Vorwort
Die WLnm will nicht nach dem Schema von Grundsätzen – wie in der „GRUNDLAGE der gesammten Wissenschaftslehre“ von 1794/94 (abk.=GWL) von FICHTE unübertroffen dargestellt – vorgehen, um das transzendentale System des Wissens in seinen Grundprinzipien abzuleiten, sondern will reduktiv und anschaulich die intuierende und intelligierende Quelle des Wissens aufsuchen, um dann daraus die begriffliche Durchdringung der Wirklichkeit zu leisten.
Aus der Einheit der „Thathandlung“ § 1 der GWL wird in der WLnm in § 12 – nach erreichter Analyse der Anschauungsbedingungen der Faktizitätsgenesis des Bewusstseins – der Sinn dieser „Thathandlung“ erreicht, das höchste formale wie materiale Prinzip des Sich-Wissens, der „durch sich selbst bestimmte reine Wille“ (WLnm).
In der GWL wird in § 4 die Möglichkeit des Denkens einer Vorstellung angestrebt und erreicht, in der WLnm wird dieses „Schweben der Einbildungskraft“ bereits vorausgesetzt – und erst ab § 10ff genauer dargestellt und begründet.
Was sozusagen dialektisch-rein und deduktiv in der GWL aufscheint – die Grundprinzipien transzendentalen Erkennens – ist phänomenologisch in der WLnm erschlossen. Dadurch entfällt vielleicht manche klare Formalisierung von Grundtermen und ihre systematische Positionierung im System des Wissens, dafür begegnet uns ein ziemlich reichhaltiger Mix von „idealer“ und „realer Thätigkeit“, ein Mehrwert von sich entwickelnder Begriffsfolgen aus dem Zweckbegriff, d. h. ein Mehrwert von Konkretion. So wird z. B. die transzendentale Notwendigkeit einer Interpersonalität klar abgeleitet, damit ein Ich-Bewusstsein überhaupt entstehen kann u. a. m. Der Übergang zu den phänomenologischen Anwendungen der WL ist mit der WLnm getan, die Ausführung einer, wie FICHTE später sagen wird, „Wissenschaftslehre in spezie“.
„Um die Folgen nemlich ist es uns am meisten zu thun – nemlich zur Erklärung unseres Bewußtseyns.“ [GA IV, 2,136].
Es wird a) die reale Seite der causalen Wirksamkeit erzeugt, die zur objektiven Welt der sinnlichen Natur und zu einem dynamisches Objekt in der Bestimmbarkeit des Leibes und der Sittenlehre führt – und b) auf der idealen Seite des Sich-Setzens und Sich-Bildens wird die conditionale Seite des Wissens erzeugt, ein „stehendes Subjekt“ (WL 1804/2, SW X, 309) in der Ordnung der Legalität – und in weiterer Folge eine lebendige Inter-Personalität einer religiösen Wert- und Sinnordnung;
Im analytischen und zugleich synthetischen Akt wird immer parallel, ideal und real zugleich der Erkenntnisakt bestimmt. „Ich, das Sich-Bestimmende, sehe mich auf doppelte Weise an: als mich bestimmend unter dem Gesichtspunkt des Bestimmens (dies ergibt die Erscheinung des Zwecksubjekts), als mich bestimmend unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtseins (dies ergibt das Bild des Wollens, meines als Wollenden).“ (P. Baumanns, Von der Theorie der Sprechakte, in: Der transzendentale Gedanke, Hamburg 1981, S 183).
Erscheint das Wissen (oder Bewusstsein) damit nicht als eine willkürliche Praxis, die zu einer solchen Theorie wie der WL führt? „Gibt es auch faktisch unvernünftiges bzw. widervernünftiges Handeln, so kann der bloße Begriff der Praxis nicht schon die Vernünftigkeit aller erdenklichen faktischen Praxis implizieren.“ (J. Widmann, Die transzendentale Grundstruktur des Wissens, Hamburg 1977, S 277)
Ja, muss man sagen. Die von der WL begriffliche Durchdringung der Praxis des Handelns der Vernunft ist eine freie Entscheidung, zuerst noch neutral als Räsonnement der Philosophie formuliert. Das aufgestellte Wissen ist ein projizierter Begriff der Voraussetzungen der faktischen Sichgenesis von Wissen/Bewusstsein – und nicht ohne philosophische und ästhetische Kunst erreichbar. Eine Prinzipienerkenntnis der Wirklichkeit im Ganzen zu erreichen und dies darzustellen – das ist bereits eine frei gewählte Entscheidung und ein freier, eingeschränkter philosophischer Erkenntnisakt, der am Ende seines Weges hoffentlich nicht vergessen hat, dass die Praxis, d. h. das Leben der begrifflichen Durchdringung der Wirklichkeit, das Ziel gewesen ist.
Jetzt eine Kommentierung der einzelnen §§ der WLnm, hoffentlich nicht zu langatmig.
(c) Franz Strasser, 26. 11. 2020
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