Philosophie zur Sprache – 2. Teil

Der Aufsatz von K. Kahnert war für mich äußerst kenntnisreich, was a) historisch die Quellenlage betrifft, als auch für die resultathafte Erklärung b) Sprache als angeboren, erfunden und göttliches Geschenk.
Ich möchte in Richtung Analyse zur Interpersonalität das weiterführen:

1) Um die Sinnbestimmung der Sprache als notwendige Bedingung des Gelingens von Interpersonalität (in diesem Zusammenhang von Individualität und Sozialität) vom Denken her zu begründen, möchte ich wieder zurückgehen auf den Problemzusammenhang der Interpersonalität.
In der GNR (1796), in der Wlnm (1796-1799),1 ebenso in der „GRUNDLAGE“ (1794), wird die Interpersonalität als notwendige Bedingung der Möglichkeit eines Selbstbewusstseins deduziert. Der Mensch wird nur Mensch unter Menschen.
Es kommt dabei auf die Aufforderung an: Die Aufforderung ist eine auf das Subjekt als freies Wesen gerichtete Intention. Die Intention ist eine die Freiheit eines Anderen aufrufende freie Zwecksetzung. Sie ist eine Hemmung spezieller Art, nicht eine Durch-Determination im Gefühl, sondern eine An-Determination, die Freiheit lässt. Geantwortet muss werden, wie geantwortet wird, ist freigestellt. (Siehe z. B. zur Interpersonalität bei  M. Ivaldo oder zum Rechtsbegriff  bei G. v. Manz.)
Wie die Anschauung einer Tätigkeit (einer Absicht, einer Intention) als ein Ăśbergehen aus dem Zustande der Nicht-Tätigkeit und durch Gegensatz eines solchen Zustandes verobjektiviert zu einer bestimmten, angeschauten Tätigkeit wird, so geht die Aufforderung gegenseitiger Wechselwirkung (Intention) durch Freiheit – sozusagen eine unmittelbare, intentionale „Kommunikation“ – zu einer bestimmten, angeschauten Aufforderung ĂĽber, d. h. zu einer sprachlich vermittelten Aufforderung. Die Sprache ist die bereits verobjektivierte, materiale Basis einer intentionalen Wechselwirkung durch Freiheit. Die physische Figuration der Sprache (des Zeichens) bestimmt sekundär rĂĽckwirkend die geistige „Kommunikation“ zwischen Personen. Meistens assozieren wir  sofort und ahmen  das sprachliche Gebilde nach, um die geistige „Kommunikation“ und den intentionalen Austausch verobjektivieren und verstehen zu können – und meinen dann, dass das geistige Verstehen von den Sinnbildern der Sprache selbst abhängt. Zahlreiche Sprachphilosophie argumentiert damit! Dabei werden aber Ursache und Wirkung verwechselt!?
Die epistemoloigsche Sinnbildung und Sinnquelle liegt in der Zweiheit der schöpferischen, freien Denkkraft, wie in der in diesem Sich-Wissen und Bilden erscheinenden, logoshaften Sinn-Qualität der Erscheinung des Absoluten. Siehe Link  zu Epistemologie nach M. J. SIEMEK. 
2) Damit der intentionale Bezug als solcher mit Sinn und Bedeutung in sprachlichen Figurationen und Bildern  verstanden werden kann, muss diese Reflexion sinnbildlichen Denkens und sprachlichen Objektivierens letztlich aber als göttlicher „Aufruf“ und „Aufforderung“ (metaphorisch beschrieben) in der Subjektivität jedes Individuums verstanden werden.
Ich zitiere einen für mich erhellenden Artikel von P. Baumanns, erhellend insofern, als er a) den in der Analytischen Philosophie herrschende Sprachpositivismus hinterfrägt, und b) das Aufforderungsverhältnis klar auf eine intelligible Basis stellt, d. h. dass das Aufforderungsverhältnis in einem sittlich-praktischen Konstitutionsverhältnis in und aus Wahrheit, d. h. in und aus einem göttlichen Aufruf, begründet sein muss.
„(….) das Ich wird nur darum realiter aufgefordert und kann nur so aufgefordert werden, weil es als Individuum unter Individuen ein intelligibles (ursprĂĽngliches, vorzeitliches) Aufgefordert-Sein ist. Es liegt in seinem intelligiblen Charakter, der fĂĽr uns unerforschlich ist und lediglich von der FreiheitsĂĽberzeugung bzw. dem System-Prinzip des Sich-Setzens her postuliert wird; es liegt im intelligiblen Charakter des Ich, dass so etwas wie ein faktisches Aufgefordertwerden im Bewusstsein des Ich auftreten muss. Wenn man sich so ausdrĂĽcken darf: Das Ich wartet von seiner intelligiblen Struktur her nachgerade darauf, aufgefordert zu werden (die entsprechende Disposition ist rein intelligibel). Wird also im realen empirischen Auffordern ein Ich aufgefordert, so bedeutet dies keineswegs eine bloĂźe Beziehung unter Zeitwesen – als wĂĽrde ein Zeitwesen, das schon gewesen wäre, durch ein anderes Zeitwesen in der Zeit aufgefordert; auf diese Weise könnte in der Tat die Entstehung des Selbstbewusstseins nicht erklärt werden. Nein, es gibt mit der ,,Bestimmtheit zur Ewigkeit“ ein „Aufgefordertsein von Ewigkeit her“, und alles empirische Auffordern ist nur die versinnlichte Ansicht dieses intelligiblen Verhältnisses in der Zeit (die Hin-Sicht dieses intelligiblen Verhältnisses in die Zeit).“ 2

3) Innerhalb der Begrifflichkeit des Bildens – ab den WL 1800 besonders hervorgehoben bei FICHTE, der Sache nach aber von allem Anfang an vorhanden – kann und muss die Form der Ichheit und des Denkens als ursprĂĽngliche, gesetzesmäßige, reflexartige Weise der ERSCHEINUNG (des Bildens) des Absoluten gesehen werden, andernfalls ein Sich-Wissen nicht möglich wäre. Dieses Sich-Wissen im Bildens-Akt ist sowohl subjektiv wie objektiv und meint den aktuellen Nachkonstruktions-Akt der gesetzhaften ERSCHEINUNG des Absoluten. Der Reflexionsakt des Sich-Wissens disjungiert sich als eine subjektive und objektive Seite der Erkenntnis der ERSCHEINUNG – und hier wiederum zuerst in einer interpersonalen Form einer Ausgliederung aus dem Erscheinungs-Ganzen und daraus wiederum konstituiert sich die Individualität.
Die Transzendentalphilosophie Fichtes geht dabei von einer praktischen Einheit des Erkennens aus mit unbedingtem Charakter  und deduziert daraus die theoretischen Erkenntnisleistungen. Hier ist die anschauliche, phänomenologische AusfĂĽhrung die Wlnm sehr dienlich: die ganze äuĂźere Wirklichkeit, sinnliche wie intelligible Personen-Wirklichkeit ist durch einen Zweckbegriff des durch sich selbst bestimmten Willens bestimmt. Dadurch ist die ganze Natur eine konkrete Einheit, eine zweckmäßige funktionierende Einheit bzw. eine Personen-Einheit. Es heiĂźt dann sinngemäß in § 12 der Wlnm: Das reine Wollen, das seinen Rechtsgrund in sich hat, wird zuerst gedacht als ichliche Einheit, als Gedanke meiner selbst, und so werde ich individuiert. Der Individuation liegt aber die ursprĂĽngliche Bestimmtheit eines Reiches vernĂĽnftiger anderer Wesen zugrunde. Im existentiellen Vollzug meiner selbst werde ich mir dieser Identität einer sowohl apriorischen Bestimmtheit durch ein Reich vernĂĽnftiger Wesen wie der apriorischen Spezifikation meiner Individualität durch einen substantiellen Denk- und Selbstbestimmungsaktes – siehe oben durch einen göttlichen „Aufruf“ – bewusst. Im realen Vollzug des Denkens setze ich notwendig (zweckhaft) andere vernĂĽnftiger Wesen auĂźer mir und muss notwendig (notwendig im Sinne der Logik, intelligibel und moralisch aber frei) mich selbst aus der allgemeinen Bestimmtheit zu einer individuellen Bestimmtheit spezifizieren. (Siehe zur Interpersonalität – Wlnm GA IV, 141.)
Das Verhältnis der sittliche Liebe selber, in und aus der Interpersonalität heraus, konstituiert die selbstständige, subjektive Natur und subjektiv-objektive Natur anderer Personen und die Artefakte z. B. die verbale Sprache dieses Austausches und generell alle objektive Natur.
Die Verobjektivierung des interpersonalen Verhältnisses durch sprachliche Artefakte sind nicht voll durchdeterminierende Zeichen, sondern an-determinierende Zeichen. Das Verstehen dieser an-determinierenden Akte wiederum als solche, als frei-lassende Akte, weist dabei hinaus auf eine uns alle verbindende gemeinsame Intentionalität (Sittengesetz), die den artifiziellen und an-determiniernden Austausch in ihrem Sinn- und Bedeutungsgehalt trägt und erhält. Die Figurationen der Sprache, ihre reiche Mannigfaltigkeit von Sinn und Bedeutung, entstammt dieser Synthese von schöpferischen Denkleistungen und darin hervortretenden Sinn-Bildungen der gemeinsamen Intentionalität, die wiederum bestimmt ist durch den sich selbst bestimmten Willen (Wlnm) bzw. der reflexartigen und gesetzhaften ERSCHEINUNG des Absoluten in der Reflexion des Sich-Wissens. So wird in jeder  Aussage – und jede Ă„uĂźerung ist eine Aussage – Wahrheit bekannt, ob ausdrĂĽcklich bejaht oder sekundär verworfen.
4) Dazu kommt jetzt noch wesentlich: Die Grundform aller Wahrnehmung, die Grundform des Bildseins, der inneren Anschauung, ist dabei die Zeit. Der Gehalt eines Sinns, wenn er in artifiziellen Aussagen weitergegeben werden soll, wäre unsichtbar, wenn er in innerer Anschauung nicht zeitlich wahrnehmbar wäre. Sprache nimmt deshalb notwendig die sinnliche Form der Zeit und des Werdens an. Sprache ist somit einerseits durch göttlichen „Aufruf“ überhaupt ermöglicht, aber auch zeitlich gebildet und durch schöpferische Denkkraft, wie es oben hieß in der Herausarbeitung bei FICHTE, erfunden und gemacht. Womit ich wieder beim dreifachen Ursprung der Sprache: angeboren, ein Wunder, erfunden, wäre.
Die Sprache ist dieses geistige Bilden des intentionalen Verhältnisses zu Bedingungen der Freiheit, ist selbsttätiges Tun in der Zweiheit des Bildens und des Seins und damit Eröffnung eines gemeinsamen, interpersonalen Tuns, ist individuelles wie soziales Verhältnis in einem zeitlichen Werden. 3
5) Diese angeborene Bildbarkeit wie erfundene und gemachte, erlernte Sprachlichkeit führte zu einer großen, unendlichen Welt der Syntax, Semantik, Pragmatik, Flexion bei den verschiedenen Völkern und Kulturen, weil prinzipiell frei der sinnbildende und begriffliche Akt des Verstandes die sittliche Interpersonalität aufbauen und weiterführen kann.
Eine bildende Schöpferkraft des Geistes (des Verstandes, des Denkens) ohne Rückbesinnung auf das dem Bezeichnen zugrundliegende So-Sein einer bildbaren und somit metaphorisch verstehbaren ERSCHEINUNG des Absoluten überhaupt ist aber transzendental-reflexiv nicht denkbar und würde die intuitive und intelligierende Quelle der Sprache verschütten oder abtöten. (Eine reine Programmiersprache oder Elementarsprache ist keine Sprache mehr.) Es würde der Denkprozess künstlich abgebrochen und beendet, würde nicht der letzte Grund der Wissbarkeit von Bildern und Worten, die „Idee des Guten“, der „durch sich selbst bestimmte Wille“, die ERSCHEINUNG des Absoluten, geleugnet.
Es ist deshalb in dieser Bildbarkeit und selbst-gebildeten Sprachlichkeit auch nicht jede Regelhaftigkeit und Willkür möglich, sondern gesetzhaft, reflexartig ist die nachkonstruierende Reflexivität des Wissens gebunden. Dies zeigt sich, nach Sprache verschieden, in deren eigenen strengen Syntax und Semantik und Pragmatik. Nicht jede sprachliche Benennung und Bezeichnung ist deshalb möglich – z. B. für das Deutsche kann ich nicht sagen, wenn ein SCHELLING statt einer begründenden Erklärung zu einem Wort „Ungrund“ greift, damit sei eine begründete Erklärung gegeben. 4
Der Verstand und der Begriff vergibt die Bedeutung, erfindet die Bilder, aber nur kraft der Genese und der inspirierenden Quelle aus dem göttlichen „Aufruf“ und den damit zusammenhängenden Gesetzen der Vorstellung wie z. B. dem Widerspruchsprinzip u. a. Prinzipien. (Der göttliche Aufruf kann gut durch ein „Soll“ beschrieben werden.5)
6) Die anderen Ursprungstheorien der Sprache, die FICHTE gekannt hat wie z. B. von HAMANN oder HERDER – ein späterer WILHELM v. HUMBOLDT hat viel von Fichte ĂĽbernommen – fĂĽhren nicht zur Epistemologie der sprachlichen Gebilde. Die dort gegebenen Erklärungen beantworten nicht die Frage nach dem Denkakt dieser Erklärungen, bzw. die Frage nach den letzten Bedingungen der Wissbarkeit einer anderen Intention. In deren Erklärungen und Gebilden der Sprache ist manches sinnlich, manches intelligibel, beantwortet aber gerade nicht die Epistemologie der Entstehung der Zeichen und der sprachlichen Gebilde.
Die ideale Zwecktätigkeit im entwerfenden Vorstellen und die reale Tätigkeit des Wollens sind relational durch- und gegeneinander bestimmbar: Das offenbart die ungemeine Flexibilität und Offenheit der Sprache und der ganzen Zeichensetzung, offenbart aber zugleich eine Selbstbeschränkung und Grenze der idealen Tätigkeit (der Intelligenz):
Sprache ist reeller Reflex eines göttlichen WORTES, projizierendes und sinnstiftendes Wort des Verstandes – und innerhalb der interpersonalen Form ist jedes Wort zugleich eine Antwort auf das unbildbare, ewig ergehende WORT.
7) Inwiefern die ideale Tätigkeit des Bildens als Zweckbegriff und das Handeln nach diesem Zweckbegriff innerlich und äußerlich objektiv-sprachlich und im Bilde angeschaut wird, ergibt sich ein vierfacher Bereich der sinnlichen Natur, der Gesellschaft, der Moralität und der Religion – und damit einherlaufend die entsprechenden sprachlichen Figurationen des Denkens.6
Dieser vierfache Bereich der Wirklichkeit ist in sich zusammenhängend in dem genetischen Akt des Sich-Wissens und Bildens, sodass m. E. die Formen (die Zeichen, die Bilder, die Begriffe) der sprachlichen Figurationen beliebig zwischen den Bereichen hin- und hergeschoben werden können. Die Dichter beweisen es ja! Die Metaphorik der Sprache ist ermöglicht durch den einen genetischen Akt der Selbstbezüglichkeit des Wissens. Es können die Ideen sinnlich, und das Sinnliche geistig-ideell ausgedrückt werden, egal, Hauptsache der Begriff bringt den Sinn und die Wahrheit zur Geltung. (Deshalb bei aller scholastisch-abstrakten Begrifflichkeit und Strenge FICHTES die stets durchaus positive Hervorhebung von Sinnlichkeit, Ästhetik, Kunst des Vortrages etc.)
8) Die konstitutive und bleibende Ausrichtung aller Begriffssprache und bildlicher Metaphorik und aller sprachlichen Vermittlung und Zeichen ist  die praktische Intention des Handelns innerhalb und für die Interpersonalität. In der Sprachphilosophie spricht man von der „Alltagssprache“, ohne freilich deren genetischen Sinn erklären zu können!?
Der Denkakt schafft notwendig eine Mediatisierung und verstandliche Sinnbestimmung in sinnlicher Natur, Gesellschaft, Moralität, Religion und im Denken selbst. Sofern jetzt der Denktypus der Interpersonalität realisiert werden soll, wird sich die Sprache ebenfalls im Rahmen dieses Typos dynamisch bilden und fortbilden und sich der fünffachen Beschreibung der Wirklichkeit anpassen. (Die Entstehung der Schrift wäre m. E. ebenfalls unter diesen interpersonalen Gesichtspunkten abzuleiten.)
Eine ungemein flexible, freie, metaphorische Variabilität der Sprache ist entstanden, letztlich aber doch nicht rein willkürlich und konventionell, sondern intentional und interpersonal vor-bestimmt. Sprache soll bezeichnen, was vorgestellt und soll vorstellen, was bezeichnet wird, denn es steckt eine sittlich-praktische Intention und ein Wollen in den Figurationen dahinter. Mittels Sprache und Zeichensetzung wird eine sinnbildende und wertrelevante Variante der Erkenntnis und des Wollens-in-actu in freie Kommunikabilität und Beschreibbarkeit verwandelt und verobjektiviert.
 
© Franz Strasser, 11. 4. 2020

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser