Magnus Striet, Christologie auf dem Prüfstand, 2019, 71 – 140, Lektüre

Ich war ziemlich enttäuscht über den 2. Teil der Lektüre „Christologie auf dem Prüfstand. Jesus, der Jude – Christus, der Erlöser.“ aus der Sicht des christlichen Theologen MAGNUS STRIET. 1

Im Namen eines gleichberechtigten Diskurses mit dem Judentum wird m. E. ziemlich viel

a) vom befreienden Kernbestand des christliche Glaubens verraten, seien es aufrüttelnde Worte Jesu, seien es mystagogische Worte aus dem Johannes-Evangelium, seien es Worte der paulinischen oder katholischen Briefe.

b) Ein Feindbild der Erbsündenlehre bei Augustinus wird aufgebaut – und das anscheinend daraus folgende, für den Antisemitismus (und theologischen) Antijudaismus in der Geschichte verantwortliche  Satisfaktionsmodell. Weil die Sünde der Menschen so tiefgreifend ist, kann ohne Erlösung durch Jesus Christus kein Heil mehr möglich sein, auch die Juden müssten sich zu ihm bekehren …….. und viel Zwang und Gewalt wurde im Namen der Satisfaktion ausgeübt…….so ähnlich die Nacherzählung von  M. Striet.

c) Sehr schwer verständlich ist seine im Schlussteil zunehmend vorkommende Theorie zur Theodizee: Obwohl er zugibt, dass diese Frage der Rechtfertigung Gottes angesichts des Bösen und des Leidens in der Welt erst im 18. Jhd. (S 86, Anm. 21) akut geworden ist, also noch nicht viel geschichtliche Reputation  aufweisen kann, bleibt die Beantwortung der Theodizeefrage akut offen.  Wenn Gott gerechtfertigt werden soll, so ist das für die Christen eine doppelte Last und „Risiko“, denn 1.) die Existenz Gottes ist immer strittig, erst recht, 2.) dass Gott es zuließ, dass im Namen des Juden Jesus Gewalt ausgeübt wurde (ebd. S 138), „verantwortet in letzter Instanz Gott selbst.“ ??

Das ist natürlich Unsinn, denn entweder akzeptiere ich die Freiheit des Menschen und seinen freien Willen, dann ist dieser auch zum Bösen fähig – aber damit kann nicht der reine Wille Gottes verantwortlich gemacht werden, denn gerade der prinzipielle Gedanke der positiven Offenbarung im Christentum geht ja davon aus, dass Gott in Jesus in allem uns gleich geworden ist, außer der Sünde, um uns zu erlösen, höher noch, um Satisfaktion und Vergebung der Sünden zu bewirken (siehe Hebräerbrief), aber nie wird geschrieben oder gesagt, wenn Gott sich mit dem sündigen Menschen identifiziert hat, dass er selber das Böse auch gewollt hätte! Hier werden zwei Ebenen vertauscht: Die absolute Sinnidee der Erlösung, die durch die positiven Offenbarung in JESUS unbestritten sein soll, und der offensichtlich anders wollende, von woher immer kommende freie Wille des Menschen, der, die Wahrheit verdrehend,  z. B. im Namen JESU Böses tun kann. Wie könnte ich wie M. Striet die Verantwortung dieses üblen Treibens plötzlich Gott zuschreiben als sei der Mensch ein unmündiges, kleines Kind, dem doch keine Freiheit zugemutet werden kann?

Das eine Mal wird ein fraglich metaphysisch Begriff von Gott entworfen, dann auf ähnliche Art und Weise ein fragliches Satisfaktionsmodell, und schon hat man das schönste Scheingefecht – und das „verantwortet in letzter Instanz Gott selbst“? Auch im Namen JESU? Für mich sind das alles nur theologische Konstruktionen, künstlich erzeugte Gegensätze, die dann logisch zu Antinomien führen müssen.

d) Schließlich polemisiert er immer wieder gegen viele m. E.  aus dem ganzen mystagogischen Zusammenhang  herausgerissenen Aussagen des emeritierten Papstes Benedikt XVI.

e) Es ist für mich großteils dogmatische  Floskelsprache, Phrasen und ungenaue Begrifflichkeit – und eine ständige Verwechslung von hermeneutischen Ebenen. Nur ein Beispiel aus dem Schlussteil: Eine Bekehrung der Juden zu Christus als Messias und Erlöser ist nicht notwendig, denn Gottes Bund und Treue gilt auch ohne einem ausdrücklichen christlichen Bekenntnis. Ja, das ist offizielle katholische Linie seit „Nostra aetate, 4“, 1964, im Namen der individuellen Selbstbestimmung des Menschen darf ein solches Bekenntnis nicht gefordert/erzwungen werden. Das verlangt hoffentlich vom christlichen Glauben her gesehen heute (seit 1964) niemand! Aber ist damit der Begriff des „Bundes“ und der „Treue“ in seiner Sinnidee verstanden?

Es braucht m. E. bessere Begriffe, um die Sinnidee der Erlösung in JESUS CHRISTUS auszulegen, sowohl für Christentum wie Judentum:  Es  widerspricht vielen klaren Aussagen der Hl. Schrift, wie  M. Striet, aber auch W. Homolka, die Begriffe gebrauchen und verdunkeln. Um das sich bewährende Bild einer mosaischen „Erlösung“ und Freiheit, aber auch einer jesuanischen Erlösung und Freiheit zu beschreiben, braucht es eine tiefere Begründung dessen, was Vernunft und Gottesidee und Satisfaktion und Restitution heißt. Eine bloß historisch-kritische Analyse der Hl. Schrift kann uns darauf keine Antwort geben.  Ein Hl. Augustinus fand mit seiner Satisfaktionstheorie  einen hermeneutischen Schlüssel der Exegese. Welchen Schlüssel kann ich bei M. Striet oder W. Homolka zu finden?

M. Striet redet mir, wie sollte ich sagen,  phrasenhaft, kindisch: „……..die theologisch strittigen Fragen gilt es auszuhalten. Sie lassen sich aushalten, weil das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus als nicht heilsnotwendig begriffen werden muss. War Jesus der Christus, dann wollte Gott realsymbolisch seine unbedingte Menschenfreundlichkeit erfahrbar werden lassen; und: Vielleicht war er auch neugierig darauf, wie es sich anfühlt, ein Mensch zu sein, und wollte zugleich, indem er sich ganz auf ein Menschsein einließ, solidarisch mit dem Menschen werden. (…)“ (ebd. S 139) Was sollen solche Aussagen bedeuten?

Kann ein  M. Striet oder ein W. Homolka die Verzweiflung der leidenden Menschen, die damals zu Jesus gekommen sind, oder später unter schwierigsten Umständen freiwillig den Glauben an Jesus höher stellten als das eigene Leben, gebührend würdigen? Können sich beide in die dramatischen Stunden des aufkeimenden Konfliktes zwischen Christentum und Judentum wirklich hineinversetzen? Haben sich ein Stephanus oder Paulus per Vergnügen gegen den Autoritatismus jüdischer Kreise gestellt? Hat ein Paulus nicht selbst sehr leidend von den zwei Wegen geschrieben (Röm 9 – 11)? Wird zuerst ein negatives Bild von Satisfaktionstheorie gezeichnet, um sich dagegen stellen zu können – mit dem Geltungsanspruch, jetzt eine bessere Antwort und Exegese bieten zu können?   Versteht ein Dogmatiker von heute den Paulus besser, als er sich selbst verstanden hat? Mir fehlen bei M. Striet die Begründungen  der Hl. Schrift, fehlen die tiefen, mystischen Aussagen zur Erlösung und Satisfaktion, wie sie der Hl. Paulus oder der geschmähte Papst Benedikt XVI performativ stark ausdrücken konnten.

Von welcher Position aus spricht M. Striet? Mir verläuft hier alles so polemisch, so oberflächlich: Weil die „Christen“ an den   Ausschreitungen gegen die Juden beteiligt waren, stellt sich seitdem die Frage, ob das theologische Denken falsch war, ob nicht überhaupt Gott ganz anders gedacht werden müsse usw.
Kann uns hier ein PAULUS mit seinen Antworten  zum Judentum  tatsächlich keine Antwort mehr geben? Wissen es wir besser als Paulus oder die noch hebräisch und dann griechisch sprechenden Apostolischen Väter und Apologeten und Kirchenväter?

f) Die kurze Schrift, die ich als eine Art Anbiederung an jüdische Kreise  deute, ist für mich eine einzige Resignation vor der Sinnfrage, die alle Menschen zutiefst berührt, ob Jude oder Christ oder einer anderen Religion (oder Nicht-Religion) Zugehörige. Ich könnte auch so sagen, der Essay von Striet ist eine Verdrängung und bewusste Ablenkung von der uns allen  beherrschenden Sinnfrage, wie sie aber die ganze Hl. Schrift durchzieht – und zumindest dem Prinzip nach gelöst wird.

Weder tue ich dem Judentum etwas Gutes, wenn ich die Spannung zwischen Hoffnung und Verzweiflung, die sich bereits im AT voll ausgebildet findet (siehe z. B. Psalmen), verleugne, noch werde ich den Christentum gerecht, wenn ich auf die positiven Beispiele der christlichen Liebe vergesse, auf die Märtyrer und Heiligen, die ebenfalls diese alttestamentliche Hoffnung im Namen JESU CHRISTI voll aufgegriffen und gelebt haben. Ich will mich ja nicht berufen auf die schlechten Christen, auf den Missbrauch der christlichen Religion, was es alles so gegeben hat, das ist alles zu verabscheuen. Aber die Sehnsucht, die Klage, die Hoffnung, die Sinnfrage, die begriffliche Durchdringung der Wirklichkeit im Namen eines guten Schöpfer- und Erlösergottes, das verbindet nach wie vor Judentum und Christentum. Judentum und Christentum gegenseitig auszuspielen  – wobei ich bei W. Homolka ein tiefes Ressentiment heraushöre und gleichfalls die prophetische Sehnsucht nach Erlösung und Sinn verraten finde – , das beschwört eine eigenartige Logik und ein seltsames Gottesbild.  

Nachtrag: Ich las zufällig in einer Predigt zum Hebräerbrief – aus Te Deum Jän. 2021 – genauso wollte ich es sagen:

Hebräer 8,6–13

Schwestern und Brüder! Jetzt ist unserem Hohenpriester ein umso erhabenerer Priesterdienst übertragen worden, weil er auch Mittler eines besseren Bundes ist, der auf bessere Verheißungen gegründet ist. Wäre nämlich jener erste Bund ohne Tadel, so würde man nicht einen zweiten an seine Stelle zu setzen suchen. Denn er tadelt sie, wenn er sagt:
Seht, es werden Tage kommen – spricht der Herr –, in denen ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde, nicht wie der Bund war, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten herauszuführen. Sie sind nicht bei meinem Bund geblieben und darum habe ich mich auch nicht mehr um sie gekümmert – spricht der Herr. Das wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe – spricht der Herr: Ich lege meine Gesetze in ihr Inneres hinein und schreibe sie ihnen in ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. Keiner wird mehr seinen Mitbürger und keiner seinen Bruder belehren und sagen: Erkenne den Herrn! Denn sie alle, Klein und Groß, werden mich erkennen. Denn ich verzeihe ihnen ihre Schuld und an ihre Sünden denke ich nicht mehr.
Indem er von einem neuen Bund spricht, hat er den ersten für veraltet erklärt. Was aber veraltet und überlebt ist, das ist dem Untergang nahe.

Impuls

Ein neuer Bund tritt an die Stelle des alten und eine fortschrittliche Lehre löst eine überlebte und dem Untergang geweihte ab. Wie leicht wäre es, diese Zeilen im Sinne eines religionshistorischen Verdrängungswettbewerbs zu interpretieren, als würde der neue Bund den alten restlos ersetzen oder als würde das Christentum an die Stelle des Judentums treten und dieses überflüssig machen. Die Sehnsucht nach einem neuen Bund stammt vielmehr aus dem Innersten des israelitischen Glaubens selbst. Die Verheißung einer realen Gegenwart Gottes nicht nur im Gesetz, sondern im verwandelten Herzen des Menschen ist ein Thema der großen Propheten Ezechiel und Jeremia. Letzterer wird hier so ausführlich zitiert, dass seine Verse den größten Teil des Textes ausmachen. Ist Christus also die Verkörperung des neuen Bundes, den die Propheten verkündet haben? Hat er ihn gar gestiftet? Juden bestreiten das seit zweitausend Jahren, während Christen diese Frage seit zweitausend Jahren emphatisch bejahen. Sie verstehen wie die Autoren des Neuen Testamentes Christus als die Erfüllung der Prophetie Israels. Nehmen wir an, es wäre so. Was aber ist dann Erfüllung? Löscht sie das vorhergehende Ringen und Sehnen einfach aus? Oder macht sie nicht vielmehr dankbar für alles, was sie ermöglicht und vorbereitet hat? In jeder Erfüllung bleibt die vorhergehende Unerfülltheit gewahrt und aufgehoben. Ein beliebtes Bonmot lautet: Die Juden warten auf den Messias, für die Christen ist er schon dagewesen. So mag es sein. Und man könnte hinzufügen: Seit zweitausend Jahren sind Juden und Christen im Warten vereint.

© Franz Strasser, 29. 4. 2019

1W. Homolka/M. Striet, Christologie auf dem Prüfstand: Jesus der Jude – Christus der Erlöser, Freiburg Basel Wien 1.2019.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser