Dieter Mersch, Sichtbarkeit/Sichtbarmachung: Was heißt ›Denken im Visuellen‹? Platonismus als Herausforderung, 2013 siehe Internet: www.dieter-mersch.de
Ich hörte zufällig Prof. Dieter Mersch in einem Vortrag in Linz und war sehr angetan! Daraufhin sah ich im Internet nach und fand viele Aufsätze von ihm. Da ich in tiefster Provinz lebe, möchte ich herzlich danken, dass er seine Vorträge und Meinungen zur Lektüre und Diskussion ins Internet stellt. Ich fand obigen Artikel auf seiner Homepage. Ich zitiere am Anfang einige Auszüge, um dann meine unmaßgebliche Meinung zu dieser Differenzphilosophie zu bringen. Ich halte sie letztlich für unkritisch und unbegründet.
1) Die Frage ist: „(…) wie Bilder ein Sichtbares hervorbringen, wie sie eine Sicht aufrichten und hinstellen oder aufgrund welcher Bedingungen etwas als Sichtbares erscheint oder es aus dem Unsichtbaren herkommt und in es wieder mündet.“ (ebd. S 1)
Es geht um „(…) die genannte Differenz zwischen ›Sichtbarkeit‹ und ›Sichtbarmachung‹ (….) das im Bild jeweils Sichtbargemachte einerseits, dem die Darstellung entspricht, sowie die Prozesse der Sichtbarmachung andererseits, die noch nicht oder nicht notwendig auf ein Dargestelltes, eine ›Ab-bildung‹ zielen.“ (ebd. S 1)
(Gleich eine Frage von mir: Wie möchte D. Mersch auf einen Prozess vor dem Sichtbarmachen und jeder Bildlichkeit rekurrieren, ohne wieder diesen Prozess sichtbar zu machen?)
D. Mersch: „Gibt es Bedingungen, durch die im Bildlichen mit den Mitteln der Bildlichkeit ein Sichtbares als Sichtbares zum Vorschein gelangt? Das Durch – griechisch dia, lateinisch per – bezeichnet dabei die spezifische Performativität des Medialen; sie präzisiert den bekannten, von Paul Klee entliehenen Ausdruck der »Sichtbarmachung«. Der Unterschied von ›Sichtbarkeit‹ und ›Sichtbarmachung‹ setzt dann eine mehrfache Differenzialität voraus, einmal als Unterschied zwischen Prozess und Resultat, zum anderen als beiderseitige Unterschiedenheit von einem ›Unsichtbaren‹, das im Bild wiederum auf mindestens vierfache Weise mitanwesend ist, und zwar so sehr, dass man sagen muss, dass sich das Bildliche überhaupt der Differenz zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit verdankt.“ (ebd. S 2./3)
Nächste Frage meinerseits: Das „dia“ wird von D. Mersch als „Performativität des Medialen“ blumig umschrieben, aber es kommt doch auf die genetische Möglichkeit eines „Durch“ überhaupt an. D. Mersch setzt mir in weiterer Folge seines Artikels und vieler mathematischer und geometrischer Begriffe – dem ich nicht gewachsen bin – das „dia“ („Durch“) realistisch/idealistisch voraus, ohne dessen transzendentale Evidenz zu begründen?!
Die in der Erkenntnistheorie der Sprachphilosophie von heute auftauchende, scheinbar alles erklärende „Performativität“, noch dazu oft mit „medial“ verbunden, halte ich erst recht für verwirrend!
In der WL 1804/2 behilft sich Fichte im Aufstieg zur disjunktionslosen Wahrheit ebenfalls mit der Begrifflichkeit des „dia“, d. h. eines „Durch“ – um diesen Begriff, oder besser gesagt, dieses rein reduktiv-vorgehende, rückschließende Denken, gegenüber der deduktiven Wahrheit zu vernichten (in seiner Gültigkeit, nicht der Existenz nach.) Der Begriff als idealistische Vorstellung oder als realistische Voraussetzung garantiert nicht diese disjunktionslose Wahrheit, wenn sie auch anders als durch reduktiven Aufstieg nicht erreicht werden kann. Das „esse in mero actu“ ist Wesens- und Seinseinheit, war und ist in allem reduktiven Aufstieg schon als apriorisches Vorwissen präsent gewesen – und soll im schematisierenden Akt und der Anwendung als diese deduktiven Wahrheit bewährt werden.
Oder vielleicht noch besser z. B. „Einleitung in die WL 1813“ ausgedrückt: Die disjunktionslose Wahrheit muss sich als Einheit in der Dyade der Reflexion und des idealistisch/realistischen zeigen, und zeigt sich unmittelbar als Lebensbegriff, als „fliessen über die Zweiheit“. Aus dem Leben wird abgeleitet, nicht aus einer unsichtbaren Differenz oder einem idealistischen/realistischen Akt des Differenzierens: „Das Leben näher bestimmt: ein Leben in der Form Durch, ein lebendiges Durch. Umgekehrt: ein Durch ist nothwendig lebendig. Einheit von Zweiheit, fliessen über die Zweiheit; weil jedes der zweie <ein andres durch sich selbst u. sein Seyn fodert. / Es erscheint erst jezt die innere Nothwendigkeit des Lebens, u. wir haben drum erst jezt den Begriff klar gemacht. (GA II, 17, S 273)
D. Mersch will sich von einer Art „Abbildtheorie“ Platons abgrenzen. Aber so hat Platon seine ratio cognoscendi und ratio essendi des Erkennens sowieso nicht gesehen, sondern im Gegenteil als reduktiv-deduktives Vorgehen in und aus der essentiellen und existierenden Idee des Guten (bzw. im Lysis als ‚“höchstes Worumwillen“) Das unbedingt Gute ermöglicht erst das Differenzieren, einen sekundären Akt des Reflektierens, und bleibt als Resultat leitend zu sich als Ziel in allem Reflektieren. Das folgende Urteil von D. Mersch ist höchst ungerecht und falsch:
„Platon verfehlt also von Anbeginn an die Medialität des Ikonischen und seine Negativität, stattdessen erblickt er im Bild nur eine doppelte Fälschung: Entfremdung von der Welt und ihrer ousia, wie gleichermaßen von der Wahrnehmung und ihren Sinnen.“ (ebd.S 6)
D. Mersch will die Sichtbarmachung eines Unsichtbaren, das im Bild mit anwesend ist, analysieren und bestimmen. Das Bildliche verdankt sich einer Differenz zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.
„Als mindestens vierfach erweist sich diese Vorgängigkeit insofern, als das Bild selbst einerseits schon eine Grenze markiert, die gleichsam sein Dargestelltes oder Szenisches allererst einräumt, um es gegenüber seinem Anderen als einem wörtlich ›ob-skenen‹ abzuscheiden: Kein Bild kommt ohne diese Trennung zwischen Innen und Außen, dem, was seine eigentliche Rahmung ausmacht, aus – wir werden noch darauf zurückkommen. Ihr eignet selbst wiederum eine Negativität, denn die Differenz konstituiert das Bildliche, ohne selbst Teil dessen zu sein, was durch (dia) seine Rahmung sowie durch (dia) die spezifischen Strategien oder Techniken (technē) der Sichtbarmachung jeweils sichtbar wird. Zum Zweiten entzieht sich das, was man das Mediale oder besser: die medialen Praktiken nennen könnte, durch (dia) die ein Sichtbares instituiert und ›aufgestellt‹ wird, um etwas als etwas zur Darstellung zu bringen. Entsprechend zeigt sich das Bild als ein buchstäblich ›Durch-Sichtiges‹ (dia-phanes), das aber als solches undurchsichtig bleibt: Es verweigert sich seiner eigenen Sichtbarkeit im Bild. ›Durch-Sichtigkeit‹ ist in diesem Zusammenhang aktivisch zu verstehen: nicht als passive Transparenz, sondern als etwas, durch (dia) das eine Sicht oder ›Sichtigkeit‹ allererst hervorkommt und in die Welt gebracht wird. Dabei bildet das Sichtbare oder das, was ein Bild vorstellig macht und zur Schau stellt, immer Anderes als das, was diese Sichtbarkeit erzeugt, sodass die Mittel, die medialen Bedingungen als Bedingungen im Bild durchweg verhüllt bleiben. Man könnte hier von einer Verweigerung oder Negativität des Ikonischen sprechen –(…)“ (ebd. S 3)
2) Fichte würde wohl hier sagen: Aus dem differentiellen Setzen kann nicht herausgegangen werden, das ist richtig, aber die Differenz selbst ist nicht unbekannt, obskur, unsichtbar, Indifferenz, sondern immer bestimmte! Differenz. Das Bildliche verdankt sich keineswegs einem garstigen Graben zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Eine Differenz ist immer schon ein Sich-Sehen und Sich-Bilden, eine genetische Sichtbarkeit freier Selbsttätigkeit – die natürlich jetzt durch Denken, gewissenhaft, erst begründet und gerechtfertigt werden will. Das Denken und ein möglicher Begriff „dia“, „Durch“ steht im Dienste des Visuellen, aber damit ist das Visuelle nicht durch das Unsichtbare selbst bestimmt und erzeugt.
In jedem Ist-Sagen – und seien es nur begriffliche, mathematische, logische, ikonische Entitäten – wird ein Bild erzeugt in der Geltungsform „Ich“. Die Frage ist nur, sind diese Entitäten richtig und wahr, für sich und in sich und in der zeitlichen und räumlichen Anwendung?
3) Bekanntlich ist das fichtesche System ein System der Freiheit. Man könnte jede beliebige WL auf diesen Grundvollzug von Freiheit und Bild derselben zurückführen. Als Beispiel zitiere ich aus dem „Diarium“ von 1813, weil dort Fichte eine ähnliche Terminologie verwendet wie D. Mersch.
Ich zitiere nur aus den Anfangskapitel:
„Das absolut vorauszusetzende eines individuellen wie interpersonalen Ichs) wäre drum das Vermögen dazuseyn; nach einer Regel: d. i. als Bild seiner selbst. Dieses Vermögen kann ich nun sehr gut, vorläufig dem absoluten selbst beilegen. Nun aber wird die Sache verwikelt. 1.) soll ja das absolute nicht erscheinen in der Zeit 2.) soll ja die Freiheit auch in die Mitte treten, als innere Bestimmung des Ich dastehen. -. Zuförderst durch die Freiheit sezt es sich in Fluß, um das erst gebundene anschaubar zu machen: die Bindung, oder das Gesez. NB. És ist dann faktisch Bild seines Thuns. intelligibel Bild seines ursprünglichen, u. gesezlichen Seyns, weil es nicht anders thun kann, als es ist.“ Dadurch sind denn auch die Stufen[.]* [/]
[*am Seitenende ohne Vermerk:] NB. Die Erscheinung wäre nun an sich, intelligi- bel, schlechthin u. vor aller Fakticität: Bild des absoluten Lebens, formaliter, u. qualitativ. Das formale erscheint in dem eigenen Leben. dem freien. In der Freiheit Bild seiner selbst, drum Bild jenes Bildseyns. Das 2te Bild in der Freiheit drum unendlich. Dies scheint alles zu lösen. Die Fakticität, von der ich oben rede, liegt nun eben in der Freiheit selbst. – . dem bildlichen Leben, das ich schlechthin voraussetzen muß. Bleibe ich dabei[,] denn dies scheint alles klar zu machen[.]
Ist Bild seiner selber: doch nur inwiefern es ist, Resultat seiner Freiheit: u. dieses Resultat selbst ist als ein Resultat erst im Bilde, durch dasselbe gehalten, u. gefaßt. Die Freiheit selbst ist durchaus unbildlich, sie ist Bild, nicht Bild des Bildes. Nur durch ihr Thun selbst kommt ein Bild derselben zu Stande. – (…) (Hervorhebungen von mir, GA II, 17, S 27)
In jedem Unterscheiden und differentiellen Denken, worin Bild und Sein schon als verschiedenen vorausgesetzt werden, wird „(…) durch die Unendlichkeit ein Widerspruch gelöst mit der Abgeschlossenheit, u. Verschlossenheit.“ (Hervorhebung von mir, GA II, 17, S 28)
„Es ist denn doch auch hier Bild seiner selbst, absolute, u. zwar auch als freie (ewig schaffende u. fortentwikelnde[] Natur – u. zwar Bild der blossen Bildlichkeit – die NaturAnschauung ist die blosse Sichtbarkeit des Ich. Was ist nun da eigentliche Freiheit. Antw. Wo es ist (versteht sich[,] im Bilde gefaßt) als Bild seiner selbst – als ein nothwendig Bewußtseyn bei sich führendes – denn dies heißt ja bekanntermassen frei. (Fortsetzung zur Anm. S 27; ebd. S 28)
4) Der Seh-Akt, der das einzige Mittel ist, womit die Philosophie operieren und denken kann, kann in Prozess und Resultat, Grund und Folge, zerlegt werden, aber Grund und Folge sind in ihrer Genesis nicht separiert voneinander, sondern durch einen lebendigen Nexus verbunden. Ich zitiere J. Widmann, Die Grundstruktur transzendentalen Wissens (WL 1804-II): „Der Nexus ist (…) keine bloße „Indifferenz“ von Grund und Folge. Er ist vielmehr des „Gründen“ der Folge in ihrem Grund und zugleich das „Folgen“ aus dem Grund. (…) Die eigentümliche Denkschwierigkeit in der Erörterung der transzendentalen Struktur des Genesisbegriffs stammt aus einer besonderen Konsequenz seiner Eigenart: er ist Disjunktionseinheit von conditio und causa. (…)“1
Zwischen Grund und Folge liegt nicht eine beliebige Indifferenz, sondern jeweils eine genau bemessene und bewertete Differenz eines Verhältnisses.
Im Seh-Akt liegt ferner mannigfaltiges Bilden, Rahmung etc., weil fakultativ gewählt werden muss können, d. h. frei gewählt werden soll.
Die Mannigfaltigkeit und Wahlfreiheit wird nicht einfach vorausgesetzt, sondern ist im wirklichen Sehen notwendig gesetzt, ist eine aus der Einheit notwendig hervorgehende Mannigfaltigkeit – und deshalb kommt es zu einer stets bestimmten Differenz und Sichtbarkeit (im wirklichen Sehen).
Anders gesagt: ein einzelnes Bild oder mannigfaltige Bilder strömen nicht determinierend oder absolut indeterminierend (ohne Wert- und Willensbezug) aus der Unsichtbarkeit auf das Vernunftwesen ein, sozusagen von außen auf das Sehen, sie sind nicht in und aus Unsichtbarkeit geboren, sondern sind in dem notwendigen Sehen immer schon in einer unbedingten Geltungsform „Ich“ und aus einem absoluten Geltungsgrund gebildet und erzeugt.
Die jeweilige fakultative Bestimmtheit eines Gebildeten (z. B. etwas in der Natur, oder beim Recht, oder das Gebildete einer geometrischen Figur, eine Linie, eine Zahl) ist schon bestimmte Weiterbestimmung des grundsätzlich einen, einheitlichen Seh-Aktes. Dieses Sehen in seiner Sichtbarkeit und Lichtform kann nicht nur rein faktisches Sehen sein, sondern in seiner Freiheit transzendierendes Sehen, genetisches Sehen, weil es die eigene Bedingung der Möglichkeit aus sich selbst, d. h. aus einem unbedingten Geltungsgrund, erklären und bewähren will und durch die Unendlichkeit abgeschlossen sein lässt – siehe Zitat oben (GA II, 17, S 28).
Anders gesagt, man entschuldige meine Langatmigkeit: Je nach freier Selbstbestimmung in der geschlossenen Einheit des Sich-Wissens und Sich-Bildens wird durch wirkliches Sehen stets eine bestimmte Differenz zwischen Bild und Bild des Bildes vom Sein gesetzt und aufgemacht – und nicht, wie oben von D. Mersch argumentiert, mittels unbekannter, vorgegebener „Disposition“, „Rahmung“, „dia“. Wie könnte eine „Disposition“ in ihrem unsichtbaren Ursprung sichtbar werden, wenn sie nicht schon apriorisch sichtbar wäre? Das Sehen ist ein reflexiver, notwendiger Akt, der im Bilden eine bestimmte Einheit der Differenz bildet, eine Einheit von theoretischer wie praktischer Vernunft, und nicht umgekehrt, dass die Einheit im Erkennen durch eine uns unbekannte, substantielle Indifferenz unbewusst geschaffen und erhalten wird – in einem Prozess des Differenzierens. Es könnte sich durch Indifferenz das Erkennen nie einholen und wissen, ja das ganze Wort „Erkennen“ wäre obsolet.
Meine Sicht nochmals: Der Seh-Akt ist unmittelbar und faktisch und kann als solcher nicht nicht sein – und die dahinterliegende oder besser gesagt, immer schon hervortretende Sichtbarkeit und Bestimmbarkeit und Bestimmtheit der Wirklichkeit im Ganzen, ist genetisch vorkonstruiert und nachkonstruiert in der Geltungsform „Ich“ (Ich-Einheit), sich verdankend einem absoluten Geltungsgrund. Diese Grund-Einheit des Sich-Sehens und Sich-Bildens kann nicht einem Widerspruch entspringen, das die Unsichtbarkeit sowohl unsichtbar-sichtbar (die Behauptung von D. Mersch?) als auch sichtbar-unsichtbar sei, wie vielleicht Skeptiker sagen könnten.
5) D. Mersch kommt es gar nicht auf den Repräsentationsinhalt des Bildes vom Sein an, sondern auf die Rahmung des Bildes, auf sehr viele logische Differenzierungen – siehe dort. Weil logischerweise im Denken so gefragt wird, wird natürlich die Beantwortung der Frage ebenfalls nur durch logische Differenzen möglich sein. Die modale Beantwortbarkeit ist in der Entschiedenheit seiner Frage schon vorweggenommen. Bildlichkeit geschieht durch (mathematisches, logisches) Differenzieren. Unerkannt bleibt aber die Frage und die Rechtfertigung nach dem Disposition- und Differenzgrund überhaupt, wenn ich schon diese Differenz-Termini und die vielen mathematischen und logischen Begriffe verwenden will.
Unerkannt bleibt die Frage nach dem Geltungsgrund und dem Anwendungsbereich dieser logischen und differentiellen Fragestellungen.
Der lebendige Seh-Akt, der anscheinend die Bilder vom Sein erzeugen soll, in Folge und kraft der anscheinend unerkennbaren Differenz (nach Derrida, nach Mersch u. a.), ist unkritisch nicht mehr auf seine Selbst-Transparenz und auf seinen genetischen Grund hinterfragt, sondern nur auf sein logische Rahmung und faktische Referenz hin hinterfragt. Es bleibt alles, wie D. Mersch sagt, bei einem „Spiel zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit“. (ebd. S S 1 u. 2). Ja, auf dieser faktischen Basis.
„Wenn somit vom Herkommen des Bildes aus einem je spezifischen Spiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit die Rede ist, dann bedeutet dies nichts anderes, als dass wir immer schon dieses besondere Spiel, seine konkrete Differenzialität in Rechnung stellen müssen, will man überhaupt von dem sprechen, was wir die ›Ikonizität des Ikonischen‹ nennen – übrigens ohne damit auf Charles Sanders Peirce’ Begriff des »Ikons« oder auf die Bildsemiosis anzuspielen. (ebd. S 4 )
„Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: die Ikonizität, die Differenzialität zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren, beschreibt ein Dispositiv oder vielmehr: ein dispositionäres Regime, das die spezifischen Performanzen der Sichtbarmachung ebenso ermöglicht wie einschränkt – und es ist diese Anordnung, diese Duplizität von Eröffnung und Verschließung, die in der Bildtheorie vorrangig interessiert, weniger die Repräsentation, die ›Ab-bildung‹ oder das im Einzelnen Dargestellte.“ (ebd. S 4 )
„Man muss deshalb von der ikonischen Differenz als einem ikonischen différance-Prinzip ausgehen, soweit sich durch (dia) die Praktiken der Kontrastierung und Inskription sowie ihren komplexen Ökonomien von Einrahmung und Ausrahmung der bildliche Innenraum erst ›er-gibt‹, um die jeweiligen Darstellungen ›in Szene‹ setzen zu können. Als ikonische différance ist sie jedoch der ›Grund‹ oder ›Ur-sprung‹ aller Differenzen und damit innerhalb und außerhalb des Bildes, Teil wie nicht Teil, denn jeder ›Rahmen-Akt‹, jede Praxis der Einschließung und Ausschließung stellt heraus, was das Bild zeigt und dem Blick zu sehen gibt, ohne sich im Bild als solcher zu erkennen zu geben. Von der »différance«, deren Analogon wir auf diese Weise fürs Bildliche postulieren, hatte Jacques Derrida in seinem gleichnamigen Text gesagt, es sei derjenige »Unterschied« zum »Unterschied« (différence), der gleichzeitig die »Differenzen hervorbringt«: Als der »nicht-volle, nicht-einfache Ursprung der Differenzen«, der nicht wiederum unter die Kategorie des Zeichens fallen kann, dem damit auch »der Name ›Ursprung‹ nicht mehr zu[kommt]«, ja sogar nicht einmal etwas ist, was sich überhaupt bezeichnen ließe, fällt er buchstäblich aus dem Rahmen. Für die Rahmen-Differenz gibt es demnach nicht wieder einen Rahmen: Dieselbe Paradoxie ereilt die »ikonische Differenz«, die sich ebenso sehr jeder Bestimmung verweigert, wie sie nicht selbst als ein Begriff oder eine Kategorie angesprochen werden kann, vielmehr befindet sie sich im selben Maße im Sichtbaren wie unsichtbar am ›Grund‹ der Visualisierung – gleichsam als ›Ur-Sprung‹ jener Praktiken, die im Visuellen etwas als etwas allererst sichtbar machen.“ (ebd. S 11)
Gerade die von D. Mersch eingemahnten Konstituenten wie die medialen Praktiken, wodurch Bilder erzeugt werden, „die Rahmung“ (ebd. S 12), das begriffliche „dia“, wodurch eine „Signifikanz“ (ebd. S 12) entsteht, die „Konstruktion“ (ebd.), das „Als“ als „Blickgabe“ und Repräsentation und „spezifischer Bild-Sinn“ (ebd. S 13), die „differentielle Arbeit im Visuellen“ (ebd.), die ikonische Differenz,, ….. das sind gute Fragen, sie sind aber von langer Hand übernommen ohne Rechenschaft abzulegen, woher das Linienziehen und die Rahmung und das „dia“ etc… kommen können und wie alles erzeugt ist.
Die abstrahierten Begriffe werden dinghaft, empirisch vorgestellt und vorausgesetzt, aber die Genesis im Seh-Akt und in der Einbildungskraft dieser Abstraktion – sie wird m. E. transzendental nicht gesehen.
Es klingt auf’s erste Hören sehr plausibel, aber je länger ich über das Ausgesagte nachsinne, komme ich nicht mehr darüber hinweg: Wie könnte ich solche Aussage verstehen? „Was den ‚Bild-Sinn‘ hervorbringt, ist nicht das ‚Ab-bild‘, sondern eine Pluralität von Differenzen, wie sie durch (dia) die ikonische Differenz evoziert wird, und als deren sekundärer Effekt wiederum die jeweiligen Abbildungen oder Repräsentationen entstehen. Denken im Visuellen bedeutet diese Praxis der Differenzierungen.“ (Hervorhebung von mir, ebd. S 13).
Hier ebenfalls wieder sehr deutlich Aussage Fichte in der EINLEITUNG ZUR WL 1813. Ich zitiere nur als Beleg: Denken darf nicht die Basis seiner Abstraktion, d. h. das Visuelle vergessen, es lebt vom Visuellen – aber nicht vom begrifflichen Differenzieren.
„Daß dieser neue Sinn auf dem Standpunkte der Wissenschaftslehre zugleich der transscendentale sei, indem er insbesondere das Wissen oder Denken selbst zum Objekt seines Denkens und Construirens macht, wird nachher näher ausgeführt. Hier wird zunächst nur das Wesen dieses freien Denkens selbst dargestellt: wie es sei ein schöpferisches Bilden und Vorstellen des zu Construirenden in der Einbildungskraft, worin uns plötzlich die Evidenz ergreift und alle fernere Freiheit und Willkühr des Denkens absolut beschränkt: daß allein so der construirte Gegenstand zu denken, daß dies sein Gesetz, sein allgemeingültiger Begriff sei. (Hervorhebung von mir, GA II, 17, S 253).
6) Eine Theorie zum Visuellen, als gedachtes System des Sich-Wissens und Sich-Bildens, kann nur im Sehen und Bilden existieren und Bestehen bleiben. Die Theorie verdankt sich dem Denken, und das Denken dem Leben des Visuellen. Ein Denken, nicht mehr im gewissenhaften Dienste des Visuellens und des Bildens und einer stets bestimmten Differenz gesehen, sozusagen nur mehr abstrahiert von allem Visuellen – was gar nicht möglich ist – führt zur berüchtigten, dialektischen Schlüssen, die vorgeben, etwas beweisen zu können, aber im Irrationalen enden. Das Sein wird dann beliebig aufgelöst, wird jeweils neu im Wissen vermittelt und als „Sein“ vorausgesetzt, und ad infinitum wird ein Spiel zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit eröffnet. Das kann sich nicht „Philosophie“ nennen. Prinzipiell gibt es dafür keine Begründung und keine Rechtfertigung mehr, weil nicht auf einen absoluten Geltungsgrund verwiesen wird. Die Freiheit bedient sich der Vernunftform des Sehens und Sich-Bildens, mithin eines stets neu geschaffenen und bestimmten Differenzierens, weil sie sich unbedingt und gewissenhaft bestimmen will, andernfalls müsste es sich irrationaler Einfälle und unbekannter Motive und Handlungsgründe ausliefern, d. h. sie kann gar nicht als „Freiheit“ bezeichnet werden.
Das Denken des Visuellen ist ein guter Name für die Philosophie, ist ein analytischer und ein synthetischer Weg. Es steht im Dienste des Lebens.
Wenn ich nochmals zusammenfassen darf: Alles Leben ist die Sichtbarmachung einer Bildlichkeit. Leben selbst ist keine Differenz, sondern äußert sich immer als bestimmte, differentielle Bildlichkeit. Das Ich ist die Geltungs- und Einheitsform der Sichtbarkeit dieser Bildlichkeit. (Reflexibilität). Im Vermögen des Ichs und der Freiheit, mithin im Ich, ist alles gebildet, individuelles Ich, interpersonales Ich und Du und Wir, Natur, Leib, Recht, Moralität, Religion, die Wirklichkeit im Ganzen in ihren Prinzipien gedacht. Es kann das Vermögen „Ich“ als Sehpunkt aller Bildlichkeit gedacht werden, und dies wäre ein der Philosophie würdiger Name für Denken. Das Denken bleibt aber dadurch gebunden an diese Reflexivität des Ichs und an den Seh-Akt einer bestimmten Differenz.
© Franz Strasser, 6. 3. 2023
1J. Widmann, a. a. O., Zum Begriff der Genesis, S 130f.