Fichte, Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, SW VII, 1806.
Die historischen Ereignisse Ende 1804 und Anfang 1805 haben J. G. Fichte bewogen, die Phänomene seiner Zeit aus einer apriorischen Perspektive zu betrachten. Es muss im Schatten der napoleonischen Kriege eine sehr unruhige, bewegte Zeit gewesen sein – und es ist bemerkenswert, mit welcher Ruhe Fichte hier zu einer Geschichtsphilosophie übergeht. Er will, so höre ich indirekt heraus, alles andere als zusätzlich aufregen. „Uebrigens geht die Zeit ihren festen, ihr von Ewigkeit her bestimmten Tritt, und es lässt in ihr durch einzelne Kraft sich nichts übereilen, oder erzwingen. Nur die Vereinigung, aller, und besonders der inwohnende ewige Geist der Zeiten und der Welten vermag zu fördern.“ (SW Bd. VII, ebd. S 15) 1
Ich habe jetzt wieder zu dieser Lektüre gegriffen, weil momentan der Verschwörungstheorien und Krisen sehr viele sind. Ich las z. B. von der „Mentalität der erschöpften Moderne“ bei Hartmut Pätzold.2
Fichte will a) ein „Gemälde“ schaffen, wie es überhaupt zu Prinzipien einer Zeit – und Geschichtsbetrachtung kommen kann, b) diese typologisch in einem Fünf-Stadiengesetz aufschlüsseln, und c) schlussendlich seine eigene Zeit in dieser typologischen Charakteristik für seine HörerInnen aufschließen und kenntlich machen.
1) In seiner ihm typischen Weise des Deduzierens heißt bald zu Beginn der 1. Vorlesung:
„Ein philosophisches Gemälde des gegenwärtigen Zeitalters ist es, was diese Vorträge versprechen. Philosophisch aber kann nur diejenige Ansicht genannt werden, welche ein vorliegendes Mannigfaltiges der Erfahrung auf die Einheit des Einen gemeinschaftlichen Princips zurückführt und wiederum aus dieser Einheit jedes Mannigfaltige erschöpfend erklärt und ableitet.“ (ebd. S 4)
Klar ist es ihm aus dem Denken der Wissenschaftslehren (abk.=Wln), dass es nur eine Grundbestimmung und darin die enthaltenen Weiterbestimmungen geben kann: „Wir heben hiermit an eine Reihe von Betrachtungen welche jedoch im Grunde nur einen einzigen, durch sich selbst eine organische Einheit ausmachenden Gedanken ausdrücken.“ (1. Satz, ebd. S 3)
Da es der reflexiven Vernunftnatur auferlegt ist, nur diskursiv etwas darzulegen und abzuleiten, fühlt er sich aber genötigt, analytisch vorzugehen. Dies ist hier natürlich nochmals doppelt angebracht, da ja, nicht nur von der prinzipiellen Vernunftnatur, sondern von der empirischen Gegenstandsbestimmungen der Zeit und Geschichte her gesehen, eine begriffliche Durchdringung seiner gegenwärtigen Zeit geleistet werden soll: „Könnte ich diesen Einen Gedanken in derselben Klarheit, mit der er mir beiwohnen musste, (….), so würde von dem ersten Schritte an das vollkommenste Licht sich verbreiten über den ganzen Weg, den wir miteinander zu machen haben. Aber ich bin genöthigt, (….)“ (ebd. S 3.4)
Aus der philosophischen Prinzipienerkenntnis der Wln, sprich a) aus der Konstitutionsgenese von Selbstbewusstsein und b) einer Quantitierungslehre des Absoluten – die allerdings hier in den GdgZ leider nicht essentiell hervorgeht – soll ein neues Licht zum Verstehen der Zeit und Geschichte abgeleitet werden. Es ist mir auffallend, das will ich betonen, dass Fichte nicht predigend, autoritär, polternd, oder wie immer revolutionär auftreten will, sondern feinfühlend und freilassend dem jeweiligen Hörer/Hörerin selber die Schlüsse ziehen lässt. Er möchte sie über die „vollendete Sündhaftigkeit“ seiner gegenwärtigen Zeit sanft und zustimmend hinausführen.
Was er allerdings kritisch zum Ausdruck bringt: Er weist auf die Notwendigkeit einer aktualisierenden Beziehung der apriorischen Prinzipien hin. Es soll durchaus Neues verkündet werden: „Da dieses sich also verhält, so muss ich, zumal weil hier nicht alte bekannte Sachen nur wiederholt, sondern neue Ansichten der Dinge gegeben werden sollen. (…)“ (ebd. S 4)
Am Ende der 1. Vorlesung wird nochmals unaufdringlich und einladend jeder/jede angesprochen, das apriorische „Diskursivitätsgesetz“ (F. Bader) auf sein/ihr eigenes Leben zu beziehen: „ Das gegenwärtige Zeitalter im Ganzen meine ich; denn da oben bemerkt worden, dass gar füglich ihrem geistigen Princip nach verschiedene Zeitalter in eine und derselben chronologischen Zeit in mehreren Individuen sich durchkreuzen und nebeneinander fortfliessen können: so lässt sich erwarten, dass dasselbe auch in unserem Zeitalter der Fall seyn möge, dass daher unsere, das apriorische Princip auf die Gegenwart anwendende Welt- und Menschenbeobachtung nicht gerade alle dermalen lebende Individuen, sondern nur diejenigen betreffen möge, die da wirklich Producte ihrer Zeit sind, und in denen diese Zeit sich am klarsten ausspricht. Es kann einer hinter seinem Zeitalter zurück seyn, (….)“ (ebd. S 13)
Wie kann Fichte seinen apriorischen Geltungsanspruch begründen und rechtfertigen?
2) Der Geltungsanspruch liegt in der selbst zeitlosen, apriorischen Vernunftidee, die er in den Wln (plural) herausgearbeitet hat, besonders in den Wln des Jahres 1804/1805. Diese Vernunftidee ist einerseits eine geschlossene Einheit, ein Sich-Wissen, andererseits entlässt sie in sich die Weiterbestimmungen ihrer eigenen Grundbestimmung in einem systematischen Ganzen.
Anders gesagt: Die Vernunfteinheit ist schon apriorisch konstituiert – und in einer nochmals höchsten Genese aus der Erscheinung des Absoluten ist sie begründet und gerechtfertigt. In den GdgZ entfällt zwar direkt diese höchste Begründungsform – das möchte ich Fichte hier schenken, um den Text nicht zu stark umzudrehen und nochmals ganz anders zu lesen – aber Geschichtsphilosophie als solche könnte ohne theologischen Anspruch nicht geleistet werden. (Das ist wohl bleibendes Erbe der Bibel mit ihrem genealogischen und juridischen und messianischem Denken und den folgenden Gerichtsvorstellungen und Endzeiterwartungen.)
Aus einer letztlich absoluten Begründung des Zeit- und Geschichtsdenkens gelingt Fichte in der diskursiven Entscheidungssituationen des endlichen Vernunftwesens eine approximative Annäherung an fünf Zeitalter – siehe unten.
Es klingen manchmal quasi apodiktische Urteile an, dass notwendig diese oder jene Erscheinungen aus den apriorischen Gesetzen der Zeit und Geschichte folgen werden – zugleich ist aber Fichte selber klar, dass er in seiner wirklichen, zeitlichen Erscheinungssituation in dem Dilemma steht, dass er die zeitlose Vernunfteinheit und Vernunftidee auf Zeitliches übertragen soll und somit selber zeitlich und relativ-geschichtlich wird.
Diese Diskrepanz soll für ihn aber kein Hindernis sein, nichts über Zeit und Zeiterscheinungen sagen zu können. Dies gelingt ihm in der üblichen Weise des Gegensatzdenkens, d. h. ein dialektischer Gegensatz zwischen dem reinen Apriori und der sinnlichen Zeiterscheinung wird aufgebaut, wodurch einerseits der unbedingte Geltungsanspruch erhalten bleibt, andererseits die Bedingung der Freiheit von der modal-zeitlichen und realen Entscheidungssituation mitbestimmt wird.
Die Vision einer unbedingten Denkbestimmung durch Freiheit und einem Apriori von Zeit und Zweck der Geschichte ist wohl in dem großen Satz ausgedrückt: „ (….) und lege damit den Grundstein des aufzuführenden Gebäudes – ich sage: der Zweck des Erdenlebens der Menschheit ist der, dass sie in demselben alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einrichte.“ (ebd. S 7, gesperrt von Fichte)
Die Denkverhältnisse des Bedingten und Zeitlichen können durch das Unbedingte herausgearbeitet werden, weil die Freiheit darüber bestimmen soll – auf der sichtbaren Basis und Ebene der Vernunft. Es sind wohltuende Aussagen gegenüber der „erschöpften Moderne“ (H. Pätzold)
Steht aber der genetische Zweck des Zeit- und Geschichtsverlaufes fest, religiös nochmals begründet, ein eschatologischer Zweck und Sinn, so muss diese Rekursion auf diesen Geltungsgrund in der Geltungsform des Philosophierens ständig mitlaufen und deduktiv vorhanden bleiben.
Aus der Sicht der apriorischen Vernunftidee einer Realisierung individueller wie gemeinschaftlicher Freiheit, geht einher eine untergliederte, aus der urtypischen Art des Ideals abgeleitete typologische Ableitung von fünf Epochen.
Diese Epochen sind mehr oder minder historisch festzustellen und abzulesen, eher dienen sie aber der Darstellung eines apriorischen Vernunftsystems, Zeit und und Geschichte möglichst anschaulich und verbindlich darzustellen.
Fichtes aktuelle, gegenwärtige Zeit wird gerade nicht schmeichelnd beschrieben, als „(…) 3) Die Epoche der Befreiung, unmittelbar von der gebietenden Autorität, mittelbar von der Botmässigkeit des Vernunftinstincts und der Vernunft überhaupt in jeglicher Gestalt: das Zeitalter der absoluten Gleichgültigkeit gegen alle Wahrheit, und der völligen Ungebundenheit ohne einigen Leitfaden: der Stand der vollendeten Sündhaftigkeit.“ (ebd. S 11.12 gesperrt von ihm).
Diese Äußerungen sind nicht ad personam gemeint – wie er sich in der Einleitung und im Schlussabsatz ja deutlich deklariert. Der philosophische Überblick und die Diagnose seiner Zeitepoche möge trösten, quasi ein Heilmittel sein, das ursprüngliche Vernunftziel und die Rekursion auf den absoluten Geltungsgrund wieder zu finden.
„Bloss über die äussere Form dieser Vorträge erlauben Sie mir noch einige Worte. Wie auch immer unser Urtheil über das Zeitalter ausfallen möge, und in welche Epoche wir auch dasselbe zu stellen uns gedrungen fühlen möchten, so erwarten Sie doch hier weder den Ton der Klage, noch den der Satire, zumal der persönliche. Nicht den der Klage: das ist eben die süsseste Belohnung der philosophischen Betrachtung, dass, da sie alles in seinem Zusammenhange ansieht, und nichts vereinzelt erblickt, sie alles nothwendig, und darum gut findet, und das, was da ist, sich gefallen lässt, so wie es ist, weil es, um des höheren Zweckes willen, seyn soll.“ (ebd. S 14)
3) Die Vernunftidee, „(sc. die Menschheit möge) alle Verhältnisse mit Freiheit einrichten“, könnte im Sinne eines notwendigen Prozesses oder im Sinne eines notwendig, herbeizuführenden emanzipatorischen Befreiungsschlages verstanden werden – wie „Revolutionäre“ das vielleicht auszulegen belieben?
In einer Vorlesungsreihe hat Dr. Franz Bader auf diese Gefahr hingewiesen: Wenn alles schon panlogistisch vorgezeichnet ist, kann man sich nur fügen und kann praktisch frei nichts mehr tun, oder man interpretiert die Geschichte hermeneutisch als notwendigen Prozess: Die fünf Stadien folgen erscheinungsmäßig und notwendig: Vernunftinstinkt, Autoritätsglauben, Gleichgültigkeit, Wissenschaft und Vernunftkunst. Ein Scheitern ist gar nicht möglich? 3
Eine unweigerliche Diskrepanz zeigt sich zwischen dem apriorischen Denken und der Zeiterscheinung: „Zuvörderst: hat der Philosoph die in der Erfahrung möglichen Phänomene aus der Einheit seines vorausgesetzten Begriffs abzuleiten, so ist klar, dass er zu seinem Geschäfte durchaus keiner Erfahrung bedürfe, und dass er bloss als Philosoph, und innerhalb seiner Grenzen streng sich haltend, ohne Rücksicht auf irgend eine Erfahrung und schlechthin a priori, wie sie dies mit dem Kunstausdrucke benennen, sein Geschäft treibe, und, in Beziehung auf unseren Gegenstand, die gesammte Zeit und alle möglichen Epochen derselben a priori müsse beschreiben können. Ganz eine andere Frage aber ist es, ob nun insbesondere die Gegenwart durch diejenigen Phänomene, (….)“ (ebd. S 5)
Jedes Vernunftwesen hat die aktualisierte und appositionelle Anwendung des apriorischen Denkens selbstständig zu vollziehen: „Hierüber hat ein jeder bei sich selber die Erfahrungen seines Lebens zu befragen, und sie mit der Geschichte der Vergangenheit, sowie mit seinen Ahnungen von der Zukunft zu vergleichen: indem an dieser Stelle das Geschäft des Philosophen zu Ende ist, und das des Welt- und Menschenbeobachters seinen Anfang nimmt. „ (ebd. S 5)
Die Epochen können als solche einzeln unterschieden und bedingt gedacht werden, aber nur aus der einen unbedingten, apriorischen Grundidee des Ganzen.
„ Diese Epochen aber und Grundbegriffe der verschiedenen Zeitalter können nur neben- und durcheinander, vermittelst ihres Zusammenhanges zu der gesammten Zeit, gründlich verstanden werden. Es ist daher klar, dass der Philosoph, um auch nur ein einziges Zeitalter, und, falls er will, das seinige, richtig zu charakterisiren, die gesammte Zeit und alle ihre möglichen Epochen schlechthin a priori verstanden und innigst durchdrungen haben müsse.“ (ebd. S 6)
4) Die Idee der Vernunftrealisierung der Freiheit kann in einem einzelnen, apriorischen Begriff zusammengefasst werden, der bereits in der WL 1802/02 gegen Schluss prominent auftaucht, im Begriff „Weltplan“.
Fichte hebt ihn gesperrt hervor: „Dieses Verstehen der gesammten Zeit setzt, so wie alles philosophische Verstehen, wiederum einen Einheitsbegriff dieser Zeit voraus, einen Begriff einer vorher bestimmten, obschon allmählig sich entwickelnden Erfüllung dieser Zeit, in welcher jedes folgende Glied bedingt sey durch sein vorhergehendes; oder, um dies kürzer und auf die gewöhnliche Weise auszudrücken: es setzt voraus einen Weltplan, der in seiner Einheit sich klärlich begreifen, und aus welchem die Hauptepochen des menschlichen Erdenlebens sich vollständig ableiten, und in ihrem Ursprunge sowie in ihrem Zusammenhange untereinander sich deutlich einsehen lassen.“ (ebd. S 6)
Wenn es den Begriff und die Applikation eines „Weltplans“ für die gesamte Zeit gibt, ferner einzelne Unterprinzipien innerhalb der Grundbestimmung, so hängt alles systematisch zusammen. Die Epochen „durchkreuzen“ einander und können im individuellen Leben selbst verschieden präsent sein. Hauptmerkmale sollen aber herausgearbeitet werden.
(…)denn da oben bemerkt worden, dass gar füglich ihrem geistigen Princip nach verschiedene Zeitalter in eine und derselben chronologischen Zeit in mehreren Individuen sich durchkreuzen und nebeneinander fortfliessen können: so lässt sich erwarten, dass dasselbe auch in unserem Zeitalter der Fall seyn möge, dass daher unsere, das apriorische Princip auf die Gegenwart anwendende Welt- und Menschenbeobachtung nicht gerade alle dermalen lebende Individuen, sondern nur diejenigen betreffen möge, die da wirklich Producte ihrer Zeit sind, und in denen diese Zeit sich am klarsten ausspricht.“ (ebd. S 13)
5) Zu diesem diskursiven Vorgehen zwischen reinem Apriori des Denkens und doch in concreto anzuwendender Schematisierung der Begriffe auf die zeitlichen Anschauungsformen hin möchte ich – sozusagen als Einschub – Kant befragen, woher und warum das diskursive Vorgehen und generell die „Diskursivität“ notwendig kommen:
Bekanntlich unterscheidet Kant vier Urteilsformen Quantität, Qualität, Relationalität und Modalität und deren Grundsätze des Verstandes.
Die Modalität drückt dabei eine Anwendung des Urteils aus, ob etwas möglich, wirklich oder notwendig ist – unter bereits zeitlichen Anschauungsbedingungen.
Die Modalkategorien und Modalgrundsätze beziehen sich a) entweder auf die transzendentale Erkenntnisart überhaupt, sofern sie a priori möglich sein soll (KrV B 27), oder b) auf die gegenstandsbezogene Erkenntnis a priori, insofern die transzendentale Erkenntnisart früher oder später zu einer repräsentationalen Gegenstandserkenntnis überwechseln muss. Ist der Gegenstand objektiver Erfahrung möglich, wirklich oder notwendig.
B. Grünewald hat sich eingehend mit dem Verständnis Kants beschäftigt und die Modalitätskategorie analysiert auf den existentiellen und zeitlichen Bezug hin. 4
Die Gründe für die Gültigkeit einer Erkenntnisart überhaupt in den modalen Denkbestimmungen nennt er „modale Reflexionsbegriffe“; inwiefern eine Geltungsentscheidung in einer wirklichen, anschaulichen Gegenstandserkenntnis (in der phänomenologischen Erscheinung) getroffen werden soll, ob etwas möglich, wirklich oder notwendig ist, nennt er das eine „modale Gegenstandsbestimmung.“
In diesem Zusammenhang der Gegenstandsbestimmung einer Zeit- und Geschichtsreflexion in den GdgZ wird der modale Reflexionsbegriffe der Erkenntnisart selbst auf den Prüfstand gestellt und als Gegenstandserkenntnis von Zeit und Geschichte deduziert. Diese Erkenntnisart ist selber immer schon ein konkreter, präsentischer Ausgangspunkt der Reflexion, deren Geltungsentscheidung sowohl apriorisch wie aposteriorisch gebunden ist und bleibt. Es kann nicht nur abstrakt, spekulativ der Gedanke gewälzt werden, ob die Freiheit alle Verhältnisse der Vernunftwesen einrichten möchte und könnte, sondern die Freiheit ist zeitlich und geschichtlich disjunktiv immer schon gefordert, in einem ausschließlichen Entweder-Oder die Verhältnisse einzurichten oder nicht.
Der Philosoph kann zwar unabhängig von empirischen Daten und Beobachtungen ansatzweise frei räsonnieren und problematisieren, dann aber, sobald er zur Realisierung übergeht, muss er auf die realen Anschauungs- und Anwendungsgesetze der Vernunft rekurrieren und replizieren, weil seine bedingte und leibliche Existenz notwendig Bezug nimmt a) auf die Anschauung der Gegenstände sinnlicher Erscheinung und b) auf eine unbedingte Bedingung – nämlich auf die Bedingung der Freiheit – und c) was hier in der GdgZ entfällt, auf die Erscheinung des Absoluten.
Anders gesagt: Auf der sinnlichen und gegenständlichen Erscheinungs-Ebene ist das endliche Vernunftwesen immer schon in einen Modus der disjunktiven Entscheidungssituation gestellt, d. h. dass die anfänglich problematische Annahme eines apriorischen Vernunftgesetzes bereits unter Bedingungen fakultativ notwendiger Bestimmungen fällt.
Das apriorische Vernunftgesetz, wenn ich vorallem die Deduktionen der vorlaufenden und teilweise parallel laufenden Wln heranziehe, ist das prinzipielle Aufruf-Antwort-Schema, innerhalb dessen das endliche Vernunftwesen sich stets entscheiden muss, oder anders gesagt, das apriorische Vernunftgesetz ist das Sittengesetz in seiner unbedingten Forderung und in seinem apriorischen Soll.
Der Philosoph räsonniert und deduziert apriorisch, sein im Geiste gefälltes Urteil bleibt aber noch hypothetisch und problematisch; sobald er zur Realisierung übergeht wird sein Urteil apodiktisch in dem wirklichen Vollzug und anschaulich gebunden in der Entscheidung. Die Entscheidung ist notwendig möglich in der modalen Grundbestimmung Aufruf/Antwort und im Grundwesen der Vernunft, wird aber disjunktiv notwendig, sobald sie zu dieser oder jener notwendigen fakultativen und wirklichen Bestimmung übergeht.
Im Text zeigt sich diese Diskrepanz zwischen apriorischem Denken und fakultativer Realisierung immer wieder. Fichte gesteht öfter dieses Ungenügen ein: „Erdenleben der Menschheit gilt uns hier für das gesammte Eine Leben, und die irdische Zeit für die gesammte Zeit; dies ist die Grenze, in welche die beabsichtigte Popularität unseres Vortrages uns einschränkt; indem von dem Ueberirdischen und Ewigen sich nicht gründlich reden lässt, und zugleich populär. (…)“ (ebd. S 7
6) Aus der apriorischen Vernunftidee wird der „Grundstein des aufzuführenden Gebäudes“ gelegt, wie schon zitiert: „ – ich sage: der Zweck des Erdenlebens der Menschheit ist der, dass sie in demselben alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einrichte.“ (ebd. S 7)
Der Gattungsbegriff „Menschheit“ ist hier nicht ein abstrakt, allgemeiner Begriff, sondern durchaus substantiell zu verstehen, wenn man ebenfalls die Interpersonalitätslehre der Wln und alle darin enthaltenen Ableitungen von Zeit und Sinnlichkeit im Hintergrund bedenkt. Das einzelne individuelle Subjekt existiert nur innerhalb einer universalen Gattung. Das Individuum bleibt in situ und in concreto ein stets interpersonal bedingter Ausgangspunkt. (In den späteren „Reden an die deutsche Nation“ von 1808 taucht zusätzlich die Frage auf, inwiefern man von einem völkischen Subjekt sprechen kann und ein Volk mit einer spezifischen Charakterisierung herausheben darf, ja muss. Es wird die Frage akut, Nationalismus versus Kosmopolitismus.)
7) Fichte kommt jetzt in einem spezifischeren Sinn zum Denken der ersten Epoche der Menschheitsgeschichte. Das Problem liegt wiederum darin, dass zwar ein apriorisches Vernunftgesetz dem Denken nach vorausgesetzt werden kann und muss, die individuelle oder universelle Freiheit der Verwirklichung aber doch nur von fakultativ notwendigen, sinnlichen und zeitlichen Bedingungen ausgehen kann und muss. Wie geht das zeitloses Apriori und die zeitliche Realisierung – als Vernunftvollzug – zusammen?
„Um unsere weitere Folgerung von der ersten Epoche anzuheben – daraus, dass die Gattung noch nicht mit freier That ihre Verhältnisse nach der Vernunft eingerichtet, folgt nicht, dass diese Verhältnisse überhaupt sich nicht nach ihr richten; und es soll darum durch das erstere keineswegs das letztere zugleich mitgesagt seyn.“ (ebd. S 8)
Fichte will vom disjunktiven Modus der Entscheidung her die Wirksamkeit des Vernunftgesetzes in einem apodiktischen Sinn behaupten und realisieren: „Die Vernunft ist das Grundgesetz des Lebens einer Menschheit, so wie alles, geistigen Lebens; und auf diese, und keine andere Weise soll in diesen Vorträgen das Wort Vernunft genommen werden. Ohne die Wirksamkeit dieses Gesetzes kann ein Menschengeschlecht gar nicht zum Daseyn kommen, oder, wenn es dazu kommen könnte, es kann ohne diese Wirksamkeit keinen Augenblick im Daseyn bestehen. Demnach, wo, wie in der ersten Epoche, die Vernunft noch nicht vermittelst der Freiheit wirksam seyn kann, ist sie als Naturgesetz und Naturkraft wirksam;“ (ebd. S 8.9, Hervorhebung von mir)
Zwecks Erklärung dieses Begründungszusammenhangs einer problematischen Annahme und apodiktischer Realisierung – evtl. nur assertorische Gewissheit – kommt es jetzt zum Begriff einer Wirksamkeit.
Ich möchte dazu zurückblenden auf die berühmte WL 1804/2. Wie gehen dort apriorisches Denken und reale Kausalität zusammen? Im evidierenden Seh-Akt der Reflexion sind in der 21. Stunde der WL 1804/2 das Sich-Wissen und die Wissbarkeit in einem Modus des Bildens gesetzt. Dies bedingt sowohl ein Konditional- wie ein Kausalverhältnis im Gegenwartspunkt der Erfahrung. Die im ablaufenden Bewusstsein zeitlich unerklärlichen Hemmungen und Aufrufe/Aufforderungen müssen genetisch durch conditio (einem idealen Bedingungsverhältnis) und effectus (einem realen Kausalverhältnis) zweifach bestimmt werden – und zwar aus folgendem Grund: Die auf einen absoluten Geltungsgrund zurückverweisende implikative Grund-Folge-Ordnung ist transzendental angesehen ebenfalls eine appositionelle, erfahrungsbezogene Ursache-Wirkungs-Ordnung. Das zu erkennen, das bedingt den Seh-Akt und die Sichtbarkeit einer evidierenden Vernunft. Hier taucht in der WL 1804/2 der Begriff „Vernunft“ zum ersten Mal in exponierter Definition auf. In die durch Freiheit bedingten Reflexion (conditionales Denken) tritt ein das Licht einer erkannten Einheit (kausales Denken des Verstandes), das Ganze als „Vernunft“ benennbar.
Der unter der Vernunft subsumierende Begriff „Verstand“ ist eine erste und eigentliche Bestimmung der Vernunft, ist aber selbst bereits ein bestimmte, schöpferisch konstruierte Verhältnisbestimmung der Wirklichkeit. In der GdgZ ist jetzt ebenfalls beides gefragt: Das apriorische Prinzip und die reale Wirksamkeit und Kausalität. Es wird von einem „Naturgesetz und (einer) Naturkraft“ gesporchen. Das enthält eine Kausalität, die man natürlich nicht bloß naturalistisch und sinnliche betrachten darf, sondern besonders im Hinblick auf gesellschaftliche und geistige Zeit-Strömungen sollen fakultativ notwendige Kausalitäten herausgearbeitet werden – siehe dann unten zur 3. Epoche, die Wirksamkeit der Anerkennung bloßer sinnlicher Erfahrung.
Das apriorische Denken ist bedingend – „(…) „ohne die Wirksamkeit dieses Gesetzes kann ein Menschengeschlecht gar nicht zum Daseyn kommen (….)“ (ebd. S 9), aber ohne reale Kausalität hätte das keinen Sinn. Der Zusammenhang zwischen Denken und Natur kann durch den Begriff „Vernunftinstinctes“ ausgedrückt werden. Dies darf wohl ebenfalls nicht rein naturalistisch gesehen werden, sondern bereits im Hinblick auf ein angeborenes Wahrheitswissen, Sollenswissen, das geweckt werden kann.
„Kurz und auf die gewöhnliche Weise dieses ausgedrückt: der Vernunft wirkt als dunkler Instinct, wo sie nicht durch die Freiheit wirken kann. So wirkt sie in der ersten Hauptepoche des Erdenlebens der menschlichen Gattung;“ (Hervorhebungen von mir, ebd. S 9)5
8) Somit ist im Keime, im Hinblick auf die Realisierung von Freiheit, ein nächstes, typologisches Bild einer Zeit- und Geschichtsentwicklung vorbereitet. Der angeborene „Vernunftinstinct“ (das intuitive Wahrheitswissen, Sollen) trägt die Vernunft schon in sich. Das leitet über zur zweiten Epoche des „Autoritätsglaubens“ – siehe dann unten.
Fichte beschreibt diesen geistigen Übergang wie folgt:
„Durch diese genauere Bestimmung der ersten Epoche ist, vermittelst des Gegensatzes, zugleich auch die zweite Hauptepoche des Erdenlebens näher bestimmt. Der Instinct ist blind, ein Bewusstseyn ohne Einsicht der Gründe. Die Freiheit, als der Gegensatz des Instinctes, ist daher sehend und sich deutlich bewusst der Gründe ihres Verfahrens. Aber der Gesamtgrund dieses Verfahrens der Freiheit ist die Vernunft; der Vernunft sonach ist sie sich bewusst, deren der Instinct sich nicht bewusst war.“ (ebd. S 9)
Der „Vernunftinstinct“ der ersten Epoche enthält in sich aber nicht nur diese Form eines „Autoritätsglaubens“ – was eher etwas suspekt erscheint? – sondern die Freiheit kann eine neues Mittelglied transzendentaler Erkenntnis zutage fördern, das ihm verrufene 3. Zeitalter, schließlich noch die vierte und fünfte Epoche: „(…)das Bewusstseyn oder die Wissenschaft der Vernunft.“ (ebd. S 9, gesperrt)
Wie kommt es zuerst zur 2. Epoche? Dies geschieht (historisch) durch die „kräftigeren Individuen der Gattung“, die “vielmehr sich selber als Gattung aufstellen“ (ebd.). Es entsteht ein „zwingende Autorität“ (ebd) der Herrschaft, die in der Mitte zwischen Naturinstincte und individueller Freiheit liegt.
Fichte kann es hier nicht schnell genug gehen: Er überspringt dann praktisch die 3. Epoche (seine Epoche) und kommt gleich zum Handeln nach der Wissenschaft (4. Stufe) und zur 5. Stufe der Vernunftkunst: „(…) „ Diese Kunst, die gesammten Verhältnisse der Menschheit nach der vorher wissenschaftlich aufgefassten Vernunft einzurichten (denn in diesem höheren Sinne werden wir uns hier immer des Wortes Kunst, wenn wir es ohne Beisatz aussprechen, bedienen), – diese Kunst wäre nun vollständig auf alle Verhältnisse der Menschheit anzuwenden und durchzuführen, so lange bis die Gattung als ein vollendeter Abdruck ihres ewigen Urbildes in der Vernunft dastände und sodann wäre der Zweck des Erdenlebens erreicht, das Ende desselben erschienen, und die Menschheit beträte die höheren Sphären der Ewigkeit.“ (ebd. S 11)
Zur Beschreibungen der fünf Epochen – siehe im Text selbst: S. 11 – 12.
9) Die Motivation und Zielbestimmung der Freiheit und Befreiung liegt apriorisch im Vernunftbegriffe schon enthalten, aber nicht gewaltsam kann dieses problematische Vernunftdenken den zu realisierenden Weg einer vollen Freiheit und reinen Vernunftevidenz gehen, weil immer alle notwendig-möglichen, fakultativen Bestimmungen der Individuen und der menschlichen „Gattung“ (Menschheit) von vornherein zu berücksichtigen sind, sprich alle Rechte und Folgen der Gerechtigkeit zu achten sind, wie es das apriorische Aufruf-Antwort-Schema besagt.
„ Der gesammte Weg aber, den zufolge dieser Aufzählung die Menschheit hienieden macht, ist nichts anderes, als ein Zurückgehen zu dem Puncte, auf welchem sie gleich anfangs stand, und beabsichtigt nichts, als die Rückkehr zu seinem Ursprunge. Nur soll die Menschheit diesen Weg auf ihren eigenen Füssen gehen; mit eigener Kraft soll sie sich wieder zu dem machen, was sie ohne alles ihr Zuthun gewesen; und darum musste sie aufhören es zu seyn. Könnte sie nicht selber sich machen zu sich selber, so wäre sie eben kein lebendiges Leben; und es wäre sodann überhaupt kein Leben wirklich geworden, sondern alles in todtem, unbeweglichem und starrem Seyn verharret. (….)“. (ebd. S 12)
Fichte greift zum Bild der Vertreibung aus dem Paradies, aber kein Wort dazu, dass notwendig gesündigt hätte werden müssen oder dass notwendig ein apriorischer Fortschrittsglaube sich durchsetzen wird.
Der apriorische Vernunftstandpunkt soll „aufstoßen“, ein Anlass des Nachdenkens sein:
„(…) so gewiss steht unser Zeitalter in einem der angegebenen Puncte. In welchem nun unter den fünfen, wird meine Sache seyn, nach meiner Weltkenntniss und Weltbeobachtung anzuzeigen, und die nothwendigen Phänomene des aufgestellten Princips zu entwickeln; und die Ihrige, sich zu erinnern, und um sich zu blicken, ob Ihnen nicht diese Phänomene ihr ganzes Leben hindurch innerlich Und äusserlich aufgestossen sind und noch aufstossen; und dieses ist das Geschäft unserer künftigen Vorträge.“ (ebd. S 13)
Fichte bedenkt immer wieder die disjunktive Ausgangssituation realer Entscheidung in seinem modalen Status, aber kritisch möchte ich jetzt einwerfen: Hat er ebenso die Geschichte der vorlaufenden Bedingungen des Bösen und des Sündenfalls einbezogen, weil er manchmal doch zu vernunftoptimistisch daherkommt? Das Ziel der Geschichte ist die vollendete „Vernunftkunst“, ist der „Stand der vollendeten Rechtfertigung und Heiligung.“ (ebd. S 12, gesperrt!) – wie soll das gehen? Entweder ist das nur rhetorischer Überschwang, oder er verleugnet tatsächlich die Erbsünde und eine religiöse Rechtfertigungslehre, die er mindestens von Luther her kennen müsste!?
Der Zweck seiner bevorstehenden Vorlesungen, so Fichte, kann erst am Schlusse seines Vortrages klar werden. Das macht die Sache jetzt spannend: „(…) und ich muss Sie ersuchen, die vollkommene Klarheit erst am Schlusse, und nachdem die Uebersicht des Ganzen möglich geworden, zu erwarten.„ (ebd. S 4)
Zum ganzen Redestil – siehe die sehr einnehmende Schlusspassage der 1. Vorlesung: „(…) Es ist nunmehr die Aufgabe unserer gesammten Vorträge, in diesem Winter und in diesen Stunden, genau bestimmt, und, wie es mir scheint, klar ausgedrückt und angekündigt; und dies war der Zweck unserer heutigen Rede. Bloss über die äussere Form dieser Vorträge erlauben Sie mir noch einige Worte. (…)“ ebd. S 14.
© Franz Strasser, 30. 1. 2025
1Das Werk „Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters“ (abgekürzt als GdgZ) ist historisch-kritisch und textkritisch dokumentiert in der Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8: Werke 1801-1806. Hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Josef Beeler, Erich Fuchs, Ives Radrizzani und Peter K. Schneider. 1991.
Ich zitiere (mangels Bibliothek) nach den Sämtlichen Werken (=SW), Bd. VII, hrsg. v. Immanuel Hermann Fichte. Die längeren Zitate von Fichte sind rot hervorgehoben.
2Hartmut Pätzold, Die Mentalität der erschöpften Moderne In: Transzendent und Existenz, 2001, S 215-237.
Er bespricht verschiedene Theorien: Von den destruktiven Wirkungen historischer Extremerfahrungen, von verloren gegangenen Fortschrittsparadigmen, vom positivistischen Glauben an die erlösende Kraft des Nutzenkalküls, bespricht die Literatur von Fukuyama, spricht von der Überforderung des Subjekts in der postmodernen Risikogesellschaft, vom Ideologieverdacht der Psychoanalyse gegenüber geschichtsphilosophischen Systemdenken. Er weist schließlich auf Fichte hin: „Fichte unterscheidet im Gegensatz zu den bisher vorgetragenen Geschichtstheorien zwischen dem wirklichen Geschichtsablauf und der apriorischen Ableitung eines Stufenplans zur Verwirklichung des Systems der Freiheit, das heißt, er trennt klar zwischen den Ebenen des Seins und des vernunftgemäßen Sollens. Diese Differenzierung ist den Denkern der „erschöpften“ Moderne abhanden gekommen.“ (ebd. S 233)
3 Gegen ein mögliches Scheitern hat der christliche Glaube bekanntlich diese große Antwort bereit: Das Vernunftziel einer Erreichung aller Verhältnissse in Freiheit, später sogar, ich würde sagen, religiös konnotiert als „Stand der vollendeten Rechtfertigung und Heiligung.“ (ebd. S 12, gesperrt!), könnte, selbst bei Ablehnung der apriorischen Vernunftidee, durch die positive Offenbarung JESU CHRISTI aufgefangen werden, der alle Verfehlung und Sünde und Widersinnigkeit gut gemacht hat. Gott selbst tritt dann bei Verfehlung des Menschen als Vermittler ein.
4 B. Grünewald, Modale Gegenstandsbestimmungen und modale Reflexion bei Kant. Versuch einer Korrektur, mit Hinweis auf modaltheoretische Bestimmungen Überlegungen Fichtes, S 41 – 57, in: Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806, hrsg. v. A. Mues, Hamburg, 1989.
5Im Schlussatz der 1. Vorlesung fordert Fichte nochmals auf, mit Bewusstsein die freie Gestaltung der Zeit- und Geschichtsbetrachtung anzugehen. Die apriorische Denkbestimmung für sich würde noch nichts ändern, wird hingegen mit Freiheit eine vernünftige Sichtbarkeit erzeugt, nach einem diskursiven Gesetz der Entscheidung, so führt das zu einer verstandlichen Wirksamkeit und Kausalität. „Niemand ist entfernter, als der Philosoph, von dem Wahne, dass durch seine Bestrebungen das Zeitalter sehr merklich fortrücken werde. Jeder, dem es Gott verlieh, soll freilich alle seine Kräfte für diesen Zweck anstrengen, sey es auch nur um sein selbst willen, und damit er im Zeitenflusse denjenigen Platz behaupte, der ihm angewiesen ist. Uebrigens geht die Zeit ihren festen, ihr von Ewigkeit her bestimmten Tritt, und es lässt in ihr durch einzelne Kraft sich nichts übereilen, oder erzwingen.“ (ebd. S 15)