Kann der Islam eine Offenbarung Gottes sein?1
Es geht zuerst nicht um die Frage, wie fassen wir die vermeintlichen Aussagen Gottes an Mohammed auf, sondern wie hat Mohammed sie zuerst selber gesehen? Wie konnte er selber den Bedingungen der Wissbarkeit nach sie erkennen und daran glauben?
1) Die an Mohammed (570/573 bis 632 n. Chr.) – dann „Prophet“ genannt – übermittelten Botschaften, anfangs sogar sehr gewaltsam ihm aufgetragen, müssen unabhängig von der Erfahrung, unmittelbar und zeitlos, apriorisch als wahr und richtig eingesehen werden können, wenn sie wirklich göttlichen Ursprungs sind. Sie müssen eine sich selbst rechtfertigende, klare, gewisse Erkenntnis sein. Konnte Mohammed diese Gewissheit erreichen?
Um die apriorische Form zu erfragen, verweise ich zuerst auf die mir näher stehende Auffassung des Christentums: Dort spielen letztlich nicht Worte oder eine ganze Lehre von Gott die erste und entscheidende Rolle, sondern die Person JESUS CHRISTI selbst ist die apriorische Form und der materiale Gehalt in seinen Taten, Reden und werterfüllenden Sterben am Kreuz und in seiner Auferstehung: „ego eimi“, „Ich bin es“, heißt es oft im Johannes-Evangelium. Generell gesagt, alle Evangelien sind primär Verkündigung des Glaubens an die Person JESUS CHRISTUS und an sein überzeugendes Tun. Das Wort der Hl. Schrift ist das notwendige Material, aber nur durch Inspiration richtig und wegweisend (zukunftsorientiert) lesbar, d. h. letztlich mittels des Hl. Geistes. (Siehe unten).
Anders gesagt: Jesus selbst gründete seine Worte, seine ganze Botschaft und Legitimation auf seine Sendung von Gott her, also auf eine sich selbst rechtfertigende, und als solche einsehbare, apriorische Wahrheit und Gewissheit. Seine Botschaft ist reflexiv beglaubigt und wahr. Die in weiterer Folge an ihn glaubenden Christen stützten sich ebenfalls a) auf ein reflexives Licht in ihrer Seele – wie es jedem Vernunftwesen zukommt – und b) auf diese genetisch sichtbar gewordene Evidenz, die JESUS CHRISTUS gewesen ist und für alle Zeit jetzt sein kann. Der prädelibarative Wille Gottes ist in JESUS personalisiert, wesensgleich, sichtbar geworden und zum deliberativ freien Willen hin – wie er gleichfalls in jedem Menschen wohnt – anschließbar geworden.
Es ist m. E. ein eklatanter Unterschied, wie Mohammed das allgemein zu umschreibende Phänomen „Offenbarung“ und seine eigene Rolle dabei gesehen hat – und wie JESUS CHRISTUS sich gesehen, bereits in der Hl. Schrift explizit und buchstäblich nachlesbar bzw. wie die Christen der ersten Stunde und der nachfolgenden Generationen ihn gesehen haben/sehen.
Das Christentum, sozusagen als ganze Lehre verstanden, ist keine Buchreligion im Sinne des Qur’an, vielmehr ist die Lehre stets lebendige Vermittlung des Glaubens (als höchstes Wissen) an eine im wahren Sinne positive Offenbarung Gottes. Die Hl. Schrift als geschriebenes Wort ist natürlich notwendiges, mediales Mittel, weil die Erinnerung an eine positiven Offenbarung von sich her Pertinenz, Weiterführung, Perennierung verlangt. Dieses mediale Mittel ist von sehr hohem Wert und entspricht unsserer objektivierenden Vernunft. Ttrotzdem ist die Schrift oder das mündliche Wort nur Mittel, Werkzeug, mit der Auflage, das überlieferte Wissen der positiven Offenbarung wahrheitsgetreu und lebendig zu bewahren, stets neu zu lesen und weiterzugeben. Das Mittel (Werkzeug) der Schrift steht aber nicht über dem Zweck der Erreichung einer genetischen Erkenntnis Gottes der positiven Offenbarung von jedem /jeder für alle zu jeder Zeit. Der Buchstabe des Schrift garantiert nicht und ist nicht die pertinente Sinnidee, die von der ausgezeichneten positiven Offenbarung ausgeht.
Erreichte ein Mohammed solche Gewissheit einer rettenden Tat Gottes, einer positiven Offenbarung von höchstem Sinn, Satisfaktion, Restitution (Wiedergutmachung), Vergebung, in seinen an ihn ergangenen „Offenbarungen“? Gibt es in diesen „Offenbarungen“ diese Gewissheit einer sich selbst rechtfertigenden Wahrheit und Güte, wie sie das Christentum verkündet?
2) Noch zur Schrift und zum überlieferten Wort möchte ich sagen: Die Verständnismöglichkeit der Hl. Schrift und deren Inspiriertheit – „Gottes Wort im Menschenwort“ (Dei Verbum) – hängt mit einer bestimmten Philosophie und Anschauung des Vernunftwesens „Mensch“ zusammen, d. h. dass a) die Sprache im weitesten Sinn zum Wesen des Vernunftwesens gehört – siehe Blog zur Sprache; angeboren, gebildet, geschenkt – und b) die Sprache wesentlich eine soziale und interpersonaler Funktion hat.
Die Wahrheit und der Sinn eines Wortes oder Satzes können letztlich aber nicht von außen an den Menschen gelangen, sondern müssen innerlich, im eigenen Wollen und Wissen nachvollzogen und verstanden und eingeschaut werden. Das gilt sowohl für die eigene Selbsterkenntnis als „Bild Gottes“ wie für die angetragene und angebotene, behauptete „Offenbarung“ Gottes. Kann diese „Offenbarung“ von ihrem Rechtsgrund her als absolut wahr und richtig eingesehen werden? Welche Methode gilt hier für das Christentum? Welche für den Islam? 2
Anders gesagt: Durch das eingeborene Licht Gottes Gottes, ferner durch das interpersonale Wort und bei konkreter Überlieferung durch die geschenkte Lektüre der Hl. Schrift vermag das Vernunftwesen zu Bedingungen der Freiheit zum „Bild Gottes“ überzugehen. Alle diese schriftlichen und im weitesten Sinne kirchlichen Vermittlungen sind Formen des Verstehens, die noch nicht unbedingt der Gehalt und die praktische Idee des „Bildes Gottes“ selber sind, aber zu dieser Evidenz führen können und sollen. (Die in der katholischen Theologie oft vorfindbare Rede von der „Selbstmitteilung“ Gottes ist m. E. nicht glücklich gewählt, vielleicht verständlich zu machen?, aber zumindest verleitet diese „Selbstmitteilung“ des Wortes Gottes dazu, sich diesen Prozess objektivistisch und von außen kommend vorzustellen.)
Die Vermittlung der „Offenbarungen“ Gottes an Christen wie Muslims (oder Juden) sollen eine praktische Idee und Realisation werden. Das liegt reflexiv im Begriff der Offenbarung selbst, sofern man „Offenbarung“ zuerst als Sendung und „Bild Gottes“, d. h. als „Bild Gottes“ im „Menschen“, versteht – und einer damit verbundenen Notwendigkeit von Satisfaktion und Restitution.
Sind die „Offenbarungen“, die von der Hl. Schrift oder vom Qur’an ausgehen, jetzt solche überleitenden, vermittelnden „Offenbarungen“ zum „Bild Gottes“ (des Menschen) und der Wiedergutmachung? Das verlangt eine absolut untrügliche, wahre Evidenz von positiver Offenbarung, die nicht nur eine schwankende Vielleicht-Erkenntnis und Vielleicht-Evidenz sein kann, vielleicht hat das Gott gesagt, vielleicht sollen wir das oder jenes tun……., sondern eine Erkenntnis von untrüglicher Wahrheit, von höchstem Wert und Sinn. Erkenntnis ist an sich schon wertbehaftet. Der freien Wille kann sich mit der Grundintention nach Vollkommenheit synthetisch einen – oder kann die Grundintention verwerfen (in einem ständigen Selbstwiderspruch, denn implizit nimmt der Wille immer Bezug auf Wahrheit.) Die Einheit der Vernunft ist Bilden, Sehen, auch religiöses Schauen, ist praktisch-willensmäßiges Erfassen und Erfasstwerden. Um einen höchsten Wert aber wollen und wissen zu können, frei wollen zu können, muss ich zuerst wissen, was ich will. Erst die Wahrheit ermöglicht die Freiheit des Wollens.
Hat ein Prophet Mohammed mit seinem ganzen Wesen und Wollen, mit der ganzen Einheit seiner theoretischen und praktischen Vernunft (wenn man schon diese kantische Zweiteilung zitieren will, was aber nicht notwendig ist) erfasst, eine untrügliche Wahrheit Gottes erfasst, die er dann mündlich weitergab und schließlich als Qur’an (nach seinem Ableben) und als Hadithe gesammelt wurden?
Anders gesagt: Konnte er sich seiner „Offenbarungen“ absolut gewiss sein?
Bei der nicht leichten Lektüre des Qur’ans lese ich hauptsächlich von einer nur von außen an Mohammed ergangene Lehre und „Offenbarung“. Ich lese von Liebe und Hass, von Gehörtem, von anderen Stimmen der Hl. Schrift oder arabischen Stimmen usw.… Das Meiste kommt von außen an die Hörer herangetragen – bis auf ein paar wenige Stellen, in denen Gott direkt, persönlich, zum Vernunftwesen spricht. Ich lasse mich gerne belehren: Wo wird im Qur’an zum direkten Gespräch und Dialog mit Gott eingeladen, zur persönlichen Anrufung oder Klage, Bitte, Danke, Lobpreis? Vielleicht in den vielen Ausrufen „Allah ist barmherzig…….“?
Ja, es wird aus einer apophatischen Rede (Verneinung) sogar ein positives Bekenntnis abgeleitet und eine kataphatische Rede produziert – siehe z B. bei Ahmad Milad Karimi, Warum es Gott nicht gibt und er doch ist, 2018. Die Negationsdialektik heißt: „Schahada“: „Es gibt keinen Gott außer Gott“ Sure 37:35 und in Sure 47:19
Es gibt vereinzelt persönliche Stellen der Anrede Gottes an das Vernunftwesen „Mensch“ so z. B. – von der Bibel abgeschrieben – „Sei ein Muslim“ (das Wort an Abraham Gen 12. u. Gen 15) Aber wie wird dieser Geltungsanspruch positiv begründet? Der Gehorsam diesem Wort gegenüber, wie kann er aus freien Stücken geleistet werden? Er ist hier möglich, bei diesen wenigen Ausnahmen, aber gibt es Geltungsbegründungen für Aufrufe zum Hass, zur Ermordung, zur Ausrottung, zur Verdammung usw.? Diese Stellen werden ja wörtlich vom IS oder anderen Diktatoren hergenommen. Siehe diverse Suren z. B. Sure 59 oder Sure 5 u. a.
Die Texte der Hl. Schrift scheinen in Passagen ebenfalls external, von außen kommend, wenn z. B. Mose im Buch Deuteronomium predigt oder ein Paulus etwas schreibt, aber der Blick und der Gehorsam Gottes Wort gegenüber ist stets an die Evidenz und Erkenntnis Gottes direkt gerichtet. Siehe hier besonders die Psalmen. Oder man denke an die christliche Messfeier, in der die positive Offenbarung in eine ständige Pertinenz und lebendige Erinnerung übergeführt wird. Eine gewisse mediale Außenvermittlung bleibt notwendig, die individuelle und personale und auch kollektive Erkenntnis dahinter ist aber innerlich, reflexiv.
Die Notwendigkeit einer medialen und sprachlichen Überlieferung bringt die Gefahr mit sich, eine Offenbarung zu verfälschen, ein Wort falsch zu schreiben, zu übersetzen….. andererseits ermöglicht die schriftliche und mündliche Überlieferung eine generationübergreifende, gleichberechtige, zukunftsorientiere Teilhabe an der Offenbarung.
Die ganze Überlieferungskette und die lebendige Tradition und vielfältige Auslegung des WORTES schlechthin – so das großartige Denken der ersten Kirchenväter – geschieht nochmals nicht nur durch willkürliche Freiheit und endliche Vernunft, sondern durch den HEILIGEN GEIST.
Kraft Inspiration und Teilhabe wird die Evidenz und Erkenntnis der positiven Offenbarung sowohl implikativ auf den Begriff Gottes zurückgeführt – als untrügliche Wahrheit Gottes gewusst – , wie appositionell in Zeit und Raum entfaltet – mit allen dem Vernunftwesen gebotenen Mitteln der Schrift, der mündlichen Tradition, der Sakramente.
3) Verstehe ich das richtig, die Form der Offenbarung im christlichen Glauben unterscheidet sich m. E. von der Form der Offenbarung, wie sie Mohammed verstanden hat? Die christliche Offenbarung ist personal-zentriert auf Jesus Christus hin, abgeschlossen und zugleich im Heiligen Geist weiter interpretierbar und offen. Die „Botschaft“ des Propheten ist abgeschlossen. Der Buchstabe ist übrig geblieben. Es beginnt die selektive Exegese.
Der Qur’an besteht darauf, dass die ergangenen „Offenbarungen“ Gottes von außen an Mohammed herangetragen wurden – und unverändert jetzt vorliegen und zu befolgen sind. Es gibt sogar eine Urform des Qur’an im Himmel, und erhalten ist die Kopie. Die Form des Qur’an ist eine Art „Bekanntmachung“.
Ich spreche von „externaler“ Bekanntmachung – mangels eines besseren Begriffes: Es ist mir klar, dass die Literaturwissenschaft und die historisch-kritische Exegese eine Vielzahl von Stilformen der Rede und der Schrift kennt. Es gibt literarkritische Methoden, Gattungskritik, Traditionskritik, Redaktionskritik, historische Kritik, zahlreiche humanwissenschaftliche Zugänge, objektive Hermeneutik u. a. m. Mit „external“ will ich schlicht und einfach die Redeform einer Kundgabe bezeichnen, ein Etwas wird von außen an einen Hörer/Gläubigen/Muslim herangetragen. Es kommt auf das Rezitieren des Qur’ans an und das Nachsprechen von Hadithen und Nachsprechen des Bekenntnisses mit der Beifügung, dass Mohammed der Prophet sei.
Der „Prophet“ ist wichtig, aber er ist nicht selbst der Offenbarungsträger oder gar Heilsvermittler in einer eindringlichen Tat und Geste.
Natürlich will der Islam, dass die von außen herangetragenen und aufgetragenen Worte zu verinnerlichen und zu realisieren seien, aber dieser Nachvollzug und Mitvollzug – er stützt sich in seiner implikativen Begründung weiter auf die Form einer von außen an den Menschen herangetragenen Bekanntmachung. Was ermöglicht jetzt die appositionelle Überlieferung und Auslegung der „Bekanntmachungen“?
Gibt es z. B. im Qur’an eine mögliche allegorische oder moralische oder mystische Auslegung des Wortes, wie es die jüdischen oder christlichen Leser und Gläubigen kennen? Gibt es untrügliche Gewissheit in die Wahrheit eines Wortes? 3
Eine pertinente Sinnidee im Sinne des Christentums, dass das Wesen Gottes sich selbst verzeitigen und vergeschichtlichen und inkarnieren will in der Form personaler und interpersonaler Gemeinschaft und in der Form einer Satisfaktion und Restitution (Wiedergutmachung des Bösen), diese apriorische Sinnidee in Zeit und Geschichte – gibt es diese im Islam?
Kennt der Islam überhaupt das Denken einer Notwendigkeit von solcher Offenbarung, wie sie die christliche Überlieferung als notwendig ansieht: Rückgängigmachung des Sündenfalls, Tilgung des Bösen, Ermöglichung neuer Freiheit? 4(Siehe meinen Blog: Was ist Religion?)
Die Notwendigkeit einer Offenbarung nur aus polemischen Gründen heraus, weil die Juden und Christen die Hl. Schrift verfälscht hätten, das ist offensichtliche Gekränktheit und subjektives Gefühl.
Anders gesagt: Die Hl. Schrift (der Juden und Christen) und der Qur’an haben eine sehr differente dogmatische Beurteilung dessen, was das WORT Gottes meint und ist: Einmal direkte, personale Offenbarung Gottes selbst, seines Wesens, als geschriebenes und mündliches Wort (als Wörter) die Schaffung einer generationenübergreifenden Kette der Freiheit und des Glaubens – das andere Mal, im Islam, das WORT als wörtliche Bekanntmachung eines selbst mehr oder minder unergründlichen Wesens Gottes. Dieses Wesen wird zwar oft als heilig und barmherzig beschworen, aber es fehlt die genetische Einsicht und Wissen in das Wesen Gottes.
Kein Wunder, dass die dem WORT Gottes im Qur’an folgenden Anwendungsbedingungen sehr ambivalent ausfallen, von Liebe bis Hass ist alles möglich.
Eine historisch-kritische Aufarbeitung des Korans gibt es zwar bereits, aber für den Status der Offenbarung des Korans als Ganzes wird sich nicht viel ändern – es sei denn, man erlaubt sich in Zukunft eine kritische Prüfung der Aussagen nach einem apriorischen Maßstab: Was ist Moralität und reiner Begriff Gottes und was sinnliches und subjektives Bedürfnis? Das wird aber unvermeidlich zu großen Streitereien und Diskrepanzen und unlösbaren Fragen innerhalb des Islams führen, denn es fehlt die genetische Einsicht eines möglichen Rückbezugs auf eine positive Offenbarung, wie sie das Christentum kennt, d. h. die pertinente apriorische Sinnidee von Vergebung und Erlösung, oder ein pertinente Sinnidee von Befreiung („aus Ägypten“) oder heiligem Leben vor Gott.
Man wird streiten um den Status und Historizität der Aussagen, um die Bedeutung von Wörtern, um nachfolgende Auslegungen, um Schulen, um mekkanische oder medianitische Entstehung, um Äußerlichkeiten wie das Kopftuch (bekanntlich ein Hauptproblem im Iran u. a. m.). Es ist der Bezug zu einem absoluten, moralischen und religiös-gerechtfertigten Evidenz- und Geltungsgrund überlagert – gerade durch die angeblichen „Bekanntmachungen“. Man darf sich anhand der „Bekanntmachungen“ nicht zur Freiheit eines freiwilligen Gehorsams oder einer frei gewollten Liebe aufschwingen, denn das Wesen Gottes ist ja unbekannt.
4) Die Möglichkeit einer Art Offenbarung Gottes an Mohammed sei unbenommen, sowie sie jedem Vernunftwesen qua Vernunft zugesprochen werden kann, d. h. sofern es sich als „Bild Gottes“ versteht.
Einen unmittelbaren, personalen Offenbarungsträger, eine personalisierte Gottesvorstellung, wie das Christentum JESUS CHRISTUS sieht und damit das Wesen Gottes, das lehnen aber Mohammed und der Islam ausdrücklich ab.
Es werden sicherlich so Art Erscheinungen oder Hörerlebnisse der Niederschrift des Qur’ans vorangegangen sein, das möchte ich nicht bezweifeln. Die Historie selber sagt aber nichts über den Gehalt und Wert der Erscheinungen und Hörerlebnisse aus, d.h. sie können keine Begründung leisten, wenn nicht die apriorische Form durch ihren materialen Gehalt und Geltungsgrund begründet und gerechtfertigt ist.
Es fällt mir auf, das viele Geschichten des Ersten und Zweiten Testamentes in diesen Hörerlebnissen des Korans übernommen sind. Woher hat der Prophet sein besonderes Wissen und die Freiheit, die Schriften des Judentums und Christentums so eigenwillig auszulegen? Erklärte er sich seine „Offenbarungen“ nicht aus vorher gemachten Lernstunden und Lehrstunden des Ersten und Zweiten Testamentes – und davon ist nicht die Rede – auch nicht aus philosophischen Sätzen des Nachdenkens über Gott (wie die griechische Philosophie), so muss er für sich exklusiv eine besondere Geltungsform, eine „Inspiration“ einfordern. Wie hat er sich deshalb selber bei dieser „Inspiration“ gesehen?
Wie erklärte er sich diese neuartigen Offenbarungs-Phänomene? 5Es lag schon eine gewisse Offenbarung Gottes an die Juden und an die Christen vor, aber in Mohammeds Augen wiederholungs- und verbesserungsbedürftig ? Woher dieses Wissen und wie kann er diese Meinung und Überzeugung begründen? Offensichtlich konnte er sich bei den Juden mit Argumenten nicht durchsetzen – soweit den historischen Quellen zu glauben ist. Mit den Christen dürfte er besser ausgekommen sein? 6
5) Wie hat der „Prophet“ sich selber gesehen? Es steckt dahinter eine erkenntniskritische Frage: Kann der Idee Gottes eine Perzeption (Wahrnehmung) des reinen Willens entsprechen, d. h. kann der reine Wille Gottes von uns sinnlichen, sündigen Vernunftwesen erkannt werden?
Der Philosoph Kant leugnet die Erfahrung einer Perzeption Gottes und lehnt aus Gründen der Autonomie den heiligen Willen Gottes sogar ab. Das unbedingte Sittengesetz genügt zwecks freier Selbstbestimmung. (Wie in concreto dann die Freiheit und der freie Wille sich bestimmen kann, im sinnlichen Bereich, das ist eine andere, uns hier zu weit führende Frage.)
Die christliche Tradition sagt es, in Unterscheidung zu Kant (oder zu seiner Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ 1793-1794) etwa so: Die höchste Idee oder der Begriff Gottes sei im Wesen JESU erkennbar – und es führt zur höchsten Autonomie und Selbstgesetzgebung der Freiheit.
Wie sieht der Islam die Erkennbarkeit Gottes? Auf dem Formbegriff ruht bei ihm, nolens volens, das ganze Gewicht der Perzipierbarkeit Gottes. Prinzipiell muss der Islam oder Mohammed die Perzipierbarkeit und Annehmbarkeit des Wortes bzw. eines heiligen, reinen Willens, zugeben – wie die anderen Religionen Judentum und Christentum – aber sozusagen die exekutive Funktion dieses Glaubens an einen heiligen, reinen Willen Gottes muss für das freie Vernunftwesen erst eingebracht und kritisch reflektiert werden. Wie geschieht die appositionelle Umsetzung des Glaubens im Islam?
Im Christentum ist es zumindest dem Ideal nach so, dass die menschliche Vernunft die Wahrheit Gottes zwar nicht verbürgen kann, aber bei aller subjektivistischen oder existentialistischen Einseitigkeit das zugegeben und angestrebt wird, dass nur die Liebe die Sinnbestimmung menschlicher Freiheit sein kann, nicht ein blinder Gehorsam oder gar ein Verdammung und Ausrottung anderer.
6) In Konfrontation mit der Frage nach der Erkennbarkeit des absoluten Geltungsgrundes (des heiligen, reinen Willens) taucht jetzt eine zweite Frage auf, die aber offensichtlich mit der Perzipierbarkeit Gottes zusammenhängt: Warum soll überhaupt das Vernunftwesen Mensch nach diesem heiligen, göttlichen Willen fragen?
Die Geschichte der Freiheitsentscheidungen des Vernunftwesens „Mensch“ legt eine unumkehrbare Reihenfolge guter wie bösen Taten fest, die durch weiteren Geschichtsverlauf entweder so liegen gelassen, oder doch neu gedeutet und zum Guten hin verändert werden kann. Wenn eine Perzipierbarkeit des reinen, heiligen Willens möglich sein muss, verlangt deshalb ein möglicher positiver Offenbarungsbegriff, dass darin die Frage nach der Satisfaktion und Restitution des Widermoralischen und Widersinnigen transzendental notwendig als Wissbarkeitsbedingung aufgeworfen wird – sonst wäre a) das Wesen Gottes und seine Allmacht selbst infrage gestellt, wenn ihm Moralität wie Unmoralität gleich-gültig wären und b) die im Denken und Anschauen geforderte apriorische Freiheits- und Sinnidee des Vernunftwesens „Mensch“ (siehe Blog „Cur deus homo est“ 1. und 2. Teil) liefe auf bloße Träumerei und Schwärmerei (Erdichtung übersinnlicher Gegenstände) hinaus.
Im Offenbarungsbegriff des Christentum ist absolut wesentlich, dass die Frage a) nach dem Wesen Gottes und die Frage b) nach der apriorischen Sinnidee, nach Vergebung und Erlösung, mithin die Fragen nach dem Wesen des Menschen und seiner (noch, oder nicht mehr?) bestehenden Freiheit, beantwortet werden.
7) Erlaubt der Offenbarungsbegriff, wie ihn Mohammed verkündet hat, jetzt abgesehen noch vom Gottesbegriff, ebenfalls das Denken von Satisfaktion und Restitution (Gerechtigkeit, Wiedergutmachung des Bösen)?
Die „Offenbarung“ Gottes im Islam ist „Bekanntmachung“ – und so sah Mohammed seine Hauptaufgabe, diese „Bekanntmachung“, friedlich oder gewaltsam, weiterzugeben.
Die „Offenbarung“ im Judentum und Christentum ist Erfüllung einer apriorischen Sinnidee, Perzipierbarkeit von Vergebung, ist messianische Erlösung für die anderen . „(….) propter nos homines et propter nostram salutem…“
Ich rede hier mittels der Begrifflichkeit der „Offenbarungscritik“ Fichtes 1792/1793: Ist der Begriff der „Offenbarung“ ein natürliches Datum, oder ein gemachtes Datum oder überhaupt ein erkünstelter Begriff?
7. 1) Ein erkünstelter Begriff wäre z. B., dass das Wesen Gottes sowohl gut wie böse sei. Das kann aber ohne Widerspruch nicht gedacht werden. Das fällt hier weg.
7. 2) Natürlich gegeben ist aber der Offenbarungsbegriff im Judentum, Christentum und Islam ebenfalls nicht, denn es wird ja historisch darauf beharrt, dass etwas, oder besser, der Gute selbst, sich in der Geschichte geoffenbart hat (und ohne dieser Offenbarung gäbe es nicht diese Religion.)
7. 3) Bleibt übrig: Er ist ein gemachter Begriff, der auf einen Inhalt hinweist, dessen Form aber in expliziter Weise nur in seinem Verhältnis und in seinem Bezug zu einem a) absoluten Geltungsgrund und b) in seinem Verhältnis zu einem individuellen wie zu einem kollektiven Volk Gottes, wie im Christentum, besteht – bzw. in einem Begzug zu einem Text wie den des Qur’ans (und seines Propheten ).
Die Bezugnahme auf das Heil des einzelnen wie des Volkes – ist das ebenso Referenzbasis im Qur’an? Ich möchte das stark bestreiten, denn die Referenz auf den einzelnen wie alle bezieht nicht ganze Erlösungsbedürftigkeit und Sündhaftigkeit und Satisfaktion und Restitution ein. (Deshalb auch die schroffe Ablehnung des Islam gegenüber dem Kreuz JESU)
Wenn der Begriff der Offenbarung im Islam sich selber zum Objekt seines Begreifens machen könnte – im Sinne eines Bezuges zum absoluten Geltungsgrund, der die Rettung und das Heil des einzelnen wie aller will – wäre der hermeneutische Zirkel auflösbar, denn genetisch könnte eingesehen werden, was „Offenbarung“ heißt. Wenn aber nur von „Bekanntmachungen“ oder Worte Gottes oder Weisungen, Tröstungen wie Verfluchungen etc. gesprochen wird, kann von keiner genetischen Erkenntnis einer Wahrheit Gottes gesprochen werden, sondern behauptet wird, was wahr sein soll, und wahr ist, was von außen kommend behauptet wird. Behauptet kann viel werden. Deshalb wiederum meine Hauptfrage: Wie hat Mohammed sich selbst gesehen in seinen ihm geschenkten Offenbarungen und dieses Wissen bewährt?
Der Prophet, so kommt mir die Lektüre im Qur’an stets vor, ist nur Vermittler, Zwischeninstanz der Bekanntmachung von Aussagen, die entweder aus dem Ersten oder Zweiten Testament oder aus eigenen arabischen Quellen und sonstigen Quellen und aus originär Gehörtem stammen. Eine Bekanntmachung ist aber noch kein existentielles „propter nostram salutem“, keine Satisfaktion und Restitution und keine durch das eigene Leben gedeckte „Bekanntmachung“ und Offenbarung. Das hätte Mohammed stets dazusagen müssen!
Wenn ich den zugegeben schwer lesbaren Qur’an lese: Wie konnte Mohammed sich seiner „Offenbarungen“, die dann als Bekanntmachungen interpretiert werden, sicher sein? Wie konnte er in seinem Wissen und Gewissen von sich her sagen und sicher bezeugen, das hier sei Wort Gottes – z. B. das alttestamentliche „Sei ein gläubiger Muslim/eine gläubige Muslima“, das ander ist nur meine subjektive Sicht, Beigabe, meine Dazugebe, mein Wunschdenken, mein verkappte Angst. Mir wäre es symphatisch, wenn alle Muslim wären, aber ob das Gottes Forderung ist, ist nicht zu beweisen. Hätte er bei diesem höchsten Geltungsanspruch nicht stets eine Selbstkritik und einen Unterschied anbringen müssen? Das könnte eine mögliche Offenbarung des wahren, reinen und heiligen Willens sein, aber das andere ist nur mein subjektives Bedürfnis?
Der Zirkel mögliche Offenbarung in einem gemachten Begriff kann sich nicht auflösen, wenn der Begriff nicht selbst sich einzusehen vermag als das, was er ist: Verkörperung, Darstellung, Inkarnation des reinen, heiligen Willens – und nicht bloß mehrdeutiges, fehleranfälliges, sinnliches und historisches Wort.
Anders gesagt und in der Tradition Platons gesprochen: Das Sichbegreifen des Begriffes vom reinen und heiligen Willen Gottes muss sich selbst zum Objekt des Denkens machen können, d. h. das Denken (des reinen, heiligen Willens) muss sich genetisch in seinem Vollzug als absolut Gutes, Heiliges offenbaren – und zugleich die Möglichkeit der Erkennbarkeit bieten, d. h. der absolute Geltungsgrund wird zugleich selbstständiger Grund eines Sichbegreifens zu Bedingungen der Freiheit.
Ein Text (wie die Bibel, der Qur’an) wäre dann bereits eine objektivierte Form des Begriffes, für uns notwendig, da wir sprachliche und mediale Wesen sind, aber als Text steuert er „nur“ das materiale Substrat für den actus des Sich-Begreifens der genetischen Einsicht bei, zu Bedingungen der Freiheit den absoluten Geltungsgrund zu erreichen (als „Bild Gottes“).
8) Es geht also um den (sinnvoll) gemachten Begriff der Offenbarung und um die Form der Offenbarung, deren Begriff sich selbst zum Inhalt und Objekt eines Sich-Begreifens machen kann.
Die positive Offenbarung ist der Form nach möglich denkbar, denn warum sollte der Begriff Gottes nicht von sich her erlauben, sich zu äußern, sich zu verzeitlichen und sich zu inkarnieren? Eine Offenbarung von vornherein zu leugnen, das hieße eine apriorisches Vorwissen von Gott zu haben, dass Gott sich nicht offenbaren könne – und ist nur angemaßtes Wissen.
Dass Gott sich offenbart oder geoffenbart hat, kann von der Vernunft her also weder bewiesen noch geleugnet werden. Das muss dem Mohammed wie den Gestalten der Bibel wie jedem Vernunftwesen (kraft Vernunft) zugestanden werden.
Aus historischen Fakten und historischen Aussagen, wenn es nur „Bekanntmachungen“ sind, lassen sich aber keine allgemeinen, und vorallem keine geltungsspezifischen Schlüsse ziehen, wie Gott in seinem reinen, heiligen Willen ist. Das hieße, mit einem Wort Fichtes gesprochen, ein historisches Ereignis zu „metaphysizieren“ (Fichte, AsL).
Die Fragen nach dem DASS einer möglichen Offenbarung verschiebt sich immer wieder zur Frage nach dem WIE dieser Offenbarung, also zum Wie der Erkenntnisbedingungen – ganz in kantischer Tradition gefragt.
Meine abschließende, vielleicht zu korrigierende Sicht: Der Islam in seiner dogmatischen Lehre hat sich durch einen verengten Vernunftbegriff und durch die Begrifflichkeit einer mehr oder minder externalen „Bekanntmachung“ eines Textes und der Vermittlungsform eines „Propheten“ die Bezugsform zu einem absoluten Geltungsbezug verbaut, mithin zu einem Zugang einer Offenbarung , wie sie nicht nur formal, sondern auch material sein müsste: Geltungsgrund einer Satisfaktion und Restitution zwecks Möglichkeit selbstständiger Freiheit.
Ich halte dabei einen gläubigen Bezug zum absoluten Geltungsgrund für einen gläubigen Muslim/oder Muslima durchaus für möglich, wie für jedes Vernunftwesen. Die Gestik beim Gebet mit den an die Ohren gelegten Händen beeindruckt mich sogar, aber der ganze systematische Modus, WIE dann wieder auf eine externale Bekanntmachung als absoluten Geltungsgrund verwiesen wird, verbaut wieder dieses innere Hören. Ein bloßer Text oder mediale Vermittlung ist per se keine genetische Einsicht in eine göttliche Offenbarung. Vom Begriff her kann sich darin keine Heiligkeit, Vergebung, Satisfaktion und Restitution (Wiedergutmachung, Gerechtigkeit) zeigen. Das Sichbegreifen des Erkennenden als „Bild Gottes“, auch in seiner ganzen Misere der Verlorenheit und Sündhaftigkeit, zu Bedingungen der Freiheit – und der absolute Geltungsgrund dazu, das muss beides korrelieren.
9) In welcher Form der Offenbarung ist die adäquate Vermittlung von Gottesbegriff bzw. Perzipierbarkeit des reinen Willens möglich? Das Christentum geht so vor, wie oben kurz beschrieben: In der Sphäre des reinen, heiligen Willens erscheint das Grund-Folge-Denken einer Beziehung und Vermittlung selbst im Gottesbild, bezeichenbar als VATER-SOHN im HEILIGEN GEIST-Beziehung – und in diskursiven und sukzessiven Schritten bringt das endliche Vernunftwesen die apriorische Sinnidee einer notwendigen positiven Offenbarung in die Zeit und Geschichte zwecks Satisfaktion und Restitution mitein. Die Sinnidee ist unleugbar in dem Wissen und Wollen und im Freiheitsstreben enthalten.
Das endliche Vernunftwesen hat in seinem Erkennen und Wollen a) direkt Anteil an der trinitarischen Offenbarungsstruktur und hat b) Anteil an einer apriorischen Sinnidee, die sich mannigfaltig äußert in den Vermittlungsformen der Sprache, der Schrift, des Lebens, der Liebe.
Frage jetzt an den Islam: Besteht die Möglichkeit, inspirativ und hörend und frei sich auf einen absoluten Geltungsgrund zu beziehen? Weiters: Besteht die Möglichkeit, eine eindeutige Antwort und Erkenntnis auf die Sinnfrage zu finden? Anders gesagt: Besteht die Möglichkeit, den absoluten und pertinenten Bestimmungsgrund des „Barmherzigen und Allerbarmers“, wie oft gesagt, in implikativer Begründung und appositionellen Synthesen des Lebens zu bezeugen?
(c) Franz Strasser, Okt. 2017
1Bekanntlich hat Fichte seine steile Karriere als Philosoph mit diesem Thema eines Begriffes der Erkennbarkeit Gottes („Versuch einer Critik aller Offenbarung“ 1792/17932 ) begonnen. Diese Schrift ist bei weitem nicht die endgültige Reflexion Fichtes zu diesem Thema, aber sie ist derartig begriffsscharf und tief, dass sie m. E. gut geeignet ist, die Botschaft des Islam auf diese Erkennbarkeit hin zu prüfen. Ich hörte vor langer Zeit (vor über 40 Jahren) eine Vorlesungsreihe bei R. Lauth zum Begriff der Offenbarung. Ich beziehe mich jetzt noch darauf(frei).
2Siehe dazu z. B. eine Argumentation von A. Schurr: „Die Aufforderung in der Wechselwirksamkeit von Individualität und Interpersonalität muss auch verstanden werden. Das Verstehen setzt aber wiederum einen Zweckbegriff voraus, und bedeutet ein transzendierendes über sich Hinausverwiesen-Sein zu einem absoluten Bestimmtsein. Im absoluten Bezugspunkt liegt der Sinn menschlichen Existenzvollzuges, die tragende Gemeinsamkeit alles kommunikativen, sittlichen Austausches – und der gemeinsame Eine-Welt-Bezug. Dieses Grundsein als Grundlage jedes Selbstvollzuges des Bewusstseins muss deshalb in einem fraglosen Seinsollen begründet sein – das im Gegensatz zu jedem faktischen Bestimmtsein als nicht wandelbar gedacht werden muss –, weil eine gegenteilige Annahme von der Undenkbarkeit ausgehen müsste, dass ein absolutes Grundsein beides setzen könne, ein sich selbst begründendes und ein nicht sich selbst begründendes Bestimmtsein.“ SCHURR ADOLF, Die Funktion des Zweckbegriffes in Fichtes Theorie der Interpersonalität. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluss an Kant und Fichte. Festschrift zum 60. Geburtstag von Reinhard Lauth. Hrsg. v. KLAUS HAMMACHER und ALBERT MUES, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1979, 359 – 372.
3Seltsamerweise finden sich viele verschiedene Stimmen im Qur’an. Gibt es hier nicht eine hermeneutisch geläuterte, einheitliche Form von Grundaussagen und die davon abzugrenzenden, nur zufällig vorkommenden, historischen Aussagen? Die Stimme Gottes, die Stimme Mohammeds, die Stimmen der Gegner, von Noah, von Abraham, von Mose, von Jesus, von Engeln, von Dämonen, von Frevlern, Zweiflern, Geretteten, Verdammten. Jedesmal wird eine neue Kommunikation aufgemacht mit unterschiedlichsten Bezügen, Inhalten, Adressaten. Welchen Status der Einsicht beanspruchen die verschiedenen Sprecher-Rollen?
4Der Prophet des Islams (Mohammed lebte von 570/573 bis 632 n. Chr.) hatte eine schlechte Kenntnis der biblischen und der christlichen Lehre, wahrscheinlich nur eine mündliche Kenntnis, vermutete einen Drei-Götterglauben im Christentum (Vater-Jesus-Maria!), war vom Monophysitismus, Nestorianismus, Arianismus schlecht beraten. (Wie es mit dem jüdischen Glauben aussah, entgeht meiner Kenntnis, d. h. das müsste von dorther geklärt werden.) Auf jeden Fall wurde die kostbare Lehre des christlich- trinitarischen Glaubens oder die Zwei-Naturlehre Christi von ihm völlig falsch verstanden, oder sie blieb ihm überhaupt unbekannt. Es entstand ein eigenartig neues Konstrukt eines Ein-Gott-Glaubens, dass sich aus vielen Quellen speiste.
5Ähnlich bezog sich JESUS immer wieder auf die Bildungstradition des Volkes Israel und auf die ganze vorherlaufende Geschichte der Freiheitsentscheidungen, aber nicht im Sinne einer Korrektur oder Verbesserung, sondern im Sinne einer Vertiefung und Erneuerung eines ursprünglichen Sinns. Er redete in den Bildern und Geschichten des Ersten Testamentes, aber mit dem Maßstab des apriorischen Vorwissens in den Herzen der Zuhörer selbst, die durch ihn selbst die Wahrheit und Offenbarung einer Aussage erkennen sollten. Die Botschaft JESU war doppelt vermittelt: durch die Geschichte des Volkes ISR und der vorliegenden Texte – wie hätte er sich auch sonst verständlich machen können – und durch die genetische Erkenntnis seiner selbst und seiner ZuhörerInnen. So verstand er schließlich sein eigenes Wesen aus dem absoluten Geltungsgrund – mittels tradierter, geschichtlicher Evidenz und mittels genetischer Evidenz. Der äußeren Form seiner Predigt nach wurde er auch als „Prophet“ tituliert, aber das wäre dann nur die Form und würde ihn als ganze Person nicht begreifen.
6Die ausdrückliche Einmaligkeit und Nicht-Wiederholbarkeit der christlichen Offenbarung stützt sich auf den persönlichen Charakter und das Wesen JESU CHRISTI, mithin auf den unwandelbaren Begriff von Gottes Wesen, das sich logischer Weise nur einmal und einzigartig offenbaren kann, sonst wäre ja Gottes Wesen selbst wandelbar oder unzureichend oder schwach, wenn hier etwas wiederholt werden müsste.