In meinem ersten Jahr des Theologiestudiums las ich von K. RAHNER, HÖRER DES WORTES.
Dort wird sozusagen das endliche Dasein des Vernunftwesens „Mensch“ auf die Existenz Gottes und auf die positiven Offenbarung Gottes in seinem WORT, das Fleisch geworden ist, ausgelegt.
Wenn ich generell sagen darf: Wir hatten keine andere Lektüre.
Eine tiefere Transzendentalphilosophie hinterfrägt diese Basis einer bloß menschlichen Vernunftnatur, die nur durch göttliche Gnade erhoben werden kann, denn wie sollte dann die göttliche Gnade medial vermittelt werden, wenn die transzendentale Basis eines bereits gemeinsamen Verstehens von Gott und Mensch, freilich bewirkt durch die positive Offenbarung Gottes selbst, leibhaft und sinnlich und geschichtlich erschienen, nicht gedacht werden kann?
Mir fiel ein Buch in die Hände, das kräftig diese transzendental-thomistische Lektüre des menschlichen Daseins hinterfragte und mir nochmals neu die Augen öffnete für das lebendige WORT Gottes in Zeit und Ewigkeit
SIMONS EBERHARD, Philosophie der Offenbarung. Auseinandersetzung mit Karl Rahner. Kohlhammer Verlag Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1966.
Ich rezitiere eigentlich hier nur diese „Daseinsanalyse“ von E. SIMONS, weil sie aktuell ist und mich bewahrt hat vor unnötigen Umwegen und Irrwegen.
1) Das Bewusstsein geht nicht auf einen leeren Gehalt, sondern knüpft an einen Gehalt an, unterscheidet wissentlich und willentlich etwas am Gehalt und kommt so wieder auf sich zurück. Könnte es nichts unterscheiden und nichts wissen können, könnte es im weiteren keine Unterscheidungsformen wie Anschauungs – und Denkformen entfalten.
Das Ich unterscheidet in sich einzelne Momente und Vollzüge und bezieht sie zugleich wissentlich und willentlich aufeinander. Wenn das Bewusstsein erwacht, dann ist es schon in sich und durch sich zu sich selbst erwacht und hat so schon sein eigenes Sein als Wissen und Wollen.
Den Ausdruck „Erwachen“ des Bewusstseins übernehme ich von E. SIMONS, der seinerseits auf Tradition aufbaut: „Das Erwachen des (fragenden) Bewusstseins ist insgesamt, d. h. in seiner Transzendentalität, die zugleich Subjektivität und Objektivität aus sich entlässt und wieder einholt, das erstaunliche Ereignis eines Wissens, das als währendes Geschehen des Sich-Wissens (die transzendentale Tathandlung) sich selbst weiß (das subjektive Moment) als gewusst werdend (das objektive Moment).“ 1
Das Bewusstsein (Ich) lebt in der Einheit von Helligkeit und Leben. Es ist, insofern es sich selbst versteht und vollzieht, und versteht und vollzieht sich, insofern es ist. Es ist Grund seines eigenen Verständnisses des Vollzuges (genitivus subjectivus) und Verständnis des Vollzuges (genitivus objectivus) seines eigenen Grundes, beides nur an-, mit – und durcheinander. Das Erwachen ist ein Selbstverständnis eines Lichts, und in diesem Sinn Helligkeit seines eigenen Lebens (Wahrheit) und zugleich Licht seines Selbstverständnisses als gewolltes Selbst (Gutsein). Bewusstsein heißt, Leben seiner eigenen Helligkeit sein.2
Ganz gleich, wie das Bewusstsein sich verhält und reflektiert, es kann aus diesem Zirkel, dass es einerseits sich selbst begründen muss in seinem Unterscheiden, gerade aber dadurch das Selbstsein seines Sich-Begründens außerhalb seiner selbst ständig voraussetzen muss, nicht heraus. Das Bewusstsein hat die Aufgabe, den Grund seines Selbstseins zu finden, der es reflexiv als solches begründet und nicht negiert, zugleich aber auch wirklicher Grund ist, und so außerhalb seiner selbst liegt. Die Begründung seines Selbstseins soll Selbstbegründung sein, d.h. es muss ein Grund sein, der sowohl das reflexive Selbstsein (des Bewusstseins) als auch in dieser Begründung zugleich sich selbst als Grund begründet. Es scheint vorläufig noch ein unauflöslicher Zirkel zu sein, weil man keinen Ausgang oder Anfang des wirklichen Ursprungs angeben kann (ohne das transzendentale Wissen dieses Ausgangs zu vergessen), noch einen Eingang oder Hereinnahme des Grundes in das transzendentale Selbstsein sieht (ohne diesen transphänomenalen Grund zu vergessen).
Der Zirkel des Bewusstseins liegt im Wesen der Freiheit, dass sie nicht Willkürfreiheit sein kann ohne einen Grund anzugeben, noch bloße gesetzte Freiheit sein kann, ohne durch dieses Gesetztsein schon bestimmt zu sein. Das Wesen der Freiheit (oder formaler Wille genannt) muss auf einen materialen Gehalt hingeordnet sein, damit die Freiheit Freiheit sein kann; gerade wegen ihrer Selbstursprünglichkeit ist die Freiheit auf einen Wert außerhalb ihrer hingeordnet, wodurch und worin sie selbstursprünglich bleiben kann.
Dieser durch Freiheit sinnbildenden und sinngebildeten Reflexionsakte können zuerst und vorzüglich als personale Vernunftakte verstanden werden. Jede Reflexion ist letztlich willensrelevant und wertrelevant bestimmt, mithin auch personal. Die freie Vernünftigkeit des Bewusstseins geht (neben ihrer differentiellen Bestimmtheit) von einer virtuellen, pluripotentiellen Objektivität der Bestimmbarkeit aus. Schon die rein physische Welt ist nur eine selegierend gewählter Ausschnitt aus der gesamten Bestimmtheit und Bestimmbarkeit und in diesem Sinne eine spezifische Welt der Reflexion. Dass in erster Linie die praktische Vernunfttätigkeit auf eine interpersonale Welt ausgreift, die ihr gegeben! werden muss – siehe dann in einem 2. Teil der Daseinsanalyse.3
Das Dasein der Freiheit kann nur in einer unmittelbaren sittlich-doxischen Evidenz liegen, sonst geschieht eine unreflektierte Voraussetzung eines objektivistisch vorgestellten Seins, und sei es die objektivistische Vorstellung eines eigenen Daseins. 4
© Franz Strasser, Dez. 2010
1E. SIMONS, Philosophie der Offenbarung, 1966, S. 69
2 E. SIMONS weist darauf hin, dass je nach Standpunkt beim Bewusstseins einmal mehr der aktive, dann wieder mehr der passive oder der mediale Aspekt im Vordergrund stehen kann. In: Philosophie der Offenbarung, 1966, S 70, Anm. 6.
3Dies ist m. E. der springende Punkt, warum FICHTE zu einer materialen Wertethik in seinem Freiheitsverständnis gekommen ist, während für KANT Freiheit nur eine transzendentale Idee und ein praktisches Postulat blieb. KANT formulierte die Erhabenheit des Guten im Willen bloß formal: “Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden als allein ein guter Wille.“ (Grundlegung z. M. d. S, 1785, BA 1; Bd. 7, 18.) Dies ist, wie gesagt, bei FICHTE nicht erst ab der GRUNDLAGE erkennbar, sondern liegt bereits in der transzendentalen Bestimmung des Triebes in der OFFENBARUNGSCRITIK von 1792/93 § 2 vor.
4 Bekanntlich hat z.B. M. HEIDEGGER in seinem Buch „Der Satz vom Grund“ (Vorlesung WS 1955/56) die Einsicht in einen Gehalt des Seins des Grundes (oder vom Grund) abgelehnt mit dem Hinweis, dass das Sein des Seienden zwar als zureichender Grund für das Erscheinen des Seienden gesetzt werden muss, aber das bleibt ein unbegreifliches Seinsgeschick. Sein ist selbst ein Gründen und der Satz vom Grund ist ein Sagen vom Sein. M. HEIDEGGER, Der Satz vom Grunde, Klett-Cotta, Stuttgart 20069. Eine historisch-kritische Beschreibung der Entstehung des Denkens vom „Dasein“ bei HEIDEGGER würde mich hier zu weit führen, aber trotzdem möchte ich das hervorheben:
Er verwendet „Dasein“ als Ausgangsbegriff anstelle des bereits vielfach ausgelegten und kategorisierten Begriffs „Mensch“. Bewusst wollte HEIDEGGER in Abgrenzung zu KANT nicht von einer Erkenntnistheorie sprechen, sondern von „Daseinsanalyse“, weil seines Erachtens nicht ein erkennendes Subjekt, sondern nur ein verstehendes Dasein die sinnhaften Bezüge des Menschseins freilegen kann. Das Sein der Dinge und des Daseins auf seinen Sinn zu befragen führt nach HEIDEGGER zu gewissen Existentialien, die die Seinsvergessenheit aufdecken können.
Nach FICHTE ist aber die Seinsfrage und generell das Fragen, Denken, Anschauen, keine objektiv vorhandene geistige Tatsache, sondern eine Tathandlung. Das Dasein muss aus der Analyse des Bewusstseins entfaltet werden und nicht umgekehrt. Dasein ist dem Bewusstsein untergeordnet und nicht vorgeordnet, wie HEIDEGGER es behauptete. Das Bewusstsein ist der Stoff bzw. das Produkt der ursprünglich produzierenden Einbildungskraft, aus der die in der Existenzphilosophie und „Daseinsanalyse“ eines HEIDEGGER beschriebenen Existentialien wie Frei – und Offensein, Sorgetragen, Schuldigsein, Gewissen, Angst, Mitsein, Sprache, Räumlichkeit, Gestimmtsein, Zeitlichkeit, Leiblichkeit usw. gedacht werden können, wenn sie denn richtig sind.
Ja, aus dem Gesichtspunkt der Fichteschen Bewusstseinsanalyse werden ganz andere Charakteristika für das Menschsein relevant als die hier aufgezählten. E. SIMONS und F. BADER führen besonders die Interpersonalität aus; R. LAUTH das existentielle Denken auf Sinn und Zukunft und Auferstehung hin. Soweit ich die italienische Fichte-Forschung kennenlernen durfte, legt sie viel Wert auf die mannigfaltigen Bezüge des sittlich-praktischen Setzens.
Der Begriff Dasein ist leider durch die existentialistische Philosophie eines HEIDEGGER u. a. gefährlich verdreht worden in Richtung Angst, Tod und Nihilismus. Im originären Fichteschen Sinn gibt es nur das Dasein Gottes und im apriorischen Vorwissen der Totalität der Vernunft kann das Dasein des Menschen bestimmt werden – zu Bedingungen der Freihiet.
Ich verwende den Begriff Dasein a) im Anschluss an E. SIMONS, der ihn originär auf die Interpersonalität anwendet und um b) die geschichtliche Dimension des Bewusstseins zum Ausdruck zu bringen und einen Anschluss zur geschichtlichen Botschaft des Christentums: Das WORT ist Fleisch geworden.
Es gehören selbstverständlich noch andere Charakteristika als Interpersonalität und Geschichtlichkeit zum Dasein des Menschen: Seine Leiblichkeit, seine Sprachfähigkeit, seine Sinnlichkeit u. a. m. Der Begriff Daseinsanalyse soll also nur im Sinne des im Bewusstsein gewussten Daseins gebraucht werden. Der Wort selber ist nicht entscheident; die Frage ist, wie der Begriff verstanden wird. Ob objektivistisch, wie die Existenzphilosophie im Anschluss an HEIDEGGER, oder transzendental-reflexiv abgeleitet aus dem Wissen bzw. dem Begriff der Erscheinung (Gottes).
Es sollen auch keine Konnotationen mit den Theorien und Methodenansätze für psychotherapeutische Forschung – und Heilungsansätze der „Österreichischen Gesellschaft für Daseinsanalyse (ÖGDA, 1990 gegründet), hergestellt oder andere Verwendungszusammenhänge in philosophiegeschichtlichen Kontexten vorausgesetzt werden. Es wäre eine originäre begriffliche Bestimmung des Wortes „Dasein“ anhand der WLn ab 1801/02 möglich, besonders auch anhand der GSRL aus dem Jahre 1805. C. RIEDEL Zur Personalisation des Vollzuges der Wissenschaftslehre J. G. Fichtes, Franz Steiner Verlag Stuttgart 1999, plädiert für eine weite Sicht der WLn und charakterisiert sie als „existentielle Hermeneutik“ (a.a.O., 174). FICHTES enorme Differenzierungsleistung an der Wahrheitslehre in den Arbeiten aus den Jahren 1804/1805, die sich in den Systembegriffen Intuition oder Schau des Absoluten, „Gefühl des Daseyns“ des Absoluten, „hiatus irrationalis“ und „proiectio per hiatum“ (…) niederschlägt, dient in erste Linie der Rekonstruktion der Prinzipien des philosophischen Diskurses.“, ebd., 176.