Kategorien des Zeitlichen und Schweben der Einbildungskraft

Gerne denke ich an die Metaphysikvorlesung in Linz in den 80-er Jahren mit Prof. DDr. ULRICH LEINSLE zurĂĽck. Aristoteles nahm darin breiten Platz ein. Das „to tĂ­ en einai“ – „was das Sein ist jeder Sache“, „das Soundso, das es war zu sein (und sich gemäß dynamis  verwirklicht hat) „, das „Seiende als solches“, „mit Brennpunktbedeutung“. Hr. Professor bemĂĽhte sich wohl mit Hingabe, aber ob wir das Thema verstanden haben?! 

Zufällig stieß ich auf das Buch von S. RÖDL, Kategorien des Zeitlichen, 2005.

Es bestätigt ganz die Ontologie von Aristoteles, d. h. es gibt eine sichere Bestimmung und Erkenntnis des Gegenständlichen. Das Buch ist klar und verständlich, ungemein philologisch erarbeitet, begriffsscharf, die Theorien eines Frege oder anderer Nominalisten widerlegend, sehr systematisch, kohärent, sukzessive auf eine Resümee hinsteuernd.

Ich skizziere Ăśberschriften – und bringe platonische und fichtesche Bedenken – rot hervorgehoben.

I) S. Rödl, Erster Teil. Transzendentale Logik und Zeit, ebd., S 21 – 114.

Kapitel 1: Metaphysik und Logik: S 23 – 55.

S. Rödl widerlegt eingangs mit Hilfe der Aussagen- und Prädikatenlogik des Aristoteles die kĂĽnstlich aufgebaute, konstruierte Logik eines Frege: Dieser versuchte, die logische Ordnung zu formalisieren und zu einer deduktiven Logik umzubauen – aber diese Logik, die die „Begriffsschrift“ meint, kann nicht wiederum die Aussagen ihres Begriffsumfangs und die Gesetze ihres SchlieĂźens durch einen Wahrheitswert, den die deduktive Logik ja erst aufstellen soll,  bestimmen. Der Wahrheitswert des deduktiven Systems muss von auĂźerhalb des Systems festgesetzt werden. „Der KalkĂĽl kann nicht fĂĽr sich selber sorgen“. Die Allgemeinheit des Systems der Aussage- und Prädikatenlogik, wie sie Aristoteles geleistet hat, muss metaphysisch vorausgesetzt werden als vorfindbare Tatsache des Denkens und des Seins, aufschlieĂźbar in gewissen Formen des Denkens, der Begriffe und der Zeit.

Rödl bringt zur Untermauerung viele berühmte Zitate des Aristoteles, so z. B.: Die verschiedenen Formen der prädikativen Einheit der Aussage sind verschiedene Bedeutungen von „ist“, denn „ist“ bezeichnet diese Einheit u. a. m. (S. Rödl. Ebd. S 35; ebd. Anm. 13: Aristoteles, Metaphysik, Delta 7, 1017a22-23)

Das Denken in seiner logischen Form offenbart eine metaphysische Einheit, die transzendentallogisch analysiert und verstanden werden kann.  

Die formalen Logik Aristoteles’ wird gut dargestellt – und die BegrĂĽndung der Logik in einer Form der Analytischen Philosophie wird kritisiert. Aber wie begrĂĽndet wiederum Aristoteles den die Aussagen begrĂĽndenden Wahrheitsbezug der Synthesen im Ist-Sagen? Begriff, Urteil und Schluss ist eine Abstraktionstheorie vergegenständlichter Rede von zeitlichen Dingen und Einzelwissen, die als solche aber wiederum gar nicht gewusst werden können, weil sie ja zeitlich und einzeln sind und folglich keine wissenschaftliche Erkenntnis gewähren?

Ad Kapitel 2 – Empirische und zeitliche Aussagen (ebd. S 56 – 82).
Die Aussagen sind anschauungsbezogen und stehen in einem Wahrheitsbezug des Denkens – ohne sie als „Verhalten“ denunzieren zu wollen, wie Strömungen der Analytischen Philosophie die Aussagen beschreiben.

Eine transzendentale Analyse der Aussagen ist möglich und jetzt gefragt: Wie kommen wir zu einem Zeitbewusstsein? Durch eine Sprech-Handlung in einer bestimmten Handlungsform.

Wiederum sehr gut von S. Rödl in Auseinandersetzung mit der Analytischen Philosophie gewonnen, dass wir zeitliche Vorstellungen und zeitliche Gegenstandsgehalte generieren, weil wir auf Wahrheit und Vernunft bezogen sind. Die Frage von mir: Sind die zeitlichen, anschauungsbezogenen Aussagen (als reflexive Erkenntnisaussagen)  selbst zeitlich veränderbar und wandelbar – dann gäbe es aber keine wahren und gewissen Aussagen?

Ad Kapitel 3 – Zeitbezug und Form der Aussage (ebd. S 83 – 114).

Es folgt eine auf die Struktur der Sprache hörende Beschreibung des Zeitbewusstseins – im Gegensatz zu den Verdrehungen eines Quine. Eine Analyse der Beobachtungssätze und des Gegenstandsbezuges offenbart die impliziten und expliziten Zeitbezüge – und warum der Begriff der „Substanz“ und des Zustands („Akzidenz“) notwendig werden. Dazu später noch die Bewegungsform.

Die tempuslogischen Formen sind in einem Gesamt von zeitlichen Kategorien im endlichen Verstand systematisch aufgebaut und gegliedert.

Die Aporie des Aristoteles ist aber zu greifen, denn einerseits sollen die Aussagen einen Zeitbezug haben, aber gerade der Zeitbezug relativiert sie ja andererseits zu veränderlichen, zeitbezogenen Aussagen, sodass kein überdauerndes, zeitüberhobenes Wahrheitskriterium und wahrheitsbezogenes Urteil gefällt werden kann? Liegt im Zeitbezug selbst das Wahrheits- und Erkenntniskriterium einer behaupteten Aussage, dann gibt es de facto keine überzeitliche Wahrheit? Ich kann es nicht anders deuten, weil die nachfolgenden Kapiteln gerade um diese Zeit-Schematisierungen und Zeit-Aspekte kreisen. Das ergibt aber, nochmals begrifflich objektiviert durch Bewegung und Substanz und weiteren Begrifflichkeiten, eine höchst empirische, wandelbare, objektivistische Weltsicht?

II) S. Rödl, Zweiter Teil. Die Formen zeitlicher Aussagen (ebd. S 115 – 207)

Ad Kapitel 4 – das Tempus als Form der Prädikation (ebd. S 115 – 143)

Die Form der Prädikation mit ihren herausgearbeiteten Beziehungen ist primär zeitlich bestimmt.

Was kann das heißen? Gibt uns die Zeit Auskunft über das Wesen einer Sache? Dann ist das Wesen selber zeitlich und wandelbar? 

Ad Kapitel 5 – Intern zeitliche Beziehungen (ebd. S 144 – 159)

Es folgt eine nochmals genauere Analyse der Zeitform, nämlich die prädikative Einheit des Aspekts. Der progressive oder perfektive Aspekt wird analysiert und die aristotelische Kontinuität der Zeit mittels Bewegung festgehalten.

Substanzen und ihre Zustände müssen mit Bewegungsformen verknüpft werden, unter dem Aspekt des Im-Gange-Seins oder des Abgeschlossenseins in der Erscheinung, „wenn nichts dazwischen kommt.“

Offensichtlich besteht das dringende BedĂĽrfnis, das ĂĽberall nicht zu leugnende Werden in der sinnlichen Welt zu verstehen und zu fixieren. Der Begriff der Bewegung „von her – zu hin“ fixiert ein realistisches Wissen der Dinge um ihre Substanzen und Akzidenzien. Aber woher kommt wiederum das „von her – zu hin“, die Bewegung selbst? Vom Zählen der Zeit nach dem FrĂĽher oder Später? Die Bewegung misst die Zeit und die Zeit begrĂĽndet die Bewegung? Offensichtlich ein Zirkel. Es wird durch Bewegung das begrĂĽndet, was bereits als Zeit notwendigerweise vorausgesetzt wird, denn sonst käme es zu keiner Zeit? Und umgekehrt, es wird durch Zeit begrĂĽndet, was bereits als Bewegung vorausgesetzt wird, sonst käme es zu keiner Bewegung? 

Ad Kapitel 6 – Generische Aussagen (ebd. S 173 – 207)

Die Bewegungsform und Substanz und Akzidens reichen noch nicht aus, die zeitlichen Kategorien des endlichen Aussagens zu verstehen und zu erklären: Es kommt noch die Bedingung des generischen Aussagen hinzu, d. h. dass wir „nach oben“ eine Bewegung in allgemeinen Formen (genera) begreifen. (S. Rödl bringt hier mich wirklich interessante Aspekte des Aristoteles herein, offensichtlich genetische Aussagen, dass durch gewisse Begriffe – die genera, die Kategorien –  die Anschauungen erst gebildet werden?!) 

Immer bringt der Modus der Prädikation die logische Form und den Aspekt und die Bewegung und die allgemeine Form schon mit – die Kategorien des Zeitlichen. Mittels ihrer erkennt der endliche Verstand.

Die Kategorien stellen dabei notwendige Formen der Anschauung dar,  d. h. des auf Anschauungen angewiesenen Denkens. Die Kategorien sind, ganz allgemein ausgedrückt, reine Begriffe des Zeitlichen.

Durch den Anschauungsbezug wird die Logik des Denkens nicht eingeschränkt, vielmehr ist die Art der Aussage die grundlegende metaphysische Logik des Erkennens. Der Verstand ist durch das bedingt, worauf er sich bezieht. Die Einheit eines Gedankens ist die Einheit eines sinnlich Angeschauten als solchen. Und umgekehrt, die Einheit des Angeschauten ist die Einheit eines endlichen Verstandes. Sie (diese Einheit) ist damit objektiv gültig. „Die Erkenntnisbedingungen sind auch die der Gegenstände selbst“ (Kant, KrV, A 158) – so die Parallelität von Aristoteles und Kant.

Welche Einwände könnte ich gegen dieses universale Konzept eines Wissens der Welt und der Dinge vorbringen, außer dass zufällig die Außenwelt unserer Begriffswelt gleichen soll? Es bleibt eine petitio principii, eine Erschleichung eines übereinstimmenden Prinzips von formaler Begrifflichkeit und objektiver Anschauung der Außenwelt. Nur dank großen Wissens und glücklicher Beschreibung und scharfer Beobachtung gelingt Aristoteles, das Wesen der Dinge in eine gewisse Begrifflichkeit zu bannen, d. h. das Wesen der Dinge im Einzelwissen zu abstrahieren, aber analytisch ein sicheres Wissen zu haben, aus dem deduktiv abgeleitet werden könnte, was etwas ist – wie bei Platon – das entfällt! Es ist das organon des Wissens bei Aristoteles sehr groß, umfasst so ziemlich alle Gebiete des damaligen Wissens und der Beobachtung, aber es bleibt eine subjektivistische Erkenntnistheorie. Subjektives Allgemeinwissen wird formal (durch Begriff, Urteil, Schluss, durch Substanz- und Bewegungsbegriff und genera-Begriffen) auf die Einzelsubstanz übertragen, aber das ist keine Begründung und Rechtfertigung, das ist Relationswissen, Induktionswissen?! 

S. Maimon wird ähnlich gegen Kants Erkenntnistheorie opponieren: Dessen angeblichen apriorischen Erkenntnisbedingungen sollen sich mit den Gegenständen der Erfahrung decken? S. Maimon bezweifelt diese Erfahrung. Bekanntlich hat S. Maimon „Kant verdächtig“ gemacht, so später Fichte. 

Anders gesagt: In der KrV KANTS ist die Mannigfaltigkeit in den Anschauungen schon vorgegeben – und wird durch die kategorial-
apperzeptive Subsumtion der Mannigfaltigkeit unter die Verstandesbegriffe und unter der transzendentalen Apperzeption des „Ich
denke“ zur Einheit zusammengefasst. Aber woher dieses Können der Bildung einer Einheit und der wahre Begriff einer Einheit? Kant spricht zwar davon, dass die  kategoriale Synthese der Mannigfaltigkeit durch den Verstand  nochmals der Vernunft als „Vermögen der Prinzipien“ untersteht, die alles  unter „die höchste Einheit des Denkens (KrV B 355-356) bringt, doch diese „transzendentalen Ideen“ (KrV B 368) als Begriffe a priori, die es mit der „unbedingten synthetischen Einheit aller Bedingungen ĂĽberhaupt“ (KrV B 391) zu tun haben, haben nur ein heuristische Funktion, sind nur regulativ und nicht konstitutiv fĂĽr die Erkenntnis.  

In der transzendental-apperzeptiven Zeitbestimmung FICHTES ist die Mannigfaltigkeit der Empfindung nicht einfach
vorgegeben, sondern a) notwendig im Konkretionsakt und Reflexionsakt der Bestimmung von Qualitäten gesetzt, d. h.  formal liegt die 
Mannigfaltigkeit im Sehen selbst begrĂĽndet und sie wird b) durch die appositionelle Zeitsynthesis im ĂĽbergehenden Willen zu
einem zusammenhängenden Ganzen der Erfahrung zusammengefasst nach kategorialen  und teleologischen Zwecken.  (Natürlich finden sich bei Kant  auch Aussagen, dass die Synthesis des „Ich denke“ sogar vom Bewusstsein hervorgebracht ist, also nicht bloß nachträgliche Zusammenfassung einer Mannigfaltigkeit unter einen Verstandesbegriff; aber das bleibt notwendig unterbestimmt: Siehe z. B. „Verbindung ist Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen. Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch […] den Begriff der Verbindung allererst möglich“ (KrV B 130f) Kant bleibt hier irgendwie gespalten – und die Lager seiner Interpreten.

Zeitbezogenen Aussagen als solche fallen unter bestimmte logischen Formen und sind deshalb objektiv gültig, weil sie immer schon die Formen des anschauungsbezogenen Denkens sind. Die Formen des Verstandes sind abstrakteste Formen des Zeitlichen und sind wegen ihres Anschauungsbezuges nicht leer. Sie haben objektive Gültigkeit und Geltung – so Aristoteles, so Kant – so der Tenor von S. Rödl.

Die fehlende platonische Begründung im Hintergrund müsste jetzt erst nachgereicht werden: Es stimmen die logische Formen und die Zeitgenerierung mit den Dingen deshalb überein, weil sie im Wissen geeint und evident sind, nicht weil formallogisch und prädikativ durch Begriff, Urteil und Schluss und mittels Aspekte der Zeit und mittels Bewegung und Substanz die Einheit objektivistisch vorliegt. Hier fehlt mir dann doch die genetische Erzeugung der Übereinstimmung von Denken und Anschauung!?  

Das Problem könnte als Diskrepanz von Analysis und Synthesis bzw. als primärreflexives Wissen contra sekundärreflexives Wissen beschrieben werden. Ehe nicht das gegenstands- und anschauungsbezogene Denken selbst mit ihren Begriffen und Zeitformen apriorisch (primärreflexiv) evident eingesehen werden kann, bleibt ewig die Trennung von Sein und Erkenntnisbedingung, die Trennung von ratio essendi versus ratio cognoscendi. Die synthetischen Begriffe müssen aus der Analysis des Sich-Wissens hervorgehen – und nicht umgekehrt erzeugt eine synthetische Beobachtung schon die analytische Einheit des Wissens.  

Platon, Descartes, Fichte haben die homologe Einheit von Sein und Denken klar anders begründet – und zweifellos gibt es bei Aristoteles ebenfalls verwandte, transzendental im Sich-Wissen begründete Evidenzaussagen. Die Nachkonstruktion eines S. Rödl wird wohl stimmen, die platonische Kritik einer letztbegrifflichen Einheit der Kategorien des Seins (der Kategorien des Zeitlichen) soll m. E. nicht fehlen?! 

Ich verweise jetzt noch kurz auf Fichte:

III) Fichte – Das Schweben der Einbildungskraft 

Fichte kennt ĂĽber die formale Erkenntnistheorie und formale Logik hinausgehend eine theoretisch-praktische Erfahrungs- und Sachlogik.

Wie soll ich mich kurz ausdrücken? Die prädikativen Formen und die aristotelische Logik des Denkens dessen, was „ist“, und die Anschauung des endlichen Verstandes in zeitlichen Kategorien (situativ, im Aspekt, in der Bewegungsform, generisch), sind bereits  abgeleitete Stufen eines genetischen wie  eines wirklichen Sehens, sind bereits abgeleitete Verstandeskategorien einer conditionalen und causalen Vermittlung, sind Disjunktionseinheit, die aber nach einer Begründung und Letztbegrifflichkeit dieser Disjunktionseinheit verlangen.   

Jede sinnliche Anschauung ist bereits in zeitlichen Kategorien gefasst; völlig d’accord. mit Kant und Aristoteles; mit Fichte aber noch genauer gefasst: Jede Anschauung ist ebenfalls schon begriffene (zeitliche) und genetisch erzeugte  Anschauung – weil sie durch  Denken und das  Schweben der Einbildungskraft zwischen Entgegengesetzten gebildet ist. 

Die Einbildungskraft bewältigt einen Widerstreit und verwirklicht ein Produkt als etwas Unterscheidbares und als Ausgangspunkt allen Bewusstseins und Selbstbewusstseins. Mit der WL 1801/02 gesprochen: Der Quantität vorausgehend ist die Quantitabilität; letztere liegt jenseits allen Bewusstseins in seinem Nichtsein und bildet die Sphäre künftiger möglicher Akte. Das freie Handeln bezieht sich auf diese Quantitabilität als ein absolut Gefundenes wie auf eine stehende absolute Anschauung; sie ist eine Mannigfaltigkeit, die in einem ruhenden Lichte sich selber hält, ewig und unaustilgbar dieselbe ist.

Das freie Handeln – die „Handlungsform des Prädizierens bei Aristoteles – ist eine abgeleitete Folge ein freies, sich selbst Ergreifen in dieser Anschauung, ist ein Konstruieren und  Nachmachen eines Gesetzes. Dieses Gesetz kurz beschrieben (siehe andere Blogs z .B. Epistemologien des Ă„sthetischen) : In jeder Hemmung muss eine unbegrenzte Tätigkeit in der ursprĂĽnglich produzierenden Einbildungskraft vorausgesetzt und angenommen werden; sobald sie allerdings aufgenommen wird, ist sie wieder endlich; doch sie soll unendlich sein, die Hemmung muss wieder ausser dem Ich gesetzt werden, und so wird sie wieder unendlich in ein und demselben Akte. Es ist ein Wechsel des Ichs mit sich selbst, ein „Schweben der Einbildungskraft“, die Ableitung der Anschauung und Vorstellung in der Einheit des  begrifflichen Sich-Wissens in der Geltungsform des „Ich“.

Durch dieses Schweben der Einbildungskraft, Substrat allen Bewusstseins – bei Aristoteles als Substanz in der Bewegungsform nach auĂźen projiziert – wird Anschauung genetisch erklärt, d. h. aus  einer ursprĂĽnglichen Synthesis von  Denken und durch das Schweben der Einbildungskraft sich bildenden reinen und sinnlichen Anschauung.  

Aus der Synthesis des Ich-Wissens und Sich-Wissens wird weiter gefolgert, a) notwendig kommt es  zu den Anschauungsformen der Zeit und des Raumes, zu den im Buch so genannten „Kategorien des Zeitlichen“, b) notwendig zu den Reflexionsideen der Vernunft und c) notwendig zu den kategorialen Begriffen, wie sie Aristoteles aufzählt oder Kant. Alles muss deduktiv notwendig sein, selbst wenn wir nur einen induktiven Schluss verstehen möchten. Das sekundäre Wissen – die Linie von Aristoteles – muss in einem primären Wissen eingeholt werden.

Nach Fichtes Einsicht lässt sich das Verfahren des Anschauens und Denkens in der Konstitution des objektiven Gegenstandes – wie es in einer transzendentalen Logik nach Rödl (auf einer sinnlichen Stufe) beschrieben wird – auf einen einzigen, grundlegenden Vollzug zurĂĽckfĂĽhren – auf die Reflexion.

Vermag nach Rödl bzw. nach Aristoteles und Kant der Verstand mit seinen Denkgesetzen nicht aus seinem sinnlichen Anschauungsbezug heraus, entwirft nach Fichte der Verstand (in schematisierenden Relationen) immer schon Umkehrungen der Reflexion in seiner sinnlichen und intellektuellen Anschauung: Substanz und Akzidens werden vertauscht, es entsteht Bewegung. Bei Aristoteles werden Substanz und Bewegung vorausgesetzt – und es erfolgt das Denken nach Potentialität und Aktualität. Die Bewegung bestimmt die Substanz und deren Akzidens. (Im Grunde ein sehr scharfsinniges Denken der Wesenserkenntnis von etwas Seiendem, nur halb vollendet als Seinsaktualität in objektivistischer Weise.) 

Nach Fichte sind die substantiellen Begriffe bei Aristoteles Reflexionskategorien: Die Kategorien der Ursache und Wirkung werden notwendig zur Zweckgerichtetheit vertauscht. Bei Aristoteles ist das eine breit ausgeführte und beschriebene, beobachtete Ursachenlehre. Bei Kant fällt seltsamerweise die teleologische Urteilskraft auf, sie sei in einem gewissen Grad notwendig für die Erkenntnis, aber letztlich doch nur regulativ gültig.

Weitere „Kategorien“ – im weiteren Sinne, gnoseologisch verstanden –  nach Fichte: Die additiv verstandene Wechselwirkung wird zur Kategorie der Organisation, eine distributiv wirkende Wechselwirkung, ohne die Lebendiges nicht zu verstehen wäre. 

Die Bewegung, die Zweckgerichtetheit, die Organisation, sie sind notwendige Reflexionsidee des endlichen Verstandes, nicht zeitlich feststellbare, objektive Kategorien, weil der Setzungsakt des Sich-Wissens  transzendentallogisch Anschauung und Begriff in einer synthetischen Erkenntnis a priori vereint – aus praktischen GrĂĽnden – und daraus werden deduktiv und systematisch die Wissbarkeitsbedingungen und die kategorialen Erkenntnisbegriffe der Wirklichkeit abgeleitet. 

Anders gesagt: Die Kategorien des Zeitlichen, in abstraktester Form von Rödl in einer akribisch aufgearbeiteten LektĂĽre von Aristoteles und Kant geleistet – insofern ein lesenswertes Buch – sie sind nicht empirisch begrĂĽndbar und auflesbar.  Sie sind nach Platon, Descartes und Fichte eine sekundäre  Form des Wissens und verlangen nach einer primärreflexiv begrĂĽndeten  und gerechtfertigten Erzeugung. 
Sie sind letztbegründbar durch die Idee des Guten (Platon), durch die „veracitas dei“ (Descartes), bzw. schematisiert darstellbar im Schweben der Einbildungskraft (Fichte).

© Franz Strasser, Sept. 2023.

Zu Fichte – siehe die Schrift „Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre (1794 1. Auflage/1798 2. Auflage)

 

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser