1) Man hat rezeptions-ästhetisch festgestellt, dass alles nach einem Zeit- und Raum-Schema verläuft. Das ist nicht verwunderlich, wie ich zum zeitlichen Anfang, 2. Teil, sagte, dass im zeitlosen Anfang zugleich der zeitliche Anfang der Freiheit eines kontingenten Ichs liegt, die genetisch hineingelegte SInnbestimmung der Schöpfung als Wahrheit und Liebe nachzubilden und nachzukonstruieren. Wie geht aber die Freiheit in diesem Nachbilden und Nachkonstruieren vor? Wohl nicht absolut willkürlich und zufällig, sondern gesetzhaft, schematisch. Deshalb jetzt das Schema als Regel des Vorgehens der Freiheit des kontingten Ichs. Ein Schema ist transzendental gedacht die Regel einer Bestimmung der Anschauung nach einem Begriff.
Es gibt ein Schema der Vielheit, ein Schema der Zeit und des Raumes, ein Schema der Erfahrung u. a., je nach Explikation aus der Einbildungskraft. Ein Schema ist apriorisch im Erkennen und Wollen enthalten.
Bei Georg Stein „Für alle(s) gibt es Zeit!“ in: Bibel und Kirche, Kath. Bibelwerk, Stuttgart, 1/2003. Schöpfung als Rhythmisierung des Lebens (Gen 1,1-2,3), fand ich zufällig diese Aufstellung:
Gen 1, 1 |
Überschrift |
Gen 1, 2 |
Chaosbilder als Gegensatz zu Schöpfung |
1. Tag:Gen 1,3-5 |
Trennung von Licht und Finsternis: Zeitgröße „ein Tag“ |
2. Tag: Gen 1,6-8 |
Errichtung der Trennwand im Wasser: Ordnung des Raumes |
3. Tag: Gen 1,9f Gen 1,11-13 |
Schaffung von Land und Meer: Ordnung des Raumes Pflanzenkleid für das Land: Ausstattung des Raumes |
4. Tag: Gen 1,14-19: |
Lichter am Himmel: Einteilung der Zeit (Tag, Monat, Jahr, Festtage) |
5. Tag: Gen 1,20-23: |
Luft- und Seetiere: Besiedlung des Raumes |
6. Tag: Gen 1,24f: Gen 1, 31 |
Landtiere: Besiedlung des Raumes Menschen: Besiedlung des Raumes und Hüteauftrag umfassende Billigung durch Gott |
7. Tag: Gen 2,1-3 |
Ruhen Gottes: Segnung u. Heiligung einer besonderen Zeit |
Gen 1 ab Vers 3 bis Vers 5 spricht von den transzendentalen „Empfindungsformen“ überhaupt – von der Zeit- und Raumanschauung.
Zeit und Raum sind abgeleitet aus den zwei höchsten sinnlichen Erfahrungen, dem Hören und dem Sehen. Wenn man genau hinsieht, so kommt es zum ersten Mal zu einer Zeiteinteilung eines „ersten Tages “ im Zusammenhang der Erschaffung des Lichts. Warum? Das ist wörtlich gut zu verstehen.
Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. |
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Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis |
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und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. |
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Das Licht ist eine Qualität zwecks Selbstbestimmung, eine veräußerte Kraft das Handelns, die befreit ist von der unmittelbaren Abhängigkeit in der Tastempfindung. Mittels Licht können wir uns orientieren, mittels Licht kann die Kraft des Tastsinns – eine Form des transzendentalen Triebes – angeschaut und verobjektiviert werden.
A. MUES hat die transzendentalen Bedingungen der Sinnesempfindungen hervorragend herausgearbeitet. Ich verweise darauf: 1 Licht ist nicht identisch mit den übrigen Qualitäten in den Sinnesempfindungen, sondern, so paradox das klingen mag, gerade als solches nicht erlebbar, und wird doch als Wirkursache empfunden, als Anwesenheit oder Abwesenheit seiner Wirkung an anderen Gegenständen.
A. MUES zeichnet fiktiv das Erleben von primitivsten Lebewesen wie Protozoen nach: Anfangs wird nur in Intensitätsgraden einer weißen oder schwarzen Oberfläche etwas an Tastbarem gesehen. Schritt für Schritt kann sich aber das Licht als negative Wirkursache am Tastbaren zu neuen Qualitäten aufspalten, sprich zu Farben, sobald die Kraft auf mehrere Tastqualitäten übertragen wird. Das weiße Licht rückt nochmals ab und lässt die tastbaren, farbigen Gegenstände in ihrer Farbe erscheinen. (Genauere Argumentation siehe bei A. MUES) Es ist herrlich, wie die Autoren von Gen 1 mit der nicht empfindbaren, im übertragenen Sinn, geistigen „Gegenständlichkeit“ des Lichts beginnen, wodurch sich der Mensch einmal grundsätzlich (noch nicht „farbig“) orientieren und geistig selbstbestimmen kann. Es wird diese geistige Gegenständlichkeit „Licht“ genannt, weil dies eine rationale und epistemische Kraft ausdrückt, nämlich die vom Tastsinn herkommende verobjektivierte Kraft des (freien) Handelns. Die ausdrückliche Einteilung und Benennung in „erster Tag“, mithin die Zeitanschauung ist deshalb a) notwendige Folge der ersten Verobjektivierung des Wissens überhaupt und einer endlichen Vernunft und b) die Folge der Gewinnung von Freiheit kraft der negativen Wirkursache des Lichts.
2) Aber es geht nochmals transzendentalkritischer und feinsinniger bei den Autoren von Gen 1 weiter:
Ist das Licht wirklich die erste Wirkursache, die an einer anderen Gegenständlichkeit erlebt wird und als erstes Schöpfungswerk dargestellt wird? So ähnlich meinen es auch die Physiker zu wissen. Geht nicht dem Sehen eine andere Empfindungsqualität voraus? Wenn wir Gen 1 hören oder lesen, so heißt es doch: „Gott sprach: ….“ Da ist doch implizit etwas zu hören!?
Was ist das Hören? Das Gehör ist die Objektivation des Temperatursinnes.2 Ein Sich-Bezug im Temperatur-Empfinden offenbart zuerst eine gewisse Abhängigkeit vom erlebten Gefühl. Der eigene Zustand wird erlebt. Im Hören ist diese Abhängigkeit aufgehoben zugunsten einer begleitenden Empfindung.
a) Da die Empfindungsqualitäten zuerst nicht als Entgegengesetzte angeschaut werden, müssen sie als Folge der Qualitäten gefasst werden, die entgegengesetzten Sinnesvermögen entstammen und dadurch einen Grund repräsentieren können.
b) Es entsteht eine zeitliche Folge und ein Folgesinn, um die Qualitäten aufeinander zu beziehen.
c) Es ist wiederum die verobjektivierte Zeitstruktur, die real-ideale Zeiterscheinung, mithin die Anschauung von gegensätzlichen Richtungen, an denen zwei gegensätzliche Qualitätsbereiche empfindbar werden. „Dieses gesamte Anschauungsmaterial wird nun nochmals vor-gestellt (sc. beim Hören), in der Zeit, deshalb auch erlitten, mit Qualitäten, die dem Wahrnehmenden nicht entgegengesetzt erscheinen. Sie begleiten ihn in der Zeit, sind mit ihm in der Zeit vereinigt (…).“ 3 Die Qualität des Empfundenen wird nach außen gestellt, steht dem Sich-Bezug des Wissen aber nicht räumlich entgegen, sondern begleitet ihn vielmehr für eine Dauer und ist mit ihm in der Zeit harmonisch vereinigt. Je länger der Sich-Bezug währt, umso länger wird die Zeit erlebt. Die Qualität, die vermittelt wird, vermittelt einen Zustand. Es wird aber die vermittelte Qualität des Gehörten nur so gehört, dass zugleich der eigene Zustand „mitläuft“ und damit verglichen werden kann. Eine Selbstanschauung des Erleidens ist gegeben – wenn diese Selbstanschauung auch noch nicht bewusst sein mag. Eine analog zum äußeren, räumlichen Sinn des Sehens innere Distanzierbarkeit und Freiheit ist geschenkt; eine in der Zeit den Empfindenden begleitende Empfindung, „als dasselbe seiend wir er, oder besser: er der Empfindende, ist bezüglich seiner bestimmten Empfindung, dasselbe, was die Qualität ist.“ 4 Durch das Hören wird eine objektivierte Zeitstruktur geschaffen, weil begrifflich das Erleben zweier gegensätzlicher Qualitätsbereiche zusammengebracht wird, die rein begrifflich nicht möglich wäre. Ergo muss die Einheit in einer appositionellen Reihe, d. h. in einer verobjektivierten Anschauung und Synthesis gesetzt werden (initiiert durch das Hören). Das Anschauungsobjekt ist im Zeitablauf des Empfindenden real begleitend gesetzt. Es wird eine Linie nicht bloß vorgestellt und angeschaut, sie wird vielmehr in der Zeit nochmals als qualitativ empfindbar erscheinende Linie angeschaut und gezogen, als lineare Empfindungsmöglichkeit. 5
3) Es folgt aber noch mehr als die bloße innere Distanzierbarkeit und eine in Kontinuität sich durchhaltende Empfindungsmöglichkeit: Das durch das Gehör vermittelte Zustandsempfinden muss nochmals verobjektiviert und reflektiert werden. Das Vermittelte des Gehörten setzt eine eigene Aktivität in der eigenen Zustandsvermittlung voraus. „Beim Hören wird in der Qualität zugleich angeschaut, dass dort mittelbar ein Zustand mir, dem Hörenden, mitgeteilt wird, ein objektiver Zustand.“ 6 Die Repräsentanten objektiver Zustandsvermittlungen wie z. B. Töne oder Worte sind nicht räumlich voneinander verschieden (und könnten als solche räumlich einander entgegengesetzt sein), sie sind objektive Zustandsvermittelnde. Ihre Beziehung zueinander wird objektiv empfunden. Gerade wegen dieser objektiven Beziehbarkeit kann aber auf Seiten des Objektiven genauer unterschieden werden: sind es bloße Töne, Geräusche, oder ist es eine Stimme, ein Wort, das eine Intention vermittelt? Die objektiven Zustände können also verschiedene Gestalten aufweisen und können niedere, spontane und notwendige Reaktionen auslösen, oder können höhere Formen der freien Selbstbestimmung sein und Intentionen vermitteln bzw. und auf andere Intention ausgehen.
Das Gehör leistet über das Sehen hinaus eine nochmalige Möglichkeit der Freiheit und des Sich-Bezuges des Wissens und ist geöffnet auf einen intentionalen und interpersonalen Willensbezug hin. Die größtmögliche, unbegrenzte Empfindungssphäre ist erreicht, wenn gehört wird und eine Intention zu erkennen ist – und so ist in Gen 1 sowohl etwas zu hören „Gott sprach“, als auch zu sehen („es werde Licht“). Begriff und Anschauung gehen eine Einheit ein, wie in der Transzendentalphilosophie es Grundsatz ist.
4) Damit ist eine nochmalige höhere Begriffsanalyse gewonnen: Die Freiheit kann die Unableitbarkeit der Sinnesempfindungen als modal zufällig einstufen, weil die fakultative Wahlmöglichkeit in der Sinnesempfindung nicht rein determinierend erlebt wird, sondern unterschieden werden kann in natural notwendig eingestufte und intentional zufällig eingestufte Empfindungen. Die ganze Sphäre der naturalen Sinnesempfindungen sind modal möglich, aber hier in Gen 1 mit dem „Gott sprach“ ebenso zufällig im reinsten Sinne des Wortes, weil sie allein aus der eröffnete Wahlmöglichkeit kommen, einer nur intentional denkbaren, möglichen, freien An-Determination einer anderen Freiheit. Eine An-Determination (und nicht naturale Durch-Determination) gibt es nur im freilassenden Aufruf-Antwort-Geschehen von Person zu Person.
(Das könnte jetzt natürlich noch vielfältig weitergeführt werden anhand des WORT-Verständnisses der Hl. Schrift, beginnend mit dem Sinai-Geschehen, den vielen Befreiungsgeschichten und Berufungsgeschichten, Psalmen etc.)
Die intentionale Bestimmung, ein Aufruf, ein Hören einer anderer Person, öffnet das Bewusstsein zu einem wirklichen fakultativen Ja oder Nein, zu einer frei wählbaren Verichlichung und Vereinigung – oder zur Ablehnung.
In der apriorischen Einheit der Sinnenwelt – aufgespalten in subjektiv einheitliche Sinnenstruktur und objektiven Empfindungsstruktur – liegt somit selbst schon eine zugrundeliegende, höhere Idee: eine intentionale Verichlichung und Vereinigung soll ermöglicht werden, eine freie Beziehung zu knüpfen.
Die Spontaneität des Vernunftwesens vermittelt a) die Sinne und die Sinnesqualitäten untereinander und erkennt die vorgegebene Vielfalt der Sinnesqualitäten als „zufällige“ Qualitäten und b) strebt selbst (triebhaft und frei) zur formalen und materialen Einheit des apriorischen Vernunftsollens. Der durch sich selbst bestimmte reine Wille soll in Freiheit nachgebildet werden. Der oben in der Metaphysik des Absoluten begonnene Diskurs einer real-logischen Ursache außerhalb des Begründeten (im Bewusstsein) ist genetisch vollendet gesetzt: der deliberierend freie Wille ist durch das interpersonal zu verwirklichende materiale Soll des reinen Willens genetisch und prinzipiell vollendet bzw. jetzt unter zeitlichen Bedingungen realisierbar gesetzt. Die transzendentallogische Grund-Folge-Ordnung und die real-logisch gesetzte Ursache-Wirkungs-Ordnung „außerhalb“ des Bewusstseins, weil notwendig das Bewusstsein implikativ und appositionell ein Ursache setzen muss, vermittelt uns das Wissen einer Folge, das implizite Wissen eines Grundes ist. Der Grund ist hier selbst noch Wissen für sich – „Gott sprach“.
Die in mageren Begriffen von mir ausgesagte „Geschichte eines Verhältnisses“ (Teil 1) zwischen Gott und Vernunftwesen in der Schöpfung ist eine zeitlich und räumlich eröffnete Liebes- und Kommunikationsbeziehung. Deshalb die wiederholt wiederkehrende Rede vom „gut sein“ der Schöpfung, weil das conditionale und causale Geschaffensein aus einem guten, reinen Willen kommt und zum Guten hin geöffnet ist.
Ich beende hier diesen Versuch einer transzendental-deduktiven Auslegung von Gen 1 – und bin vorläufig nur bis zum ersten Tag gekommen (Gen 1, 1 – 5). Es liegen sicherlich noch mehr apriorische Wahrheiten drinnen – und die nächsten Verse könnten ebenfalls nach den apriorischen Bedeutungsstrukturen und nach ihren apriorisch-logischen Gesetzen des Wissens befragt werden.
© Franz Strasser, 15. 10. 2015
1A. MUES, Die Einheit der Sinnenwelt, a. a. O., S 126ff.
2Vgl. A. MUES, Die Einheit der Sinnenwelt, a. a. O., S 138ff.
3Ebd. S 139.
4Ebd. S 143. Es müsste jetzt noch viel weiter ausgeführt werden, dass gerade dieser zeitdominante Sinn des Hörens nochmals eine höhere Begründung schafft für ein raumdominantes Empfinden und für die Raumstruktur.
5Vgl. A. MUES, Die Einheit der Sinnenwelt, ebd.,S 144. Deshalb kann auch, wie oben z. B. bei Fr. JOHN gelesen, der Schöpfungsbericht Gen 1 mit den Befreiungs- und Begleitungserlebnissen des Volkes Israel verknüpft werden. Das Volk Gottes fühlte sich dadurch von Gott begleitet und geführt. Das setzt sich fort im übergebenen Wort Gottes am Berg Sinai oder in Gen 12 usw. Die „Priesterschrift“, wie die Redaktion der Hl. Schrift in nachexilischer Zeit von den historisch-kritischen Exegeten in einer Art Schule zusammengefasst wird, war sehr maßgeblich für die ganze Theologiegeschichte des Ersten Testamentes – siehe z. B. Konrad Schmid, 1. Teil, Anm. 3. „ Für die Priesterschrift bildet die perserzeitliche Gegenwart ihrer Autoren gewissermaßen das gottgewollte Ende der Geschichte. Die Völker koexistieren gewaltfrei in ihren Ländern entsprechend ihrer Sprache, Kultur und Religion, und im theologischen Zentrum der Welt befindet sich Israel mit dem vom Schöpfergott gestifteten Kult. Auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt ist, so lässt sich die priesterschriftliche Organisation der Welt als Auslegung von Gen 12,3 interpretieren: An Abraham und Israel erwirbt sich die Welt ihren Segen – ohne dies notwendigerweise explizit zu wissen. Ein künftiges Gerichtshandeln Gottes an der Welt ist für die Priesterschrift undenkbar. Gott hat die Welt urgeschichtlich ein für alle Mal gerichtet, in ihrem Sintflutprolog nimmt die Priesterschrift die schärfsten Gerichtsansagen aus Amos und Ezechiel auf („Das Ende ist gekommen“ Gen 6,13, vgl. Am 8,2f; Ez 7,2f) (…)“ Konrad Schmid, Der Pentateuch und seine Theologiegeschichte.In Zeitschrift für Theologie und Kirche, Sept. 2014, S 29.
6Ebd.S 145.