Schon öfter las ich von REINHARD M. HÜBNER diverse Artikel. Zufällig fiel mir folgender Aufsatz in die Hände: „Überlegungen zur ursprünglichen Bedeutung des Ausdrucks „Katholische Kirche“ bei den frühen Kirchenvätern.“ In: Väter der Kirche, ekklesiales Denken von den Anfängen bis in die Neuzeit“, hrsg. Von J. Arnold, R. Berndt, R.W. Stammberger, Paderborn 2004, S. 31 – 79.(Downloadbar von der Bayerischen Staatsbibliothek – aufrichtigen Dank! – siehe Link:
Hinter dem Wort „katholisch“ verbirgt sich, so meine Eindruck nach dieser Lektüre, nicht bloß ein historischer, dann noch konfessionell verstandener Begriff, sondern ein ideeller, höchst transzendentalkritischer, in genetischer Erkenntnis gewonnener Wesensbegriff des christlichen Glaubens.
Ein transzendental-kritischer Begriff des Denkens von Gott als VATER aller Menschen, als SOHN in der Beziehung aller Menschen zu diesem VATER, und als HEILIGER GEIST in Form der Beziehung zur Welt, das hat hier notwendig eine genetische Konkretion gefunden, einen Ausdruck höchsten Wissens, der qualitativ eine bestimmte Seinsfülle der Erkenntnis Gottes meint:
Generell ist eine wirkliche Erkenntniserweiterung eigentlich nur im ideellen Wissen möglich ist. Die historischen und empirischen Daten gewähren keine neue Erkenntnis, wenn sie nicht in einen übergeordneten Sach- und Geschichtszusammenhang und in einen apriorischen Vernunftzusammenhang verstanden werden.
R. Hübner arbeitet historisch und transzendental-hermeneutisch die Charakteristika dieses Begriffes heraus – was meine Kenntnis bei weitem übersteigt. Aber transzendental-kritisch ist höchst bedenkenswert: Wenn wir an einen wahren Gott glauben möchten, so kann die Einheit desselben selbst nur in einem völker- und standesübergreifenden, universalen, interpersonalen Verhältnis näher bestimmt werden.
„Der Begriff katholisch enthält also – das hat Th. Keim richtig gesehen – ein negativ-polemisches und ein positives Element, welches F. Kattenbusch zutreffend mit den Worten: Kirche „für alle“ bestimmt hat. In dieser positiven Bedeutung entspricht das Kirchenattribut katholisch, das nicht in der Schrift steht, durchaus dem, was der Neutestamentler H. Merklein als evangeliumsgemäß festgestellt hat. Die Ausbildung dessen, was gemeinhin als die grundlegenden Merkmale des Katholischen‘ gilt (Schriftkanon, Glaubensregel, Amt), vollzieht sich dabei folgerichtig, lässt aber eine aufschlussreiche zeitliche Entwicklung erkennen. Die apostolische Tradition des in den inspirierten Schriften bezeugten universalen Heilswillens Gottes verlangt den in der apostolischen Sukzession stehenden, öffentlich beglaubigten Lehrer als Übermittler, Verteidiger und Interpreten, der die lebenspendende Botschaft des Evangeliums in der (antignostischen) Glaubensformel konzentriert. Dieses Stadium ist in den Pastoralbriefen schon kräftig angebahnt, im Polykarpmartyrium erscheint es in Vollgestalt. In dieser Zeit erfolgt zugleich der Wechsel von der kollegialen Gemeindeleitung zum Monepiskopat, der erstmals im Martyrium Polycarpi 16 (Text 3) angedeutet ist (wo Polykarp als „Bischof der katholischen Kirche in Smyrna“ tituliert wird) und der nicht viele Jahre später in den Ignatianen in seiner nachhaltigen Gestalt propagiert wird. Auch hier, im Smyrnäerbrief 8 (Text 5), wird der Bischof (Polykarp von Smyrna!) in einem Atemzug mit der „katholischen Kirche“ genannt. Katholische Kirche und Monepiskopat erscheinen in diesen beiden frühesten Zeugnissen ihres Vorkommens gemeinsam am selben Ort, verbunden mit derselben Person. Ist es zuviel gefolgert, wenn man annimmt, daß sie sich zusammen zu gleicher Zeit im Raume Smyrna ausgebildet haben?“1
M. a. W., es geht in der historischen Begrifflichkeit „katholisch“ um eine Wesensfrage des Glaubens. Entweder kann die Sinnidee des jüdisch-christlichen Glaubens im Wort „katholisch“ substantiell gut beschrieben werden, oder es ist nur eine akzidentielle, zufällige Weiterbestimmung. Das Wesen wäre unterbestimmt, wenn das „katholisch“ nur in Abgrenzung und Negation zur Gnosis formuliert worden wäre, sozusagen, als Abgrenzung gegenüber alle gnostische Ausgrenzung.
R. Hübner belegt akribisch, in welchem historischen Kontext und in welcher prekärer Lage und in welcher Auseinandersetzung der christliche Glaube und die junge Kirche um die Mitte des 2. Jhd. gestanden ist. Die christliche Offenbarung musste sich neu bewähren und explizieren, aber von ihrem Wesen her, nicht durch reine Assimilation. Im Begriff „katholisch“ kam in genetischer Erkenntnis das Wesen dann zum Ausdruck, in Abgrenzung zu anderen Religionen und Sekten und mit einem essentiellen Geltungsanspruch: Dass alle Menschen, gleich welcher Standes, welcher Sprache, welchen Alters, welchen Volkes, zur Erkenntnis und Rettung von Gott her bestimmt sind. Der ethische Universalismus gleicher Rechte und Pflichten hat seine Konkretion gefunden.
Anders gesagt: Der Begriff „katholisch“ verweist mich auf eine überzeitliche Sinnidee, die sich glücklicherweise so verzeitet und inkarniert hat – nämlich nur universal, allumfassend, völker- und standes- und sprachen und geschlechtsübergreifend kann der Glaube an Gott sein und sich so zeigen und bewähren.
Mir gefallen die scharfsinnigen Zusammenfassungen des „katholisch“ gegenüber anderen religiösen Praktiken dieser Zeit – und dann doch wieder bescheiden ausfallenden Aussagen des Historikers R. Hübner, wenn er sagt, dass z. B. historisch noch nicht geklärt werden kann, wie die Verhältnisbestimmung der Gültigkeit der Sakramente mit der Institution des Bischofs zusammenhänge. Ob die Sakralität der Sakramente von einem Bedürfnis der Sicherheit und Garantie gegenüber gnostischen Elementen abgehangen hat, oder doch kreativ neu gefunden wurde, usw….
Diese Fragen können m. E. historisch nie ganz geklärt werden, wenn nicht eine systematische, transzendental-kritische Antwort gegeben werden kann: Was war die Sinnidee der positiven Offenbarung überhaupt – und dazu gehört dieses kostbare Wort „katholisch“ und die sakramentale Umsetzung u. a. m.
Ob die gültige Feier der Sakramente von der Legitimierung eines Bischofs abhängig war, warum nur männliche Bischöfe, Priester, Diakone zur Hierarchie bestellt wurden, das sind historische Fragen, die rein aus der Historie heraus sowieso keine Entscheidungshilfe bieten, wenn nicht die transzendental-kritische Frage dahinter beantwortet werden kann: Wie soll das Verhältnis Gott und Mensch und das künftige Verhältnis Mensch zu Mensch aus dem Glauben heraus gestaltet werden. Gnostisch, manichäisch, individualistisch, esoterisch – oder ganz anders: katholisch.
Im Zusammenspiel vieler Ideen, Umstände, systemtheoretischer Bedingungen, wurde offensichtlich das neue, spezifizierende Merkmal „katholisch“ geboren, dass die Kraft einer transzendentalen Idee in sich trägt, d. h. eine vernunftkritische Gesetzlichkeit aufweist: wenn an Gott geglaubt werden kann, so nur in dieser völkerübergreifenden, alle Menschen einbeziehenden, gleichrangigen, interpersonalen Weise.
Aus rein induktiven Vergleichen und historischen Texten wird die Wesensidee des Christlichen nie zureichend begründet werden, wenn sie nicht zugleich apriorischen Vernunftgesetzlichkeiten gehorcht. Der Begriff „katholisch“ ist eine wesentliche, transzendentalkritische Evidenz, qualitativ erkenntniskritisch, bedeutsam gegenüber einem vernunftkritischen Denken von Gott.
© Franz Strasser, 9. 12. 2019
1 R. M. Hübner, ebd. S. 71