KLAUS KAHNERT, Sprachursprung und Sprache bei J. G. Fichte. In: Sinn-Reflexion-Freiheit. Aspekte der Philosophie J. G. Fichtes. Hrsg. v. C. Asmuth, 1997, 191-219.
I) Ich referiere hier anfangs einen Artikel von Klaus Kahnert und möchte in einem zweiten Punkt die Sinnbestimmung der Sprache weiterführen. Ich referiere ziemlich wörtlich, weil die Gedanken Fichtes zur Sprache eine derartige Subtilität und Fülle aufweisen, dass ich nicht wüsste, was ich als nebensächlich ausscheiden oder fallen lassen könnte. Der Artikel von K. Kahnert bietet mir dafür einen guten Überblick.
1) Fichte kennt die Frage nach dem Ursprung der Sprache als eine in seiner Zeit häufig gestellte Frage, siehe z. B. bei Hamann, Herder, Humboldt.
Vom transzendentalen Standpunkt der Position des Denkens her, d. h. von der sinnlichen Genese der Begriffe durch Einbildungskraft und von der praktischen Intention her, nimmt Fichte m. E. unter allen idealistischen und realistischen Positionen, die ich so kenne, eine höchste Position ein: Denn einerseits beharrt er stets auf eine apriorische Ableitung und Sinnbestimmung der Sprache, wodurch er starke Argumente gewinnt, andererseits möchte er deren Anschaulichkeit in der sinnlichen und intelligiblen Welt nicht vermissen. Er gewinnt apriorische Gründe, die dann vor allem im interpersonalen Bereich schlagend werden! Ein Aspekt, den ja m. E. eine Analytische Sprachphilosophie kaum reflektiert. Wie und warum nehmen wir andere Personen an?
Fichtes Theorie zur Sprache ist nicht ein empirisch aufgreifendes Suchen (realistisch), nicht ein künstliches und zufälliges Zusammenstellen von Ursprungstheorien und Charakteristika (idealistisch), sondern eine konsequente Argumentation aus der Einheit der Vernunft heraus, zu der notwendigerweise die Sprache als Bedingung der Möglichkeit eines Selbstbewusstseins gehört. Er übertrifft hier weit die Spekulationen eines Hamann oder Herder. Viele Positionen der späteren Analytischen Philosophie des 20. Jhd. sind m. E. ebenfalls darin enthalten.1
Es finden sich im damaligen Diskurs des 18. Jhd. drei Positionen, die Fichte in gewissem Sinne alle für teil-richtig hält, je nach Ansicht der Fragestellung und der Sinnbestimmung von Sprache:
Zuerst ziemlich wörtliche Wiedergabe von K. Kahnert; keine Kommentierung, keine Kritik meinerseits:
Sprache ist a) angeboren; b) durch ein (göttliches) Wunder gegeben; c) erfunden. 2
2) Der Begriff „Sprache“
Der Begriff der Sprache im Aufsatz „Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache“ (1795, GA I, 3) wird dahingehend gefasst: Sie ist weder physei noch thesei, sondern muss aus der menschlichen Natur ableitbar sein. Sprache ist der Ausdruck unserer Gedanken durch willkürliche Zeiten.
Sprache, im weitesten Sinne des Wortes, ist der Ausdruck unserer Gedanken durch willkürliche Zeichen. (SW VIII 302)
Ausschließlich durch Zeichen, nicht aber als Handlung, wird Sprache hier gesehen. Der performative Charakter entfällt.
Gleich später widerlegt Fichte allerdings seine Trennung Sprache/Denken und Handlung, weil er doch eine Handlung darin sieht:
(…) in beiden Fällen habe ich keinen Zweck, als den, die Vorstellung eines bestimmten Gegenstandes bei dem anderen zu veranlassen; — folglich kommen beide Zeichen darin überein, dass sie willkürlich sind. (SW VIII 303)
Die Idee der Sprache ist als notwendig der Natur des Menschen inhärierend abgeleitet, deshalb auch „Willkür“, d. h. nicht grundlos, sondern mit Willen und Absicht ist sie auch erfunden. Sie ist angeboren und erfunden.
Wenn schon der Ursprung der Sprache untersucht werden soll, dann kann diese nur a priori, aus Vernunftgründen geschehen, die als Gründe die teleologische Konsequenz ihrer Anwendung sichtbar machen.
Sprache setzt Vernunft voraus, ob sie umgekehrt für das Denken eine Rolle spielt, ist Fichte hier nicht wichtig. (Wir wissen, dass er in den REDEN 1808 die Sprache nochmals stärker betont hat gegenüber dem Denken, aber prinzipiell geht Denken über die Sprache und sinnliche und intelligible Zeichen hinaus.)
3) Der Ursprung der Sprache
Fichte will nicht irgendeine Sprachursprungstheorie unter vielen anderen erdichten, sondern die notwendige und einzig mögliche Genese der menschlichen Sprache entwickeln.
In den „Vorlesungen über Logik und Metaphysik“ (1797) (GA II, 4) wird er noch deutlicher: Zuerst will er den Sinn und den Zweck, die Art und die Beantwortbarkeit der Sprachursprungsfrage klären. Er stellt fest, dass die Frage nach dem Ursprung der Sprache, dessen Endlichkeit vorausgesetzt wird, die Annahme impliziert, dass es eine Zeit gab, wo sie nicht war.
Aber kann der Mensch ohne Sprache gedacht werden? Nein, sie ist transzendental notwendige Bedingung des Vernunftseins. Aber wie könnte das näher erklärt werden?
3. 1) Sprache als angeboren
Fichte beginnt seine Antwort auf die Frage, ob der Mensch ohne Sprache gedacht werden könne mit einer Analyse des Selbstbewusstseins: Das setzt die Annahme anderer vernunftbegabter Wesen voraus.
Etwa zeitgleich entstand Fichtes Deduktion der Interpersonalität – siehe deshalb auch Verweise in der „Grundlage des Naturrechts, GA I, 3, 239-348, bes. 340ff.
Innerhalb der „Reihe dieser Folgerungen“ – siehe „Grundlage des Naturrechts“, GA I, 3, 329-348, bs. 340ff.
Es gehören zur Vernunft transzendentale Anwendungsbedingungen, d. h. explizierte Schematisierungen, die zur Notwendigkeit einer Sprache führen: a) Nachvollzug der fremden Handlungsweisen und ihrer Ziele
b) Vergleich mit dem eigenen zweckorientierten Handeln
c) entsprechend freie Neuorientierung der eigenen Zwecke.
Bewusstsein von sich als freies Wesen zu haben, heißt sich als Individuum unter anderen vernünftigen Wesen zu setzen. Das geht dieser Natur entsprechend nicht mechanisch, durch kausale Wechselwirkung, sondern vermittels sprachlicher Zeichen fordert der andere mich auf, selbsttätig Begriffe und Erkenntnisse in mir hervorzubringen. Die Sprache ist deshalb notwendig, soll es freie Aufforderung und freie Antwortmöglichkeit geben.
Sprache wird somit zu einer konstitutiven Größe der menschlichen Vernunftbegabung und Gesellschaftsfähigkeit: Die »Wechselwirkung durch Zeichen ist also Bedingung der Menschheit« , und
»so gewiß Menschen sind, so gewiß sind Zeichen; denn wo ein Mensch ist, sind mehrere, diese stehen mit einander in Verbindung durch Begriffe vermittelst der Zeichen. Diese Wechselwirkung ist nun Sprache im allgemeinsten Sinne, u. ohne diese kann der Mensch nicht sein. Die weitere Ausbildung dieser Mitteilung durch Zeichen ist zufällig. Also insofern kann man sagen, die Sprache ist dem Menschen angeboren, sie gehört schlechthin zum Wesen des Menschen.« (Vorlesungen über Logik und Metaphysik, GA IV/1, 296.
Die Kommunikationsfähigkeit ist notwendiges Akzidens der Vernunft des Menschen.
Man kann nicht nach dem absoluten Ursprung der Sprache fragen, sondern höchstens, wie und warum gerade die existierende und keine anderen Laut-, Zeichen- und Regelsysteme zustande gekommen sind.
3. 2) Sprache – durch ein Wunder gegeben
FICHTE spielt die Möglichkeiten auf der faktischen Ebene hypothetisch durch, wie und warum es zur Sprache kommen konnte: Da die Antwort nur prinzipiell und a priori ausfallen kann, kann sie auf den Menschen durch „die Gottheit“ – siehe „Vorlesungen über Logik und Metaphysik, GA IV, 300 – 303 – gekommen sein.
3. 3) Sprache – Vom Menschen erfunden.
Dies setzt aber die Resultate eigentlich schon voraus, dass es a priori zur Erfindung der Sprache kommen musste, weil sie eben zur Natur (=Vernunft) des Menschen gehört – was also jetzt erst zu beweisen wäre.
»1) Was brachte den Menschen überhaupt auf den Gedanken, eine Sprache zu erfinden? 2) In welchen Naturgesetzen liegt der Grund, daß diese Idee gerade so und nicht anders ausgeführt wurde? Lassen sich Gesetze auffinden, welche den Menschen bei der Ausführung leiteten?« (Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache“ (1795) (GA I/3) GA I/3,98.
Nach Kahnert (ebd. S 202) werden folgende Positionen dabei vorausgesetzt:
– Sprache ist erfunden. – Die Sprachidee ist nur auf eine (die einzig mögliche) Art und Weise realisiert worden, eben „[…] gerade so und nicht anders […]“.3
– Diese eine Art und Weise der Spracherfindung unterliegt Naturgesetzen, die wesentlich zum Menschen gehören und nur aufgezeigt zu werden brauchen.
Der Mensch sucht Vernunfttätigkeit außerhalb seiner selbst; er bedarf dazu der Wechselwirkung mit anderen – und dieses fordert einen funktionierenden Gedankenaustausch, Mitteilung von Absichten, um die Handlungen zu ergänzen usw.
Das Wie der Entstehung durch visuelle und auditive Eindrücke ist eine zweite Frage: Erste Bildzeichen der Ursprache sind Nachahmungen der Natur gewesen; es gab keine konventionelle Sprachentstehung, wenn auch ein Verschmelzen der regionalen spezifischen Bezeichnungen zusätzlich anzunehmen ist.
Aufgrund der relativen Eindeutigkeit visueller und auditiver Eindrücke orientiert sich der sprachschöpferische Urmensch im wesentlichen an den entsprechenden Sinnen, denn „so wie die Natur den Menschen etwas durch Gehör und Gesicht bezeichnete, gerade so mussten sie es einander durch Freiheit bezeichnen“ (GA I/3…. 103 und vgl. GA IV/1 304ff
„Ich beweise hier nicht, daß der Mensch ohne Sprache nicht denken, und ohne sie keine allgemeinen abstracten Begriffe haben könnte. Das kann er allerdings vermittelst der Bilder, die er durch die Phantasie sich entwirft. Die Sprache ist meiner Ueberzeugung nach für zu wichtig gehalten worden, wenn man geglaubt hat, daß ohne sie überhaupt kein Vernunftgebrauch Statt gefunden haben würde.“ (ebd.) 4
„Fichte begreift hier – sprachskeptisch – Denken als sprachfrei vonstatten gehender Prozess, der durch die Sprache womöglich noch behindert wird, und steht damit wohl in einer Linie mit Herder, Jacobi und Reinhold; auffällig ist der Gegensatz zu Platons sprachtheoretischen Überlegungen besonders im Theaitetos, wo Denken als ein Gespräch der Seele mit sich selbst definiert wurde. Nicht zuletzt bemerkt man die Nähe zur stoischen Erkenntnistheorie, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann.“ (K. Kahnert, ebd., S 204)
Sprache ist wichtig, aber nicht konstitutiv für die Gemeinschaft.
„Bei den von Fichte thematisierten (sc. weiteren, nicht bloß sinnlichen) allgemeinen abstracten Begriffe[n] (s.o., Zitat) handelt es sich um unsprachliche, vom isolierten Subjekt „erfundene“ und gedachte Gedankeninhalte, die erst in der Gemeinschaft einer – möglichst adäquaten – sprachlichen Form bedürfen. Damit scheint eine wichtige wechselseitige Perspektive auf: Einerseits kommt der Sprache eine bedeutende – wenn nicht gar die konstitutive – Rolle in gesellschaftlichen Prozessen zu; andererseits wird Sprache erst in Gesellschaften notwendig, findet in diesen also ihrerseits die Bedingung ihrer Realisierungsmöglichkeit.“ (K. Kahnert, ebd. S 205)
Die überaus wichtige Wechselbeziehung behandelt Fichte nur marginal – vgl. dazu anders: Versuch „Über Geist und Buchstaben in der Philosophie.“ GA I, 6.
Durch gewisse Mängel in der Ursprache kommt es zu einer ausschließlich hörbaren Sprache „So nennt Fichte die ersten, noch nicht „willkürlichem, unartikulierten Lautzeichen ebenso wie die gemalten Bildzeichen der „Ursprache“ reine Nachahmungen der Natur und bespricht anschließend – illustriert mit zahlreichen Beispielen, die bedenkenlos übergangen werden können – die Defizite einer mit derartigen Mitteln durchgeführten Kommunikation, die auf eine Kombination lautlicher und bildhafter Zeichen mit deiktischen Gesten angewiesen ist. Aus all diesen Beschränkungen ergibt sich der nächste Schritt der Sprachgenese: Die Erfindung und Entwicklung einer ausschließlich hörbaren Sprache und eine erste notwendig damit einhergehende Abstraktionsleistung, denn das Stadium bloßer Nachahmung von Gegebenem wird nun verlassen – wie sollten denn auch Wesensmerkmale stummer Gegenstände durch Nachahmung hörbar gemacht werden? Der Vollzug der Transformation einer „Ur-“ in eine „Gehörsprache“ ist historisch wohl kaum rekonstruierbar; er liegt so weit im Dunklen, dass einzelne Schritte allenfalls in hypothetischen Spekulationen nachvollziehbar sind.
Die schon oft bedachte Frage, ob bei der „Erfindung“ einzelner Wörter die Übereinkunft eine wesentliche Rolle gespielt habe, beantwortet Fichte hier erneut negativ – (…)“ – (Kahnert S 206)
Die Genese allgemeiner und geistiger Begriffe liegt im Wollenden und Denkenden, der die Gegenstände als Objekte seines Denkens begreift zwecks Selbstreflexion.
„Interessant sind darüber hinaus nur Fichtes Überlegungen zur Genese allgemeiner und rein geistiger Begriffe, die Fichte als Analogien bzw. Entlehnungen aus dem Bereich der Wörter für sinnliche Dinge beschreibt: Da der Mensch nach der Unterwerfung der Natur zu spekulieren, zu denken anfängt und dieses Denken Selbstzweck wird, stößt er zunächst auf sich selbst als Wollenden und Denkenden, dann auf die Welt, deren Gegenstände er als Objekte seines Denkens setzt. In der Selbstreflexion vollzieht er also eine (unzulässige) Objektivierung des eigenen Ich und seiner Handlungen. Die Benennung dieser eigentlich immateriellen „Dinge“ erfolgt dementsprechend mit Begriffen aus dem Gebiet des Sinnlichen. Besonders aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die im Journal-Aufsatz exemplarisch analysierten Begriffe „Ding“ und ‚Sein‘“. (Kahnert S 207)
Es entsteht ein metaphysischer Zugriff auf Wahrheitserkenntnis von Denken und Sprechen. Es kommt zu Wörtern, die nichts als ihre eigenen Bedeutung sind, zu geistigen Begriffen, zu reinen Ideen, die vor der Erfindung ihrer Zeichen dagewesen sein müssen.
3. 3. 1) Die Geburt der Ideen aus dem Geist der Muße
Im Trieb des Fortschreitens kommt der Mensch zur Erforschung der intelligiblen Welt – und durch das Kausalgesetz zu einem Gott.
Populärphilosophisch: aus den intuitiven Momenten in vorsprachlicher Zeit entsteht eine Welt der Ideen und die entsprechende, dazugehörige ideelle Sprache. Mithilfe des Kantischen Schematismus kann dann erklärt werden, wie sinnliche und intelligible Vorstellungen miteinander sich verbinden.
Namen für „intelligibilia“ sind nichts weiter Lehnwörter für das menschliche Vorstellen. Eine Verwechslung raumzeitlicher Begriffe mit reinen Begriffen durch die Einbildungskraft wird allerdings dadurch möglich. „Die Sprache führt uns via Einbildungskraft in den unvermeidlichen Irrtum der Verwechslung reiner Begriffe mit raum-zeitlichen Gegenständen.“ (Kahnert, ebd. , S 210)
Es fällt Kahnert auf, verglichen zur frühen Schrift „Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache“ (GA I, 3, 1795): „Erstaunlicherweise beurteilt Fichte die hier als sehr problematisch empfundene analogische Bildung geistiger Begriffe in den Reden an die deutsche Nation völlig anders: „So richtet alle Bezeichnung des Uebersinnlichen sich nach dem Umfange und der Klarheit der sinnlichen Erkenntniss desjenigen, der da bezeichnet. Das Sinnbild ist ihm klar und drückt ihm das Verhältnis des Begriffenen zum geistigen Werkzeuge vollkommen verständlich aus, denn dieses Verhältniss wird ihm erklärt durch ein anderes unmittelbar lebendiges Verhältniss zu seinem sinnlichen Werkzeuge. Diese also entstandene neue Bezeichnung, mit aller der neuen Klarheit, die durch diesen erweiterten Gebrauch des Zeichens die sinnliche Erkenntnis selber bekommt, wird nun niedergelegt in der Sprache; und die mögliche künftige übersinnliche Erkenntnis wird nun nach ihrem Verhältnisse zu der ganzen in der gesammten Sprache niedergelegten übersinnlichen und sinnlichen Erkenntniss bezeichnet; und so geht es ununterbrochen fort; und so wird denn die unmittelbare Klarheit und Verständlichkeit der Sinnbilder niemals abgebrochen, sondern sie bleibt ein stätiger Fluss.“ Klaus Kahnert. („Reden“, SW VII, 318). (Kahnert, Anm. 84, S 210))
Wichtige Erläuterungen zur Sprache sind weiters zu finden in „Vorlesungen zur Logik und Metaphysik“ (GA IV, 1, 324) – siehe dort § 476:
„(…) Wenn Fichte antwortet, die Existenz geistiger Allgemeinbegriffe, die ohne die Hilfe von Zeichen nicht vorstellbar sind, weise darauf hin, dass „ohne Entwickelung der Begriffe keine Vernunft“ möglich sei, dann muss man – sogar im Fichteschen Sinne – weiterdenkend feststellen, dass es ohne die vielbesprochene intersubjektive Wechselwirkung, und das heißt ohne Zeichen, keine Entwicklung der Begriffe geben kann. (K. Kahnert, S 211)
Kahnert hebt dann quasi als Paradigma der Sinnbestimmung von Sprache die intersubjektive Wechselwirkung besonders hervor (ebd. S 212 – Schluss 219) Es heißt jetzt deshalb, einen genauen Blick auf die Rolle dieser Wechselwirkung vernunftbegabter Wesen in der Schrift „Ueber Geist und Buchstab der Philosophie“ (GA II,3 295-342; 1794; der Text liegt in drei Versionen vor) zu werfen.
„Der erste Text – Ich will untersuchen, wodurch Geist vom Buchstaben in der Philosophie ueberhaupt sich unterscheide (1794) – zeigt die frühen Gehversuche einer Ausformulierung der zu explizierenden Ideen. Fichte ringt hier mit der Sprache, und immer wieder kommt es zu Formulierungen wie: „Ist richtig. Aber wie wird es deutlich, u. klar: u. zwar in wenigen Worten klar.“ Die Formulierungen sind noch sehr kompliziert (stichwortartig) und umständlich, daher nicht leicht zu lesen und zu verstehen.“ (K. Kahnert, ebd. S 212)
Zuerst kommt die Rolle der Einbildungskraft für die Selbstsetzung des Ichs in Betrachtung. Die Einbildungskraft ist zuerst im Ich. Um das Ich von der Einbildungskraft zu unterscheiden, muss im Ich eine weitere Größe angenommen werden: das Gefühl. Die Erhebung zum Gefühl geschieht dann selbsttätig, a) durch Anstoß von außen oder b) durch innere freie Selbsttätigkeit.
Die Gefühle werden mittels Anschauung zum Bewusstsein erhoben, und es entstehen Begriffe, diese ergeben Ideen und durch die ordnenden Einbildungskraft versinnlicht entstehen daraus Ideale. (vgl. GA II, 3, S 301f) (1. Version „Über Geist und Buchstaben“)
In der 2. Version wird Fichte konkreter: Dieser Text ist der Versuch einer genaueren „ins-Wort-Setzung“ des ersten. Philosophische Auseinandersetzungen seien bloße Wort-, Buchstabengefechte und als solche lediglich Scheingefechte; über den „Geist“ aber müssten „alle wahren Philosophen nothwendig übereinstimmen.“ (GA II, 3, 307)
„Klarer als im ersten Texte vollzieht Fichte nun eine Trennung von real existierender Außenwelt von dem, was sie „für uns, also als Bilder in uns“, ist. Die Existenz dieser ist ohne das vorstellenden und denkende Subjekt undenkbar, jene existiert höchstwahrscheinlich selbstständig. Die hellenistisch-materialistische Annahme von Bildern, die von den sinnlichen Gegenständen ausströmen, wertet Fichte als philosophisch belanglos, a) weil die gemeinten Bilder selbst wieder Außengegenstände wären, deren innere Abbilder wir erneut vorstellen müssten, und b) Fichtes Interesse ohnehin eher der Innenwelt gilt. (vgl. Kahnert, S 213)
Genauer muss man die schaffende Einbildungskraft von der ordnenden Einbildungskraft unterscheiden. Die Frage ist, wie kommt der von der ordnenden Einbildungskraft vorgefundenen „Stoff ins Bewusstsein? Es muss schon eine Schöpfungskraft im Menschen liegen, die zunächst das Bewusstsein und dann auch dessen Inhalte bildet. Eine bildende Kraft also: eben die Einbildungskraft, deren Handlungen niemals selbst als Gegenstand des Bewusstseins gedacht werden können, ohne dass man sich in einen regressus ad infinitum begäbe. (vgl. Kahnert, S 214)
Dass die Setzung des Bewusstseins nicht eingeholt werden kann ist klar, aber warum alle späteren Bildungen dies ebenfalls nicht sein können, bleibt unverständlich – es sei denn, man setze das Bewusstsein mit jedem Akt neu. Das aber hieße, dass das menschliche Selbstbewusstsein und letztlich auch das Ich nicht subsistieren, sondern nur in actu vorhanden wären.
Die Herkunft des für die Tätigkeit des Bildens notwendigen Gefühls interessiert ihn hier nicht, sondern als endgültige Definition des Hauptgegenstandes der Untersuchung bleibt – mit dem unbestimmt bleibenden Faktor Gefühl – stehen: Geist ist das Vermögen, Gefühle zum Bewusstsein zu erheben.
Beim 3. Manuskript endlich „Über den Geist ….“ 1794 GA II/3, 315 – 342 handelt es sich um die ersten drei Vorlesungen „Über die Pflichten des Gelehrten“
Nun wird der Begriff „Gefühl“ näher analysiert. Gefühl ist der Stoff alles Vorgestellten.
Die Unterscheidung von Gefühlen a) auf die Welt der Erscheinungen bezogen; diese bezeichnen und umfassen das Gebiet der Begriffe,
und b) auf die intelligible Welt bezogen; die letzteren Gefühle begründen das Feld der Ideen und der Ideale. Wer wahre Philosophie betreiben will, darf sich nicht mit toten Buchstaben befassen, sondern mit dem Geist – als dem Vermögen, Ideen zum Bewusstsein zu erheben und Ideale sich vorzustellen.
Die Erhebung zur höchsten Idee, der Gottheit, wird angesprochen und auch die Wechselwirkung eines Geistes mit Gleichgesinnten.
„Ein wirklich geistreiches Ich braucht den Austausch mit anderen, der jedoch nicht unmittelbar vonstatten geht. Das einzig mögliche Darstellungs bzw. Mitteilungsmedium indes ist die zum Bereich des Körperlichen gehörende Sprache. Die Fortentwicklung und Vervollkommnung der Geistigkeit kann also ohne die Darstellung des Geistes im Körper (in der Sprache) nicht funktionieren. Hierin liegt die Macht der Sprache: Sie ist Bedingung der Möglichkeit der menschlichen Vernunftentwicklung. Andererseits aber sind Wörter „nicht die Ideen selbst, […] [sie] sind nichts weiter, als ein leerer Schall, ein Stoß in die Luft“, sie fordern das andere Ich lediglich auf, im eigenen Innern selbständig Bilder zu entwerfen, die den gemeinten Ideen möglichst gleichen sollten.“ (Kahnert S 216 )
Darin liegt eine Ohnmacht der Sprache, oft eine Unzulänglichkeit der Sprache. 5
Besonders wichtig sind Fichtes weitere Bestimmungen, was der menschliche Geist sein soll: Der menschliche Geist ist ausschließlich Tätigkeit. „Ihn kennen lernen, heißt seine Handlungen kennen lernen, denn weiter ist an ihm nichts zu kennen.“ (GA II, 3, 325) .
Die Existenz des menschlichen Geistes ist nicht zu verwechseln mit dem Ich, dem transzendentalen Subjekt, sondern wird verstanden als Vermögen des Ich, Ideale zum Bewusstsein zu erheben. (vgl ebd. GA II, 3 325f). Wir sind uns unseres Handelns nur mittelbar, nur vermittels des Objektes des Handelns, nur vermittels des Gegenstandes, auf den unsere Handlung geht, bewusst. Nur in der Reflexion des Geistes auf sich selbst, d. h. auf seine Tätigkeit, also nur unter der Bedingung, dass auf dieses Handeln wieder gehandelt werde, d. h. Nur unter der Vorstellung des Vorstellens, kann sich Selbstbewusstsein entwickeln. (Kahnert, S 217)
Wer zur Erkenntnis seines eigenen Ichs aufsteigen will, muss in seinen Reflexionen Stufe um Stufe weiter abstrahieren.6 Bis er etwas erreicht, was nicht mehr abstrahierbar ist. Das Ich.“ (GA II/3 326f)
Das Ich ist Regulativ alles Denkvermögens.
Die Einzigartigkeit dieses Vorgangs sich bewusst sein – das ist wahre Philosophie. Das Innere ist der wahre Lehrer (Augustinus), die freie Nachbildung.
Das geht aber nicht ohne die „empirischen“, sprachlich vermittelten Spekulationen. Resultate lassen sich alleine nicht abheben. Philosophie muss in einer variablen Sprache formuliert sein.
Es bleibt ein diskrepant empfundenes Verhältnis zwischen alleingültiger Wahrheit im Reich der Ideen des Ichs einerseits, und eine unzureichende, aber unumgängliche Sprache als Darstellungsmedium dieser Ideen andererseits. (vgl. K. Kahnert, ebd., S 218)
Derartige Auseinandersetzungen wurzeln, so K. Kahnert, in einer tendenziell sprachfeindlichen Grundhaltung, worin Sprache aus dem menschlichen Denk- und Erkenntnisprozess abgelöst gesehen wird, ohne jedoch auf Darstellung und Mitteilung verzichten zu wollen.
So weiß Fichte, dass jede Sprache Ab-Bildcharakter hat, „weil wir keine andere Quelle für unsere Begriffe haben als die Sinnlichkeit und keine anderen Töne, als die in der Natur vorkommenden.“ (GA IV/1 325f) (K. Kahnert, S 218)
Mit jeder Fortentwicklung einer Sprache entfernt sie sich natürlich zunehmend von ihrer natürlichen Herkunft, d. h. auch eine moderne Sprache „ist also wohl sinnlich, man merkt es nur nicht mehr.“ (ebd. GA IV/1, 326).
Für den Bereich der intelligiblen Welt bleibt die Sprache eher ein Hindernis, und das Ich ist ein raum- und zeitloser, und in seiner Reinheit auch sprachloses Ich als einziger Träger der Vernunfterkenntnis; da aber das Zusammenleben der Menschen eine conditio sine qua non ist der Entwicklung der Vernunft und der Menschheit (ebd.), ist die interpersonale Wechselwirkung auf eine lebendige, offene und flexible Sprache angewiesen. (vgl. Kahnert, S 219) (Hervorhebung von mir)
1z. B. spekuliert Fichte einmal über eine „Kunstsprache“, wie es die Wiener Schule im 20. Jhd. versucht hat, um seine WL verständlich zu machen. Er ist aber von diesem Projekt wieder abgerückt, denn es bedarf eines lebendigen Nachvollzuges der Einsicht, nicht der Begriffe. Dazu braucht man auch die „ordinary language“. Ursprache – Vernunftsprache – Zeichensystem der Wissenschaftslehre. Siehe dazu ZAHN, MANFRED, »Fichtes Sprachproblem und die Darstellung der Wissenschaftslehre«, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, hrsg. v. Klaus Hammacher, Meiner-Verlag, Hamburg 1981, S 160.
2Die Philosophie zur Sprache aus der frühen Zeit beziehen sich dabei auf folgenden Texte: „Vorlesungen über Logik und Metaphysik“ (1794 bis 1802) GA II, 4 (vgl. auch die Kollegnachschrift „Vorlesungen über„Logik und Metaphysik“ 1797, GA VI/1
„Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache“(1795) GA I, 3, 292 -326
3Die Idee, dass nur ein vergleichendes Studium möglichst vieler Sprachen (im Sinne Humboldts) – und selbst dann nur annäherungsweise – zeigen kann, welche Rolle die Sprache des Menschen im Verhältnis von Vernunft und Welt spielt, ist Fichte offensichtlich nicht gekommen. – So Kahnert, Anm. 51.
4Siehe auch W. Janke, Die Wörter „Sein“ und „Ding“ – Überlegungen zu Fichtes Philosophie der Sprache. In: Der transzendentale Gedanke, a. a. O., S 49 – 67.
5Siehe dazu Kahnert Anm. 76, S 208 GA 1/3, 112. Eine im Fichteschen Sinne denkbare historisch-hierarchische Struktur möglicher Arten von Sprache wäre: Ursprache – Vernunftsprache – Zeichensystem der Wissenschaftslehre; s. dazu ZAHN, MANFRED, »Fichtes Sprachproblem und die Darstellung der Wissenschaftslehre«, in: Der transzendentale Gedanke, a. a. O. S. 160.
6Siehe „Vorlesungen zu Platners Aphorismen“ zur Entstehung einer Ursprache, „Wir sind nur zu geneigt, ohne unser Wissen zu abstrahieren.“ GA II, 4, 170; d. h. Wir setzen unbewusst ein Zeichen für etwas ein, abstrahieren, weil wir es so gebrauchen… „Die ersten Wörter bezeichneten durchgängig abstrakte Begriffe, womit mehrere Gegenstände der gleichen Art „gedacht worden sind“[/]“ (ebd.)