Gen 2, 2 Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk gemacht hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk erschaffen hatte.
Man hat rezeptions-ästhetisch festgestellt, dass alles nach einem Zeit- und Raum-Schema verläuft – siehe oben 4. Teil. Ein Schema ist die Regel einer Bestimmung der Anschauung nach einem Begriff.
Der Begriff ist das von Gott gestiftete Liebesverhältnis, der Bund Gottes mit seinem „Bild Gottes“ in seiner Schöpfung. Mittels Sieben-Tage-Schema wird der Bund erneuert und lebendig gehalten. 1
1) Wie ist Erinnerung möglich?
Die Zeit und der Wochenplan von Genesis 1 – und der spätere Jahreszeitenplan – beruft sich nicht auf die zirkulare Planetenumkreisung, oder ist nicht willkürlich, zufällig eingeführt, sondern umgekehrt ist die Zeitmessung und Geschichtsbestimmung von apriorischen Regeln bestimmt, die im „Bild Gottes“ als Vernunftwesen und Selbstbewusstsein liegen. Oder nochmals anders abgegrenzt: Das Sieben-Tage-Schema ist nicht pragmatisch-kluge Einführung zwecks Regeneration der Arbeitskräfte, sondern aus der Bedingtheit einer göttlichen Aufforderung (eines übergeordneten Solls) erwächst die Chance freier Zeit- und Raumeinteilung, einen unbedingten Wert in den teils täglichen, vorallem aber wöchentlichen und jährlichen Feiern und Festen zu erkennen und in die Schöpfung hineinzulegen.
Die Verse 2, 2-3 vom „Sabbat“ und der Ruhe Gottes sind erkenntniskritische Bedingungen der Wissbarkeit, sich überhaupt der Kraft der Erinnerung im Selbstbewusstsein (transzendental) bewusst zu werden – und allen Zeitentwurf (und spätere Geschichte) in einen apriorischen Sinnzusammenhang zu bringen. Ohne dieser tropischen (metaphorischen) Aussage vom „Sabbat“ (oder „Sonntag“) gäbe es keinen apriorischen Sinnzusammenhang, denn alle Zeit würde sinnlos und ziellos verrinnen, wäre ohne Halt und Gewissheit. Oder nochmals anders gesagt: Ohne „Siebten Tag“ („Sonntag“) zerfiele erkenntnistheoretisch die Einheit des Bewusstseins in unzählige historische Ereignisse und Zustände, die unverbunden nebeneinanderstünden, ja, es gäbe überhaupt kein Zeit- und Geschichtsbewusstsein, weder eine Kontinuität, noch ein Ende der Zeit und keinen Begriff von Ewigkeit.
Wiederum ist es hier Fichte, der erstmals die Denkbarkeit der Kontinuität und der Zeitform begrifflich durchdrungen hat: Die Zeitreihe – hier das Schema von sieben Tage – ist eine Dependenzreihe eines übergehenden Willens, der die Mannigfaltigkeit der Tage discretioniert wie kontinuiert, andernfalls ein Zeitbewusstsein nicht möglich wäre.
„In allem Denken muß das eine vorkommen, ohne dasselbe muß (d. h. kann) kein Denken möglich sein; dieß ist nun die […] intellectuelle Anschauung des Wollens. Diese wird durch das ganze discursive Denken hindurch wiederholt, diese ists die in allen Momenten hindurch gedacht wird […]. Ich sehe mich selbst in die Zeit hinein, ich bin nicht in der Zeit, inwiefern ich mich intellectualiter anschaue, als mich selbst bestimmend. (…) hierauf gründet sich die Lehre vom Gedächtniße“ (WLnm, GA IV, 3, 434).
Ich fand bei D. Wildenburg das transzendental-kritische Zeitbewusstsein nach Fichte ausgeführt: „Es ist also nicht im eigentlichen Sinne die Zeit, die dauert, sondern vielmehr die Anschauung des Wollens. Diese Selbstbestimmung des Willens wird durch das ganze diskursive Denken hindurch wiederholt, d.h. erneut gesetzt.“ 2 (Zur WLnm generell – siehe meine Stichworte – Blog „Kommentar zur WLnm“.)
Die Exegeten haben diesen Text Gen 1 – 2, 3 zur Genüge schon kontextualisiert und seinen Sinn gedeutet. Eine historische Herleitung des „Siebten Tages“ als kulturelle Erinnerung an andere Völker, das würde gar nichts bedeuten, sondern rein apriorisch und transzendental-kritisch ist es gerade das Vermögen der Erinnerung und des Feierns selbst, dass so etwas wie beständigen Glaube an den Bund Gottes und Glaube an einen Schöpfer des Himmels und der Erde und des Menschen ermöglichen. Die Feier des „Sabbats“ ist eine erkenntniskritische Leistung des Selbstbewusstsein, um zu einer kontinuierlichen Zeit und Geschichte und zum Aufbau von kontinuierlichem Glauben zu finden. (Generell zu den Verfassern von Genesis 1 – siehe Wikipedia )
Es ist für mich erstaunlich, wie sich die Ergebnisse der Exegeten und der Transzendentalphilosophie letztlich annähern: Wie gesagt, die Selbstbestimmung und Freiheit des Vernunftwesens ist u. a. konstitutiv nur durch lebendige Erinnerung zu erreichen. (Es gehören natürlich noch andere Konstitutiva dazu: Der Mitmensch, die Sprache.) Erinnern – und sogar unbewusst-bewusstes Vergessen, wie D. Wildenburg ausarbeitet, belegt durch die Psychoanalyse – sind Funktionen des Wollens und Produkte der Einbildungskraft. Entfällt der Glaube und will der Wille übergehen zu einer nicht eindimensionalen Richtung der Zeit und der Geschichte, übersteigt er sein Vermögen. Er will dann zugleich alles wollen – und zerbricht notwendig daran. (Ich wollte das anhand Nietzsche zeigen – siehe Blog zur „Ewigen Wiederkunft des Gleichen“.)
2) Es ist der von der Priesterschrift so pointiert herausgehobene „Siebter Tag“ nicht als bloße, numerische Wiederholung eines Tages, additiv hinzugezählt, sondern bewusst als „Ruhe“-Tag ausgezeichnet, d. h. als Endpunkt, Abschluss – und erst dadurch ergibt sich eine Richtung in der Zeit und ein Sechs-Tage-Werk und ein Sieben-Tage-Schema. Die Tage würden ohne Vernunftzweck und Zeitplan zusammenhanglos nebeneinander stehen.
Der Begriff der Erinnerung ist somit konstitutiv für das Sich-Bilden des Selbstbewusstseins. Mit integraler Erinnerung hängt uranfänglich der Begriff einer Zeit-Richtung und überhaupt die Frage der Zeit-Bildung zusammen.
Siehe wiederum D. Wildenburg: „Um eine ’gerichtete Zeitreihe‘ erklären zu können, ist eine weitere Unterscheidung notwendig, die nämlich zwischen ’wirklich‘ und ’möglich‘. Am Beispiel der Fortbewegung eines Körpers hatte Fichte in §12 (der WLnm) das Dependenzverhältnis klarzumachen versucht und hierbei auch diese Unterscheidung ins Spiel gebracht: Befindet sich ein Körper in Position A, so sind alle Richtungen, in die dieser Körper bewegt werden kann, möglich, und diese Möglichkeiten (B1, B2, B3 etc.) sind bedingt durch A. Wirklich aber wird das neue Glied der Kette (z.B. B2) erst dadurch, „dass der Wille gerade diese Richtung wählt“ (GA IV/3 428), und dieses Übergehen von A zu einem bestimmten B, „zu folge dieser Selbstbestimmung tritt eine Erfahrung ein; mein Übergehen von A zu B fällt in die Zeit“ .3
Durch eine bewusste Gegenwart, hier in Gen 2, 2 u. 3 ausgesagt vom „Siebten Tag“, kann das Erleben von etwas, das Spüren und das Gefühl als solches, erst wahrgenommen werden. Hier das Spüren der Schöpfung und der Freiheit, aufgeschlüsselt in mehrere Tage, aber genetisch abgeschlossen durch ein apriorisch-festes Schema. Erst aus der erfüllten Gegenwart lässt sich etwas erspüren – und lassen sich in weiterer Folge (der Selbstbestimmung und Freiheit) so etwas wie Vergangenheit und Zukunft ableiten und denken.
Eine Vergangenheit gibt es nur in der erinnerten Gegenwart, Zukunft nur aus einem Streben in der Gegenwart. Das Vermögen der reproduktiven Einbildungskraft – im Unterschied zur produktiven Einbildungskraft – ist eine erinnernde Kraft und ist notwendige Erkenntnisbedingung einer übergehenden Hoffnung.
Die Basis der Zeit bildet ein Wille, der die gegenseitig sich ausschließenden Zustände und Gefühle durch seine durchhaltende Kraft bestimmt, ein Wollen, das seine Begründung in einem absoluten Willen hat. Es dauert nicht die Zeit, sondern die Anschauung des Wollens, „die in jedem Zeitmoment als identisch gedacht werden muss.“ 4
Anders gesagt und wiederholt: Die Richtung der Zeit, wie die Wlnm darlegt, kann nur durch ein Dependenzverhältnis geschaffen werden. Das wiederum setzt eine herausgehobene, hier im Sinne von Gen 2, 2 u. 3, gefeierte Gegenwart voraus. „Durch das Erfahren dieser Gegenwart wird jedoch der vergangene Moment nicht nur von der Gegenwart ausgeschlossen, sondern zugleich auch übernommen und fortgeführt. Das Vermögen dieses Fortführens ist just die Erinnerung, die als reproduktive Einbildungskraft bezeichnet wird. Erinnerung ist somit nicht nur als konstitutiv für das Selbstbewusstsein herausgestellt, sondern zugleich und ineins damit auch als eine Tätigkeit des ,menschlichen Geistes‘, auch wenn dieser Akt auf der empirisch-konkreten Ebene nicht zu Bewusstsein kommt.“ 5
3) Der Siebte Tag im Schöpfungsbericht Gen 2, 2-3 ist somit apriorisches Zeit- und Geschichtsbewusstsein. Er schafft und bekräftigt durch Feier, Dank, Liturgie, Freizeit …. die Erneuerung des an das „Bild Gottes“ ergangene Aufforderung zur freien Selbstbestimmung.
Anders gesagt: Die Feier des Siebten Tages ist Tätigkeit des menschlichen Geistes in einem ursprünglich transzendentalen Sinn der Bildung von Selbstbewusstsein und Freiheit von allen für alle zu jeder Zeit.
„(…) Ohne das tätige Fortführen des ’vergangenen‘ Moments im gegenwärtigen würde ein kontinuierliches Selbstbewusstsein nicht möglich sein, es würde in einzelne ’Iche‘ zersplittern. Das aber heißt zugleich, dass Vergessen auf dieser Ebene ausgeschlossen werden muss, wenn die Einheit – und das heißt auch: die Kontinuität – des Selbstbewusstseins gewahrt bleiben soll. Das Vergessen eines vergangenen Moments würde die Dependenzreihe der einzelnen Willensbestimmungen unterbrechen und so die von Fichte geforderte Kontinuität des Selbstbewusstseins zerstören: Wäre es immer so, dass er am anderen Tage seinen vorigen oder im nächsten Moment den vorherigen vergessen hat, wäre Selbstbewusstsein unmöglich.“6
Was es hieße, einen vergangen Zeitpunkt nicht mehr erinnern zu können, zeigt, so der Hinweis in diesem Aufsatz von D. Wildenburg, die Psychoanalyse mit ihrer Theorie zur Verdrängung und Hysterie. Nicht von ungefähr kommt ja das Gebot zur Feier des Sabbats unzählige Male vor: z. B. Ex 20,11 u. a. Stellen: „Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der HERR den Sabbat gesegnet und ihn geheiligt “ – um nicht in Hysterie, Verdrängungen und Neurosen zu verfallen – oder einer falschen Ideologie oder Utopie das kurze Leben zu opfern. (Welch grausamen Geschichtsutopien hat es schon gegeben, vom „Dritten Reich“, im Kommunismus, „Schöne neue Welt“….)
In den vielen Stellen in der Hl. Schrift zum Sabbat wird instinktiv gespürt: In dieser Erinnerung liegt die Einheit des Selbstbewusstseins und die Freiheit der Selbstbestimmung, d. h. mithin die Freiheit des Vernunftwesens. Natürlich stecken auch empirisch-historische, politische Erfahrungen des Exils hinter diesem Text der Priesterschrift, viele traumatischer Erlebnisses der Geschichte des Volkes Israel, doch einmalig wird hier ein rettender Gedanke eingebracht: Der „Siebte Tag“ bewahrt vor aller zeitlichen Vereinnahmung, vor gesellschaftlichem Druck etc.., ist Ausdruck innigster Freiheit und Würde des Menschen.
Und wieder ist alles apriorisch-sagenhaft zusammengefasst: Der „Siebte Tag“ muss natürlich schon im absoluten Anfang enthalten sein, sonst könnte man ja weder vom „Anfang“ noch vom „Ende sprechen“ – und umgekehrt bestätigt sich am Ende, durch den „Siebten Tag“ der Anfang in seinem Wert- und Sinngehalt – siehe 2. Blog zu Gen 1.
Der absolute Anfang in Wahrheit und Liebe wird durch den „Siebten Tag“ – erinnert und kontinuierlich gesetzt.
Inwieweit jetzt der „Achte Tag“ der christlichen Auferstehungslehre apriorisch auszulegen wäre, das müsste jetzt noch kommen; ebenso Vers 3, was Segen und Heiligung bedeuten.
© Franz Strasser, 18. 2. 2024
1 Der ganze Schöpfungsbericht Gen 1, 1 – 2, 3 enthält derart viele apriorische Wahrheiten, die mir selbst annähernd nicht bewusst geworden sind.
2Dorothea Wildenburg, „Ist das immer so, dass er am anderen Tage seinen vorigen vergessen hat?“ Erinnern und Vergessen in Fichtes Theorie des Selbstbewusstseins, S 105. In: Christian Lotz, Erinnerung : philosophische Positionen und Perspektiven. München: Fink, 2004.
3Bei Fichte Wlnm, ebd. GA IV/3. 429; bei D. Wildenburg, ebd. S., 106.
4D. Wildenburg, ebd. S. 109.
5D. Wildenburg, ebd. S. 109.
6D. Wildenburg, ebd. S. 110.