Philosophie zur Sprache – 3. Teil

Ich möchte in einem dritten Teil dem Denken von Sprache nochmals nachgehen. Wie in Teil 1 und 2 gesagt, „Die Sprache ist angeboren; sie ist dem Menschen durch ein Wunder gelehrt; sie ist von ihm selbst erfunden. – Alle drei sind durch berĂĽhmte Philosophen vertheidigt; durch ebenso berĂĽhmte widerlegt worden.“ (GA II/4, 158)1

1) Fichte geht wie Herder von der Voraussetzung des Urmenschen als vernunftbegabt aus. Eine andere Voraussetzung wäre willkürlich und nicht gerechtfertigt. Zur möglichen historischen Sprachentstehung – siehe Teil 1 nach K. Kahnert. Sprache – also angeboren.

Die erste Definition von Sprache nach Fichte war dann dahingehend: „Sprache, im weitesten Sinne des Wortes, ist der Ausdruck unserer Gedanken durch willkürliche Zeichen.“ (GA I/3, 97)

Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Zeichen, worin eine Gedankenäußerung sichtbar wird, und der Sichtbarkeit einer Handlung, die ja von sich her nochmals alles andere als eindeutig sein kann. Sie kann wirklich interpersonales Handeln bedeuten, sie kann genauso von Affekten und Trieben motiviert sein, also gar nicht frei, oder sie ist nochmals rein ein äußerlicher Ablauf wie bei Beobachtung einer Mechanik, äußerliche Veränderungsmessung…… (Siehe dazu Literatur – Legion!)

In einer Sprechakttheorie  wird Gedanke und Tat vermischt. Der Gedanke ist zwar selbst Tat, aber die Tat geht im Gedanken nicht auf.2
Nach der Sprechakttheorie sollen  sich Gedanke  und Tat
in der Sprache durch die Sprache decken.  Die Bedeutung eines Wortes oder eines Satzes liegt im Tatcharakter der Handlung, bzw. in einem gewissen Gebrauch der Wörter, oder in einer ganzen Lebensform?

Fichtes Position ist hier entgegengesetzt: Die Evidenform der Sprache liegt primär im Gedankenaustausch.

K. Hoshiba: „Ausdrücken heißt, einen Gedanken oder ein Gefühl, also eine Vorstellung, auszudrücken. Dagegen handelt man nicht, um etwas auszudrücken. 3

„Bei einer Handlung hingegen ist der Ausdruck des Gedankens nur zufällig, ist durchaus nicht Zweck. Ich handle nicht, um andern meine Gedanken zu eröffnen; ich esse z. B. nicht, um andern anzudeuten, daß ich Hunger fühle“. (Fichte, Von der Sprachfähigkeit……, GA I/3, 98). 

„Wir handeln zwar gemäß unseren Gedanken und Absichten, aber unsere Handlungen sind keine Ausdrücke unserer Gedanken und Absichten. Denn die Handlung selbst erfüllt die Absicht und ist somit Zweck; dagegen erscheint der Gedanke erst, wenn er durch Zeichen ausgedrückt wird. Um etwas auszudrücken, braucht man Zeichen. In Hinsicht auf den Gebrauch des Zeichens unterscheidet sich der Ausdruck von anderen Handlungen.“ 4

Die Performativität des Sprechaktes, worin Sagen und Tun zwar als eins erscheinen, sofern man auf das Ende der Sprechhandlung blickt, kann nicht die dahinterliegenden Erkenntnis dieses Sprechaktes selber erklären. Das ist das Manko in den performativen Sprechakttheorien: Der nachträgliche, nur gedanklich investierte BegrĂĽndungszusammenhang in eine Sprechhandlung erklärt nicht den Tatcharakter der  Handlung – und umgekehrt die Handlung erklärt nicht den gedanklichen Zusammenhang. Sie geht ĂĽber den Gedankenzusammenhang hinaus. 

Wenn ich Brot esse, kann ich nachträglich rationalisieren und aussprechen und begrĂĽnden und äuĂźern, weil ich Hunger habe, aber wenn ich esse, so hat das unmittelbar den einen Zweck zu essen – ohne mich deshalb erkenntniskritisch äuĂźern zu mĂĽssen, ich esse, weil ich das zeigen möchte.  Ich kann sagen, was jeder versteht, ich liebe zu essen,  weil mich hungert, die Begierde ist hier auf sich selbst bezogen, aber ich wĂĽrde nicht sagen, wenn ich esse, liebe ich zu essen. Das Tun und Essen hat und braucht keine erkenntnistheoretische BegrĂĽndung.

Eine rein „sprachliche Handlung“ – eine beliebte Wendung in der Sprechakttheorie – ist m. E.  ein sehr unklarer Ausdruck, eine bloĂźe Systase von Begriffen, die verschiedenen Ursprungs sind. Das Adjektiv „sprachlich“ ist bezogen auf ein Verstehen und inneres Sehen, die „Handlung“ ist äuĂźerer Vorgang, abgesehen davon, wie angedeutet, dass sie nochmals sehr ambivalent beurteilt werden kann.

Der Gebrauch der Sprachbilder, ihre Signifikanz, ihre ganze Logizität, ihre Syntax, Semantik, Pragmatik, diese ganze dahinterstehende Semiotik, dazu die ganze Hermeneutik des Verstehens, das ist zuerst ein im Denken und Wollen und durch Einbildungskraft Gebildetes, Geschautes, Sichtbares und in ihrer Evidenzform  interpersonal und geschichtlich zu bewährendes Wissen – oder im gegenteiligen Fall irrefĂĽhrendes, nicht zu bewährendes Wissen und falsche Denkart. Das Denken begrĂĽndet die Abbildlichkeit und alle Repräsentation des Seins in genetischen Bildern, nach einem a) im Denken liegenden, realen inneren Gesetz und  inneren Sinn und einer b) absoluten Form, Bild Gottes zu werden in interpersonaler Gemeinsamkeit.

Das geistige Sichtbare und Evidierbare wird durch die konkrete Aussage zu einer eingeschränkten Konkretion des Sichtbaren und Evidierbaren – und wird erst sekundär ein Anwendungsschema und ein Gebrauch und eine performative Handlung oder ein logisches Abbildungsverhältnis in einem mathematischen oder logischen Diskurs.

Nochmals anders gesagt: Das Sprach-Zeichen sind zwar in der Konsequenz eng mit der Handlung verbunden, aber das Sichtbare des sprachlichen Verstehens und Vorstellens wird nicht durch die Handlung als solcher begrĂĽndet, sondern letztere ist, wie geometrisch gesagt werden kann, die Aus-Zeichnung und Folgewirkung.
Der Tatcharakter einer Handlung setzt einen gedanklichen Zusammenhang voraus, eine apriorische Evidenz der Gleichheit und Übereinstimmung zwischen dem Zeichen und dem bezeichnet Möglichen.

Anders gesagt: Die epistemologische Entstehung des Zeichens, dass es für etwas Sichtbares steht oder auf etwas Sichtbares hinweist, ist eine schon vorausgesetzte, vorgestellte Idee, worin Zeichen wie Bezeichnetes in einem Repräsentationsverhältnis, letztlich in einer absoluten Form des Denk-Bildes, eins sind.

Der Gedanke oder das Licht der Erkenntnis gehen dabei nicht im Tun oder in einem Sprachspiel auf. Die Sprache aber als reines Tun und als bloĂźe Handlung gesehen – das wäre der Tod des Gedankens und der Tod des freien, interpersonalen Austausches. 5

2) Sprache als erfunden und gebildet:
„(…) man muß aus der Natur der menschlichen Vernunft die Nothwendigkeit dieser Erfindung ableiten; man muß darthun, daß und wie die Sprache erfunden werden mußte“. („Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache“, GA I/3, 97)

Die Idee eines sprachlichen Gedankenaustausches, wie Fichte die Sprache beschrieben hat – siehe dazu die Teil 1 und Teil 2.

Die dahinterliegende epistemologische Erzeugung der Sprachbilder durch Denken – und durch göttlichen Logos, siehe dann Punkt 3 – sie hat natĂĽrlich ebenso im Fokus den Sinn und die Zweck den „Austausch“ und die Kommunikation – siehe dazu ebenfalls Blogs zur Interpersonalität.
Die Sprache ist Mittel und Werkzeug (der Gedanken) für einen ideellen Zweck –
eine kategorische und teleologische Sollensforderung in Interpersonalität zu erreichen, Einheit in individueller Pluralität durch anschauliche Zeichen, Bilder, Symbole, eben durch Sprache.

3) Schließlich die dritte Erklärung zur Sprache: Sprache als göttliches Geschenk: Die angestrebte ideelle Einheit gegenüber einem absoluten Soll der Wahrheit und einem Soll interpersonaler Gemeinschaft offenbart eine gemeinsame Verstehensbasis, die nicht wandelbar sein kann, sonst wäre ja ein Verstehen nicht möglich.

M. Siemek beschreibt es so, von mir paraphrasiert: Die epistemische Wissensrelation ist durch den unbildbaren Hiatus des Hervortretens der Ichheit als Zwei-Einheit von Reflexivität (Sich-Wissen) und Reflex der Erscheinung (des Absoluten) eine rückbezügliche, sich wissende Einheit. Das Ich erfasst sich in seinem Selbstbewusstsein (subjektiv), was es in seinem Sich-Setzen kraft Erscheinung (des Absoluten) objektiv schon getan hat. Diese Zweiheit eines „Bildes aus dem Sein“ und eines dargestellten „Seins aus dem Bild“ kraft unbildbarer Äußerung eines gesetzhaften Reflexes ist der Logos alles menschlichen Sinnbildens und Sinnverstehens, ontologische Einsicht in das Wesen des Bildes, Epistemologie der epistemischen Bestimmungen.6

Die Synthese einer unbildbaren Äußerung (Erscheinung des Absoluten) und einer sinnbildenden Form des Bildens im Ich (in der Ichform, im Sich-Wissen des Bewusstseins) ist eine Konstruktion des Unkonstruierbaren, ein Bilden aus dem Unbildbaren – und geht genetisch über zur Form der Zeit und des Werdens und sämtlicher transzendentaler Begriffsbestimmungen,

Die Totalität und Spontaneität des Sich-Setzens und Sich-Bildens spannt den Begriff eines absolut Möglichen auf. Durch Restriktion und Negationsunterscheidung eines geistigen Gehaltes wird die „Idee“ der Sprache in ihren unendlichen Bildern und Begriffen gebildet. Ein Kind lernt das bereits meisterhaft. Die „Idee“ bildet stets eine neue Bestimmung des Gesetzes des Sich-Setzens – und das lässt sich ins Unabsehbare wiederholen und fortfĂĽhren. „Die reine Begriffsform des Idee ist nichts anderes als die Nachkonstruktion der bloĂźen Gesetzesgenesis und ihrer reinen Begriffsfolgen (Negation, Bild).“7

Dieses ideale Konstruieren und Bilden einer Idee, hier der Idee eines sprachlichen Bildes und Idee eines Gedankenaustausches, kann aber diese reelle Gesetzesform des Bildens bis ins Unendliche nicht verlassen. Es bleibt immer Schema einer formalen Deduktion von sprachlichen Bildern, bloßer theoretischer Idealformen – außer der Hiatus zu vollen Wirklichkeit gemeinsamen Verstehens führt selber zurück zur Genesis dieses idealen Bildens, worin reales und ideales Bilden vereint sind.

Es ist deshalb der Logos des Verstehens und Bildens selbst, in dem und durch den alles weitere Verstehen und Bilden in den sprachlichen Abstraktionen, erschaffen und getragen ist.

Sprache – deshalb auch göttliches Geschenk.

© Franz Strasser, 13. 11. 2022

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1An Sekundärliteratur las ich: J. Widmann, Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens nach Joh. Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre 1804/2, Hamburg 1977.
K. Kahnert, Sprachursprung und Sprache bei J. G. Fichte. In: Sinn-Reflexion-Freiheit. Aspekte der Philosophie J. G. Fichtes. Hrsg. v. C. Asmuth, 1997, 191-219.
Kaoru Hoshiba, Das Problem der Sprache bei Fichte. In: Fichte-Studien, Bd. 32, 2009, S 57 – 65.

2 K. Hammacher, Das Fundament der Ethik. Zur Bestimmung des Gewissens. Philosophisches Jahrbuch, 76. Jahrgang, 1968/69, S 243 – 256.

3K. Hoshiba, ebd. S 62.

4K. Hoshiba, ebd. S 62.

5Siehe z . B. „Vorlesungen zur Einleitung in seine philosophischen Collegia“, Kollegnachschrift von Twesten, Berlin 1810. „Das Mittel alles sich mittheilens, die Sprache, ist es, wodurch allein es auch hier vor sich gehen kann. Sprache aber ist die den Sprechenden gemeinschaftliche Bezeichnung innerer und äußerer Anschauungen; und sprechen heißt, einen anderen auffordern, gehabte Anschauungen zu erneuern.“ fhs1, Hrsg. v. H. G. v. Manz u. a., Stuttgart, 2000, S 209.210.

6MAREK J. SIEMEK, Bild und Bildlichkeit als Hauptbegriffe der transzendentalen Epistemologie Fichtes. In: Erich Fuchs (Hrsg.), Der transzendental-philosophische Zugang zur Wirklichkeit, Stuttgart 2001, 41-63.

7J. Widmann, ebd., S 164.

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser