Die Frage nach der Priesterweihe der Frauen – und die vielen Methoden der Textinterpretation

Einleitung meinerseits.

1) Bekanntlich rechtfertigt das 2. Vatikanische Konzil die  drei kirchlichen Ämter „Bischof“, „Priester“, „Diakon“  mit dem Verweis auf die Hl. Schrift und auf apostolische Väter. (Man sagte früher: Schriftbeweis und Autoritätsbeweis.) 1 Wie ist diese Begründung –  das „Zeugnis“ der Apostel, der Väter, der Märtyrer –  eigentlich zu verstehen? Welcher Geltungsanspruch wird damit erhoben? Ist damit auch das männliche Geschlecht mitgemeint? Gibt es einen Geltungsanspruch, der gleich geblieben ist, sei es für die Texte im 2. Jhd. n. Chr, oder sei es für Konzilstexte oder sei es für das 21. Jhd.? Hat sich nicht das Bild von Freiheit, Geschlechtergerechtigkeit, gesellschaftlicher Wirklichkeit, total geändert? 

Welchen Geltungsanspruch trage ich an diese Texte des 2. Jhd. heran, im damaligen römischen Reich, eher im griechischen Kulturraum von Kleinasien beheimatet, wo selbstverständlich Sklaven, Frauen und Kinder, Fremde, von der „libertas“, „dignitas“ und „auctoritas“ eines römischen Staatsbürgers bzw. von der Redefreiheit des griechischen Polis-Bürgers ausgeschlossen waren? 2

Kann sich die  prinzipielle Form der Anschauung der Dinge verändern, oder nur die in der Einbildungskraft gefasste Anschauung der Dinge im Denken? Wohl nur unsere Deutung, unsere Begrifflichkeit für die in der Einbildungskraft gefassten Anschauungen.   Einmal wird die Anschauungsform des Denkens und Deutens auf das soziologisch Äußere der damaligen Gesellschaft gerichtet, das andere Mal, wie ich es hier grob zu beschreiben versuche, auf die Anschauungsform eines neuen genetischen Wissens von Gott und Mensch, von individuellem und gesellschaftlichem Sein, von Mann und Frau. 

Mir scheint: In neuer Weise hat im 2. Jhd. das Denken und Deuten die in der Einbildungskraft  gefassten Anschauungen in eine neue, „genetische“ Begründung für Gott und Mensch übergeführt. Eine neue Begrifflichkeit entstand aus dem intelligiblen Bedürfnis heraus, eine  sakramentale Heils- und Sinnordnung für Mann und Frau und Kind und Sklave und alle Völker und Sprachen zu installieren, damit die Kontinuität und Wahrheit und Erfahrbarkeit der Erlösung und Vergebung weitergegeben werden konnte.  Diese Neuordnung und Neuschaffung trat mit einem Geltungsanspruch auf, der  ungeschichtlich und zeitlos gültig ist und wahr.  Die faktische Umsetzung und Applikation in Zeit und Geschichte ist aber immer relativ.  

Darum geht es mir: Die Ziel- und Zweckbestimmung einer durch die positive Offenbarung bewirkten neuen, genetischen Erkenntnis von Gott und Mensch nachzuvollziehen, warum  zu einer Heils- und Sinnordnung mit kirchlichen Sakramenten, unter anderen, kirchlichen Weihe-Ämtern übergegangen worden ist.  

Dass es zu Weiheämtern kommen sollte, sehe ich im Geltungsanspruch der Vermittlung der Erlösung und Vergebung konstitutiv an; wie diese Vermittlung aussehen sollte, das ist angepasst an die hermeneutischen Bedingungen des Verstehens. Das männliche Geschlecht der kirchlichen Weiheämter liegt nicht per se in der Vermittlung der Erlösung und Vergebung –  es war aber wohl klug und veranwortungsvoll in der durch genetische Erkenntnis neu geschaffenen und gebotenen Heils- und Sinnordnung Männer für die Weihe-Ämter vorzusehen. 

Die Begründung eines kirchlichen Amtes rein historisch auf die männliche Spezies und nur auf gesellschaftliche Gepflogenheiten zurückzuführen, das würde weit am Sinn solcher Texte des 2. Jhd. vorbeigehen.

Jetzt deshalb meine Hauptschwierigkeit: Wie möchte ich grundsätzlich diese Texte verstehen? Ich frage a) nach einer analytischen Basis und b) nach dem Geltungsanspruch der Aussagen der Heiligen/des anonymen Autors.

Eine gewisse Verständnishilfe und Aufklärung kann vielleicht eine  historisch-kritische Darlegung bieten, siehe z. B. das im 2. Jhd prominent gewordene Wort  „katholisch“, das uns eine gewisse Sinnidee erschließt.  Dieser Begriff  „katholisch“ wurde ja geradezu zum Kriterium der Rechtgläubigkeit, entstanden etwa zur gleichen Zeit wie die Ignatianen. 
Durch die „katholische“ Kirche und durch die positive Offenbarung Gottes in JESUS CHRISTUS ist jeder Nationalismus oder Ethnozentrismus oder elitärer Gnostizismus überwunden, eine Art stoischer und hellenistisch-universaler  Geist von Vernunftreligion von allen für alle zu jeder Zeit bekam durch den christlichen Glauben endlich seine Konkretion und Umsetzung. 3
Ist aber damit gesagt, dass ein, schon mit späteren Begriffen konnotiertes „monarchisches“ und undemokratisches Bischofsamt und eine Dreier-Ordnung geweihter Ämter (Bischof-Priester-Diakone)  ebenfalls deduktiv notwendig aus dem Glauben eines so universal klingenden Katholizismus erwächst?  Und noch dazu deduktiv nur in männlicher Form?  

2) Historische Fakten als solche können m. E. keinen Geltungsanspruch erheben. Welche überzeitlichen Denkformen und Handlungsformen und  materiale Qualitäten von Werten sind aber trotzdem als Geltungsanspruch kirchlicher Ämter in diesen Texten des 2. Jhd. zu finden?

Ich las auf die Berufung des 2. Vatikanischen Konzils hin (LG 20, 2) die „Briefe“ des Hl. IGNATIUS in der Hoffnung, dort klare Begründungen für die kirchlichen Ämter zu finden, doch sehe ich mich jetzt angesichts dieser Texte großer Verständnisschwierigkeiten gegenüber. Sie können wohl nicht unmittelbar wörtlich genommen werden! Es scheinen mir sämtliche sieben Briefe wie absichtlich verschlüsselt und symbolisch!? Wenn von grausamen Opfern und wilden Tieren gesprochen wird, ist das vielleicht ein Bild für die verfolgten Christen der damaligen Zeit? Oder soll ich darin eine  Sucht nach dem Martyrium oder gekränkten Narzissmus erkennen? Im Gegensatz zu diesen gewalttätigen Szenen und Bildern finden sich wieder viele  Aufforderungen zur Liebe, zur Eintracht und zum Frieden. Von woher kommen diese Forderungen? Ist alles nur  Appeasementpolitik gegenüber dem autoritären Staat? Oder sind diese mannigfaltigen Beschreibungen von Liebe und Eintracht, Demut und Geduld, originäre Folgerungen aus einer neuen Gotteserkenntnis? Sind es vielleicht versteckt gehaltene weibliche Eigenschaften? Eine feministische Leseart scheint mir nicht abwegig zu sein. Auffallend gegen Null werden die Frauen erwähnt, aber das sagt nicht viel. Indirekt melden sie sich doch zu Wort im ganzen Stil der Sprache und der emotionalen Inhalte und der dauernden Paränese. Wie sollte aber dann die oft genannte Reihe von Bischof/Priester/Diakon, als allein Männern vorbehalten, beurteilt werden? 

Die geschilderten Szenarien der Verfolgung, der kurze Redestil, die stark emotionale und vokative Rede,  die vielen vor-sprachlichen Formen der Alltagskommunikation – sie würden einen Literarkritiker vielleicht etwas sagen! Stark bis wörtlich fällt die paulinische Rede auf, generell die große Bewandtheit des Autors (der Autorin?) in der Hl. Schrift.  Große Sorge und Kümmernis wird angesprochen, was die Gefahren der Zeit und Geschichte betrifft.
Könnte eine diskursanalytischen Methode, d. h. die besondere sozialwissenschaftliche Perspektive und ihr sprachlicher Ausdruck, Auskunft geben über die Autorenschaft, weil gewisse fixe Gesellschaftsstrukturen vorausgesetzt werden? Was wäre aber damit gewonnen? Ebenso wird immer wieder gewarnt vor der Gnosis und den Irrlehren und vielen Gefahren.   Was wäre mit diversen literarischen Methoden und literarischen Dekonstruktionen gewonnen für meine Anfrage: Warum damals gerade dieser  Geltungsanspruch von drei  „geweihten“ Ämtern und nur Männern vorbehalten gestellt worden ist? Ein fordernde Charakter der Geltungserhebungen ist unüberhörbar, aber mit welchem Recht? Eine beständige Forderung wird an einzelne und besonders an die Amtsträgern gerichtet, eine sittliche und religiöse Wertsetzung aus einem selbstbegründenden Grund der  biblischen und positiven Offenbarung.

Ich möchte im Unterschied zu einer bloße faktischen oder apodiktischen Vernunfterkenntnis die Erkenntnis einer apriorischen Vernunftoffenbarung und positiven Offenbarung eine genetische Erkenntnis nennen, d. h. eine nicht nur theoretisch erkennbare, sondern auch praktisch-willentlich zu ergreifender Erkenntnis, die auf einen sich selbst begründenden Grund hinweist.  

Historisch-kritisch komme ich nie zu einer absoluten Geltungserhebung: Ich lese z. B. nach bei den Kirchenhistorikern dieser frühen Stunde des Christentums – z. B. bei  R. M. Hübner: Er datiert diese Briefe um ca. 165/175 n. Chr., von einem anonymen Autor verfasst – und begründet das durch viele Quellen. Das macht mir historisch viele Aussagen plausibel, aber muss ich die Legitimation  der männlichen Weiheämter (des Autors, der Autorin oder  des dahinterstehenden Kollektivs?) damit ebenfalls verbinden? Wenn es reinen Historie ist, ist das keine Begründung für ein kirchliches Amt, noch dazu in nur männlicher Form. 4

Die Verfasserschaft könnten wir, wie die sogenannten „PASTORALBRIEFE,„pseudoepigraphisch“ nennen in Hinblick auf einen Märtyrerbischof IGNATIUS, der  nach Rom transportiert wurde, dort grausam hingerichtet. In seinem Namen, was aber den Inhalt keineswegs mindert!,  beschreibt der Autor/die Autorin/die Gemeinde die notwendig in der Gemeinde zu befolgenden sittlichen Verhaltensweisen und Regeln und kultischen Formen – und kommt zu ersten rudimentären Verwaltungsstrukturen und kirchlichen Ämtern.

Reinhard M. Hübner nennt diese  sieben Briefe, vorallem mit ihrer Klarheit der Ämterstruktur im Vergleich zu den anderen Schriften dieser Zeit, sogar ein „blankes Rätsel“! So auffallend andersartig ist hier alles. Er wird es wohl wissen, weil er historisch viele Texte dieser Zeit schon analysiert hat. 5  

Nochmals jetzt von mir gefragt: Wie sind die neutestamentlichen PASTORALBRIEFE oder die Briefe des „Hl. Ignatius“ in ihrer Historizität und ihrer Wirkungsgeschichte heute auszulegen, vor allem, was die Geltungserhebung und die Legitimität der Weiheämter betrifft? Die Adressierung, die Aufforderungen und Ermahnungen, die Ermutigungen und Danksagungen, schließlich die theologischen Inhalte  – ich kann sie nicht als bloße Berichterstattung oder fromme Erbauungsliteratur lesen.
So jetzt meine Frage: Was möchte ich herauslesen? Welche Sicht von kirchlicher Organisation, von kirchlicher Verfassung, von christlichem Selbstverständnis von Erlösung und Gnade?  

Es gibt wohl vom transzendentalen Denkansatz her einer Erkenntnis- und Interpersonal-  und Geschichtslehre, wodurch ich auf den   Sinn einer zeitübergreifenden, apriorischen Vernunftidee komme, die sich hier wie dort, in gegenwärtig-heutigen wie  antiken Texten zum Ausdruck bringen will. Diese apriorische Vernunftidee ist hier natürlich spezifiziert durch die Evidenz der positiven Offenbarung. 

Eine zeit- und raum- und sprachen- und  völkerübergreifende, ungeschichtlich Vernunftidee muss ich voraussetzen,  um sowohl einen zeitlichen Sinn der Aussagen, wie den zeitüberhobenen Sinn in den Geltungserhebungen zu erkennen. Natürlich hier spezifiziert durch den Glauben setzten die Autoren diese Vernunftidee und einen Art Vernunftplan voraus – den ich ebenfalls teilen kann, ja teilen muss, will ich sie verstehen. Der Autoren freies Wollen und Wertsetzungen sind Willenssetzungen und an einen freien Willen gerichtet, und führten praktisch-logisch zu einer sakramentalen  Weltsicht und zu kirchlich-sakramentalen Ämtern.

Anders gesagt: Verantwortungsbewusst und in genetischer Erkenntnis kamen die Autoren zu dieser Relation der durch Offenbarung erkannten Sinnidee. Wenn ich den Sinn der Geltungsforderung nach kirchlichen Ämtern erkennen will, so ist die Geltungsforderung selbst unzeitlich, die Applikation dieser Sinnidee fällt aber faktisch aus, d. h. wird ipso facto relativ, bei bleibender, unwandelbarer, sittlicher und religiöser Qualität der Geltungserhebung.6

Hätte ich keine apriorische Vernunftidee und keinen übergeordneten Begriff von Zeit und Geschichte, könnte ich z. B. bei einer sehr zufälligen Deutung dieser Texte landen – und „alles ist Deutung“ (Thales von Milet) ohne Entscheidungskriterien. 
Bei Allen Brent, nach R. Hübner, ist zu lesen, abgesehen von der fraglichen Frühdatierung um 110 n. Chr., dass versteckt von einer Nachahmung heidnischer Versöhnungsrituale erzählt wird,  von Praktiken der Zeit der Zweiten Sophistik u. a. m.
Das wäre  eine sogenannte „kulturgeschichtliche“ (oder religionswissenschaftliche)  orientierte Deutung ohne apriorischer Sinnidee.  Alles ist Entwicklung. Die erwähnten hierarchischen Ämter sind  symbolische Repräsentationen und Nachahmungen eines dionysischen Kultes der Römerzeit des 2. Jahrhunderts. Der Dionysoskult ist erloschen, die kirchlichen Ämter sind geblieben. Warum?  Diese Geschichtlichkeit der Deutungen bzw.  Aussagen der historisch-kritischen Exegese, sie  lassen uns ratlos und  hilflos zurück, warum es weitergegangen ist – und wie es heute weitergehen kann.  Die spezifizierende Beziehung zu einem in den Aussagen liegenden sittlichen Soll ist in bloß historischen Aussagen verloren gegangen und die faktischen Ereignisse werden in loser Reihenfolge nacheinander aufgezählt. 

Da ich fernab von  Bibliotheken oder theologischen Diskursen mein Dasein friste, kaum Zugang zu Textkritik und Literarkritik und komparativen Lektüre habe, möchte ich eine andere Methode des Lesens wählen: Eine transzendentalkritische (nicht nur historisch-kritische) Methode.  

Historisch gesehen halte ich die Argumente von  Reinhard M. Hübner und Thomas Lechner, was die Datierung betrifft, für überzeugend. Die Historie hilft mir aber nur bedingt, wenn es gilt, den dahinterliegenden Geltungsanspruch in den sieben Briefen und speziell in der Ämterfrage  zu  erkennen und zu rechtfertigen. 

Allein schon, wenn ich das Wort „Hierarchie“ an diese Texte herantrage – ein Begriff, der mir leider unwillkürlich beim Nachdenken über Weiheämter kommt –  ist höchste Vorsicht geboten:  Was  assoziiere ich bewusst oder unbewusst mit „Hierarchie“? Eigentlich kommt das Wort in den Ignatianen kaum vor. Warum drängt es sich mir so auf?  Ich denke bei „Hierarchie“ leider zuerst an hierokratisch-juristische Strukturen der Kirche. Warum könnte ich mit Hierarchie nicht geistige Vorstellungen verbinden? Ich könnte denken an Emanationsvorstellungen des Absoluten, Gott verströmt sich, Stufen gibt es, oder ich  könnte  denken  an die Ideenlehre Platons, oder, wenn ich noch mehr in historische Literatur eintauche, an Plotin oder an philosophische Deutungen der Religion bei Porphyrius, an die „himmlische und kirchliche Hierarchie“ bei  Bischof Dionysios Areopagita, an Augustinus etc. Eine „Hierarchie“ muss noch nicht despotisch sein.  Also,  wie „hierarchisch“ oder sogar „hierokratisch“  sind die Weihämter in den Ignatius-Briefen gemeint gewesen? Ich komme schnell in Deutungs-Turbulenzen, befragte ich nur die Historie bzw. die sprachliche Verwendung im Laufe der Jahrhunderte. 

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Ein großes Danke an die Übersetzer und an die „Bibliothek der Kirchenväter“ für die  digitale Zugänglichkeit!  

griechisch: https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-1025/versions/the-letters-loeb/divisions/2

deutsche Übersetzung: 

https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-1025/versions/die-sieben-briefe-des-ignatius-von-antiochien-bkv

Download: 

Die sieben Briefe des Ignatius von Antiochien (BKV)_deutsch_121

Hinter der meines Erachtens nicht mehr aufdeckbaren Historie – die mich unsicher zurücklässt – hält sich eine seltsam konstante Einsicht und Erkenntnis durch, nämlich eine pertinente Wert- und Sinnidee, eine Geltungsforderung, die mit dem christlichen Glauben in die Welt gekommen ist – und ich in weiterer Folge  „genetische“ Erkenntnis nennen möchte. Unter „genetisch“ verstehe ich die Erkenntnis der Gründe, wie ein historisches Faktum zustande kommen kann aus einem pertinenten Wertsetzungsgrund und einer pertinenten Sinnidee.

Dem Inhalt nach möchte ich das Folgeobjekt und die Relation der Übertragung der  Geltungserhebung eine  sakramentale und gesellschaftlich-kirchliche Heils- und Sinnordnung  nennen, die es zu errichten galt, notwendig zu errichten galt in den Augen der Gläubigen dieser Zeit  – und ich heute genauso noch sehe und denke, will ich die genetische Erkenntnis der positiven (und apriorischen) Offenbarung weiterführen als Ziel  – und nicht unbegründet lassen in ihrem genetischen Anfangspunkt. 

Mit dem Wort „sakramental“ nehme ich eigentlich allen Inhalt einer sittlichen und religiösen Geltungsforderung  schon vorweg: In und durch die mediatisierte und konkretisierte Vermittlung der Sakramente kann in den Augen dieser frühchristlichen Gemeinden die genetische Erkenntnis von Vernunftoffenbarung und positiver Offenbarung durch die Zeit und Geschichte hindurch bewahrt werden, begründet in einem absoluten Anfang, einer absoluten Liebe und eines Wertes – und vollendbar und vorwärts lebbar in einer Ziel erfüllten Wissens von Rettung und Erlösung. 

Ich setze also, zugegebenermaßen,  eine intelligierende Quelle in die Offenbarung Gottes schon voraus, rückwärts gewandt, letztlich seine Inkarnation, aber mit dem Ziel, vorwärts gewandt, in dieser Erkenntnis einen Weg vollkommener Erfüllung und Erlösung zu finden, ein Ziel der genetischen Erkenntnis –  selbstverständlich gleich welchen Standes, welches Geschlechtes, welchen Alters, welchen Volkes.  

Es muss ein stark platonisch gefärbtes Umfeld gewesen sein, zumindest im Denken des Autors (der Autorenschaft), wenn die Notwendigkeit einer ideell-geistigen und spezifisch „sakramentalen“ Weltsicht zur Debatte stand,  sozusagen über den jüdischen Erinnerungskult bzw. heidnischen  Gottesdienst und ihrer Gebräuche hinaus.

Kann ich von einer inneren Gesetzmäßigkeit in der Erkenntnis (apriorische Vernunftidee) und einer pertinenten Wert- und Sinnidee (positive Offenbarung)  und einem damit verbundenen Geltungsanspruch ausgehen, habe ich ein festes Fundament der Analyse gefunden – und bin nicht hilflos historischen Meinungen ausgeliefert. Ich vermag jetzt zu analysieren nach verschiedenen Regeln  und vermag den absoluten, ungeschichtlichen  Geltungsgrund hier und heute ebenfalls neu  auszulegen und zu konkretisieren bzw. dessen geschichtliche Realisierung transzendental-hermeneutisch zu verstehen, d. h. die Gründe von Aussagen damals wie heute anzugeben.  

2) Ich möchte Textauszüge bringen, die mir eine zeitlos gültige,  apriorische und genetische Erkenntnis auszusprechen scheinen, d. h. eine Geltungsforderung, die zwar sekundär  verworfen werden kann, aber prinzipiell wahr und unwandelbar und rechtens gültig und  heilig ist.  

2. 1) Ich las Schleiermacher „Hermeneutik und Kritik“: In der hermeneutischen Lektüre kann ich unterscheiden zwischen einer a) psychologischen Auslegung und b) einer Meditation. 
 
Im Meditationsteil dieser Texte, so scheint mir, findet sich ein deutlich kompositorischer Faden: Ich erkenne als Komposition die Absicht der Errichtung einer christlichen Sinn- und Heilsordnung, mehr oder weniger krass unterschieden zur übrigen Gesellschaft.
Die auf positive Offenbarung zurückgehende sakramentale Weltsicht und insbesonders die sakramentalen Weiheämter wie „Bischof“, „Priester“, „Diakon“ erheben deshalb einen Geltungsanspruch, weil sie eine pertinente Sinn weitergeben wollen – nicht weil sie männlichen Geschlechtes sind.  Prinzipiell und konstitutiv in der Sinnidee und Wertlehre  –  in der Umsetzung der  männliche Form angepasst an den Zeitgeist und die gesellschaftlichen Umstände,  faktisch und relativ in einer Zweckmäßigkeitsordnung.

Zur psychologischen und meditativen Lektüre kommt nach Schleiermacher noch die c) grammatische Auslegung , d. h.  der griechische Wortlaut und Wortgebrauch und der ganze paränetische, liturgische, hymnische, performative Redestil. Diese  Aussageweisen könnten in einer spezifischen Formgeschichte zusammengefasst und analysiert werden.

Das Hauptaugenmerk liegt für mich in der a) Meditation eines Inhalts
und b)  in der Komposition einer neuen Sinn- und Heilsordnung, die es konstitutiv-notwendig zu errichten galt – und  regulativ-pragmatisch  in der Form einer männlichen Hierarchie. 

Ich möchte ein paar Zitate bringen und mit „meditativ“(=m) oder „kompositorisch“(=k) die Aussagen kennzeichnen, die entweder

a) auf einen geistlichen Sinngehalt zielen (m),

oder b) den Aufbau einer christlichen/kirchlichen , kompositorischen Heilsordnung (k) anstreben.

2. 2.) Kommen Aussagen vor, die eine neue Sicht und Idee von Religion und Menschenbild mitbringen, letztlich den Geltungsgrund und Geltungsanspruch für „m“ wie „k“ abgeben,  so möchte ich zusätzlich das  mit  „genetisch“ (=g) kennzeichnen (Über die Einteilung bei Schleiermacher hinaus.) Die positiven Offenbarung in Jesus Christus generiert eine „genetische Erkenntnis“, eine neue Form des Denkens und der Deutung in der Anschauungsform von Gott und Mensch.  

Es mag  meine Analyse höchst subjektiv und ergänzbar sein,  aber es soll zumindest ein analytischer und kompositorischer Rahmenplan skizziert werden – um auf den genetischen Geltungsanspruch, der im Text liegt, aufmerksam zu machen.   

2. 3) Siehe  jetzt meine  Kennzeichen: Meditativ (m), kompositorisch (k), genetisch (g) –  jeweils  rot hervorgehoben, was ich besonders kennzeichnen und als Begründung anführen will. 

An die Epheser

4. Kap …auf dass er euch höre und aus euren guten Werken erkenne, dass ihr Glieder seid seines Sohnes. Es ist also gut, dass ihr in vollendeter Eintracht lebet, damit ihr auch an Gott allezeit Anteil habet. (m)

7. Kap ..Einer ist der Arzt, fleischlich sowohl als geistig, geboren und ungeboren, im Fleische wandelnd ein Gott, im Tode wahrhaftiges Leben (m)

9. Kap. ….Ihr seid also alle Weggenossen, Gottesträger und Tempelträger, Christusträger, Heiligenträger, in allen Stücken geschmückt mit den Geboten Jesu Christi; (k)

14. Kap. …Anfang ist der Glaube, Ende die Liebe. Diese beiden, zur Einheit verbunden, sind Gott! (m)

19. Kap. ….Infolgedessen löste jegliche Zauberei sich auf, und jede Fessel der Bosheit ward vernichtet; die Unwissenheit ward weggenommen, das alte Reich ward zerstört, da Gott in Menschengestalt sich offenbarte zur Neuschaffung ewigen Lebens; da nahm seinen Anfang, was bei Gott zubereitet war. Deshalb kam alles in Bewegung, weil die Vernichtung des Todes betrieben wurde…….(genetisch, eine allumfassende, höchste Sinnidee wird behauptet)

20. Kap. ……was ich begonnen habe über den Heilsplan in Beziehung auf den neuen Menschen Jesus Christus, in seinem Glauben und in seiner Liebe, in seinem Leiden und seiner Auferstehung. (g; das Denken eines „Heilsplans“ ist höchstes transzendentales Denken. Es wird Ewiges mit dem zeitlichen Werden vereint gesehen Zu vergleichen ist damit die apokalyptische Literatur.)

An die Magnesier

5. Kap …..die Ungläubigen das Gepräge dieser Welt, die Gläubigen aber in Liebe das Gepräge Gottes des Vaters durch Jesus Christus, dessen Leben nicht in uns ist, wenn wir nicht selbst durch ihn bereit sind, auf sein Leiden hin zu sterben (m; evtl. auch g, weil mit Liebe natürlich die höchste, genetische Wertsetzung verbunden ist.)

8. Kap …..Denn die gotterleuchtetsten Propheten haben nach Christus Jesus gelebt. Deshalb wurden sie auch verfolgt, begeistert von seiner Gnade, auf dass die Ungläubigen volle Gewissheit bekämen, dass es einen Gott gibt, der sich geoffenbart hat durch Jesus Christus, seinen Sohn (m)

An die Trallianer

9. Kap ..1. Verstopfet daher eure Ohren, sobald euch einer Lehren bringt ohne Jesus Christus, der aus dem Geschlechte Davids, der aus Maria stammt, der wahrhaft geboren wurde, aß und trank, wahrhaft verfolgt wurde unter Pontius Pilatus, wahrhaft gekreuzigt wurde und starb vor den Augen derer, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind, 2. der auch wahrhaft auferweckt wurde von den Toten……….(m)

An die Römer

Ignatius, der auch Theophorus (heißt), an die Kirche, die Gottes Barmherzigkeit erfahren in der Herrlichkeit des höchsten Vaters und Jesu Christi, seines einzigen Sohnes, die geliebt und erleuchtet ist im Willen dessen, der alles Seiende gewollt hat, gemäß der Liebe Jesu Christi, unseres Gottes, die auch den Vorsitz führt am Orte des römischen Bezirkes, ……. (m, aber auch eindeutig kompositorisch auf die Errichtung einer kirchlichen Sinn- und Heilsordnung hingerichtet =k)

An die Philadelphia

2. Kap…….1. Als Kinder des Lichtes der Wahrheit fliehet die Spaltung und die schlimmen Lehren; wo immer der Hirte ist, dorthin folget wie die Schafe…….(g; die Erkenntnisweise des Lichtes ist platonische Rede, ist intuitive, höchste Erkenntnis)

6. Kap…..1. Wenn aber bei euch einer judaistische Lehren verkündigt, so höret nicht auf ihn! Denn es ist besser, von einem Beschnittenen das Christentum zu hören, als von einem Unbeschnittenen judaistische Lehren. Wenn aber beide nichts von Jesus Christus reden,…..(g; die Geltungserhebung und Wahrheit wird ganz von Seiten des Christentums erhoben.)

8. Kap…..Mir aber ist Urkunde Jesus Christus; mir sind die unversehrten Urkunden sein Kreuz, sein Tod, seine Auferstehung und der durch ihn begründete Glaube; in diesen will ich durch euer Gebet gerechtfertigt werden……(g; eine genetische Erkenntnis ist begründet aus sich selbst, symbolisch gefasst im Bild als gültige Urkunde).

9. Kap…….1. Gut waren auch die Priester (des Alten Bundes), besser ist der Hohepriester (= Jesus Christus), der das Allerheiligste erhalten hat, dem allein die Geheimnisse Gottes anvertraut sind; er ist der Zugang zum Vater, durch den Abraham, Isaak, Jakob, die Propheten, die Apostel und die Kirche Zutritt haben. All das dient zur Vereinigung (der Menschen) mit Gott……..(m; aber auch genetisch, weil die höchste Wertsetzung, Liebe, Erlösung auf einen gemeinsamen Willensentschluss in Interpersonalität und Geschichte hinausläuft.)

An die Smyrnäer

1. Kap…….1. Ich preise den Gott Jesus Christus, der euch so weise gemacht hat;…….(m)

4. Kap……..1. Ich gebe euch hierüber Mahnungen, Geliebte, obwohl ich weiß, dass auch ihr so denket (wie ich es dargelegt habe). Ich warne euch aber vor den Tieren in Menschengestalt, diese dürft ihr nicht nur nicht aufnehmen,……(g, in der genetischen Erkenntnis liegt natürlich die Forderung der Applikation der Liebe bzw. das Gegenteil, die Nicht-Applikation und Abgrenzung)

5. Kap (das Unglück der Doketen) ….1. Ihn verleugnen einige aus Unkenntnis, oder besser sie wurden von ihm verleugnet, da sie eher Anwälte des Todes als der Wahrheit sind; diese konnten die Prophezeiungen nicht überzeugen, noch das Gesetz Mosis, ja nicht einmal bis zum heutigen Tage das Evangelium und die Leiden der einzelnen aus uns…..(m)

6. Kap………lernet sie kennen, die Sonderlehren aufstellen über die Gnade Jesu Christi, die zu uns gekommen ist, wie sehr sie dem Willen Gottes entgegen sind! Um die (Nächsten-) Liebe kümmern sie sich nicht,…..(m)

7. Kap………1. Von der Eucharistie und dem Gebete halten sie sich ferne, weil sie nicht bekennen, dass die Eucharistie das Fleisch unseres Erlösers Jesus Christus ist,….(m)

An Polykarp

6. Kap……..Mühet euch miteinander, kämpfet, laufet, leidet, ruhet, wachet miteinander als Verwalter, Genossen und Diener Gottes. 2. Gewinnet die Zufriedenheit eures Kriegsherrn, von dem ihr ja auch den Sold empfanget; keiner werde fahnenflüchtig….(k)

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3) Unter den vielen hermeneutischen Zugängen zu solchen Texten der Antike wähle ich also eine Art analytische Theorie, weil ich damit zwar nur Hypothesen behaupten kann, aber der Text in sich schlüssig und zusammenhängend wird – und ich vor allem a) einen  absoluten Geltungsgrund in genetischer Erkenntnis gewinnen will,  was es mit dem Sinn sakramentaler Ämter auf sich hat oder auf sich haben könnte  und sollte – und um ferner b)  heutige Entscheidungshilfen eines geschlechtergerechten Zugangs zu den Weiheämtern zu finden.  

Anders gesagt: Nach einer Literaturtheorie  erstelle ich einen gewissen analytischen Fragekatalog, um den ganzen Sinngehalt dieser sieben Briefe hermeneutisch und kritisch aufzuarbeiten.
Der analytische  Oberbegriff  zur „Meditation“ und „Komposition“ der sieben Briefe ist m. E. die „genetischeErkenntnis“ d. h. eine in sich und aus sich begründende  Wahrheit und Rechtfertigung.  Aus der genetischen Erkenntnis lässt sich eine transzendental-kritische Deutung der Aussagen ableiten, d. h. eine begründete, zusammenhängende und systematische Deutung. Eine bloß  historische Aneinanderreihung der Aussagen und Fakten  – das verhilft mir zu keiner systematischen Geltungs- und  Wert- und Sinntheorie der Texte von damals, wie für heutige Fragen. 

Zur Analyse: 

  1. Welche Fragestellung versuchen die Briefe zu beantworten?

  2. Welche Hypothesen – von mir „genetischen Erkenntnisse“ und „sakramentale Heils- oder Sinnordnung“ genannt – beantwortet die Fragestellung?

  3. Welche Zusatzannahmen sind erforderlich?

  4. Wie gut sind diese Zusatzannahmen begründet?

  5. Was ist aus diesen Annahmen für die weitere Entwicklung, hier von mir eingegrenzt auf die Frage der kirchlichen Ämter, ableitbar? Im orthodoxen und katholischen Raum hat sich bis heute die männliche Hierarchie durchgesetzt? Ist das transzendental von den Begriffen her gerechtfertigt? Welche Text-Implikationen sind aus den Hypothesen ableitbar?

  6. Stimmt die lange nachfolgende Entwicklung einer männlichen Hierarchie mit dem ursprünglichen „Sitz im Leben“ (Gunkel) bei IGNATIUS/dem anonymen Autor um 110/oder 165/175 n. Chr. noch überein, oder wurden andere Begründungen relevant, sodass sich die männliche Hierarchie durchzusetzen begann? Wie spezifisch sind die Begründungen bei dem Heiligen/dem Autor, wie bei den nachfolgenden Generationen?

  7. Lässt sich die Hypothese – die sakramentale Heils- und Sinnordnung – modifizieren, damit die Auslegungen der späteren Jahrhunderte (einer männlichen Hierarchie) ebenfalls darunter subsumiert werden können? Offensichtlich gab es im 2. Jhd. die starken Diskurse um die Wahrheit der Lehre, die dahinterstehende Angst vor Verfolgung und Leiden, die Frage nach der kirchlichen Organisation und der Gültigkeit der Sakramente. Wenn dann historisch der christliche Glaube als Staatsreligion ab dem 4. Jhd. erlaubt und etabliert wurde, warum sollte die Lehre und das märtyrerhafte Zeugnis und die Gültigkeit der Sakramente von einer männlichen Hierarchie abhängen?

  8. Ist die spätere Entwicklungsgeschichte der männlichen Hierarchie anders zu lesen? Vielleicht ideologiekritisch auf einen sich verfestigt habenden Patriarchalismus, währende der Patriarchalismus des 2. Jhd. durch die prekäre Situation noch pragmatisch zu akzeptieren war?

  9. Wie wir das männliche Amt heute im Zeitalter geschlechtlicher Gleichberechtigung gelesen? Wir tragen ja gerne unsere Interpretationen in die Hermeneutik dieser Texte hinein. 

  10. Meine sehr weit zu nehmende Hypothese der Errichtung einer sakramentalen Sinn- und Zweckordnung inklusiv männlicher Hierarchie – lässt das eine akzeptable Gesamtinterpretation aller sieben Briefe zu, auch der Textstellen, wo es nicht explizit um ein kirchliches Amt geht?

  11. Oder eine ganze andere Sicht, die ich aber nur theoretisch einblende, um den Gegensatz zu betonen: Spricht die Gattungsform „Brief“ überhaupt von einer intentionalen Aussageabsicht des Autors, oder geht es prinzipiell gar nicht um einen expliziten, dogmatischen Inhalt, sondern hauptsächlich um die paränetische, aufmunternde, tröstende, performative Rede?

  12. Es steht wohl eine leidenschaftliche, theologisch hoch gebildete, gesellschaftlich und politisch erfahrene Person dahinter, eine vielleicht durch Leiden geprüfte Persönlichkeit. Die psychologische Kommunikation ist dann mit vielen inhaltlichen, theologischen Inhalten kombinierbar. Die psychologische Seite kommt bei allen möglichen Datierungsproblemen und historischen Fragen gar nicht so unklar heraus, aber ebenso diese starke kompositorische Seite, dass es auf Eintracht, gemeinsame Feier, Liebe, Zusammenhalt, Bewahrung der christlichen Lehre gegenüber den Irrlehrern, zusammengefasst als kirchliche Sozial- und Gesellschaftsordnung und kirchliche Heils- und Sakramentenordnung inklusiv damit verbundener Hierarchie, ankommt.

  13. Es gäbe noch viele weitere Differenzen und Dekonstruktionen durchzuführen, um eine halbwegs angemessene, starke Analyse einer Geltungserhebung herauszuarbeiten. Wo kommen genderspezifische Aussagen vor? Wo soziale Fragen? Inwiefern werden Bezüge zum römischen Staat und zur Politik angesprochen? Wo finden sich die dekonstruierbaren Bezüge zur hellenistischen Kultur und zur religiösen Alltagswelt im Raum von Antiochia in Syrien, im Raum von Smyrna in Klein-Asien?

  14. Was besagen die verschiedenen kirchlichen Adressaten und Gemeinden? Geht es um ein erstes Netzwerk katholischer Verflochtenheit, um eine erste juristische Einheit bei einer ebenfalls noch existierenden Vielfalt verschiedener Gemeinden?

  15. Generell müssten noch viele dekonstruktive Unterscheidungen eingezogen werden, um eine halbwegs analytisch vertretbare Gesamtinterpretation zu erhalten. Eine neutrale historische Sicht gibt es nicht und erklärt nichts und führt zu keiner Verbindlichkeit und Wertschätzung. Irgendeine Gesamtsicht bringt jeder Rezipient/jede Rezipientin ein, auch der Historiker, der an der textkritischen Wahrheit orientiert ist. Jeder Text trägt die Spuren vieler anderer Texte in sich. Welche Intertextualität ist in den Briefen zu finden?

So lese ich jetzt den Text auf seine analytisch-vernünftigen Argumente hin. Wie wohlbegründet sind die historischen, biblischen, theologischen und erkenntniskritischen Aussagen des Heiligen/des Autors – und warum? Wie wohlbegründet ist die Etablierung einer kirchlichen Ordnung und einer kirchlichen Hierarchie in einer transzendental-kritischen Fragestellung? 

a) Wie kam es zu den Begriffsbildungen „Bischof“, „Priester“, „Diakon“? Welche Vorlagen gab es schon?
b) Welche stillschweigenden Fiktionen, Erwartungen, Hoffnungen, eschatologischen Konsequenzen sind explizit mit den kirchlichen Ständen verbunden?

Die Gottesauffassung, die soteriologischen Anschauungen im Unterschied zu den esoterischen, gnostischen „Erkenntnissen“ (Pneumatikern) und doketischen Irrlehren, der monarchische Einschlag, der Geltungsanspruch der Wahrheit,  die absolut christologisch zentrierte, allegorische Neu-Deutung der Ersten Testamentes, die apostolische Verkündigung, insbesonders Paulus, der universale, „katholische“ Heilsanspruch, die eschatologische Hoffnung –   das alles, so scheint mir, sind analytische Elemente und wissenschaftstheoretisch gut haltbare Argumente: Der Heilige/der anonyme Autor ist im traditionellen Sinne – mag er Bischof oder Priester oder Diakon gewesen sein –  ein  wahrer Lehrer und Glaubenszeuge und systematischer Denker. 
Alles, was er schreibt, ist  intersubjektiv verständlich, reproduzierbar, vollständig in allen wesentlichen Parameter der Sinnfrage menschlicher Existenz.

Es kann eine Art deduktiv-nomologische Ableitung aus den meditierten und kompositorischen und  „genetischen“, Erkenntnissen und Aussagen gebildet werden, die dem Heiligen/dem anonymen Autor dieser Zeit, generell den christlichen Gemeinden dieser Zeit, zuerkannt werden müssen, will ich den Texten  in ihrem, wie das Konzil sagt,  apostolischen Anspruch und in ihrem Geltungsgrund gerecht werden.

Allein im Erkennen eines Geltungsgrundes und einer Geltungserhebung können m. E.  Entscheidungshilfen für die Frage heute abgeleitet und diskutiert werden,  ob nicht  ebenso Frauen die Priesterweihe  zuteil werden soll.  Eine bloß „historische“ Antwort und Begründung kann es nicht geben.  7

© Franz Strasser, August 2019

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1 Zur Begründung eines sakramentalen Priesteramtes siehe z. B. Lumen Gentium 20, 2. Es wird der Hl. Ignatius von Antiochia  zitiert (in den entsprechenden Fußnoten).

„So wird nach dem Zeugnis des heiligen Irenäus durch die von den Aposteln eingesetzten Bischöfe und deren Nachfolger bis zu uns hin die apostolische Überlieferung in der ganzen Welt kundgemacht (45) und bewahrt (46)“ – Link

2Zum Begriff der Freiheit im antiken Leben und antiken Gesellschaftsformen siehe z. B. den Artikel von Christina M. Kreinecker, Freiheit in der Antike. In: Freiheit. Vom Wert der Autonomie, hrsg. v. Clemens Sedmak, Darmstadt 2012, S. 95 – 110.

3REINHARD M. HÜBNER, Überlegungen zur ursprünglichen Bedeutung des Ausdrucks „Katholische Kirche“ bei den frühen Kirchenvätern, in: Väter der Kirche, ekklesiales Denken von den Anfängen bis in die Neuzeit“, hrsg. Von J. Arnold, R. Berndt, R.W. Stammberger, Paderborn 2004. Siehe dort den Artikel, S 31 – 71.

4Reinhard M. Hübner, Kirche und Dogma im Werden. Thesen zur Echtheit und Datierung der sieben Briefe des Ignatius von Antiochien, Tübingen 2017, S 63 – 92. (Mehrere Untersuchungen zu den sieben Briefen gibt es). Aus dem Abschnitt 6 von R. M. Hübner: „ Wenn es das Ziel des Briefschreibers ist, die katholische (antignostische) Kirche unter dem einen Bischof (samt Presbytem und Diakonen) zu einen und der Aufruf dazu mit der Stimme des pneumatischen Märtyrers durchgesetzt werden soll, dann muß sich der Aufbau der Briefe wie des gesamten Briefcorpus konsequent daraus ergeben. Erstes Bestreben des Autors »Ignatius« muss es sein, die eigene Lehrautorität zu sichern, da er ja den Adressaten unbekannt ist. Sie wissen aus dem Brief des Polykarp an die Philipper und den darin eingeschobenen Mitteilungen (1, 1 und 13) lediglich, dass ein dem Polykarp bekannter, anscheinend von Syrien kommender Märtyrer Ignatius mit seinen gefangenen Gefährten von den Philippern das Geleit (in eine unbekannte Richtung) erhalten hat, nachdem er offenbar wichtige, von Polykarp jetzt wunschgemäß den Philippern übersandte Briefe (welche von Glaube, Geduld und jeglicher den Herrn betreffenden Erbauung handeln) verfasst hat. Alles andere, was zur Begründung der Lehrautorität des »Ignatius« erforderlich ist, muss die Selbstvorstellung in den Briefen ergeben – und sie ergibt es. Nach und nach, geschickt dosiert und arrangiert, erfährt der Leser alle » Fakten«, die geeignet sind, die Autorität des Briefschreibers aufzubauen und aufs höchste zu steigern: die Verurteilung um des Namens willen, den gewaltsamen Transport des schikanierten Gefangenen von Syrien zum Tierkampf nach Rom (ungefähr fünfundzwanzigmal werden in den sieben Briefen Verurteilung und Fesseln erwähnt), die enorme Anteilnahme der Christen am Geschick und Weg des bescheiden auftretenden Bischofs von Syrien, 171 den Gastaufenthalt beim angesehensten Kollegen Kleinasiens, den Empfang hochrangiger Gesandtschaften aus Bischof, Presbytern und Diakonen benachbarter Kirchen, die Predigten in den Gemeinden, die Kontakte mit offenbar bedeutenden Persönlichkeiten in ihnen, die Briefe an alle Kirchen (Rom. 4, 1); und alle diese Nachrichten beständig durchsetzt mit dem Hinweis auf seine pneumatische Begabung, die zugleich keck hervorgekehrt und bescheiden ge dämpft wird. Die Selbstinszenierung ist perfekt: Der Transport des verurteilten Bischofs von Syrien hat die gesamte Christenheit in Bewegung gebracht. Sofort nach seiner Verurteilung sind von Syrien aus auf direktem Seeweg ….“ Siehe ebd. S 89.

5R. M. Hübner, Die Anfänge von Diakonat, Presbyterat und Episkopat, ebd. S 51.

6Es gibt natürlich neben R. M. Hübner noch viele andere historisch-kritische Literatur zu dieser Zeit vgl. z. B. Thomas Lechner, Ignatius adversus Valentinianos? Chronologische und theologiegeschichtliche Studien zu den Briefen des Ignatius von Antiochien.SVigChr 47, Leiden u. a., 1999. Konkret zu den Briefen des Hl. Ignatius – siehe z. B. die kulturgeschichtliche Deutung von Allen Brent, Ignatius of Antioch and the Second Sophistic A Study of an Early Christian Transformation of Pagan Culture, 2006. ‚
Dazu die entsprechende Kritik z. B. v. Thomas Lechner, Ignatios von Antiochia und die Zweite Sophistik. Kritische Anmerkungen zu den Thesen von Allen Brent. In: Die Briefe des Ignatios von Antiochia. Motive, Strategien, Kontexte, hg. von Thomas Johann Bauer u. Peter von Möllendorff = Millennium Studien 72 (2018)
Als Download angeboten – siehe Internet. (2020) –
Link

Blickt man in die Historie der Entstehung der christlichen Ämter „Episkopus – Presbyter/sacerdos – Diakon“, erhält man viele hermeneutische Erklärungen, warum und wieso wohl diese Ämter geschaffen wurden, aber die Geltungserhebung selbst kann nicht hermeneutisch erhoben werden.

Weiterführende Literatur zum christlichen Amt in der frühen Kirche siehe z. B.:
Hartmut Leppin, Die frühen Christen, 2. Aufl., München 2019.
Andreas Thier, Hierarchie und Autonomie. Regelungstraditionen der Bischofsbestellung in der Geschichte des kirchlichen Wahlrechts bis 1140. (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 257
, Recht im ersten Jahrtausend) Frankfurt/Main 2011.
Heidi Wendt, At the Temple Gates. The Religion of Freelance Experts in the Roman Empire, Oxford 2016.
Ferdinand R. Prostmeier: Konflikte um das Amt in frühchristlicher Zeit; in Neutestamentliche Ämtermodelle im Kontext, 207-235.
Ernst Dassmann: Die Bedeutung des Alten Testaments für das Verständnis des kirchlichen Amtes; in Ämter und Dienste in den frühchristlichen Gemeinden, 96-113
E. Dassmann, Die frühchristliche Tradition über den Ausschluss der Frauen vom Priesteramt, in: ders., Amter und Dienste in den frühchristlichen Gemeinden (Hereditas 8), Bonn 1994, 212–224.
J. G. Mueller, Art. „Presbyter“, in: Reallexikon für  Antike und Christentum 28 (2017) 86–112.
G. Predel, Vom Presbyter zum Sacerdos. Historische und theologische Aspekte der Entwicklung der Leitungsverantwortung und Sacerdotalisierung des Presbyterates im spätantiken Gallien (Dogma und Geschichte 4), Münster 2005.

7Zu verschiedenen literarkritschen Methoden siehe z. B. den Überblick bei Vera Nünning und Ansgar Nünning (Hrsg.), Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse, Stuttgart 2010. Zur Methode einer analytischen Literaturwissenschaft, siehe ebd. S 133 – 200.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser