe einer Sittenlehre, m. a. W., die Aufgabe einer praktischen Philosophie:

Dieser Satz [kann] auch so ausgedrükt [werden]: die V[ernun]ft. oder der Begriff, ist praktisch. Ohne diesen, kein Gedanke an Sittenlehre. Wir haben eigentlich noch mehr gesagt, durch unser[:] Grund alles Seyns. Wie beide Ausdrüke sich zueinander verhalten, wird sich auch zeigen müssen. Bemerkung: [es findet sich] ein Soll im Grundsatze der Rechtslehre: keines in dem der Sittenlehre; da muß es ja abge leitet werden. 
W.D.E. W. [Es geht also um die] Einfache Analyse des Satzes: der Begriff ist Grund der Welt. Wir haben aber hinzu gesezt die Bestimmung: mit Bewußtseyn: und eben nur ver mittelst dieses Zusatzes die Sittenlehre geschieden von aller Ph[ilosophie]. die wir wenigstens aufstellen. 
[So stellt sich als] Neue Aufgabe: dieses Verhältniß zu zeigen innerhalb der Form des Bewußtseyns. oder auch: das Bewußtseyn des Grundseyns d[es]. B[egriffs]. zu beschreiben. [Wollen wir] Nur an das erstere uns halten, das lezte komt uns dann zugleich mit eben in dieser Form. 
Also [es gilt] – ein solches Bewußtseyn zu analysiren. Es versteht sich, daß durch die Aufnahme in diese Form das ganze angezeigte Verhältniß des GrundSeyns durchaus durchdrungen, u. weiterbestimmt wird, ein durchaus anderes Ansehen bekommt.“ (ebd. S 274 Z 3ff)

S 275: Das Grundsein ist die Form des Bewusstsein (vgl. ebd. Z 14) – und das Sein ist nur im Reflexe, als seine Projektion.

1.). Das Grundseyn eines etwas, wie hier des Begriffes, ist im unmittelbaren Bewußtseyn (der Anschauung) Uebergang von einem Nichtseyn, nemlich [Nicht] Grundseyn, zu einem Seyn, nemlich dem Grundseyn, der Kausalität. Wie überall, so [auch] hier sezt die Anschauung sich in die Genesis des angeschauten, sie sieht es werden, u. hervorgehen, aus dem das Nichtseyn: dem Grundseyn sezt sie nothwendig, um es anschaulich zu machen, das Nichtgrundseyn voraus, u. sie selbst ist das Bild eines Mittels zwischen beiden, eines Uebergangs von einem zum andern.“ (ebd Z 24ff)

S 276 Der Begriff schaut sich an in einem Akte des Grundseins, setzt einen solchen Akt hinzu.

Der Begrifft ist hier „schlechthin durch sich selbst Grund, der Voraussetzung nach; (ebd. Z 17)

Der Begriff wird in seinem Grundsein zu einem „schlechthin sich bestimmenden: nicht etwa dem Inhalte des Begriffes nach, denn dieser wird schlechthin vorausgesetzt, sondern zum Grundseyn (…. ) sich fortreissend von der Möglichkeit zu seiner Wirklichkeit“ (ebd. Z 33)

S 277 Der Begriff schaut sich an a) als Begebenheit des Grundseins und b) in seiner Wirksamkeit durch seine absolute Selbstbestimmung

Er zeigt sich als eine „absolute Schöpferkraft des Bewußtseyns, oder des Bildes.“ (ebd. Z 24)

3. Vorlesung

S 278 Verdeutlichung des Begriffes

S 279 Verdeutlichung von Denken

Sichbewußtseyn des Begriffes in seiner Kausalität“ (ebd. Z 29); inneren Anschauung der absoluten Selbstbestimmung zur Kausalität;

S 280 Durch die absolute Aufnahme der Kausalität des Begriffes in das Bewusstseins kommt es zu zwei Folgegliedern, zu den Gliedern der Vielheit und der Einheit.

Die Bestimmung des Begriffes zum Sein ist notwendig, sonst wäre es bloßes Sein, nicht Grund; er ist aber durch sein bloßes Sein Vermögen, ein solcher Grund zu werden durch absolute Selbstbestimmung. „Er ist drum in der Form des Bewußtseyns durch sein blosses Seyn – Leben, überhaupt eben, formales Leben, das schlechthin durch sich ein wirkliches u. sich äusserndes Leben werden kann. Ein absolut freies Leben, lebendig sich zu äussern, oder auch nicht.“ (ebd. S 280 Z 17f)
Der Begriff wird dadurch ein lebendiger Begriff, konkresziert.

S 281 Wie sollte die Erscheinung des Absoluten, wie in der WL abgeleitet, seinen Inhalt jetzt bekommen? Hier durch den lebendigen Begriff, „durch den absoluten Inhalt des reinen Begriffs, u. durch das Concresciren mit ihm erhält es [das Leben] diesen Inhalt.“ (ebd. Z 16)

Das Leben des Begriffs bestimmt sich schlechthin zur Kausalität, die zufolge der Selbstbestimmung mit eintritt.

4. Vorlesung

S 282 Der Begriff in seinen reinen Formen ist Grund seiner selbst in anderen Formen; er setzt sich ab in objektiven Formen; er hat ein Vermögen, realiter Grund zu sein, ein Bild außer sich hinzustellen, er ist „absolut freie, reale, u. objektive Kraft.“ ( ebd. Z 25)

Der Begriff ist ein qualitativ-bestimmter; dieser soll Grund seyn: mit einer lebendigen sich selbst bestimmenden und freien Seynschöpferischen Kraft versehen seyn.“ (ebd. S 283 Z 1)

S 283 Die vorausgesetzte Kraft des Begriffes ist nicht nur formal zu nehmen, nur die Form einer Selbstbestimmung, „was aber aus der Freiheit erfolge in einem anderweitigen Gesetze liegt“ (ebd. Z 8); diese formale Freiheit, die es in der Reflexion und im gebundenen Sehen gibt, ist aber nicht die hier gemeinte inhaltlich-qualitative Freiheit des Begriffes, denn es ist a) Kausalität mit dem Begriff verbunden, reale Kraft, und b) eine inhaltliche Freiheit der Mannigfaltigkeit und zur Mannigfaltigkeit (Vielheit) ist vorausgesetzt. Sie äußert sich in der Artikulation des Körpers und später in der Einen, sittlichen Erscheinung des Absoluten in der Vielheit der Personen, in einem Selbstzweck interpersonaler Sittlichkeit bei Wahrung individueller Selbstbestimmung und konkreszierter Sittlichkeit in der Individualität jedes einzelnen.

„Wie verhä[l]t es sich [nun also].? ein bestimmter Begriff ist Grund: zur Kausalität nach diesem bestimmt sich selbst das Leben: Ein solches durchaus bestimmtes Produkt = a. negirend alles mögliche -a. tritt ein in die Selbstbestimmung u. dem zufolge in den Akt. Es folgt daraus zuförderst, daß die Kraft in beider Rüksicht, sowohl als Princip des Seyns, als der eignen inneren Selbstbestimmung sey materialiter u. qualitativ frei: bestimmbar ins unendliche, zur Hervorbringung der genau beabsichtigten Wirkung. (Deutlich gefaßt: das qualitative ist organische Einheit eines Mannigfaltigen: [ist] eins dieser Mannigfaltigen anders, [so ist] das ganze anders. – . [Diese Kraft muß also sein] Bestimmenskraft schlechthin jedes der Mannigfaltigen. Welches das erste, u. niedere [wäre].) Es folgt daraus doch gleichwohl viel: die Organisation u. Artikulation des menschl[ichen]. Körpers gründet zulezt sich auf diesem Satz. (ebd. S 283 Z 20ff)

S 284 – Es muss in der sich bestimmenden Freiheit zugleich ein Vorbild liegen, wonach sie sich vollzieht; dieses ist schlechthin bestimmt im absoluten Begriffe und dessen realer Kraft. „Die freie Kraft selbst als solche (dies trift zum Ziele) muß ihn construiren, u. die synthetische Einheit desselben seyn. (…)“ (ebd. Z 12)

Die Handlung ist organische Einheit einer Mannigfaltigkeit und die Kraft ist das Bestimmende dieser Mannigfaltigkeit; die Kraft bringt nach einem Vorbilde genetisch abgeschlossen etwas hervor, was sukzessive, unabgeschlossen erst durch Handlung hervorgebracht wird; anders gesagt: das genetische Vorbild ist schon abgeschlossen idealiter im Bilde – und wird realiter als hervorbringende Kraft des Nachbildes im Sein sukzessive abgeschlossen.

Es ist eine synthetische Einheit des Bildens und eine synthetische Einheit des Wirkens.

S 285 Es ist eine Kraft, der ein Auge eingesetzt ist – „der eigentliche Charakter des Ich, der Freiheit, der Geistigkeit.“ (ebd. Z 9)

Die Sehe begleitet die Kraft; sie leitet die Kraft; so soll der Satz genommen werden, der Begriff ist unmittelbar Grund.

Die Sehe ist schöpferisches Leben, die Realität wird in der Tat hingesehen, „ohne Anwendung irgend eines anderen Organs“ (ebd. Z 25), nicht etwa als bloßes Bild, indem sie eben Realität ist für die andere, objektive Anschauungsform.

5. Vorlesung

Die Analyse war leicht; der Begriff ist Grund im Bewusstsein, er wird ein Leben als realer Grund in der Welt des objektiven Sehens. (vgl. ebd. Z 30)

S 286 Der Begriff ist bestimmter Begriff, ideales und reales Vermögen, ein Ich, eine Kraft, der ein Auge eingesetzt ist; das Sehen begleitet diese Kraft und bestimmt die Kraft. Selbstbestimmung ist eine Verwandlung seiner selbst, des bloß idealen Prinzips in ein reales, in ein objektives Sehen schaffendes Sehen.

Zum Ich heißt es in einer Anmerkung: * Das Ich hat idealiter den vorausgesezten Begriff, u. construirt ihn idealiter: dem Begriff ist eingesezt ein ideales Leben, ein bildendes<> es wird Grund, es ist ein reales, also ein Leben in der IchForm.“ (ebd. S 286)

Noch näher analysiren.
Das Hauptprodukt der Form des Bewußtseyns ist formales Princip, Leben. im Sinne des Vermögens. Ein im Bewußtseyn geseztes ruhendes und stehendes Seyn: ein rein angeschautes, u auf den Kredit» der Anschauung vorhandenes objektives, in objektiver Anschauungsform. Blosses Vermögen, als Grund einer Welt, u. dieses unmittelbar sich anschauend, als seyend objektiv, daseyend. aber durchaus gestaltlos Die Form des objektiven Bewußtseyns, irgend ein gegebnes Seyn ist da: aber kein anderes, denn das Ich; das auch gar keine objektive Gestalt hat, sondern blosses Princip seyn soll . [eines] zu erwartenden objektiven Seyns. – Vollzieht nun dieses Princip seine Freiheit, und wird Grund, so wird entste hen ein anderes objektives Seyn, außer dem Ich, dessen Schöpfer ist das Ich. Es ist Weltschöpfer, u. der Begriff durch dasselbe. – 
Die objektive Anschauung des gegebenen Seyns bekommt drum eigentl[ich]. zwei verschiedne Sphären: die des Ich, als blossen Princip[s] aller Objektivität, ohne alle weitere Objektivität: insofern ist sie die Form des Bewußtseyns des Begriffs als Grund. Sodann die eines Nicht-Ich, außer Ich: ein  solches muß durch das Ich als Leben des Begriffes hervorgebracht werden: (…)“ (ebd. S 286 Z 14ff)

S 287 Dass ein objektives Bewusstsein sei und was in ihm sei, hängt von diesem Begriff als Grund der Welt ab.

Das absolute, reine Sehen ist Grund des objektiven Sehens und dies doppelt: a) als objektive Ichanschauung überhaupt und b) dass es wirklich Grund wird.
Das Ich ist das stehende und feste Leben des Begriffes, der Einheitspunkt seines Lebens.

Das Ich hat den Begriff und das subjektiv Erscheinende und die synthetische Einheit des Mannigfaltigen in ihm durch sein bloßes Sein, indem es nur das Leben jenes Begriffs ist.

Zum „GrundWerden nach ihm aber muß es, falls es dazu kommen soll, schlechthin durch sich selbst sich bestimmen und dieses ist nicht durch sein blosses Seyn.“(ebd. Z 23)

Die Synthesis des Begriffes mit dem Begriff der absoluten Selbstbestimmung als eines Faktums heißt ein „Wollen“ (ebd. Z 27, Hervorhebung von mir)

Dieser Willensakt, ist er eine Anschauung oder ein Gedanke?

S 288 Der Willensakt ist im Inneren absolute Vollziehung, Gedanke; In der Anschauung ist er absoluter Übergang von einem Standpunkte, dem idealen zum Entgegengesetzten, Synthesis einer Zweiheit, und insofern Anschauung, intellektuelle Anschauung

Das Ich ist nicht frei, den Begriff zu haben; es ist bloß dessen ideales Leben; es ist aber frei, was seine absolute Selbstbestimmung innerhalb seines schon gegebenen Seins betrifft; die Hinzufügung dieser Selbstbestimmung heißt dann Wollen;es ist drum frei überhaupt zu wollen, oder nicht: sein Seyn ist indifferent für den Willen, und es liegt in ihm weder, dass er sey, oder daß er nicht sey. – Es will nicht, heißt, es bleibt im bloßen Zustande der idealen Beschauung, u. Konstruktion; u. dies kann es.“ (ebd. Z 17f)

Keineswegs aber heißt es: der Wille ist qualitativ frei, überhaupt zu wollen, u. sodann dieses oder ein anderes; Denn 1.) „Wille und Freiheit ist nur der Übergang vom idealen zum realen, aus dem Zustande eines Begriffes zur Realisation desselben; „Freiheit ist nur Kausalität des Begriffes“ (ebd. Z 24f);

Verweis auf Kant KrV und seinen Begriff von transzendentaler Freiheit; Verweis auch auf KpV)

S 290 Es gibt daneben noch das deliberative Wollen in der Empirie, den eigennützigen Naturtrieb und den reinen Willen; so wird in der Naturphilosophie oft unterschieden, das ist aber verwirrend.

S 291 – Wiederholung:

<1>) Wille: Synthesis der absoluten Selbstbestimmung mit dem idealen Besitze des Begriffs. Ists ein Faktum? so scheints: u. das Wesen dieses [Wollens] beruht darauf, daß es als Faktum erscheine. [Im Grunde aber ist es] Durch Bewußtseyn seiner selbst gesezt, u. dieses setzend. [Hier ist also] absolutes Zusammentreffen des idealen, u. realen. [Hier ist] Das einzige <unmittelbare Faktum dieser Unzertrennlichkeit, drum der Vereinigungspunkt der beiden Welten (aus welchem in einer gründlichen Philosophie sich alle Beziehung der beiden auf einander muß ableiten, u. darauf zurükführen lassen.[)] 
2.). Das Ich ist frei zu wollen, oder auch nicht; drum im leztern Falle zu verbleiben im blossen Zustande der Idealität. Ein andres Wollen giebt es nicht, denn das nach dem Begriffe. [Dies] ist [der] Hauptpunkt. (ebd. S 291 Z 6ff)

6. Vorlesung

S 291 Das Ich mit seinem idealen Leben und seiner realen objektiven Kraft ist nichts anderes als das Leben des begründenden Begriffs.

Der Begriff führt aber nur sein ideales Leben mit sich, nicht seinen realen Effekt. Dazu ist die Freiheit des Ichs da.

Das Ich, als freies und selbstständiges betrachtet, ist dies nur als Kraft der Selbstbestimmung; es ist dazu da, um dem Begriffe seine Kausalität zu verschaffen;

S 292

Durch das Grundsein des Begriffes ist ein freies und selbstständiges Ich gesetzt; wird der Begriff nicht Grund, ist es um umsonst gesetzt; das Setzen desselben hatte eine Absicht, die es durch sich nicht erreichen konnte;

Es ist hier der Erzeugungsort des Begriffes „Zweck“, Absicht, Bestimmung, Sollen u. dergl. (…)“ (ebd. Z 9)

Ein ideales Sein setzt sich ab und verwandelt sich in eine objektives und reales Sein.

Das Ich ist Ausdruck und Stellvertreter des Begriffs, um ihm zu verschaffen, was er durch sich, als ideales, nicht vermag.

Das Ich ist real, was der Begriff ideal ist; durch Unterscheidung hingesehen, damit durch Beziehung der Sinn der Unterscheidung gesehen werde, die Absicht.

Das nur im Denken einzusehen, ist keine Schwierigkeit, er muss aber konstruiert werden ; sein absolut ihm entsprechendes Verhältnis und seine Realität;

dieser Standpunkt ist nur möglich, wo das Bild als Grund der Welt begriffen wird; wenn das objektive Sein das Erste ist, wird das nicht erfasst;

S 293: Das Ich soll wollen nach dem vorausgesetzten Begriffe.

Das Soll ist das innere Wesen und der Sinn seines Daseins.

Das Dasein des Ich geht in diesem Begriffe auf; Frage jetzt: ob das abgeleitete Ich selbst dies für eine Sitten- und Pflichtenlehre einsehen müsse? Ja.

Die Kausalität des Begriffes soll für das Ich sichtbar werden;

dieses Grundsein oder absolute Bestimmung oder Soll muss in das Bewusstsein eintreten als Grund des weiter folgenden Gliedes, der Selbstbestimmung und des Wollens. (vgl. ebd. Z 24)

Das Ich muss sich bewusst sein, als Grund seines Daseins, dies zu wollen und zu vollbringen, dass es nur dieser Einsicht folgen wolle, sonst ist es nicht Bewusstsein des Begriffes als unmittelbaren Grund;

7. Vorlesung

S 294 Ich zitiere jetzt wieder eine längere Passage, weil hier Fichte den kantischen „Kategorischen Imperativ“ mit seinem Grundsein des Begriffes als ideales Bild und reale Kraft aus dem Ich deduziert ansieht – als Faktum des Wollens. M. E. hat er hier Kant sehr wohlwollend weiter interpretiert, obwohl dieser in der KpV gerade behauptet, das Sittengesetz nicht aus dem Bewusstsein einsehen und deduzieren zu können. (Nach B. Grünewald spricht Kant in der GdMdS von 1785 noch von „Deduktion“; nach der KpV von 1788 ist eine Deduktion des Sittengesetzes nicht möglich. Siehe die philologisch genaue Analyse bei B. Grünewald.)4

Nochmals so: das Grundseyn des Begriffs hat folgende Glieder, in einer solchen Folge: Der Begriff sezt sich ab in einem idealen Bilde seiner selbst, nebst einer realen aber freien Kraft der Vollziehung, [als] erstes [Glied]: Dieses Glied muß wieder als Grund zusammenhängen mit dem folgenden der sich Bestimmung der freien Kraft oder des Wollens. Dieses Grundseyn tritt ins Bewußtseyn ein, heißt: diese Glieder alle, als in der aufgezeigten Folge befindlich, treten ein ins Bewußtseyn. 
Es folgt daraus zweierlei 1.) der vorausgesezte Begriff tritt unmittelbar durch sein Seyn ein ins Bewußtseyn mit der hinzugefügten Foderung an das Ich, daß es
soll: (mit dem begleitenden Merkmale eines kategorischen Imperativs, um Kants treffender Bezeichnung mich zu bedienen.) denn in der That u. Wahrheit ist dieser Begriff Grund eines Ich, dadurch daß er Grund, real Grund ist, lediglich damit dieses Ich sich vollziehe. So ists. Nu<n> muß sein Grundseyn eintreten in das Bewußtseyn: dieses Soll muß drum nothwendig eintreten, und tritt ein, so gewiß der Begriff ein begründender ist. (ebd. S 294 Z Z 1ff u. S 295 bis Z 4)

S 295 Das Ich wird hier zweifach gesehen: es hat seinen Begriff, ist seine freie synthetische Einheit, dem Inhalte nach – und jetzt tritt hinzu der Charakter des Soll, es ist (2.) damit vereinigt, schon mit seinem bloßen Sein.

Fichte sagt hier wohl richtig, dass der „Kategorische Imperativ“ Kants in der Auslegung meistens nicht richtig verstanden, nur als formales, allgemeines Gesetz ausgelegt wurde, was aber, „wenn man tiefer nachsieht, ohne Sinn“ wäre. Zu Kant sagt er: „(…) wie er selbst darüber gedacht, möchte schwer auszumitteln sein“ (ebd. S 295 Z 17) – dass er deshalb das Sittengesetz und den Kategorische Imperativ nur als Faktum feststellen konnte, „weil er auch das Princip der S[itten]L[ehre] nicht auf dem Wege der Spekulation u. Deduktion, sondern empirisch, in seinem eignen hoch sittl[lichen] Bewußtseyn gefunden hatte.“ (ebd. S 296 Z 10f)

S 296 Der Wille ist begründet durch das Soll, d. h. „dass das Ich sich finden müsse, als wollende, durchaus, u. schlechthin, weil es soll, aus diesem Grunde“. [S 296 Z 15)

Der Begriff kann nicht unmittelbar Grund des Wollens sein, es bedarf dazu einer Vermittlung; es ist der Begriff des Soll, der absoluten Bestimmung;

S 297 Der Begriff hat schon den Zusatz der Bestimmung des Ich im Bilde; das Ich soll jetzt das Soll wollen, damit es wirkliche Bestimmtheit werde, Bild durch sich selbst als wirkliches Sein; dies muss im Bewusstsein vorkommen, wenn der Begriff Grund werden soll; das Soll soll als Grund des Willens-Aktes dem Bewusstsein vorschweben.

Ein anderes Wort dafür wäre „Motiv“, d.h. ein Begriff, der unmittelbar erkannt wird als Grund des wirklichen Wollens;

8. Vorlesung

S 298

Es wird hypothetisch durch gespielt, dass das Ich sich in seinem Wollen durch den Begriff auch nicht frei bestimmen könne, d. h. es also den Begriff ablehnen kann – dann wäre der Grund nicht der Grund des Begriffes, wie er bisher deduziert wurde;

S 299 materialiter und inhaltlich wird im Wollen aber immer etwas vollzogen; im Abweichen vom reinen Wollen eines Soll wird der Begriff nicht „durch sich Grund, um seiner Form willen.“ (ebd. S 299 Z 6);

es hat aber jedes Wollen, nolens volens, ein Motiv; Wollen ist Übergang von der Idealität zur Realität, „u. zwar des Ich“.Es muß drum ein Bild von sich haben, das durch den Uebergang realisirt werden soll.“ (ebd. Z 11)

Die Idealität ist ein Merkmal im Ich,“(…) vermehrt, reinigt, u. läutert gar sie die auch nirgends recht ins reine gebrachte Willenslehre.“ (ebd Z 16)

„Nun den Satz so ausgedrükt: Das Soll muß Motive des Willens seyn, außerdem ist der Begriff, als Grund, nicht eingetreten ins Bewußtseyn. Das Soll [eben], welches der Begriff ohne alles Zuthun des Willens oder der Freiheit, schlechthin bei sich führt. [*] (Anm.  <aber die Anschauung des Soll)

Die Analyse ist geschlossen: wir sind bei demjenigen Uebergange angekommen, wo der Begriff im Bewußtseyn unmittelbar übertritt in das Gebiet der Objektivität.“ (ebd. S 299 Z 21ff)

S 300 Folgerungen: Das Ich soll; sein Wesen ist dieses Soll; es ist Leben des Begriffs; es ist erschöpfend bestimmt durch den Begriff, „durch den es auch erschaffen ist“ (ebd. Z 4)

Durch die Freiheit des Ich wird eine Welt, Objekte der objektiven Anschauung;

im Begriffe ist der ganze WeltInhalt gesetzt u. vorgeschrieben;

„Das Ich ist frei in Beziehung auf Wollen, u. drum Wirken, u. Principseyn.“ (ebd. Z 16)

Die Welt ist das, was der Begriff ist in rein bildlicher Form, in der Form objektiver Anschauung.

S 301 Freiheit ist der absolute Übergangspunkt aus der rein bildlichen in die objektive Form innerhalb des Bewusstseins; die objektive Form ist absolut; denn sie ist in ihrer Sphäre Bild des Absoluten; doch soll dem Inhalte nach nicht ihr eignes Prinzip walten – obige, bloß reflexive, formale Freiheit – sondern sie soll selber Prinzipiat der reinen Form der Erscheinung des Absoluten sein, „Bild des absoluten: ihr eigner Anfang u. Princip“. (ebd. Z 6)

Als Grund der freien Bestimmung und dadurch objektive der Welt nimmt der vorausgesetzte Begriff die Form des Soll an, „oder die eines Gesetzes an die Freiheit“ (Z 12), in synthetischer Beziehung;

Wenn ein „absolutes Postulat eines Wollens und einer Weltordnung“ gesetzt ist, ist schon ein gewisses Kriterium und Bild für das rechte und wahre Verhältnis des Begriffes (als Grund) zur Welt gewonnen; „welchem Begriffe dieser Charakter mangelt, der ist sicher nicht der, von dem wir reden“ (ebd. Z 24). Es fehlte aber hier noch die intellektuelle Anschauung und Deduktion, woher das Soll als Vermittlung des Begriffes und der objektiven Anschauung (objektiver Begriffe) herkomme, nämlich a) aus der synthetischen Erfahrung der Gemeinschaft und b) analytisch gerechtfertigt aus der Erscheinung des Absoluten in seiner Offenbarung und der Begründung der Sittlichkeit in jedem Individuum zwecks Endzweck einer sittlichen Gemeinschaft.5

Anders gesagt: Aus einem objektiven Verhältnis des Begriffes zu seiner Anschauung könnte eine bloße Zufälligkeit der Folge aus dem Soll als Motiv des Wollens abgeleitet werden, sozusagen ein deliberatives Wollen, die objektive Weltsicht und Weltordnung anzunehmen oder abzulehnen, ein „zufälliges„aus der Bestimmung durch den Zusammenhang hervorgehendes äusseres Merkmal, keineswegs das innere Wesen selbst; es ist eben nur Kriterium, u. Bild.“ (ebd. Z 27f), das wäre aber nicht das hier gesuchte Wollen des Begriffes und dessen inneres Gesetz.

Im bewussten Übergang der Freiheit von der Idealität zur Realität, für das Ich und durch das Ich, ist allerdings ein kategorisch notwendiges Verhältnis gesetzt, wenn der Begriff der Idealität der Grund und die Wirkursache für das Wollen ist und werden soll; es entsteht ein kategorisches Urteil des Solls von Freiheit. Dies ist möglich im Soll von anderer Freiheit innerhalb interpersonaler Aufforderung und Erfahrung und begründet und gerechtfertigt in der Wahrhaftigkeit göttlicher Aufforderung zu einem Soll interpersonaler Gemeinschaft und Liebe.

S 302 Deshalb ist das Sittengesetz oder der Kategorische Imperativ mehr als nur ein Postulat oder eine modale Bestimmung des Denkens, falls es (er) nur als äußeres Verhältnis und als bloßes Kriterium und bloßes Bild genommen würde, „(…) ein im Leben vielleicht durchaus brauchbares Bild derselben, keineswegs aber die wissenschaftliche Forderungen erfüllend.“ (ebd. Z 3). Man sieht das Sittengesetz dann bloß als Bilde, u. Stellvertreter, wäre es nur formal ein Verhältnis Wollen zu Begriff.

S 302 Der Begriff ist das Wesen des Sittengesetzes und des Kategorischen Imperativs, er ist schlechthin durch sich selbst bestimmt, weil er selbstständig als Bild Gottes gesehen werden muss – ableitbar aus der WL „oder Gotteslehre“ (ebd. Z 8). Man muss das Soll ableiten können, wie hier geschehen; es ist keineswegs nur faktisch vorauszusetzen; Kant hat im Grunde seine Sittenlehre deshalb so großartig verfasst, weil er stillschweigend in intellektuelle Anschauung und innerhalb des Vermögens eines Ichs die Sittenlehre konzipieren konnte; er ging aber dann vom Faktum des Bewusstseins aus; in der WL entstehen erst das Ich und das Bewusstsein (vgl. ebd. S 303 Z 2).

(c) Franz Strasser, 4. 5. 2023 

1J. G. Fichte, Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen III. Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten 1811. Rechtslehre 1812. Sittenlehre 1812. Neu herausgegeben von Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani und Martin Siegel unter Mitarbeit von Erich Fuchs,  Studientexte (StA-III),  fhS 3, 2012.

2G. Cogliandro, ebd., S 173.

3Die Erscheinung der Erscheinung zeigt den absoluten Grund aller Wahrheit an – und das ist ein absolutes Faktum. Im Begriff der Religion ergibt (sich „hingeben“) man sich bewusst und frei mit Weisheit und Wissen diesem Faktum der Erscheinung Gottes. „(…) nun gehe hin u. werde das Urbild. Wissenschaft hättest du; nun werde Weißheit. So endet sie, sich als Schema u. Mittel aufgebend, im Postulat eines Faktum.“ (WL 1811, StA-II, 38. Vorlesung, letzte Vorlesung, S 233, Z 26)

4Bernward Grünewald, Praktische Vernunft, Modalität und transzendentale Einheit. Das Problem einer transzendentalen Deduktion des Sittengesetzes. Erschienen in: Kant. Analysen – Probleme – Kritik, hrsg. v. H. Oberer und G. Seel, Hans Wagner gewidmet, Würzburg 1988, S 127 – 167. B. Grünwald deutet Kants Formulierungen eines Kategorischen Imperativs als formales allgemeines Gesetz eines sittlichen Handelns ebenfalls von einem sich-selbst-verpflichtenden Wollen her. Somit dürften hier Kant und Fichte tatsächlich nicht weit auseinander liegen, wie Fichte ja meinte.

5Siehe G. Cogliandro, a. a. O. S 175.176.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser