Fichte, GdgZ, 10. Vorlesung, SW Bd VII, S 143ff

Im ganzen transzendentalphilosophischen Denken Fichtes zeichnete sich von allem Anfang an die Situierung des Sich-Wissens und der Reflexion in einer interpersonalen Wirklichkeit ab. Nicht nur eine transzendentallogische Begründung alles theoretischen Wissens durch Schweben der Einbildungskraft, sondern die praktische Voraussetzungen des Setzens überhaupt machen die Ganzheit des Wissens aus – und zeigen eine interpersonale Abhängigkeit und Bedingheit des Wissens und Denkens.

Mit der Ableitung von Intersubjektivität und Interpersonalität ist natürlich ein starke geschichtsphilosophische Akzentuierung des ganzen Denkens verbunden. Dies wird in den kommenden Anspielungen auf Individualität, Interpersonalität, „Normalvolk“, deutlich herauskommen.

Anfangs geht es um die rein (intersubjektive) und interpersonale Seite des Zusammenlebens in einem Staate, und in weiterer Hinsicht um die Rechtsbegriffe, Erziehung, Sittlichkeit u. a. m.

1) Der Staat ist mehr als ein bloß „juridisches Institut“ (ebd. S 143)

„Der absolute Staat in seiner Form ist nach uns eine künstliche Anstalt, alle individuellen Kräfte auf das Leben der Gattung zu richten und in demselben zu verschmelzen: also, die oben sattsam beschriebene Form der Idee überhaupt äusserlich an den Individuen zu realisiren und darzustellen. Da hierbei auf das innere Leben und die ursprüngliche Thätigkeit der Idee in den Gemüthern der Menschen nicht gerechnet wird, – von welcher letzten Art alles Leben in der Idee war, das wir in unseren früheren Reden beschrieben; – da vielmehr die Anstalt von aussenher wirkt auf Individuen, die gar keine Lust, sondern vielmehr ein Widerstreben empfinden, ihr individuelles Leben der Gattung aufzuopfern, so versteht es sich, dass diese Anstalt eine Zwangs-Anstalt seyn werde.“ (ebd. S 144)

Das Wort „künstlich“ hat für uns heute schon einen gewissen Beigeschmack, für die damalige Zeit muss ebenso eine Zweideutigkeit herauszuhören gewesen sein. Deshalb folgt eine gewissenhafte Klärung auf dem Fuß: Fichte gibt folgende Erklärung zum „künstlich“:


a) Gegenüber der Natur, die ihresgleichen etwas zu erzwingen scheint, scheint der Staat einmal „künstlich“ eingerichtet zu sein,
„Er ist eine künstliche Anstalt, haben wir gesagt: – in strengem Sinne, als Anstalt freier und sich selber klarer Kunst freilich erst dann, nachdem im Zeitalter der Vernunftwissenschaft sein gesammter Zweck und die Mittel für dessen Erreichung wissenschaftlich durchdrungen, und das fünfte Zeitalter der Vernunftkunst schon eingetreten ist: – aber es giebt auch einen zweckmässigen Gang in der höheren Natur, d. i. in den Schicksalen des Menschengeschlechtes, durch welchen dasselbe, ohne sein Wissen noch Wollen, seinem wahren Zwecke entgegengeführt wird, welchen Gang man die Kunst der Natur nennen könnte; und in diesem Sinne allein nenne ich in den ersten Zeitaltern des Menschengeschlechtes den Staat eine künstliche Anstalt.  (ebd.)

b) aber auch von seinem teleologischen Ende her gesehen: Der Begriff „Staat“ ist durch Freiheit zu bilden, das ist konstitutiv angelegt in der menschlichen Natur, aber eine Spur von Künstlichkeit und Kontingenz bleibt selbst bei aller gewollter und freien Bildung und Entstehung: Dieses kann quasi noch „Jahrtausende“ (vgl. ebd. S 156) dauern, aber der sittliche Zweck und der Sinn eines Staates hebt den Staat schlussendlich wieder auf. Deshalb, bei aller konstitutiv notwendigen Gründung und Bildung, bleibt er für die theoretische Lösung einer geschichtlichen Sinnidee „künstlich“.

2) Es folgt eine erste Definition des Staates: „Was wir angegeben und ausgesprochen: – Richtung aller individuellen Kräfte auf den Zweck der Gattung, – ist der absolute Staat seiner Form nach, haben wir gesagt: d.h. bloss und lediglich darauf, dass nur die individuelle Kraft einem Zwecke der Gattung aufgeopfert werde, (…)“ (ebd. S 144)

Welches der absolute „Zweck der Gattung“ sei, die „Materie des Staates“ (ebd. S 145) ist damit noch nicht gesagt.

Der Staat ist eine substantielle Allgemeinheit, eine Totalität, nicht bloß Inbegriff vieler Individuen. Er steht für eine ethische Teleologie des Gattungsbegriffes „Menschheit“.

„(…) zuvörderst: der Staat, der eine nothwendig endliche Summe individueller Kräfte auf den gemeinschaftlichen Zweck zu richten hat, betrachtet sich nothwendig als ein geschlossenes Ganzes, und da sein Gesammtzweck der Zweck der menschlichen Gattung ist, er betrachtet die Summe seiner Bürger als die menschliche Gattung selbst.“ (ebd. S 145)

Der Staat kann äußere Zwecke haben, aber primär hat er die inneren Zwecke der Bündelung aller Kräfte seiner zu ihm gehörenden Individuen zu einer gemeinsamen Aufgabe, sprich die Bündelung aller Kräfte seiner Bürger zwecks Herstellung von Rechtlichkeit und Sittlichkeit. Er hat sich in einem teleologischen Sinne selber zum Objekt.

„Nochmals: darin, dass alle individuellen Kräfte gerichtet werden auf das Leben der Gattung – als welche Gattung der Staat zunächst die geschlossene Summe seiner Bürger aufstellt, – darin bestellt das Wesen des absoluten Staates.“ (ebd. S. 145)

Es steht die Lehre von der Interpersonalität der vorhergehenden Wln im Hintergrund. Das Individuum findet sich erst, indem es sich formal a) aus der Masse des Geistigen und der Allgemeinheit ausgrenzt, und b) material seine daraus resultierende bestimmte Aufgabe findet.1

„Nur da, wo alle ohne Ausnahme ganz in Anspruch genommen sind, kann Gleichheit stattfinden. Somit geht in dieser Verfassung ganz und durchaus die Individualität aller auf in der Gattung aller; und einjeder erhält seinen Beitrag zur allgemeinen Kraft, durch die allgemeine Kraft aller übrigen verstärkt, zurück. Der Zweck des isolirten Individuums ist eigener Genuss; und er gebraucht seine Kräfte als Mittel desselben: der Zweck der Gattung ist Cultur und derselben Bedingung würdige Subsistenz: im Staate gebraucht jeder seine Kräfte unmittelbar gar nicht für den eigenen Genuss, sondern für den Zweck der Gattung;“ (ebd. S. 146)

Der Staat ist und hat ein Zweck über die Individualität hinaus, ist nicht bloß die Addition und Summe der Individuen (vgl. ebd.), er ist vielmehr „Cultur“

„(…) denn sein Zweck ist die Cultur;“ (ebd. S 147)

Der Staat ist eine transzendentale Idee.2

Verschiedene individuelle Ansprüche und Einwände werden als unbegründet zurückgewiesen (vgl. ebd. S 147. 148).

Der Staat ist weder „im Stande der Unschuld“, „unter dem Normalvolk“ vorauszusetzen, „noch kann sie (sc. die staatliche Verfassung) in dem der ursprünglichen Rohheit, unter den Wilden stattfinden“. (ebd. S 148)

Nochmals einen historischen Punkt anzugeben, wann der erste Staat entstanden ist, kann nur apriorisch gedacht werden. „ Mithin konnte die Enwickelung des Staates nur in der Mischung beider Grundstämme (sc. zwischen „Normalvolk und Wilden“) unseres Geschlechts, als dem eigentlichen Menschengeschlechte für die Geschichte, anheben und fortgesetzt werden.“ (ebd. S 148.149).

Nach außen hin hatte oben die Aufopferung des individuellen Lebens für die Gattung in einem Staate den Charakter einer „Zwangs-Anstalt“ (ebd. S. 144); aber die innere Bindung in einem Staate ist durch Selbstbestimmung und Freiheit möglich, auf sie kommt es an (vgl. ebd. S 149.). „Freie, sage ich, im Gegensatz der Sklaven.“ (ebd. S 149).

Sehr akribisch leitet Fichte den Inhalt eines Staates ab: „Zum Begriffe eines Staates gehört es durchaus, dass die Unterworfenen selbst Zweck wenigstens werden können, – und das können sie nur, wenn sie bei der Unterwerfung in einer gewissen Sphäre frei bleiben, welche Sphäre hinterher, sowie der Staat zu höherer Ausbildung schreitet, Zweck des Staats werde; „ (ebd. S 149)

Die freiwillige Unterwerfung unter ein Gesetz in einem Staate zielt selbstverständlich auf alle ab, und durch Tätigkeit und Zusammenwirken aller kann der Begriff der „Gleichheit“ (siehe oben Zitat, ebd. S 146) herbeigeführt werden.

Wenn dieses Zusammenwirken aller Tätigkeit und die „Gleichheit“ fehlt, ergibt sich eine Art Despotismus – vgl. ebd. S 150.

Falls es Gleichheit geben soll, ist das wiederum zweifach möglich: a) negativ, dass niemand in seinem Tun behindert werden darf und heißt „Recht“ (ebd. S 150);
b) positiv, dass nicht bloĂź ein individueller Zweck verfolgt wird, sondern positiv ein gemeinschaftlicher:
„Endlich, – alle sind allen unterworfen kann auch heissen: sie sind nicht bloss negativ, sondern auch positiv unterworfen, so dass durchaus kein einziger irgend einen Zweck sich setzen und befördern könne, der bloss sein eigener, und nicht zugleich der Zweck aller ohne Ausnahme sey. Es ist klar, dass in einer solchen Verfassung alle Kräfte aller für den Gesammtzweck in Beschlag genommen sind; denn der Gesammtzweck ist kein anderer, als der Zweck aller ohne Ausnahme, dieselben als Gattung genommen; dass daher in dieser Verfassung die absolute Form des Staats ausgedruckt ist, und Gleichheit der Rechte und des Vermögens aller eintritt.“ (ebd. S 151)

(Noch dazugesagt: Vom Begriff des „Rechts“ ganz allgemein unterscheidet Fichte noch die „Rechte“ (ebd. S 151), die erst deduziert werden müssten. Es wird dann später auf die „Bürgerrechte“ und „politischen“ Rechte noch eingegangen.)

Eine Ständestaat ist möglich, wenn nur auf das „Ganze berechnet“ wird und der „Ertrag“ allen zugute kommt (ebd. S. 151).

Durch das Zusammenwirken aller Kräfte ergibt sich die spezifische, „wahre Materie“ (ebd. S. 152) des Staates.

Fichtes gegenwärtiges Zeitalter arbeitet noch an der „Form“ des Staates (vgl. ebd. S 152).

Hauptaufgabe und Hauptsinn eins Staates ist die Zusicherung und Garantie eines „bürgerlichen Freiheit“ (gesperrt von Fichte, ebd. S 153)

Selbst in einem despotischen Reich blieb ein „Unterthan“ noch persönlich frei, aber das heißt nichts, weil die rechtliche und verfassungsmäßige Freiheit noch nicht garantiert war: „In der zweiten Form des Staates erhielt jeder ohne Ausnahme einen Theil von Freiheit, d.h. nicht gerade von Willkür, sondern von Selbstständigkeit, durch die er alle andere einen gewissen Zweck oder ein Recht zu respectiren nöthigte, durch die Staatsverfassung zurück; jeder hatte daher seinen Grad von nicht bloss persönlicher, sondern gesicherter, und darum bürgerlicher Freiheit;“ (ebd. S 153)

Man ist in einem Rechts-Staat zugleich Souverän wie Untertan: „In der absoluten Form des Staats, wo alle Kräfte aller für die nothwendigen Zwecke aller in Thätigkeit gesetzt sind, verbindet jeder alle anderen eben so weit, als er durch sie verbunden wird; alle haben gleiche bürgerliche Rechte oder bürgerliche Freiheit, und jeder ist zugleich ganz Bürger und ganz Unterthan, – und alle sind es eben darum auf die gleiche Weise Will man den, der in der That und Wahrheit und realiter dem Staate seinen Zweck aufgiebt, den Souverän nennen, – so gehört, in dieser zuletzt genannten Verfassung, jeder Bürger auf dieselbe Weise und in demselben Grade zum Souverän; und will man nun in dieser Rücksicht auch den Einzelnen souverän nennen, so lässt sich der eben gesagte Satz auch so ausdrücken: jeder ist, in Absicht seines nothwendigen Zwecks, als Glied der Gattung ganz souverän, und in Absicht seines individuellen Kraftgebrauchs ganz unterthan; und alle sind eben darum beides auf die gleiche Weise.“ (ebd. S 153)

Soweit zur „Idee“ (ebd. S. 154) des Staates.

2) Fichte kommt jetzt zur Anwendung und Ausführung, d. h. zur „Staatsverfassung“ (ebd. S 154) Es gäbe hier zwei Formen, eine Form direkter Teilnahme „an der Leitung aller Staatskräfte“ (ebd. S 154), oder in einer Art, modern ausgedrückt, repräsentativer Demokratie, „wird einer Anzahl von Individuen ausschließend überlassen.“ (ebd.), ein „besonderer Stand“ wird errichtet, oder ist schon historisch-dynastisch errichtet (vgl. ebd.).

Die Staatsverfassung kann durch eine dynastische Führung nicht „geändert oder geschmälert“ werden (ebd. S 155).

Die Staatsverfassung ist abzugrenzen von der „Regierungsverfassung“ (ebd. S. 155).

Die bürgerliche Freiheit und Gleichheit ist ohne Umstände zu achten; die „politische Freiheit“ wird aber jetzt zum Problem, deren theoretische Lösungsmöglichkeiten noch „Jahrtausende“ dauern kann. Es ist das Problem des Missbrauches der Macht.

„ (…) der politischen Freiheit aber bedarf es höchstens nur für Einen. Alle Untersuchungen, welche von jeher, und besonders in den letzten Zeiten, über die beste Regierungsverfassung angestellt worden sind, haben zuletzt die Absicht, ein Mittel zu finden, um die alle zwingende Regierungsgewalt wiederum zu zwingen: – zuvörderst, da richtige Einsicht sich nicht erzwingen lässt, wenigstens dazu, dass die bestmöglichste Einsicht wirklich an die Regierung komme; sodann, dass diese bestmöglichste Einsicht wirklich mit aller Kraft realisirt werde. So nützlich auch an sich diese Untersuchungen seyn mögen, und so möglich auch die theoretische Auflösung des Problems, welches denn auch irgendwo wirklich gelöst seyn möchte: – so dürften dennoch unserem Geschlechte wohl noch Jahrtausende untergehen, ehe diese Lösung in eine philosophische Charakteristik der gegenwärtigen Zeit gehören wird.“ (ebd. S 155.156).

Fichte sieht das Problem insofern gelassener und optimistischer, als es „Nöthigungsgründe in Mengen für jede Regierung“ (ebd. S 156) gibt, nach dem „wahren Staatszweck zu streben“. (ebd.)  „und immer mit allen ihren Kräften nach ihrer besten Einsicht zu verfahren.“ (ebd. S 156) (Was täte Fichte heute sagen zu den Diktaturen in der Welt?)

Ein Zweckbegriff und eine Zweckmäßigkeit ist für uns reflektierende Vernunftwesen konstitutiv und notwendig anzunehmen. Fichte unterscheidet sich hier von Kant: Jener hat in der KdU (1790) den Zweckbegriff in einem regulativen Sinne verstanden. Er meint, wir wissen ihn nicht genau herzuleiten, er ist eine subjektive Maxime, weder Naturbegriff noch Freiheitsbegriff. (vgl. Kant, KdU, Einleitung, Ausgabe Weischedel, Bd V, 184.) Anders FICHTE: Er verwendet den Zweckbegriff konstitutiv:

Ăśbergeordnet zu den GdgZ gesagt: Es wird von einer Synthesis des Lebens ausgegangen, die im aufsteigenden Sinne analysiert wird; d. h. es wird von einem Zwangs- und KraftgefĂĽhl auf der realen Seite der plural existierenden Vernunftwesen ausgegangen, aber ebenso von einem Streben und einem Trieb der Selbstbestimmung auf der idealen Seite, bis die durch den Zweckbegriff distributiv zu denkende Einheit des Lebens erreicht ist. Ohne Zweckbegriff kein Begriff des Lebens, der Bewegung, der Artikulation, der Organisation.

Das jetzt übertragen auf das Zeit- und Geschichtsdenken: Der Begriff des „Weltplans“ ist nicht so kategorial schematisierbar wie Kant die Kategorien auf den inneren Sinn der Zeit anwendet, wobei die Zeit und eine geschichtliche Entwicklung äußerlich an der Natur abzulesen ist, sondern in toto umgreift er den inneren Sinn der Zeit und Geschichte. Wenn sich etwas verändert und entwickelt, so zuerst im inneren Sinn der Einstellung in Bezug auf Natur, Recht, Moralität und Religion. 3
Es gibt bei Fichte eigentlich eine mehrfache Quantitierungs- und Kategorisierungsmöglichkeit: Hier in den GdgZ legt er den Schwerpunkt des Denkens von Zeit und Geschichte auf die Gesellschaft, d. h. auf Recht, Staat, Erziehung, Kultur. Zeit und Geschichte wären aber ebenso  im Naturbegriff, in der Moralität und Religion zu suchen und wahrnehmbar.

Später wird sich nochmals ein Begründungsverhältnis von Recht und Sittlichkeit herausstellen, das gerade durch die Geschichtlichkeit gedacht und vereint werden kann: „Das Kategorische und Teleologische fallen nicht auseinander, noch sind sie entgegengesetzt, sondern beiden gelten als konstitutive Bestimmungen des praktischen Freiheitsbewusstseins. Der kategorische Faktor betrifft die Rechtfertigung des Prinzips der Sittlichkeit, der teleologische die Konkretion des Prinzips selbst.“4

© Franz Strasser, 28. 2. 2025

1Das Schweben der Einbildungskraft zeigt sich nach der Wlnm (1796-97) in fünffacher Weise: Indem das Ich seinen Zweckbegriff entwirft und seine Tätigkeit vom ursprünglichen Schweben aus mit einer praktischen Wahl beginnt, setzt es u. a. einen Grenzpunkt der idealen Reihe mit dem Sichherausgreifen aus der vernünftigen „Masse“. Es bildet das ursprüngliche, zum Selbstbewusstsein aufgerufene, frei sich bestimmbare Ich – innerhalb einer interpersonalen Aufruf-Antwort-Sphäre und innerhalb des ordo ordinans des göttlichen Willens. (Rechtssphäre und Religionssphäre). (ebd. § 12). Wobei nochmals diese Individualität genauer zu differenzieren sei, wie das spätere Werk Fichtes (nach den GdgZ 1806) zeigen wird: Die Ausgrenzung als Individuum ist auf keinen Fall nur quantitativ als Herauszählung aus einer Menge zu nehmen, sondern nur mittels einer aus dem absoluten Soll herkommenden Aufgabe gibt es sowohl eine gemeinsame wie eine individuell genau bestimmte Aufgabe und Individualität.

2Der Zweckbegriff bekommt durch die Interpersonalität eine besondere Konnotation:

„Der erste Begrif ist meine Aufforderung zum Handeln. Der Zweck wird uns gegeben, und mit dem Begriff der Auffoderung ist Handeln nothwendig verknüpft (….) den ersten Zweckbegrif machen wir nicht selbst, wir bekommen ihn doch nicht so daß uns der Zweck als etwas bestimmtes gegeben werden, sondern er wird uns nur überhaupt der Form nach gegeben als etwas woraus wir auslesen sollen. Dies ist die Auffoderung zu einer freyen Handlung. Diese Satz ist sehr wichtig wegen der Folgerungen, die in der Rechtslehre davon abgeleitet werden.“ ( Hervorhebung von mir; Wlnm § 15, S 177.178)

Der Zweckbegriff in der Aufforderung zu einem freien Handeln bringt Klarheit, was die letzte synthetische Einheit des reellen Wollens erreichen soll und wollen kann: Einheit und Einigkeit im Wollen und Willen, höchste Wertsetzung in Liebe.

3Siehe dazu K. Hammacher, Fichtes Weg zur Geschichte, a. a. O., S 161. Der „Weltplan“ bei Fichte wird nicht kategorial auf den inneren Sinn der Zeit schematisiert, wie bei Kant die Kategorien, sondern in toto schematisiert auf die ganze Wirklichkeit der Reflexion.

4 M. Ivaldo, Die systematische Position der Ethik nach der Wissenschaftslehre nova methodo und der Sittenlehre 1798, in: Fichte-Studien, Bd 16, 1999, S 246.

Siehe Blog zum Zweckbegriff.

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser