E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen – 4. Teil

Es ist, als ob E. C. selbst Zweifel gekommen wären an einem bloß psychologischen Begriff der Repräsentation und einer Herleitung der sprachlichen Formen aus einer mathematischen, bloß formalen Anschauung im Begriffe, denn plötzlich verlässt er diesen eingeschränkten Rationalitätsbegriff und kommt zurück zu den Bahnen diskursiven Philosophierens, die er ja bestens beherrscht. Das lässt m. E. eine weitere und bessere Sinndeutung der „symbolischen“ Formen zu als bisher. Wieweit er das durchhalten wird – das müsste jetzt in den weiteren Kapitel nach der Einleitung geklärt werden.

Die Wahrheit des Lebens scheint nirgends anders als in seiner reinen Unmittelbarkeit gegeben und in ihr beschlossen zu sein — alles Begreifen und Erfassen des Lebens aber scheint eben diese Unmittelbarkeit zu bedrohen und aufzuheben. Geht man vom dogmatischen Seinsbegriff aus, so tritt freilich auch hier der Dualismus von Sein und Denken, je weiter die Betrachtung fortschreitet, um so deutlicher hervor — aber es scheint nichtsdestoweniger die Möglichkeit und die Hoffnung zurückzubleiben, daß in dem Bilde, welches die Erkenntnis vom Sein entwirft, wenigstens ein Rest der Wahrheit des Seins aufbehalten ist. Es scheint, als ginge das Sein zwar nicht vollständig und adäquat, aber doch mit einem Teil seiner selbst in dieses Bild der Erkenntnis ein (…) (ebd. S 46.47)

Es wird auf PLATONS „Siebter Brief“ verwiesen, worin das fragliche Verhältnis Idee und Zeichen angesprochen wird, auf Leibniz, auf Kant. Und direkt in skeptischer Tradition – gegen sich selbst gerichtet?- wird gesagt, nie können wir der bloßen Reflexivität des Wissens und der darin sich spiegelnden bildlichen und „symbolischen Formen“ entrinnen, es sei denn in der Mystik. Zumindest ex negativo wird die unterhintergehbare Zirkel der Reflexivität des Wissens erkannt, aber der zaghafte Hinweis auf die Mystik erklärt noch nicht den Grund dieser Reflexivität. Wenn die Reflexivität des Wissens aber nicht nur auf die Negation alles abbildbaren Seins hinweist, sondern auf einen zwar nicht bildbaren, aber nicht zu leugnenden Sinn dieser Reflexivität, wodurch die Negation erst verständlich würde, warum stellt E. C. nicht die Sinnfrage und verweist er nicht auf die Sinnidee? Warum gibt E. C. diesem unbildbaren Prinzip keinen Namen, das umgekehrt ja aller Sinngebung und bildhaften Sprache erst eine Bildbarkeit verleihen könnte?

E. C. deutet es nur an, „schleierhaft“:

Die eigentliche, die tiefste Aufgabe einer Philosophie der Kultur, einer Philosophie der Sprache, der Erkenntnis, des Mythos u. s. f. aber scheint eben darin zu bestehen, diesen Schleier (sc. der intellektuellen Symbole, Bilder, Erkenntnisse) aufzuheben — — von der vermittelnden Sphäre des bloßen Bedeutens und Bezeichnens wieder in die ursprüngliche des intuitiven Schauens zurückzudringen. „ (ebd. S 48.49)

Philosophie soll hinter die „Bildwelten“ und „symbolischen Formen“ blicken und die geistigen Schöpfungen „in ihrem gestaltenden Grundprinzip“ verstehen und bewusst machen. (ebd. S 49) Es ist ein aktives, systematisierendes Verstehen der ganzen Kultur anzustreben, eine „Philosophie der Kultur“ (ebd. S 49)

Damit darf ich aber an Teil 1 meiner Cassirer-Lektüre zurückblenden: Geht es um den gegenständlichen Bereich sprachlicher Formen („symbolischer“ Formen), oder doch um ein umfassenderes Geschäft der Begründung und der Dialektik der Geisteswissenschaften nach den Analysen und Vorgaben der „symbolischen“ Formen?

Bedenkt man die Folgezeit nach Erscheinen dieses Buches (1923) sieht man ja eklatant die Irrelevanz eines philosophischen Denkens, das vermeintlich eine kulturbegründende Bedeutung haben sollte! Hat nicht gerade in den 20/30-er Jahren des 20. Jhd. die Unkultur um sich gegriffen, weil die überdisjunktive, göttliche Wahrheit in der  damals primitiven Propaganda mit ebenfalls „symbolischen“, nichtssagenden Begriffen wie „Rassenwahn“, nicht mehr kritisch wahrgenommen  werden konnte? Hat Prof. E. C. das nicht an seinem eigenen Leib erlebt, als er fliehen musste nach Schweden und England und Amerika? Die Philosophie als kulturschaffende Kraft, das ist für eine geistige Persönlichkeit wie E. C. denkbar, aber als Trägerin der Kultur, das ist eine völlige Überforderung derselben – und überzieht ihre Kompetenz.

Sozusagen eine Formlehre des Geistes zu entwickeln ohne qualitativen, wertsetzenden Inhalt einer göttlichen Wahrheit, die sich in Bilden der Vernunft als wahre Erscheinung zu behaupten vermag – oder nicht – das muss sich notgedrungen als zu schwach erweisen. Wenn nur eine „symbolische“ Erkenntnisform bleibt, so ist das absolut unbegründet in der ganzen Relevanz einer erkenntnistheoretischen (begrifflichen) und werthaften Durchdringung der Wirklichkeit.

Noch eine kleine Nebenbemerkung zu diesem überproportional aufgewerteten Wort „symbolisch“.

Es folgt im I. Haupteil des Buches zur „Phänomenologie der sprachlichen Form“ im Kapitel 1 ein ausgezeichnete Schilderung des Sprachproblems in der Antike; dann die weitere philosophiegeschichtlichen Erörterungen im Empirismus usw., aber eigentlich erst in dem Kapitel zur Sprachentstehung, also in einem rein historischen Teil, kommt das Wort „symbolisch“ in der Verwendung bei ARISTOTELES, De interpretatione, vor.

Das Wort „symbolisch“ ist damit philologisch gerade nicht in einem reflexiv-begründenden Verfahren und Denken von PLATON oder ARISTOTELES belegt, sondern nur in einer Historie und eher beiläufigen Bemerkung der Sprachentstehung, die ja wohl nicht apriorisch genannt zu werden verdient. Das „Symbol“ steht für einen Empfindungslaut, der als Sprachlaut zum „Symbol“ wird.

Hier muß indess beachtet werden, daß ebensowohl die „Nachahmung“, wie die „Hinweisung“ — ebensowohl die „mimische“, wie die „deiktische“ Funktion — keine schlechthin einfache und überall gleichförmige Leistung des Bewußtseins darstellt, sondern daß sich, in der einen wie in der anderen, Elemente von verschiedener geistiger Herkunft und Bedeutung miteinander durchdringen. Auch bei Aristoteles werden die Worte der Sprache als „Nachahmungen“ bezeichnet, und von der menschlichen Stimme wird gesagt, daß sie das am meisten zur Nachahmung geeignete und gebildete Organ sei 1 . Aber dieser mimische Charakter des Wortes steht für ihn mit seinem reinen Symbolcharakter nicht im Gegensatz; vielmehr wird der letztere nicht minder energisch betont, indem hervorgehoben wird, daß der unartikulierte Empfindungslaut, wie er sich schon in der Tierwelt finde, nur dadurch zum Sprachlaut werde, daß er als Symbol verwendet wird (…) (ebd. S 128.129)

Das wäre ja die transzendentale Frage, wie die Empfindung selbst eine geistige Berührung und quantitierte Selbsteinschränkung eines möglichen sprachlichen, abbildlichen Denkens werden kann! Wo bleibt die Wahrheit einer göttlichen Initiierung und die substantielle Begründung der Vernunftgemäßheit der (sprachlichen) Erkenntnis und der Zweckbegriff eines interpersonalen Austausches in der Form der Sprache? Wäre einer Wahrheit der göttlichen Initiierung und eine Begründung der sprachlichen Erkenntnis aus einem zwischenmenschlichen, kommunikativen Sinn und Zweck heraus mit der Eigenschaft „symbolisch“ genüge getan? Wohl nicht. Das Wort „symbolisch“ trifft nicht den vielfältigen Sprechakt, wie AUSTIN sagen täte, und trifft vor allem nicht den inhaltlichen, werthaften, göttlichen „Logos“, an dem die Vernunft und ihre Sprachbildung Anteil haben. Eine „symbolische“ Mitteilung ist manchmal erlaubte Spielerei, aber letztlich ohne Erkenntnisrelevanz und Dignität.

Altheim 25. 4. 2017

© Franz Strasser

 

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser